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Ned Beauman – „Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist“

Samstag, 15. September 2018

(Tempo, 476 S., HC)
Ende der 1930er Jahre bekommt der sechsundzwanzigjährige Elias Coehorn jr. von seinem übermächtigen Vater den Auftrag, für die Coehorn Missionsstiftung eine Expedition zu einem bislang unentdeckten Maya-Tempel im Nordosten von Spanisch-Honduras zu organisieren, der sich in seiner Architektur von allen bisher bekannten Maya-Tempeln unterscheidet. Die Tempelruine soll von einheimischen Arbeitern demontiert und Stein für Stein nach New York gebracht, ausgebessert und in Braeswood wieder aufgebaut werden.
Coehorn jr. nimmt den Auftrag nur deshalb an, weil er sonst befürchten muss, keine finanzielle Unterstützung mehr zu erhalten. Zur gleichen Zeit engagiert der mächtige Hollywood-Studioboss Arnold Spindler den bislang eher auf dem Bildungssektor tätigen Regisseur Jervis Whelt damit, Q. Bertram Lees Roman „Herzen in der Finsternis“ für Kingdom Pictures zu verfilmen.
Da die Geschichte größtenteils im Dschungel spielt, schickt ihn Spindler ebenfalls zu dem gerade entdeckten Maya-Tempel, weil dieser keinen Pfennig kostet. Als beide Expeditionen im Dschungel aufeinandertreffen, entsteht eine über fast zwanzig Jahre andauernde Patt-Situation, in der die Journalisten Meredith Vansaska, Leland Trimble und Zonulet (der auch noch für die CIA tätig ist) vom „New York Evening Mirror“ ebenso beteiligt sind wie die Naturkundlerin Joan Burlingame und die Assistenzgarderobiere Gracie Calix, die ihrer in einer Nervenheilanstalt untergebrachten Nichte und Geliebten Emmy Briefe schreibt, die sie nie abschickt.
Der Film wird nie fertiggestellt, von allen Expeditionsteilnehmern fehlt jede Spur, so dass die Familie der Hauptdarstellerin Adela Thoisy zwei Jahre nach Drehbeginn einen Suchtrupp losschickt, der jedoch nie sein Ziel erreicht. Dafür hat Burlingame im Coehorn-Lager die Führung übernommen und steuert auf eine blutige Schlacht zu.
„Burlingame dachte an jenen Tag vor elf Jahren, als sie mit dem Megafon in der Hand hier oben auf diesen Stufen gestanden und zu Trimbles Verbannung aufgerufen hatte. Sie hatte den Tempel vor ihm gerettet und in der Nacht darauf zum ersten Mal Liebe erfahren. Jetzt war ihr die Liebe entglitten, war vielleicht die ganze Zeit nur ein Trick gewesen, aber der Tempel stand so unumstößlich wie eh und je, und wieder einmal war es an der Zeit, ihn zu retten, die Verantwortung auf sich zu nehmen, alles zu verteidigen, wofür sie gearbeitet hatten.“ (S. 449) 
Der 1985 in London geborene Schriftsteller Ned Beauman legt nach „Der Boxer“ (2010), „Egon Loesers erstaunlicher Mechanismus zur beinahe augenblicklichen Beförderung eines Menschen von Ort zu Ort“ (2013) und „Glow“ (2014) im Tempo Verlag sein viertes Werk in deutscher Übersetzung vor und erweist sich als vor absurd-genialen Ideen übersprudelnder, sprachgewandter Erzähler, der in „Warum der Wahnsinn einer Niederlage vorzuziehen ist“ virtuos Abenteuer-Roman, Spionage-Thriller, Film-Dokumentation und Kriegs-Drama miteinander verbindet.
Wie er die beiden Expeditionen mit ihren konträr ausgeprägten Missionen im abgeschiedenen Mikrokosmos des Dschungels aufeinandertreffen lässt, sprüht vor intelligentem Witz, feinsinnigen Dialogen und ausgefeilten Charakterisierungen der außergewöhnlichen Figuren. Allerdings wird das Lesevergnügen durch die vielen Zeitsprünge, Erzählperspektiven, komplexen Strategien in den jeweiligen Lagern und all die involvierten Figuren auch beeinträchtigt.  
Beauman ist fraglos ein begnadeter Geschichten-Erzähler, verliert sich in seinem neuen Werk aber auch in seiner absolut entfesselten Vorstellungskraft, unter der die Stringenz der Dramaturgie leidet.

Ned Beauman – „Glow“

Dienstag, 26. September 2017

(Tempo, 320 S., Pb.)
Raf ist gerade dabei, sich bei einem illegalen Rave in einem Waschsalon ein Achtelgramm einer undefinierten Mischung aus Speed, Glutamat und einem noch nicht zugelassenen Medikament gegen soziale Phobie bei Hunden reinzuziehen, als er sich Hals über Kopf in Cherish verliebt, Tochter einer Burmesin und eines amerikanischen Ingenieurs, der für den international agierenden Minenkonzern Lacebark arbeitet. Wenn Raf sich nicht gerade auf irgendwelchen Raves herumtreibt und experimentelle Drogenmixturen ausprobiert, behütet er einen Staffordshire Bullterrier, der auf dem Dach eines achtzehnstöckigen Wohnhauses den Piratensender Myth FM bewacht.
Als nicht nur immer mehr Burmesen scheinbar spurlos verschwinden, sondern Raf auch beobachtet, wie mit Theo der Chef des Radiosenders durch einen geräuschlos fahrenden weißen Lieferwagen entführt wird, kommt Raf, der unter einer seltenen Schlaf-Wach-Rhythmusstörung leidet, die seinen Tag 25 Stunden dauern lässt, einer komplexen Verschwörung auf die Spur, in der auch Cherish und der Chemiker Win unklare Rollen einnehmen. Dabei geht es vor allem um die neue Droge Glow, bei deren Herstellung interessanterweise Füchse eine besondere Rolle spielen …
„Jetzt sind die Leute von Lacebark im Londoner Süden, sie infiltrieren die Stadt, sie verändern sie und verbreiten einen Nebel der Angst in den Straßen, die ihm einmal so viel bedeutet haben. Als seine Freundin ihn verlassen hatte, wurde hier für einige Zeit alles zu Scheiße, und er konnte nur dasitzen und leiden. Sieben Wochen später wird wieder alles zu Scheiße, aber diesmal kann Raf etwas dagegen unternehmen.“ (S. 152) 
Der britische Autor Ned Beauman hat nach seinem Studium in Cambridge für Zeitungen und Magazine wie „The Guardian“ und „The Daily Telegraph“ geschrieben, seit 2010 („Der Boxer“) ist er auch als Schriftsteller zu einer anerkannten Größe der europäischen Literaturszene herangewachsen und wurde für seinen zweiten Roman sogar für den Man-Booker-Prize nominiert.
Mit „Glow“, 2014 bereits als Hardcover bei Hoffmann und Campe erschienen, entführt Beauman seine Leser auf eine atemberaubende Odyssee, in der das waghalsige Erzähltempo durch exzessiven Drogenkonsum, wilde Rave-Partys und das Verschwinden von immer mehr Burmesen im Londoner Süden bestimmt wird. Rezepte gibt es dabei nicht nur für Drogencocktails, sondern auch für asiatische Gerichte, und Raf wird ebenso wie der Leser Zeuge des unerbittlichen Kampfes internationaler Großkonzerne (hier in Gestalt von Lacebark) gegen alternative Lebensformen (wie sie im Rave, Drogenkonsum und Piratensendern zum Ausdruck kommen).
So stellt sich „Glow“ einerseits als origineller Krimi dar, der durch sein irres Tempo und die mal verschnörkelt-verschachtelte, dann wieder wunderbar klare Sprache charakterisiert wird, andererseits aber als unorthodoxe Globalisierungskritik, die durch ihre ungewöhnlichen Auswüchse sehr zum Unterhaltungswert des Romans beiträgt.
Das ist bei der Lust des Autors an sprachlichen Kapriolen und dem vertrackten Plot nicht immer ein einfaches, aber bis zum Ende hin doch ein lohnendes Lesevergnügen.