Richard Laymon – „Der Killer“

Montag, 30. März 2015

(Heyne, 288 S., Tb.)
Seit dem Tod ihres Mannes vor drei Jahren führt Elsie Hoffman den kleinen Supermarkt in Oasis allein. Als sie in der Bar Golden Oasis die Journalistin Lacey Allen von der Oasis Tribune trifft und sie danach fragt, ob sie an Geister glaubt, wird sie von einem Kunden angesprochen, dass er merkwürdige Geräusche aus ihrem geschlossenen Laden vernommen habe. Wie sich herausstellt, hat sich jemand an der Fleischtheke gütlich getan. Wenig später wird die Ladenbesitzerin von Lacey bestialisch ermordet in ihrem Geschäft aufgefunden, sie selbst von einem unsichtbar erscheinenden Mann vergewaltigt.
Völlig verstört flüchtet Lacey nach Tucson, wo sie im Desert Wind Hotel auf den charismatischen Schriftsteller Scott Bradley trifft, dem sie die unglaubliche Geschichte erzählt, dass sie sich von einem Unsichtbaren verfolgt glaubt. Gemeinsam bringen sie den unsichtbaren Mann in ihre Gewalt und erfahren von ihm, dass er Elsies Sohn Sammy ist, der durch den Kontakt zu einer obskuren Gesellschaft für spirituelle Erleuchtung unsichtbar gemacht und zu einem Killer abgerichtet worden ist. Nun setzt die GSE unter der charismatischen Führung von Laveda alles daran, ihren abtrünnigen Killer wieder in ihre Gewalt zu bringen. Für Lacey bedeutet das, sich von ihrem alten Leben zu verabschieden.
„Die Stelle bei der Tribune war bequem und sicher, doch sie verspürte oft eine innere Unruhe und hatte schon darüber nachgedacht, in L.A. oder San Francisco eine größere Herausforderung anzunehmen. Nur die Trägheit hielt sie zurück. Warum sollte sie das sichere, gewohnte Leben in Oasis verlassen und sich ins Ungewisse stürzen? Irgendwann vielleicht. Irgendwann würde sie sich einfach auf und davon machen. Allein, wenn es sein musste. Aber sie hatte sich immer vorgestellt, eines Tages würde ein Mann kommen, ihre Hand nehmen und sie in ein neues Leben führen. Dieser Mann war anscheinend Sammy Hoffman. Aber er führte sie nicht in ein neues Leben, er schleifte sie schreiend hinter sich her.“ (S. 169f.) 
Mit „Der Killer“ veröffentlicht Heyne Hardcore ein Frühwerk des 2001 verstorbenen Horror-Schriftstellers Richard Laymon als deutsche Erstveröffentlichung. Lassen sich die gut dreißig Romane des „Stephen King ohne Gewissen“ zur Hälfte in die Kategorie „übernatürlicher Horror“ einordnen, gehört das ursprünglich 1985 unter dem Titel „Beware“ veröffentlichte Buch „Der Killer“ eindeutig dazu.
Dabei beziehen Laymons Werke gerade ihren Reiz aus der Konstellation, dass in zunächst idyllisch erscheinende amerikanische Kleinstädte das Böse in Form realer Menschen hereinbricht, die ohne Rücksicht auf Verluste töten und vergewaltigen, dass sich niemand mehr in Sicherheit wiegen kann.
Diese archaische Wucht geht „Der Killer“ zwar dadurch verloren, dass er eine obskure Sekte ins Spiel bringt, die ihre Anhänger auf rituelle Weise gefügig macht und durch ein besonders abstoßendes Ritual Menschen sogar unsichtbar machen kann, dass Auftragsmorde leichter auszuführen sind, aber Laymon hat es schon immer verstanden, seine Leser durch eine unnachahmliche Mischung aus brutaler Gewalt und hemmungslosem Sex zu fesseln. Dabei helfen ihm sein dialoglastiger Plot, ein handlungsorientierter Spannungsaufbau und eine schlichte, aber visuell anregende Sprache, so dass die absurde Ausgangssituation bald in den Hintergrund rückt und der Leser im Hier und Jetzt mit den Figuren um ihr Leben bangt. Dieses Erfolgskonzept funktioniert auch bei „Der Killer“ vom Anfang bis zum blutfülligen Finale.
Leseprobe Richard Laymon - "Der Killer"

Ryan Bartelmay – „Voran, voran, immer weiter voran“

(Blessing, 431 S., HC)
Als Chic Waldbeeser im September 1950 in Middleville, Illinois, seine Highschool-Liebe Diane von Schmidt zur Frau nimmt, bietet ihm seine indische Schwägerin Lijy noch auf der Feier eine Rückenmassage an. Eigentlich will Lijy ihrem betrunkenen Mann Buddy nur eins auswischen, doch Chic ist von der exotischen Frau so angetan, dass er ihr immer wieder auflaurt und es zu einer schweren Krise zwischen Chic und seinem Bruder kommt.
Damit setzt sich eine tragische Familiengeschichte fort, die damit anfing, dass ihre Mutter mit einem gewissen Tom McNeeley durchgebrannt war und sich ihr Vater hinter die Scheune setzte, um dort zu erfrieren. Statt sich um seinen kleinen Bruder zu kümmern, ging Buddy seiner eigenen Wege. Darunter leidet auch Lijy, die oft nicht weiß, wann Buddy von seinen undurchsichtigen Geschäften mit seinen Goldmünzen zurückkehrt, und sich einsam fühlt. Chic hofft, Lijys Einsamkeit für sich ausnutzen und sie verführen zu können, stattdessen lässt sich seine Schwägerin auf eine Affäre mit einem anderen Mann ein, wird schwanger und bittet Chic, seinem Bruder zu erzählen, dass er der Vater sei. Als sich sowohl sein Bruder als auch seine Frau zunehmend von ihm entfremden, beginnt Chic – von einer 18-jährigen Bibliothekarin ermutigt -, kurze Gedichte zu verfassen, die Haikus ähneln und seinem desillusionierten Leben entspringen.
„Wenn Sie Glück haben, wird jemand Sie lieben. Diesen Menschen werden Sie enttäuschen. Der Mensch, der Sie liebt, wird Sie eines Tages vielleicht hassen, und Sie können nichts dagegen machen. Auch wenn Sie es versuchen. Und Sie werden es versuchen. Wahrscheinlich wissen Sie das alles schon. Und darum geht es in diesen Gedichten. Das Schlimmste ist, dass Sie es nicht aufhalten können. Nichts davon. Das Leben hat seine eigene Dynamik. Voran, voran, immer weiter voran.“ (S. 296f.) 
Doch die Dynamik des Lebens beschert Chic doch noch eine zweite Chance. Mit der ehemaligen Profi-Pool-Billard-Spielerin Mary Geneseo, die mit ihren Männern Lyle und Green auch nicht glücklich werden konnte, will Chic nach Florida …
„Jeder Idiot kann eine Krise meistern; es ist der Alltag, der uns zermürbt.“ Mit diesem Zitat von Anton Tschechow leitet der in Chicago lebende und arbeitende Ryan Bartelmay seinen Debütroman „Voran, voran, immer weiter voran“ programmatisch ein und folgt den Lebenswegen, Erinnerungen, Krisen und Katastrophen der beiden ungleichen Brüder Buddy und Chic Waldbeeser über einen Zeitraum von fünfzig Jahren.
Episodenhaft springt der Autor zwischen den Jahren hin- und her und beschreibt den alltäglichen Kampf seiner ganz normalen Figuren gegen die Widrigkeiten des Lebens, die sich mal in unerwiderten und unausgesprochenen Gefühlen, mal aber auch in der Verarbeitung dunkler Geheimnisse und falschen Entscheidungen ausdrücken. Sowohl die Männer als auch die Frauen in Bartelmays eindrucksvoll und feinfühlig geschriebenen Werk hadern zwar mit ihren Gefühlen und Entscheidungen, scheinen aber selten über ihren Schatten springen zu können, um die Dinge zu ihren Gunsten zu verändern. Es ist tatsächlich der Alltag, der die Waldbeesers und Geneseos dieser Welt zermürbt, aber wenn sich die Menschen darauf besinnen, was ihnen wirklich wichtig ist, was sie von Herzen wollen, findet sich ein Weg.
Mit dieser hoffnungsvollen Botschaft entlässt Bartelmay seine Leser am Ende seines epischen Familienromans, der ebenso zum Nachdenken wie zum Schmunzeln anregt.
Leseprobe Ryan Bartelmay - "Voran, voran, immer weiter voran"

John Grisham – „Anklage“

Sonntag, 29. März 2015

(Heyne, 511 S., HC)
Nicht mal zwei Wochen nach dem Kollaps von Lehman Brothers bekommt auch die ambitionierte Anwältin Samantha Kofer die Nachwehen der Immobilienkrise zu spüren. Drei Jahre nachdem sie bei Scully & Pershing, der größten Anwaltskanzlei der Welt angefangen hatte, wird sie von ihrem Chef Andy Grubman mit sofortiger Wirkung freigestellt. Sie nimmt allerdings das Angebot an, ein Jahr ohne Gehalt, aber mit Krankenversicherung bei S&P unter Vertrag zu bleiben, wenn sie in dieser Zeit für eine ausgewählte gemeinnützige Organisation tätig wird.
Samantha verschlägt es schließlich zur Mountain Law Clinic in Brady, wo sich Mattie Wyatt und ihre Leute um Menschen kümmern, die sich keinen Anwalt leisten können. Die Kleinstadt lebt vor allem vom Kohleabbau, leidet unter hoher Arbeitslosigkeit und noch höherem Meth-Missbrauch.
Zunächst fühlt sich Samantha noch etwas unsicher in einem juristischen Bereich, der ihr im Vergleich zu den drögen Immobiliengeschäften in New York dann immer mehr zusagt. Schließlich hilft sie hier Menschen mit echten Problemen, Bergarbeitern, die sich buchstäblich zu Tode schuften, wenn sie sich erst eine unheilbare Staublunge einfangen und dann von den Kohleunternehmen vor die Tür gesetzt werden, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr erledigen können.
Sie übernimmt den Fall des schwer erkrankten Buddy Ryzer, der bereits seit 1997 an einer Staublunge leidet und entsprechende Entschädigungsleistungen bei Lonerock Coal beantragt, doch ließen die Anwälte von Casper Slate eigene Gutachter den Gesundheitszustand von Ryzer überprüfen und den entscheidenden Beweis verschwinden. Wie rigide diese Anwälte arbeiten, muss Samantha bald am eigenen Leib erfahren, denn Matties Neffe Donovan Gray hat seinerseits Beweise entwendet, die das kriminelle Verhalten der Kohleindustrie dokumentieren. Diese hetzen nicht nur das FBI auf die Kanzlei von Donovan und die Mountain Law Clinic, sondern schrecken auch vor der Inszenierung tödlicher Unfälle nicht zurück …
Zusammen mit ihrem Vater, der sich nach dem Verlust seiner Anwaltslizenz und dem Absitzen einer Haftstrafe auf Prozessfinanzierung spezialisiert hat, und ihrer Mutter, die als leitende Juristin im Washingtoner Justizministerium ein paar Hebel in Gang setzt, kämpft Samantha für das Recht ihrer hilfsbedürftigen Mandanten. Es gibt so viel zu tun, dass Donovan ihr sogar einen Job in seiner Kanzlei anbietet, was sie aber wiederholt ablehnt.
„Sie erinnerte ihn daran, dass (a) sie sich immer noch nicht für Schadenersatzklagen erwärmen konnte und nicht nach einem Job suchte, (b) sie nur auf der Durchreise und sozusagen eine Leihgabe war, bis sich der Staub in New York wieder gelegt hatte und sie wusste, wie die nächste Phase ihres Lebens aussah, die aber ganz sicher nichts mit Brady, Virginia, zu tun haben würde, und (c) sie eine Verpflichtung gegenüber der Law Clinic eingegangen war und richtige Mandanten hatte, die sie brauchten.“ (S. 290) 
John Grisham hat in den meisten seiner anfangs auch oft verfilmten Bestseller („Die Firma“, „Die Jury“) immer wieder den Kampf des kleinen Mannes gegen übermächtig erscheinende Konzerne thematisiert. In seinem neuen Roman „Anklage“ ist es die Kohleindustrie, die sich mit unlauteren Mitteln gegen jede Art von Entschädigungszahlungen gegenüber Bergarbeitern zu drücken versucht, die nachweislich an Staublunge erkrankt sind und einen langsamen, qualvollen Tod zu erwarten haben.
Grisham bleibt sich auch seiner Gewohnheit treu, diesen aussichtslos erscheinenden Kampf von Anwälten ausfechten zu lassen, die kaum die nötige Erfahrung besitzen, um die juristischen Spitzfindigkeiten anwenden zu können, die bei so langwierigen Prozessen eine nicht unerhebliche Rolle spielen, aber auch in „Anklage“ bringt der amerikanische Bestseller-Autor eine junge Anwältin ins Spiel, die ihre mangelnde Erfahrung durch ihr empathisches Wesen, durch Kampfgeist und Leidenschaft wettmacht.
Grisham konstruiert „Anklage“ dabei weniger als konventionellen Thriller, bei dem sich die Spannung sukzessive aufbaut, sondern fast schon als eindringliche Milieustudie einer kleinen Bergarbeiterstadt, wobei die Beschreibung des Arbeitsalltags in einer Non-Profit-Kanzlei viel Raum einnimmt. Er beschränkt sich dabei auf wenige Fälle und Figuren, schafft es aber so, den Leser stärker an das Schicksal der armen Leute zu binden, denen auf unrechtmäßige Weise der Schadenersatz versagt wird.
„Anklage“ erweist sich nicht unbedingt als Pageturner, ist aber wie immer gut geschrieben und macht einmal mehr eindringlich auf Missstände im amerikanischen Justiz- und Wirtschaftssystem aufmerksam.
Leseprobe John Grisham - "Anklage"

Stephen King – „Revival“

Freitag, 27. März 2015

(Heyne, 511 S., HC)
An einem Samstag im Oktober 1962 bereitet der sechsjährige Jamie Morton im Vorgarten eine große Schlacht mit seinen Spielzeugsoldaten vor, die er von seiner Schwester Claire zum Geburtstag bekommen hat, macht er die Bekanntschaft mit dem neuen Pfarrer der neuenglischen Gemeinde in Harlow, Charles Jacobs. Der Methodistenprediger gewinnt nicht nur sofort Jamies Herz, sondern auch der Kirchgänger. Vor allem die Jugendlichen sind begeistert, wenn Jacobs in seinen Bibelstunden die vorgetragenen Geschichten mit elektrischen Spielereien eindrucksvoll veranschaulicht. Dass hinter diesen Aufsehen erregenden Vorführungen mehr steckt, erfahren die Mortons, als Jamies Bruder Conrad seine Stimme verliert und Dr. Renault mit seinem Arztlatein am Ende ist. Dem experimentierfreudigen Prediger gelingt es nämlich, Conrad mit seiner Versuchsanleitung wieder die Stimme zurückzugeben.
Doch bevor Jacobs in der Gemeinde weitere Wunder wirken kann, werden seine Frau und sein Sohn bei einem Autounfall getötet. Jacobs hält eine letzte flammende wie gotteslästernde Predigt und verlässt die Stadt für immer. Doch die Wege von Jamie und Jacobs sollen sich über die Jahrzehnte immer wieder kreuzen. Jamie legt eine Karriere als drogenabhängiger Musiker hin und trifft Jacobs auf einem Jahrmarkt, wo er das Publikum mit seinen Portraits in Blitzen fasziniert.
Durch eine Freundin erfährt Jamie, dass Jacobs immer wieder mal Wunderheilungen durchgeführt hat, dass dabei aber auch unerwartete Nebenwirkungen mit manchmal tödlichem Ausgang aufgetreten sind. Zwar wird auch Jamie von seiner Abhängigkeit geheilt, doch selbst nach fast fünfzig Jahren beschleicht ihn noch immer ein schauriges Gefühl, wenn er sich in der Nähe des Mannes befindet, der hinter der geheimen Elektrizität offenbar ein größeres Geheimnis zu entdecken hofft …
„Ich war ihm dankbar, doch da ich mich an die Schrecken der Heroinabhängigkeit nicht mehr richtig erinnern konnte (wahrscheinlich so ähnlich, wie eine Frau sich nach der Niederkunft nicht mehr an die Schmerzen bei der Geburt erinnern konnte), war ich nicht so dankbar, wie man meinen konnte. Außerdem machte er mir Angst. Das galt auch für seine geheime Elektrizität. Die bedachte er immer mit extravaganten Begriffen – so sprach er vom Geheimnis des Universums und vom Pfad zum höchsten Wissen -, aber eine Vorstellung davon, worum es sich dabei wirklich handelte, hatte er offenkundig genauso wenig, wie ein Kleinkind, das im Kleiderschrank seines Daddys einen Revolver fand, wirklich wusste, was es da in den Händen hielt.“ (S. 219) 
Dass der „King of Horror“ seinen neuen Roman den Großen seiner Zunft gewidmet hat – von „Frankenstein“-Schöpferin Mary Shelley, „Dracula“-Autor Bram Stoker über H.P. Lovecraft, Arthur Machen, Fritz Leiber und Robert Bloch bis zu seinem Freund Peter Straub, mit dem er u.a. „Der Talisman“ zusammen geschrieben hat – verwundert nicht, denn der Geist, den die Wegbereiter der Horror-Literatur geschaffen haben, strömt mit unheimlich fluoreszierender Wucht durch die Seiten, die die Jahrzehnte eines außergewöhnlichen Männerlebens beschreiben, das von unheilbaren Krankheiten und Tod, von Drogenmissbrauch und religiösem Eifer, wissenschaftlicher Neugierde bis zur Grenze des Wahnsinns und vermeintlichen Wunderheilungen geprägt ist.
Vor allem zum eindrucksvollen Finale hin nimmt „Revival“ zunehmend Frankensteinsche Züge an, die sich mit Lovecrafts kosmischen Schrecken unheilvoll verbinden. Zwar weist der Roman wie gewöhnlich bei King auch mal Längen auf, aber der Bestseller-Autor bleibt einfach ein glänzender Erzähler, der sich auf die gut nachvollziehbare Zeichnung seiner Figuren versteht, die wie auch diesmal schicksalhaft miteinander verknüpft sind.
Und mehr noch als die angerissenen Themen des religiösen Fanatismus und wahnhaftem wissenschaftlichen Treiben ist es die unnachahmliche Art, wie King seine so unterschiedlichen Protagonisten miteinander agieren lässt, die „Revival“ zu einem spannenden Lesevergnügen macht.
Leseprobe Stephen King - "Revival"

James Patterson – „Lügennetz“

Sonntag, 22. März 2015

(Goldmann, 348 S., Tb.)
Im März 1992 verbrachte Jeanine die letzten Frühjahrsferien ihrer Collegezeit im sonnigen Key West. Nach dem Motto „Feiern bis zum Umfallen“ gönnte sich die 21-Jährige mit ihrem Freund Alex und ihrer Clique in einer Bar zum Abschluss noch ein paar Wodka-Wackelpudding-Cocktails, ehe es ins Hotel zurückging.
Als Jeanine um 2:23 Uhr in der Nacht aufwachte, entdeckte sie, dass Alex mit ihrer besten Freundin Maureen herummachte. Sie schnappte sich die Schlüssel von Alex‘ Z28 Chevy Camaro und raste die Straße am Strand entlang, bis sie einem Hund ausweichen wollte und dabei einen Mann anfuhr. Bevor das betrunkene Mädchen ihre Optionen abwägen konnte, tauchte auch schon ein Polizeiwagen auf.
Der attraktive Cop namens Peter Fournier kümmerte sich um die Leiche und nahm die zehn Jahre jüngere Jeanine zur Frau. Doch dann beschlich Jeanine zunehmend das Gefühl, dass Peter ihr etwas vormacht. Bei einer Schießerei wurde Peters Kollegin und Jeanines Chefin Elena getötet, Jeanine durch einen FBI-Agenten auf zwei Artikel im Boston Globe aufmerksam gemacht. Offensichtlich tötete Fournier 1988 seine frühere Frau ebenfalls bei einem vermeintlichen Raubüberfall.
Um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden, ließ Jeanine ihren Mann glauben, Opfer des Fallschirmseil-Killers geworden zu sein, der derzeit in Key West sein Unwesen trieb, und fing in New York mit ihrer Tochter Emma ein neues Leben als Anwältin Nina Bloom an, nachdem sie tatsächlich dem berüchtigten Killer knapp entkommen war.
Zwanzig Jahre später wird Nina von ihrem Chef für Mission rettet Leben abgestellt, eine Initiative von mehreren Kanzleien, um kostenlos Fälle zu übernehmen, bei denen die zuständigen Anwälte nicht unbedingt das Beste für ihre Mandanten getan hatten. Von einer Kollegin übernimmt sie den Fall von Justin Harris, den DNS-Spuren als Fallschirmseil-Killer entlarvten, und nun auf die Vollstreckung des Todesurteils wartet.
Nina weiß natürlich, dass Harris nicht der gesuchte Killer ist, und versucht mit dessen Anwalt Charles Baylor, die Vollstreckung noch zu verhindern. Allerdings weiß sie nicht, wie sie ihre eigene Verwicklung in den Fall offenbaren soll, der im März 1992 seinen verhängnisvollen Anfang nahm …
„Was würde Emma von mir denken, wenn alles herauskäme? Wenn sie herausfände, dass ich sie seit sie laufen konnte, nur angelogen hatte? Dass ich eine Betrügerin und jemand durch meine Schuld gestorben war? Was bildete ich mir eigentlich ein? Dass ich innerhalb einer Woche einen Freispruch für Harris erwirken könnte, ohne dass mein Kartenhaus, in dem ich mein Leben eingerichtet hatte, in sich zusammenbrechen würde? Das war selbst für jemanden wie mich mit durchaus kreativen Fähigkeiten ein hoher Anspruch.“ (S. 207) 
Seit die ersten beiden Romane in der populären Alex-Cross-Reihe – „Morgen Kinder wird’s was geben“ (1993) und „… denn zum Küssen sind sie da“ (1995) – mit Morgan Freeman in der Hauptrolle verfilmt worden sind, hat sich der US-amerikanische Schriftsteller James Patterson zu einem der erfolgreichsten Thriller-Autoren der Welt entwickelt, der 2010 mehr Bücher als Dan Brown, Stephen King und John Grisham verkauft hat, wie „Der Spiegel“ feststellte.
Mittlerweile hat der ungemein produktive Patterson (mittlerweile auch mit Hilfe einiger Co-Autoren) etliche weitere Reihen ins Leben gerufen, worunter Lindsay Boxer und ihr Club der Ermittlerinnen sowie Michael Bennett zu den bekanntesten zählen.
Dass die Dauerplatzierungen in den Bestseller-Listen und die ungeheure Produktivität aber nicht zwingend auch mit bestechender Qualität zusammenhängen, zeigt sich in seinem neuen Thriller „Lügennetz“, der zwar für sich allein steht, aber ansonsten die typischen Merkmale eines Patterson-Thrillers aufweist, allen voran die Einteilung in extrem kurze, oft nur anderthalbseitige Kapitel und einen temporeichen Plot, der die logischen Mängel fast zu kaschieren versteht.
Dabei fängt „Lügennetz“ durchaus vielversprechend an. Mit der Ich-Erzählerin Jeanine führt er eine sympathische College-Absolventin ein, die angesichts einer beschämenden Entdeckung im betrunkenen Zustand einen Menschen anfährt, doch schon die Begegnung mit dem attraktiven Cop Peter Fournier bekommt Patterson nicht glaubwürdig hin. Dafür nehmen sich Patterson und sein Co-Autor Michael Ledwidge einfach zu wenig Zeit und Raum, um die Figuren und ihre Beweggründe nachvollziehbar darzustellen. Was folgt, ist eine überkonstruiert wirkende Aneinanderreihung von Zufällen, die darin gipfelt, dass Jeanine als Pro-bono-Anwältin innerhalb von nicht mal hundert Seiten einen Mann vor der Hinrichtung bewahren will, wofür John Grisham sinnigerweise einen kompletten Roman benötigt.
Sieht man von diesen dramaturgischen und erzählerischen Schwächen allerdings ab, präsentiert sich „Lügennetz“ mit seinen 117 (!) Kapiteln aber als rasant und einfach zu lesender Thriller, der seine taffe Protagonistin eine wahre Tour de Force durchmachen lässt.
Leseprobe James Patterson - "Lügennetz"

Joe R. Lansdale – „Die Kälte im Juli“

Freitag, 20. März 2015

(Heyne, 254 S., Tb.)
In einer texanischen Kleinstadt schrecken in einer Sommernacht des Jahres 1989 Ann Dane und ihr Ehemann Richard aus dem Schlaf hoch und hören, wie das Schloss der Glastür zum Wohnzimmer aufgebrochen wird. Instinktiv schnappt sich Richard den kurzläufigen 38er und ein paar Patronen aus dem Wandschrank und schleicht sich ins Wohnzimmer, wo er einen Einbrecher erwischt. Als Richard im Schein der auf ihn gerichteten Taschenlampe des Eindringlings sieht, dass dieser eine Waffe zieht und auf ihn schießt, feuert Richard zurück und tötet den Mann.
Für Lieutenant Price ist es ein klarer Fall von Notwehr, der nicht mal vor Gericht verhandelt werden wird. Schließlich handelt es sich bei dem getöteten Mann um den Kleinkriminellen Freddy Russel, dessen Vater auch gerade erst aus dem Knast entlassen worden ist. Obwohl Price dem von Gewissensbissen geplagten Familienvater davon abrät, zur Beerdigung von Freddy Russel zu gehen, sucht er das Grab seines Opfers auf und macht die Bekanntschaft von Russel Senior. Der macht ganz unverhohlen Andeutungen, dass der Mord an seinem Sohn nicht ungesühnt bleiben wird. Tatsächlich terrorisiert Russel die Danes und dringt sogar nachts unbemerkt in das Kinderzimmer des vierjährigen Jordan ein. Als er dabei jedoch seine Brieftasche verliert, entdeckt Richard ein Foto von Freddy und stellt fest, dass dieser dem Toten gar nicht ähnlich sieht.
Um herauszufinden, wen Richard da erschossen hat und warum die Cops ihn angelogen haben, machen sich Dane und Russel auf die Suche und nehmen dazu die Hilfe von Russels altem Kumpel Jim Bob in Anspruch, der sie als Detektiv auf eine Spur führt, die Tod und Verderben bringt…
„Mein Magen fühlte sich leer an. Vielleicht war, wie bei Russel, ein Loch in mir, aus dem meine Seele rann.
Aber ich wußte, daß jeder Versuch sinnlos sein würde, mir auszureden, was ich vorhatte. Das Ehrgefühl, das ich in mir trug, war übermächtig. Es hatte nichts mit gesundem Menschenverstand zu tun. Es rührte von etwas, das ich meinen Dad einmal hatte sagen hören, einem der wenigen seiner Sätze, an die ich mich wirklich erinnere. Er sagte: Du tust, was richtig ist, weil es richtig ist, und du brauchst keinen anderen Grund dafür.
Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß.“ (S. 223) 
Wer sich darüber wundern sollte, dass in „Die Kälte im Juli“ noch in alter Rechtschreibweise präsentiert wird, muss wissen, dass der Roman bereits 1997 im Rowohlt Verlag unter dem Titel „Kalt brennt die Sonne über Texas“ erschienen ist und Heyne bei der Neuauflage zum DVD-Start von „Cold In July“ offensichtlich einfach die Typografie der Erstübersetzung übernommen hat.
Über diese leichte Irritation lässt sich allerdings leicht hinwegsehen, weil Lansdale einfach ein großartiger Autor ist, dessen Werke der Heyne Verlag gerade in seiner famosen Hardcore-Reihe (ebenso wie Richard Laymon, Jack Ketchum, John Niven, James Lee Burke, Jim Thompson und Ryan David Jahn) wiederzuentdecken beginnt und dem deutschen Publikum endlich zugänglich macht. Nachdem Lansdale „Die Kälte im Juli“ mit einem Paukenschlag eröffnet, entwickelt der Thriller einen magischen Sog, in den nicht nur der rechtschaffene Rahmenbauer Richard Dane hineingezogen wird, sondern auch der Leser. Dabei fasziniert das Werk vor allem durch die interessante Konfiguration der drei so unterschiedlichen Männerfiguren.
Stehen sich der anfangs so bieder wirkende Richard Dane und der grimmige Ben Russel, der den Mord an seinem Sohn gesühnt sehen will, zunächst wie Feuer und Wasser gegenüber, machen sie bald gemeinsame Sache, um herauszufinden, warum die Cops ein so übles Spiel mit ihnen veranstaltet haben. Und Sonny-Boy Jim Bob bringt nicht nur seine detektivische Spürnase ins Rennen, sondern sorgt mit lockeren Sprüchen auch für hohen Unterhaltungswert in einem Roman, der wie „Cold In July“-Regisseur Jim Mickle im Nachwort treffend bemerkt, eine „fulminante Mischung aus Noir, Western, Samuraigeschichte, Moralparabel und Horrorroman“ darstellt.
Wie schon in „Dunkle Gewässer“ brilliert Lansdale nicht nur mit einer starken Figurenzeichnung, sondern auch mit einer stimmigen Atmosphäre, die die moralischen Fragen ebenso deutlich vor Augen führt wie den Geruch von Blei und Blut.
Leseprobe Joe R. Lansdale - "Die Kälte im Juli"

Jeffery Deaver – „Blinder Feind“

Sonntag, 8. März 2015

(Blanvalet, 383 S., Tb.)
An einem kühlen Sonntagabend im September ist das Leben der attraktiven Bürovorsteherin Gabriela McKenzie völlig aus den Fugen geraten. Ihr Chef Charles Prescott ist nicht nur spurlos verschwunden, sondern hat auch alle Geschäftskonten geplündert. Nun erhoffen sich nicht nur die beiden NYPD-Detectives Brad Kepler und Naresh Surani von Gabriela Hinweise auf den Verbleib ihres ehemaligen Chefs und seine unlauteren Geschäfte. Vor allem der Mann namens Joseph bereitet ihr Magenschmerzen. Er hat nicht nur ihre Tochter Sarah entführt und verlangt ein Lösegeld von 400.000 Dollar, sondern auch ein Dokument, das als „Oktoberliste“ kursiert und die meist ausländischen Namen von Prescotts über dreißig eher privaten Geschäftspartnern enthält.
Zum Glück lernt Gabriela in einer Bar den attraktiven Geschäftsmann Daniel Reardon kennen, der bereits Erfahrungen mit Verhandlungen von Kidnappern gesammelt hat, die im Ausland Geschäftsleute in ihre Gewalt gebracht haben. Doch auf der Suche nach der ominösen Liste droht den beiden die Zeit davonzulaufen. Und Joseph scheint ein echter Soziopath zu sein, der keinen Aufschub duldet …
„In Gedanken ging Joseph noch einmal das komplette Projekt durch, das er an diesem Wochenende inszenierte. Viele Bestandteile, viele Herausforderungen, viele Risiken. Aber, überlegte er in seiner nachdenklichen Stimmung, Menschen waren auf der Welt, um tätig zu sein. Es spielte keine Rolle, wie schwierig die Aufgabe war, wie schmutzig man sich die Hände dabei machte – in jeder Bedeutung des Ausdrucks. Es spielte keine Rolle, ob man Dichter war oder Zimmermann, Wissenschaftler oder was auch immer. Gott hat uns geschaffen, damit wir unsere Ärsche bewegen, in die Welt hinausgehen und etwas mit unserer Zeit anfangen. Und Joseph war nie glücklicher als dann, wenn er arbeitete. Selbst wenn der Job ein Mord war, wie er ihn in wenigen Minuten begehen würde.“ (S. 91) 
Jeffery Deaver hat nicht ohne Grund Søren Kierkegaards Ausspruch „Das Leben lässt sich nur rückwärts verstehen, doch es muss vorwärts gelebt werden“ vorangestellt, denn interessanterweise erzählt er seinen neuen Thriller auch rückwärts.
Er beginnt am Sonntagabend in einer Wohnung in Manhattan, wo Gabriela mit einem von Daniels Helfern darauf wartet, dass sich Daniel mit einem weiteren Kollegen mit Joseph trifft, um Sarah gegen die Oktoberliste einzutauschen. Doch statt Daniel taucht Joseph plötzlich in der Wohnung auf. Was bei konventionellen Thrillern als Einleitung fungieren würde, stellt in Deavers neuen Roman das Finale dar. Was folgt, dürfte zumindest Filmfans vertraut sein, wenn sie Werke wie Stanley Kubricks „Die Rechnung ging nicht auf“, Robert Zemeckis' „Zurück in die Zukunft“ oder Christopher Nolans „Memento“ zu schätzen gewusst haben.
Stück für Stück beschreibt der amerikanische Bestseller-Autor in ungewöhnlich kurzen Kapiteln, was kurz zuvor passiert ist, bis am Freitagmorgen die absolut verblüffende Ausgangssituation enthüllt wird. Deaver erweist sich einmal mehr als Meister des psychologischen Thrillers, der nicht nur interessante Figuren und Plots zu entwickeln versteht, sondern auch geschickt mit den Erwartungen seiner Leserschaft spielt.
„Blinder Feind“ ist dabei so perfide und spannend konstruiert, dass das Finale, das letztlich die Einleitung darstellt, die ganze Geschichte in ein neues Licht rückt.
Leseprobe Jeffery Deaver - "Blinder Feind"

Jim Thompson – „Die Verdammten“

Samstag, 7. März 2015

(Heyne, 302 S., Tb.)
Nach dem Tod seines Vaters war es Tom Lord nicht mehr möglich, sein Jura-Studium fortzusetzen. Um die Schulden zu bezahlen, die sich durch die Pflege und Behandlung seines Vaters angehäuft haben, ist Tom gezwungen gewesen, einen Job in seiner Heimatstadt anzunehmen. Als ihm der Sheriff der texanischen Kleinstadt Big Sands einen Job als Deputy Sheriff anbot, griff er ohne zu zögern zu. Seine Mutter hinterließ ihm zwar ein üppiges Stück Land, bevor sie ihrer Familie für immer den Rücken kehrte, doch als einen Vertrag mit Aaron McBride, einem Bohrmeister bei der Highlands Oil & Gas Company abschloss, ist nach dem ersten Scheck über 20.000 Dollar kein Geld mehr geflossen.
Mittlerweile ist Lord überhaupt nicht mehr gut auf McBride zu sprechen, nachdem er erfolglos versucht hat, das an ihm begangene Unrecht wieder gutzumachen. Er nutzt den unrechtmäßigen Waffenbesitz des Bohrmeisters als Vorwand, um ihn auf offener Straße halb tot zu prügeln. Bei dem Besuch eines Bohrturms geraten die beiden Männer erneut aneinander. Bei dem Gerangel löst sich ein Schuss aus McBrides Waffe, die den Ölinspekteur auf der Stelle tötet. Damit bringt Lord nicht nur die drei Zeugen - seine Lebensgefährtin, die heiratswillige Prostituierte Joyce, und die beiden Ölbohrer Norton und Red – in eine schwierige Lage, auch die unlauteren Hintermänner von Highlands Oil sind von diesem Vorfall wenig angetan und wollen Lord dafür ebenso zur Rechenschaft ziehen wie McBrides Witwe Donna.
In einer abgeschiedenen Hütte harrt der Gesuchte der Dinge, die auf ihn zukommen.
„Tom Lord hatte die Hütte vor Jahren entdeckt, damals, als er gerade zum Mann wurde. Nach und nach hatte er sie zu einem komfortablen Zufluchtsort ausgebaut. Er brauchte so einen Ort, hatte ihn immer gebraucht. Er brauchte diese Abgeschiedenheit, die seine Einsamkeit transzendierte, ihn aus den Tiefen emporhob und sanft am anderen Ufer absetzte.“ (S. 168) 
Diese wenigen Worte beschreiben recht treffend, worum es unter anderem in „Die Verdammten“ geht, einer Auftragsarbeit, die der damals 53-jährige Thompson 1960 kurz nach seinem ersten Schlaganfall begonnen hatte und nach Vertragsabschluss ganz nach seinem Ermessen neu modellierte. Vordergründig scheint es um Mord und dessen Vergeltung zu gehen, aber wer mit Thompsons Biografie etwas vertraut ist, wird in Tom Lord das Alter Ego des Autors wiedererkennen, dessen Vater selbst ein Ölmillionär gewesen war und 1921 bankrott ging.
Mit diesem Schicksal muss sich auch Tom Lord herumschlagen, der als eigentlich guter Mann charakterisiert wird, aus dem aber jeden Augenblick der Teufel herausspringen kann. Das bekommen auch die Frauen an seiner Seite zu spüren, zunächst Joyce, die er – so sehr sie sich das auch wünscht – niemals zur Frau nehmen wird, später auch die junge Witwe des getöteten Bohrmeisters. Weder zu ihnen noch zu seinen Kollegen baut Tom Lord enge Beziehungen auf, und so wird die einsame Hütte zum Symbol seiner selbst. Thompson gelingt es, die staubige Einöde und das recht triste, unsichere Leben um die Bohrtürme herum in Texas so stilsicher zu beschreiben, dass man den Staub zu schmecken und die Klapperschlangen rasseln zu hören scheint.
In dieser unwirtlichen Gegend bleibt den Einwohnern scheinbar nichts anderes übrig, als Tag für Tag ums Überleben zu kämpfen. Und doch schafft es Thompson zum turbulenten Finale hin auch einen Hoffnungsschimmer zu entfachen.
Lesenswert ist auch das ausführliche Nachwort von Tobias Gohlis, der die Umstände aufzeigt, unter denen „Die Verdammten“ entstanden ist, und wie es in der Werkbiografie des Autors einzuordnen ist.
Leseprobe Jim Thompson - "Die Verdammten"

Ray Bradbury – „Friedhof für Verrückte“

(Diogenes, 455 S., Tb.)
In der Halloween-Nacht des Jahres 1954 erhält ein junger Drehbuchautor die schriftliche Einladung, sich um Mitternacht in der rückwärtigen Mauer am Green Glades Park einzufinden, wo eine große Offenbarung auf ihn warten würde, eine einmalige Gelegenheit für einen Bestseller-Roman oder ein entsprechendes Drehbuch. Obwohl sich der junge Schreiber eher als Angsthase sieht, kann er der Verlockung nicht widerstehen und begibt sich zum genannten Ort, um dort eine Gestalt von der Leiter fallen zu sehen, den der Autor als James Charles Arbuthnot identifiziert, den vor zwanzig Jahren bei einem Autounfall umgekommenen ehemaligen Studiochef von Maximus Films.
Wenig später ist die mutmaßliche Leiche verschwunden. Doch mit diesem unheimlichen Vorfall nimmt die Halloween-Geschichte erst so richtig Fahrt auf. Mit seinem Freund Roy Holdstrom, der ein wahres Special-Effects-Genie ist, soll er für den derzeitigen Studioboss Manny Leiber ein furchterregendes Monster schaffen, dessen Vorbild sie in einem Restaurant begegnen. Tatsächlich gelingt es Roy, eine schreckliche Kreatur zu modellieren, doch der Studiochef ist überhaupt nicht begeistert und lässt erst das Monster zerstören, dann baumelt auch Roys Leiche von einem Galgen in dem Studio.
Zusammen mit dem Privatdetektiv Crumley versucht der Ich-Erzähler den unheimlichen Ereignissen auf den Grund zu gehen …
„Ich starrte den langen Tunnel hinunter, erstaunt darüber, wie weit wir gerannt waren, von einem Land zum anderen, von einem Geheimnis zum anderen, durch zwanzig Jahre hindurch, von Halloween zu Halloween. Der Tunnel senkte sich durch Lagerhallen voll aufgestapelter Filmbüchsen hinab zu den Lagerhallen voller Reliquien der Namenlosen. Hätte ich diesen Weg zurücklegen können, wenn Crumley und Henry mir nicht geholfen hätten, die Schreckgespenster niederzuknüppeln, während mein Atem gegen die Wände stieß?“ (S. 327) 
Vierzig Jahre nach seinen legendären „Mars-Chroniken“ veröffentlichte der 2012 verstorbene amerikanische Schriftsteller Ray Bradbury 1990 mit seinem Spätwerk „Friedhof für Verrückte“ eine Hommage an Filmemacher, die nachweislich großen Einfluss auf sein eigenes Werk ausübten: Rouben Mamoulian („Dr. Jeckyll & Mr. Hyde“, 1931, „Im Zeichen des Zorro“, 1940 – und Namensgeber meines Bücher-Blogs …), George Cukor („Das Haus der Lady Alquist“, 1944), John Huston („Die Spur des Falken“, 1941, „Moby Dick“, 1956), Fritz Lang („Dr. Mabuse, der Spieler“, 1922, „Metropolis“, 1927) und natürlich Ray Harryhausen („Herr der drei Welten“, 1960, „Sindbads siebente Reise“, 1958).
So wirkt der namenlose Ich-Erzähler wie Bradburys Alter ego. Mit ehrfurchtsvollem Staunen bewegt sich der junge Drehbuchautor durch die Kulissen des Maximus Filmstudios und die Geschöpfe, die sein Freund Roy zu erschaffen versteht. Der Plot, durch den der junge Mann gleichermaßen treibt und getrieben wird, beginnt wie ein liebevoller wie desillusionierender Blick hinter die Kulissen des Filmgeschäfts in den 50er Jahren, um dann rasant die Genres Geistergeschichte, Detektivstory und philosophisches Traktat zu durchschreiten, in dem die Grenzen zwischen Schein und Sein, Fiktion und reellen Ereignissen, Wahrheit und Täuschung ebenso verschwimmen wie zwischen dem Filmgelände und dem benachbarten Friedhof.
So faszinierend dieses Geflecht auch scheint, hat sich der Altmeister des Fantastischen doch etwas an dem verwirrenden Genre-Mix verhoben. Wie sein ganz spezieller, sehr reifer und bildhafter Schreibstil wirken Bradburys Figuren in „Friedhof für Verrückte“ eher wie schlecht skizzierte Schauspieler, die durch ein unausgereiftes Drehbuch und planlos von einer Wendung zur nächsten stolpern. Erfreuen darf sich der Bradbury-Fan allerdings nach wie vor an der unnachahmlich kreierten Atmosphäre, die das Studiogelände bildlich vor den Augen des Lesers erscheinen lässt. Aber die poetische Wucht und die psychologisch fein gezeichneten Figuren seiner Frühwerke hat „Friedhof für Verrückte“ leider nicht mehr in dem Maße zu bieten, wie wir es von dem großartigen Schriftsteller gewohnt sind.

Peter Abrahams – „Kopflos“

Sonntag, 1. März 2015

(Knaur, 413 S., Tb.)
Jeden Donnerstag flüchtet die Kunstexpertin Francie in die auf einer Insel gelegene Hütte ihrer Freundin Brenda, um dort für ein paar Stunden ihre geheime Affäre mit dem Radio-Moderator Ned Demarco zu genießen. Doch es dauert nicht lange, da bekommt ihr zur Zeit arbeitsloser Mann Roger Wind von den amourösen Abenteuer seiner Frau und plant den perfekten Mord. Mit einem nachgewiesenen IQ von 181 überlegt sich der Wissenschaftler das passende Szenario, um ja nicht mit dem ersehnten Tod seiner Frau in Verbindung gebracht zu werden, und nimmt Kontakt zu dem Mörder Whitey Truax auf, der gerade auf Bewährung im Resozialisierungswohnheim in New Hampshire lebt und gern Rogers Jobangebot annimmt, zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt ein Gemälde aus der Inselhütte zu holen.
Doch der ausgeklügelte Plan geht schrecklich schief, und während Francie die Affäre mit Ned zu beenden versucht, nachdem dessen Frau Annie ihre geschätzte Tennis-Doppelpartnerin geworden ist, hat Roger alle Hände voll zu tun, Schadenbegrenzung zu betreiben und Beweise aus dem Weg zu räumen.
„Wie kompliziert konnte es sein, den Radioburschen ebenfalls Whitey vorzuwerfen? Vermutlich schwierig, gestand er sich ein, als ihm nicht augenblicklich eine Lösung einfiel, aber er war dazu geschaffen, Probleme zu lösen. Das war sein Metier. Die Herausforderung war einfach ein wenig größer, das war alles. Er würde zu seinem Recht kommen. Auf der anderen Seite der Tür erreichte Francie lautstark und vulgär den Höhepunkt. Komm nur, du Nutte. Roger stellte sich vor, wie sie im Beerdigungsinstitut im offenen Sarg lag, ihr Gesicht ausdruckslos.“ (S. 191) 
Der amerikanische Schriftsteller Peter Abrahams wurde für seine mittlerweile achtzehn Krimis bereits mehrfach für den begehrten Edgar Award nominiert, was an sich schon eine Anerkennung seiner Qualitäten bedeutet. Auch in seinem 1998 veröffentlichten Thriller „A Perfect Crime“, der jetzt unter dem Titel „Kopflos“ bei Knaur erschienen ist, kreiert Abrahams ein interessantes Szenario, das nicht nur durch die vertrackten Beziehungen der beiden Ehepaare und des von Roger ins Spiel gebrachten Ex-Häftlings geprägt wird, sondern auch von den psychischen Befindlichkeiten in diesem Intrigen-Puzzle, bei dem bald kein Teil mehr zum anderen passen will.
Doch je mehr Roger die Übersicht über sein vermeintlich perfektes Verbrechen zu verlieren droht, umso mehr verliert Abrahams auch die stringente Linie seines Spannungsaufbaus und springt wie seine durch die Vorgänge irritierten Protagonisten etwas kopflos durch die Handlung, wodurch die obligatorischen Wendungen an Wirkung einbüßen.
Nichtsdestotrotz bietet „Kopflos“ anregende Krimiunterhaltung mit psychologisch gut gezeichneten Figuren in einem zum Ende hin nicht ganz so überzeugenden Plot.
Leseprobe Peter Abrahams - "Kopflos"