(Diogenes, 448 S., Pb.)
Während Daniel Craig wohl definitiv zum letzten Mal in der Rolle des weltweit berühmtesten britischen Spions in „Keine Zeit zu sterben“ die Welt im Kino zu retten versucht, geht es seit Jahren schon im sogenannten Slough House weitaus ruhiger zu. Unter der Leitung des furzenden, wenig umgänglichen, aber enorm gerissenen Jackson Lamb verrichtet seine beim MI5 in Ungnade gefallenen „Slow Horses“ öden Papierkram, geraten aber immer wieder zwischen die Fronten, wenn der offizielle Geheimdienst in Schwierigkeiten steckt.
So kann der MI5 nicht verhindern, dass in der Westacres-Mall bei einem Bombenanschlag über vierzig Menschen ums Leben kommen – kein guter Einstig für den neuen MI5-Leiter Claude Whelan. Dann gibt es auch noch einen Mord im Haus von David „O.B.“ Cartwright aufzuklären.
Mit Sorge hat der MI5 verfolgt, wie der einstige Stellvertreter des MI5-Bosses Charles Partner und Großvater von Slow Horses River Cartwright, allmählich senil wird und versehentlich Geheimnisse ausplaudern könnte. Zunächst gehen der MI5 und Jackson Lambs Leute davon aus, dass der Tote in Cartwrights Badezimmer sein Enkel sei, doch bei dem zerfetzten Gesicht der Leiche muss die Autopsie Gewissheit geben.
In der Zwischenzeit ist River Cartwright mit einer Zugfahrkarte, die er in der Tasche des Toten gefunden hat, nach Frankreich gereist, wo er auf das frisch abgebrannte Haus stößt, in dem zuvor eine merkwürdige Kommune untergebracht war. Bei dem Projekt Kuckuck hatte nicht nur Rivers Vater seine Hände im Spiel, sondern auch ein abtrünniger CIA-Agent. Bevor River die Puzzleteile zusammensetzen kann, wird er in London gekidnappt.
Emmy Flyte, die von der Metropolitan Police zum MI5 gekommen ist, wo sie von der wegen Amtsmissbrauch geschassten Dame Ingrid Tearney die Leitung der internen Dienstaufsicht des MI5, den Dogs, übernommen hat, hofft auf die Unterstützung von Lambs lahmen Gäulen, die sich in ihrem Slough House nicht mehr sicher fühlen können. Schließlich löst der O.B. selbst das Rätsel.
„Er wäre besser dran, sein Leben im Regen oder im Regent’s Park aufs Spiel zu setzen, als hier zu sitzen und Lamb zuzuhören, wie er den Dämon exorzierte, der ihn gepackt hatte. Und vielleicht hatte sie das auch getan, sagte sie sich jedenfalls später, wenn Cartwright nicht wieder angefangen hätte zu reden.“ (S. 335)
Mit seinem bereits vierten „Slough House“-Roman präsentiert der englische Schriftsteller Mick Herron einmal mehr wunderbare Spionage-Unterhaltung, die mit einem großen Knall beginnt und dann immer tiefer in die Labyrinthe des MI5 und des weniger rühmlichen Ablegers von Jackson Lambs Slough Hous führt. Auf elegante Weise führt der Autor seine Leserschaft wie die blubbernden Heizungsrohre durch die einzelnen Büros von Slough House, stellt in wenigen Sätzen die einzelnen Mitarbeiter vor, zu denen sich bald auch Lambs alkoholsüchtige Sekretärin Catherine Standish gesellt, die bereits ihre Kündigung eingereicht hat, aber durch die Cartwrights wieder ins Spiel kommt.
Herron findet einmal mehr eine ausgewogene Mischung aus bewährter Spionage-Action, vertrackten Fährten und Verbindungen, die vor allem tief in River Cartwrights Biografie eingreifen. Leider wird sich der Leser einmal mehr von einige vertrauten Figuren verabschieden müssen, aber Herron macht aus der Not eine Tugend und führt dafür neue interessante Charaktere ein, von denen sich zeigen wird, ob sie das harte Agenten-Dasein überstehen. Herron deutet bereits an, dass Diana Taverner sich nicht damit begnügen wird, die zweite Geige hinter ihrem neuen Boss Whelan zu spielen.
Die wunderbar vielschichtigen, humorvollen Charakterisierungen von Jackson Lambs Crew-Mitgliedern, die pointierten Dialoge, die spannende Handlung und die atmosphärisch stimmige Beschreibung der Schauplätze in London machen „Spook Street“ zu einem echten Lesegenuss nicht nur für Fans des Spionage-Genres.
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