Takis Würger – „Für Polina“

Mittwoch, 26. Februar 2025

(Diogenes, 296 S., HC)
Der 1985 in Hohenhameln geborene Takis Würger hat nach seiner journalistischen Ausbildung u.a. für den Spiegel viel aus dem Ausland berichtet und wurde 2010 vom Medium Magazin als einer der „Top 30 Journalisten unter 30“ ausgezeichnet. Auch mit seinem ersten, 2017 bei Kein & Aber veröffentlichten Roman „Der Club“ ließ Würger aufhorchen. Nun legt der Autor nach „Stella“, „Noah. Von einem, der überlebte“ und „Unschuld“ mit „Für Polina“ sein Diogenes-Debüt vor.
In den Sommerferien vor ihrem Abitur reist Fritzi Prager mit Regionalzügen und per Anhalter ins italienische Lucca, wo sie in günstiges Zimmer in einer Pension bezieht und im Schatten der alten Stadtmauer ihre mitgebrachten Bücher liest. Sie genießt die Spaziergänge durch die Gassen, das italienische Essen und die Tatsache, allein zu sein, was sie nicht abhält, sich in die Leben anderer Menschen hineinzuträumen. Sie lernt einen Hamburger Natursteinhändler kennen und wird von ihm schwanger, was ihre weiteren Lebenspläne durchkreuzt. Statt Jura in München zu studieren, wofür sie als Jahrgangsbeste bereits eine Zusage hat, wird sie nun Mutter eines kleinen, speckigen Jungen mit blonden Haaren. Sie lernt Güneş kennen, die neben ihr auf der Entbindungsstation liegt und ihre Tochter in Anlehnung an Dostojewskis Geliebte Polina genannt hat. 
Aus dieser Bekanntschaft entwickelt sich eine jahrelange Freundschaft. Fritzi bekommt durch Güneş einen Reinigungsjob in einer Netto-Filiale vermittelt und zieht in eine heruntergekommene Villa im Moor, wo der wortkarge Heinrich Hildebrand vor allem an Hannes einen Narren gefressen hat. Güneş und Fritzi sehen sich, wann immer es ihre Zeit erlaubt, und so verbringen auch Polina und Hannes bis in ihre Teenagerjahre viel Zeit miteinander. Obwohl sich die beiden Teenager ineinander verlieben und später miteinander schlafen, steht ihre Beziehung unter keinem guten Stern. 
Durch Missverständnisse und Versäumnisse verlieren sie sich sogar völlig aus den Augen - bis Hannes, der seinen Lebensunterhalt bei einem Hamburger Transportunternehmen für Klaviere verdient, auf einem der Instrumente, das er mit seinem Kollegen Bosch von einer Wohnung in die andere zu bringen hat, mitten in der Innenstadt eine herzzerreißende Melodie spielt und das Video von der unorthodoxen Darbietung viral geht…

„Hannes spielte, und die Menschen hörten ihn, als hörten sie Licht. Die Besucher des kleinen italienischen Nudelrestaurants auf der anderen Straßenseite verstummten, erst verdutzt, dann ergriffen. Due Studentinnen auf dem Weg ins Philosophieseminar verlangsamten ihre Schritte, kamen näher und blieben stehen. Die Kellner vergaßen ihre Bestellungen, die Babys in ihren Kinderwagen lauschten. Es war keine Zauberei. Oder vielleicht doch. Wann war Musik jemals etwas anderes als Zauberei?“ (S. 222)

Takis Würgers „Für Polina“ ist ebenso ein Coming-of-Age- wie Liebesroman. Auf der überschaubaren Länge von nicht mal 300 Seiten entfaltet der in Leipzig lebende Autor eine berührende, selten die Grenze zum Kitsch streifende Geschichte einer problematischen Liebesbeziehung, deren Dramatik sich vor allem aus der Ungewissheit speist, wo sich Polina überhaupt befindet. Die mehr oder weniger aktiv betriebene Suche nach Polina wird durch allerlei Krisen zurückgeworfen, aber auch durch Hannes‘ Weigerung, seinem Kompositionstalent eine Chance zu geben. Würger gelingt es, seinen allesamt irgendwie sympathischen, eigenwilligen Figuren auf wenigen Seiten Charakter zu verleihen, und vor allem zwischen Bosch und Hannes, aber auch zwischen Heinrich und Hannes entwickeln sich prägende Freundschaften fürs Leben. Dadurch wird der melancholischen Geschichte nicht nur Humor, sondern auch Zuversicht verliehen.
Die stärksten Momente weist „Für Polina“ in der einfühlsamen, bildreichen Sprache und den leisen Tönen auf, mit denen Würger vor allem die Empfindungen durch das Spielen und Komponieren klassischer Musik beschreibt, aber auch die Sehnsüchte Liebender, die einander unerreichbar fern erscheinen. Da sind märchenhafte Zuspitzungen wie Hannes‘ Karriere eigentlich völlig unnötig. Dafür hätten feinere Einsichten in Hannes‘ Gefühlsleben die Intensität der Geschichte vielleicht noch verstärkt. Aber auch von diesen kleinen Schwächen abgesehen ist „Für Polina“ eine zauberhafte kleine Geschichte über den Wert wahrer Freundschaften und die Kraft der Liebe – vor allem auch zur Musik – geworden.

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