(Diogenes, 252 S., HC)
Der 1968 in Bremen geborene Christian Schünemann ist
bislang durch seine bei Diogenes veröffentlichte Krimiserie um den Starfrisör
Tomas Prinz sowie die zusammen mit Jelena Volič verfassten Kriminalromane um
die serbische Amateurdetektivin Milena Lukin bekannt geworden. Nun wagt er sich
mit seinem neuen Buch „Bis die Sonne scheint“ an einen melancholisch-heiteren
Familienroman.
Für Daniel Hormann ist 1983 noch alles in Ordnung, wie er
der Postbeamtin Frau Pieper am Schalter bestätigt. Noch träumt er davon, dass
er seine Konfirmation mit blauem Samtsakko und grauer Flanellhose begehen darf
und mit reichlich Bargeldgeschenken beehrt wird. Doch dann hört er eines Abends
ein Gespräch seiner Eltern mit und erfährt, dass die Lage mehr als ernst ist. Nicht
nur, dass das Wasser durch das Dach des eigenen Bungalows tropft, auch das
Konto ist leer. Dabei hat sich Daniels Vater Siegfried erfolgreich von einem
angestellten technischen Zeichner bei der Stadt zu einem Firmengründer für das
Entwickeln von Häusern im Selbstbau-Verfahren gemausert. Doch in Zeiten der
Wirtschaftskrise mit ungünstigen Zinsen geht die Nachfrage nach Hormann
Massivhäusern so stark zurück, dass Daniels Vater sich als Vertreter von
Wasserfiltern versucht und seine Mutter Marlene einen Wollladen in der Einkaufspassage
eröffnet. Davon dürfen die Großeltern Lydia und Henriette natürlich nichts erfahren,
der Schein muss um jeden Preis gewahrt bleiben. Dass Geld, das durch die Vertreter-Provisionen
und Marlenes Laden reinkommt, wird aber nicht etwa verwendet, um den Gerichtsvollzieher
zu besänftigen und die Schulden zu begleichen, sondern um es sich mit der ganzen
sechsköpfigen Familie mal richtig gutgehen zu lassen, sei es in schicken
Restaurants oder bei spontanen Kurztrips in die Sonne…
„An der B6 sah ich meinen Vater im Auto, wie er in unseren Weg einbog. Ein Familienvater, der von der Arbeit kam, während meine Mutter auf dem Sofa Pullover strickte. Ein schönes, friedliches Bild. In Wirklichkeit hatte mein Vater nur unnötig Benzin verfahren und Wasserfilter angepriesen, die kein Mensch haben wollte, während meine Mutter die Nadeln heißlaufen ließ, weil wir Bargeld für den nächsten Einkauf brauchten.“ (S. 185)
Wie der Autor in seinem interessanten Nachwort beschreibt,
kam Christian Schünemann die Idee zu „Bis die Sonne scheint“ nach
einem Besuch bei seiner Tante in einem Vorort von Chicago, wo er sich Kopien
von dem umfassenden Briefwechsel zwischen ihr und seiner Mutter machte. So
setzte sich eine Familiengeschichte zusammen, die teils anders erzählt worden
ist, als Schünemann sich erinnerte, was ihn zu der Erkenntnis brachte,
dass jeder seine eigenen Erinnerungen und seine eigene Wahrnehmung habe. Von
diesem Eindruck lebt dieser Roman, mit dem Schünemann die Geschichte seiner
eigenen Familie verarbeitet.
Was zunächst wie eine Coming-of-Age-Geschichte des
pubertierenden Ich-Erzählers anmutet, entwickelt sich schnell zu einer zumindest
zeitlich umfassenden Familienchronik, die bis zum Kennenlernen von Siegfrieds Eltern
zurückreicht, die Kriegszeiten und die Jahre des Wiederaufbaus berücksichtigt, die
mühsame Gründung einer Familie mit gesichertem Einkommen mit den Einkünften als
Beamter und Buchhalterin ebenso wie der dann doch rapide anmutende wirtschaftliche
Abstieg, von dem niemand etwas mitbekommen soll.
Das ist wunderbar flüssig und mit augenzwinkerndem Humor
geschrieben, doch werden auf den gerade mal 250 Seiten so viele Figuren
vorgestellt und so oft zwischen den Epochen gewechselt, dass eine tiefere
Verbundenheit mit den Hormanns kaum aufkommt, was der Sympathie für die
unternehmungslustige und einfallsreiche Familie keinen Abbruch tut. Doch Daniels
Geschwister beispielsweise werden kaum mit einem Wort erwähnt, das Skizzieren
der Familienchronik gewinnt mehr Bedeutung als die Beschreibung der innerfamiliären
Beziehungen. Entweder hätte der Autor seinen Figuren mehr Raum zur Entfaltung verleihen
oder das Figurenarsenal beschränken müssen, um einen nachhaltigen Lesegenuss zu
gewährleisten.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen