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John Grisham – „Die Entführung“

Dienstag, 12. März 2024

(Heyne, 384 S., HC) 
Mit seinem zweiten, 1991 veröffentlichten Roman „Die Firma“ gelang dem früheren Anwalt John Grisham gleich der große Coup. Er verkaufte die Filmrechte für 600.000 Dollar an Paramount, die mit der Verfilmung durch Sydney Pollack mit Tom Cruise in der Hauptrolle des jungen Anwalts Mitch McDeere nicht nur einen Blockbuster ins Kino brachten, sondern auch die Karrieren von Tom Cruise und John Grisham beflügelten. 
Nach über dreißig Jahren legt Grisham nun mit „Die Entführung“ eine vor allem von seinen treuesten Fans lang erwartete Fortsetzung vor – die allerdings über weite Strecken enttäuscht. 
Vor fünfzehn Jahren konnte Mitch McDeere als einer der besten Absolventen der juristischen Fakultät von Harvard unter den besten Job-Angeboten wählen. Entschieden hat er sich für die relativ kleine Kanzlei Bendini, Lambert & Locke in Memphis, die zwar nicht das sagenhafte Gehalt prominenter Großkanzleien zahlten, aber durch ihre familiäre Atmosphäre und großzügige Sozialleistungen auch Mitchs Frau Abby überzeugen konnten. Doch aus dem Traum wurde damals ein lebensbedrohender Alptraum, als Mitch dahinterkam, dass die Kanzlei einer Mafia-Familie in Chicago gehörte, die bereits vom FBI überwacht wurde. Mitch gelang es damals, nicht nur mit heiler Haut aus der Affäre herauszukommen, sondern auch noch zehn Millionen Dollar mitzunehmen, an denen das FBI offenbar kein Interesse hatte. 
Nachdem die McDeeres einige Zeit in Europa, vor allem in Italien, verbracht haben und Eltern von den beiden Zwillingen Carter und Clark geworden sind, hat Mitch Karriere bei Scully & Pershing gemacht, der größten Anwaltskanzlei der Welt mit Hauptsitz in New York und über dreißig Standorten auf allen Kontinenten. Mitch, der mittlerweile Partner bei S & P ist, soll das türkische Bauunternehmen Lannak vertreten, die für den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi eine eine Milliarde Dollar teure Brücke bauen sollten, doch weigert sich Libyen, die ausstehenden vierhundert Millionen Dollar zu zahlen, die nach Beendigung des Projekts noch offen sind. 
Um dieses Geld einzutreiben, reist Mitch mit Giovanna Sandroni nach Libyen. Giovanna ist die ebenfalls als erfolgreiche Anwältin arbeitende Tochter des schwer an Krebs erkrankten Luca Sandroni, der die römische Niederlassung von S & P leitet. Als sie entführt und von Scully & Pershing ein Lösegeld von 100 Millionen Dollar gefordert wird, entwickelt sich ein Wettlauf gegen die Zeit, um Leben und Tod… 
Mitch McDeere ist also – wie von so vielen Fans sehnsüchtig erhofft – zurück. Die dreißig Jahre, die seit seinem rasanten Aufstieg und Fall bei der gut als Mafia-Geldwäscherei getarnten Kanzlei in Memphis, vergangen sind, hat Grisham geschickterweise durch den Kniff halbiert, indem er die Handlung noch zu Lebzeiten des 2011 getöteten libyschen Staatschefs Gaddafi vor dem realen Hintergrund des wahnwitzigen „Great Gaddafi Bridge“-Projekts ansiedelt. Natürlich werden wir erst einmal ausführlich über den weiteren Werdegang der McDeeres informiert, über Abbys Ambitionen als Herausgeberin von Kochbüchern bei einem kleinen Verlag ebenso wie natürlich über die erstaunlich unproblematische Karriere ihres Mannes bei der weltgrößten Kanzlei. 
Doch wirklich nahe kommen wir den McDeeres nicht. Das liegt nicht nur an der skizzenhaften Rekapitulation der Zeit zwischen Bendini, Lambert & Locke und Scully & Pershing, sondern vor allem an Grishams fast schon klinisch nüchternen Schreibstil, der jede emotionale Verbundenheit zu den Figuren unterbindet. 
Dazu liegt Grishams Fokus ganz auf den handlungsgetriebenen Plot gerichtet. Wie Mitch von New York nach Rom und von dort aus nach Istanbul, wieder zurück nach Rom, nach London und New York fliegt, lässt sich logisch kaum begründen und lässt auch die fein austarierten juristischen Manöver vermissen, die gerade die frühen Grisham-Romane zu Eckpfeilern des Justizthriller-Genres werden ließen. 
In „Die Entführung“ wird nur hektisch versucht, die hundert Millionen Dollar Lösegeld aufzutreiben und die Identität der Entführer aufzudecken, packend ist dieser wenig leidenschaftlich ausgefochtene Kampf nicht. Was Grisham zumindest versucht hat, an Spannung aufzubauen, löst der Autor zum Ende hin recht unspektakulär und allzu vorhersehbar auf. Für diesen Plot hätte man die McDeeres nicht wieder aus der Mottenkiste holen müssen – aber dann hätte das Buch ein entscheidendes Verkaufsargument weniger… 

John Grisham – „Feinde“

Freitag, 31. März 2023

(Heyne, 542 S., HC) 
Seit seinem 1989 veröffentlichten Debütroman „Die Jury“ vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht ein neuer John-Grisham-Roman erscheint. Allerdings hat sich der Hype um seine spannungsgeladenen Justiz-Thriller, die in den 1990er Jahren von so renommierten Filmemachern wie Sydney Pollack („Die Firma“), Alan J. Pakula („Die Akte“), Joel Schumacher („Der Klient“, „Die Jury“) und Francis Ford Coppola („Der Regenmacher“) längst gelegt. Tatsächlich findet Grisham auch kaum noch so sensationell spannende Themen, die Leser und Kinopublikum fesseln. In seinem neuen Roman wärmt der ehemalige Anwalt und demokratische Politiker vertraute Themen auf und spult routiniert einen unterhaltsamen, aber überraschungsarmen Plot runter. 
Biloxi galt schon vor hundert Jahren als „Meeresfrüchte-Hauptstadt der Welt“, verschickte anno 1925 zwanzig Millionen Tonnen an Austern und Garnelen in den Rest des Landes. Verarbeitet wurden die Meeresfrüchte meist von Einwanderern aus Osteuropa, vornehmlich aus Kroatien, und die Einwanderungsbehörden amerikanisierten die für sie oft unaussprechbaren Nachnamen. In der Zeit der Prohibition bekam man in Biloxi nichts von dem Verbot des Handels und Transports von Alkohol mit. Etliche Bars und Clubs florierten in der für Touristen attraktiven Stadt, gegen das florierende Glücksspiel und die kaum verhüllte Prostitution ging die Polizei nicht vor, bekamen die vielen korrupten Beamten doch ein schönes Stück vom Kuchen ab. 
Allerdings zog diese offen zur Schau getragene Akzeptanz illegaler Aktivität auch Verbrecher und Gangster der sogenannten „Dixie-Mafia“ an. Die 1948 geborenen Jungen Keith Rudy und Hugh Malco entwickelten sich als Zehnjährige zu talentierten Baseballspielern und wurden Freunde. Doch als die Jungs älter werden und klar wird, dass sie keine Profikarriere im Sport einschlagen werden, entwickeln sie sich auseinander. Während Hugh seinen Vater Lance früh dabei unterstützt, die Clubs mit dem Glücksspiel am Laufen zu halten, ist Keith von der juristischen Arbeit seines Vater Jesse Rudy fasziniert und unterstützt ihn bei der Kandidatur zum Bezirksstaatsanwalt. 
Zwar geht die erste Wahl, bei dem Jesse mit dem Versprechen angetreten ist, mit dem Verbrechen aufzuräumen, noch verloren, doch im zweiten Anlauf schlägt er seinen Kontrahenten Rex Dubisson. Doch der Kampf gegen das organisierte Verbrechen erweist sich als schwierig. Kontrahenten schalten sich gegenseitig aus, indem sie Auftragskiller nach Biloxi kommen lassen, und Lance Malco agiert immer skrupelloser, um seine Geschäfte zu schützen. 
Als Keith Rudy und Hugh Malco in die Fußstapfen ihrer Väter treten, spitzt sich die Situation nach einem Bombenattentat im Gerichtsgebäude zu, denn Keith lässt nichts unversucht, seinen Freund aus Kindertagen aus dem Verkehr zu ziehen. Da er sich auf die örtlichen Behörden nicht verlassen kann, zieht er State Police und FBI hinzu, die auch erste Erfolge im Kampf gegen das Verbrechen erzielen. Doch an die Malcos heranzukommen, erweist sich als schwieriger… 
„Sie suchten nach professionellen Auftragsmördern, deren Spuren längst erkaltet waren. Sie wateten durch den Morast einer Unterwelt, die ihnen fremd war. Sie kämpften um Gerechtigkeit für Opfer, die selbst Kriminelle waren. Sie versuchten, ohne Aussicht auf Erfolg Bargeldströme nachzuverfolgen.“ (S. 365)
Nach über vierzig Romanen (zu denen neben den Justiz-Thrillern auch Sportlerdramen und eine Jugendbuchreihe zählen) hat John Grisham die Lust am Geschichtenerzählen nicht verloren, allerdings versteht er es nicht mehr zwangsläufig, sein Publikum mit außergewöhnlichen Fällen, faszinierenden Wendungen und starken Figuren in den Bann zu ziehen. 
„Feinde“ liest sich fast wie eine nüchterne Dokumentation über die Geschichte kroatischer Einwanderer, die in der Küstenstadt Biloxi arbeiten und Familien gründen. Grisham lässt sich über den Werdegang der Malcos und Rudys ebenso lang aus wie über die Entwicklung der Stadt vom prosperierenden Handelsschwerpunkt für Meeresfrüchte zu einer Bastion des Glücksspiels und der Prostitution. Dabei gelingt es dem Autor nie, die Distanz zwischen seinen Figuren und seiner Leserschaft zu überbrücken. „Feinde“ spult recht uninspiriert die Lebensläufe, Gemeinsamkeiten und schließlich todbringenden Konflikte zwischen den Rudys und den Malcos ab, ohne dem Plot interessante Akzente oder Wendepunkte zu verleihen, um etwas Spannung zu erzeugen. Zwar zieht Grisham zum Ende hin das Tempo etwas an, doch kommt auch im Finale nicht mehr genügend Schwung auf, um dem Roman Klasse verleihen zu können. 

John Grisham – „Die Heimkehr“

Mittwoch, 9. November 2022

(Heyne, 382 S., HC) 
Im Gegensatz zu seinen Verlagskollegen wie Stephen King, Joe Hill, Peter Straub oder Dan Simmons hat es Bestseller-Autor John Grisham nie zu kompakteren Erzählformen wie der Kurzgeschichte oder der Novelle hingezogen. Allerdings bewegt sich Grisham mit seinen Justiz-Thrillern, Sport-Romanen und Jugendbüchern auch in anderen Genres. Dass Grisham nichtsdestotrotz auch mit dem Bereich des Kurzromans vertraut ist, bewies er bereits mit der Weihnachtsgeschichte „Das Fest“. Nun legt er mit „Die Heimkehr“ aber erstmals drei Kurzromane in dem Metier vor, für das er einst berühmt geworden ist, des Justiz-Thrillers. 
Die Titelgeschichte „Die Heimkehr“ beschert der Leserschaft ein Wiedersehen mit dem in der Kleinstadt Clanton praktizierenden Anwalt Jake Brigance, der nach seinem ersten Auftritt in Grishams Bestseller „Die Jury“ zuletzt in den beiden Romanen „Die Erbin“ und „Der Polizist“ schwierige Aufgaben zu bewältigen hatte. Nun bekommt der unterbeschäftigte Anwalt Besuch von einem sonnengebräunten Ehepaar aus Memphis, das gerade von einem vierwöchigen Urlaub in Costa Rica zurückgekehrt ist und Jake einen Brief von seinem alten Freund Mack Stafford überbringt. 
Nach siebzehn Jahren als Anwalt hatte Stafford vor drei Jahren Insolvenz angemeldet, sich von seiner Frau Lisa scheiden lassen und sich spurlos aus dem Staub gemacht. Schnell machten Gerüchte die Runde, dass Mack Mandantengelder veruntreut haben musste. Mit dem Brief lädt Mack Jake und seine Frau Carla zu einem Urlaub nach Costa Rica ein, wo er mit Jake über eine mögliche Rückkehr nach Hause sprechen möchte. Jake und Carla nehmen das Angebot an, doch Macks geplante Rückkehr erweist sich als problematisch. Eine Einreise wäre natürlich nur möglich, wenn gegen Mack keine Anklage oder ein Haftbefehl vorliegt. Allerdings hat Mack, wie Jake erfährt, tatsächlich Vergleichszahlungen für seine Mandanten unterschlagen, die Opfer defekter Sicherheitsvorkehrungen an Kettensägen geworden waren. Mack speiste zwei der vier Mandanten mit einem Bruchteil der vertraulich vereinbarten Schadenssumme ab und baute sich in Costa Rica mit über gut 450.000 Dollar eine neue Existenz auf. Das Gerücht, dass Mack Stafford nach Clanton zurückgekehrt sei, verbreitet sich wie ein Lauffeuer in der Stadt und ruft das FBI wegen Insolvenzbetrugs auf den Plan. Macks krebskranke Ex-Frau will nichts mehr von ihm wissen, dafür aber seine Tochter Margot. Als Mack von den FBI-Aktivitäten Wind bekommt, muss er seine Pläne ändern… 
In „Erdbeermond“ wartet der junge Cody auf die Vollstreckung seines Urteils. Der damals fünfzehnjährige Junge hatte mit seinem Bruder ein vermeintlich leeres Haus ausrauben wollen. Bei der Schießerei mit dem überraschten Hausbesitzer wurde nicht nur Codys Bruder Brian, sondern auch das Ehepaar in dem Haus getötet, Cody von einer Jury schließlich für schuldig befunden und zum Tod verurteilt. Cody hat die vierzehn Jahre im Todestrakt des Gefängnisses nur überlebt, weil ihm eine nette alte Dame aus Nebraska regelmäßig Taschenbücher schickte, die mittlerweile die Regale an drei der vier Wände in seiner Zelle füllten. Die letzten drei Stunden seines Lebens verbringt Cody mit dem Direktor, dem Pfarrer, seinem Anwalt, dem Wärter Marvin und einem überraschenden Gast… 
„Sparringspartner“ erzählt schließlich die Geschichte der Kanzlei Malloy & Malloy, die in dritter Generation von den beiden einander verhassten Brüdern Rusty und Kirk sowie der zwischen ihnen vermittelnden Geschäftsführerin Diantha Bradshaw in St. Louis geführt wird. Rustys und Kirks Vater Bolton Malloy sitzt derweil seit fünf Jahren im Gefängnis, weil er seinem eigenen Geständnis zufolge seine in allen Belangen unangenehme Ehefrau getötet hatte. Allerdings wacht der alte Herr, obwohl ihm natürlich die Zulassung als Anwalt entzogen worden ist, noch immer über die Geschicke der Kanzlei und lässt sich monatlich die Umsatzberichte vorlegen. Seine Söhne sind extrem beunruhigt, dass ihr Vater vorzeitig entlassen werden könnte. Tatsächlich scheint er sogar den Gouverneur bestechen zu wollen, um eine Begnadigung zu erreichen. Nachdem Rusty wieder mal krachend einen Prozess verliert, steht der Kanzlei das Wasser bis zum Hals. Aber da gibt es noch Millionen auf verschiedenen Offshore-Konten, auf die der alte Bolton die Vergleichszahlungen eines Tabakkonzerns transferieren lässt. Um den Alten weiter im Gefängnis schmoren zu lassen und an die Tabakgelder zu kommen, schmieden Rusty, Kirk und Diantha einen perfiden Plan… 
Mit seinen drei Novellen beweist Grisham, dass er auch in kompakteren Formaten sein nachgewiesenes Talent als Erzähler ausspielen kann. Dabei versteht er es, ausgefallene juristische Fälle mit den damit verbundenen menschlichen Schicksalen eindringlich zu verbinden. So kommt Mack Stafford in der Titelgeschichte nicht umhin, die Fehler seiner Vergangenheit zu bereuen, vor allem seine Töchter im Stich gelassen zu haben. Ebenso wie die Anwälte in „Sparringspartner“ ist auch Stafford von der Gier nach Geld korrumpiert worden und muss diese Entgleisung teuer bezahlen. 
Grisham zeichnet in diesen beiden Geschichten einmal mehr das Bild von Menschen, die sich in ihrer Funktion und gesellschaftlichen Stellung so privilegiert sehen, dass sie glauben, über dem Gesetz zu stehen, doch lässt Grisham sie dafür teuer bezahlen. Mit „Erdbeermond“ greift der Autor einmal mehr die Auseinandersetzung mit der Todesstrafe auf, von der Grisham, wie frühere Romane bereits gezeigt haben, ein kritischer Gegner ist. Allerdings übertreibt er es hier etwas mit einer besonders rührseligen Geschichte eines jungen Mannes, der als 15-jähriger Junge zum Tod verurteilt wurde, obwohl er nicht mal selbst die tödliche Waffe betätigt hatte.  

John Grisham – „Der Verdächtige“

Dienstag, 3. Mai 2022

(Heyne, 416 S., HC) 
Allein die Tatsache, dass seine ersten sieben Romane – von „Die Jury“ und „Die Firma“ über „Die Akte“ und „Der Klient“ bis zu „Die Kammer“, „Der Regenmacher“ und zuletzt „Das Urteil“ – verfilmt worden sind, spricht Bände über den Erfolg des ehemaligen Rechtsanwalts und Bestseller-Autors John Grisham. Seit seinem im Original 1989 veröffentlichten Debüt „Die Jury“ liefert der bekennende Baptist und Demokrat nahezu jährlich einen Bestseller ab und kehrt nun hin und wieder auch zu Figuren aus früheren Romanen zurück. So ist Jake Brigance, Grishams Protagonist aus „Die Jury“, zunächst 2013 in „Die Erbin“ zurückgekehrt, um dann noch einmal in „Der Polizist“ einen 16-Jährigen vor der Todesstrafe zu bewahren. Lacy Stoltz wiederum hat als Anwältin bei der Gerichtsaufsichtsbehörde in Florida in „Bestechung“ einen aufsehenerregenden Korruptionsfall aufgeklärt, bei der eine Richterin jahrelang erhebliche Bestechungsgelder kassiert hat. Nun wird sie mit einem Fall konfrontiert, bei dem ein amtierender Richter mehrere Morde begangen haben soll, die nie aufgeklärt werden konnten. 
Seit ihrem Erfolg vor drei Jahren scheint die Karriere von Lacy Stoltz beim Board on Judicial Conduct (BJC), zuständig für Berufsaufsicht und standeswidriges Verhalten von Richtern, ins Stocken geraten zu sein. Die dienstälteste Mitarbeiterin weiß weder, wohin ihre Beziehung zum FBI-Beamten Allie führt, noch ob sie sich vielleicht beruflich verändern soll. 
Da erhält sie einen zunächst anonymen Anruf von einer Frau, die sich später als die sechsundvierzigjährige Jeri Crosby vorstellt, die als geschiedene und alleinlebende Professorin Politikwissenschaft an der University of South Alabama in Mobile lehrt. Sie behauptet, dass ihr Vater Bryan Burke, Juraprofessor im Ruhestand, von einem amtierenden Richter namens Ross Bannick ermordet worden sein soll. Da weder Spuren noch Motiv ausgemacht werden konnten, ist allerdings nie jemand der Tat verdächtigt worden. Doch damit nicht genug: Jeri hat keine Kosten und Mühen gescheut, um weitere fünf ungelöste Morde ausfindig zu machen, die mit der gleichen Methode ausgeübt worden sind. Den Opfern wurde zunächst der Schädel zertrümmert, dann mit einem Nylonseil erdrosselt, wobei der Druck mit einem doppelten Mastwurf gesichert wurde. 
Offensichtlich rächt sich Bannick an all jenen, die ihn im Laufe seines Lebens gekränkt haben. Dabei beweist er unglaubliche Geduld und Vorsicht, und da die Morde in mehreren Bundesstaaten begangen wurden, sind nie irgendwelche Zusammenhänge untersucht worden. Auch wenn sich Lacy anfangs sträubt, sich mit diesen Vorwürfen auseinanderzusetzen, muss sie mit ihrem Team dem Fall widmen, als Jeri offiziell Beschwerde gegen Bannick einreicht. Die Professorin fühlt sich hinter ihrer anonymen Fassade so sicher, dass sie Bannick aufzuscheuchen versucht, indem sie ihm Gedichte schickt, die auf seine verschiedenen Opfer verweisen, doch Bannick ist auch in technischer Hinsicht so versiert, dass er bald herausfindet, wer ihm das Leben gerade so schwer zu machen versucht… 
„Die Person, die ihm nachstellte, war kein Cop, kein Privatdetektiv, kein Kriminalschriftsteller, der sich auf echte Fälle verlegt hatte und auf Nervenkitzel aus war. Sie war selbst betroffen, jemand, der seit vielen Jahren im Dunkeln agierte, beobachtete, Material sammelte, Spuren verfolgte. Er war mit einer neuen Realität konfrontiert, und brillant, wie er war, würde er auch damit fertigwerden. Er würde das Opfer finden und den Briefen ein Ende setzen. Schluss mit den albernen Gedichten.“ (S. 249) 
Um Lacy Stoltz noch einmal im Fall eines richterlichen Fehlverhaltens ermitteln zu lassen, brauchte es schon einen spektakulären Fall, den er mit der offensichtlichen Mordserie eines Richters auch spektakulär in Szene zu setzen weiß. Dabei wechselt Grisham immer wieder die Perspektive von Lacy Stoltz und Jeri Crosby auf der einen und Richter Ross Bannick auf der anderen Seite. Die persönlichen Hintergründe der drei Protagonisten kommen dabei auch nicht zu kurz, gehen allerdings auch nicht besonders in die Tiefe.  
Grisham konzentriert sich ganz auf die Jagd nach Bannick, die vor allem darin besteht, endlich Beweise für die ihm vorgeworfenen Taten zu finden, wobei vor allem das FBI involviert wird. Das hohe Tempo und die Spannung durch das Katz- und Maus-Spiel lassen fast darüber hinwegsehen, dass die Figur des Richters nicht besonders glaubwürdig gezeichnet ist und die Motivation seiner Taten mehr als fragwürdig erscheint, der Schluss fällt sogar enttäuschend aus. Ein spektakulärer Fall macht noch keinen guten Thriller aus, aber Grisham schreibt immerhin so routiniert und hat mit den beiden tragenden Frauenfiguren zwei sympathische Charaktere geschaffen, dass Grisham-Fans dennoch auf ihre Kosten kommen. Interessant ist dabei vor allem die Vorstellung, dass gerade ein Mann, der das Gesetz schützen soll, zum Verbrecher geworden ist.  

John Grisham – „Das Talent“

Montag, 15. November 2021

(Heyne, 398 S., HC) 
Mit seinen erfolgreich verfilmten Bestsellern wie „Die Firma“, „Die Akte“, „Die Jury“, „Der Klient“, „Der Regenmacher“ und „Die Kammer“ hat sich John Grisham Anfang der 1990er Jahre zum Shooting-Star des Justiz-Thrillers geschrieben. Doch statt jedes Jahr einfach einen weiteren spektakulären Fall vor Gericht zu präsentieren, hat er sich immer wieder gelegentlich eine „Auszeit“ genommen, um Romane zu schreiben, die von ihm geliebte Sportarten thematisierten. 
Nach „Der Coach“, „Touchdown“ und „Home Run“ legt der ehemalige Rechtsanwalt mit „Das Talent“ nun seinen vierten Roman in diesem Genre vor und erzählt die Geschichte eines siebzehnjährigen südsudanesischen Basketball-Spielers, der in den USA Karriere machen will. 
In der südsudanesischen Hauptstadt Juba gilt der siebzehnjährige Samuel Sooleymoon mit seinen 1,88 Meter Körpergröße als vielversprechender Point Guard, der über eine immense Schnelligkeit und Sprungkraft bekannt war, aber kaum den Korb von der Dreierlinie traf. Er wuchs in einem Dorf namens Lotta bei Rumbek, einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, auf, und hat sein Leben meist mit Basketball und Fußball verbracht, während sein Vater Ayak in einer offenen Hütte, die als Schule galt, unterrichtete und seine ebenfalls hochgewachsene Mutter Beatrice sich als Hausfrau um den Garten und die Erziehung von Samuel und seinen beiden jüngeren Geschwistern James, Chol und Angelina kümmerte. Als Samuel eingeladen wird, in Juba an einem U18-Turnier teilzunehmen, macht er auf den Talentscout Ecko Lam einen so guten Eindruck, dass er tatsächlich zu Showturnieren in den USA eingeladen wird. 
Bei dem Turnier in Orlando gewinnt die südsudanesische Auswahl etliche Spiele, doch der Erfolg wird von der Nachricht überschattet, dass Rebellen Samuels Dorf zerstört haben. Wie sich später herausstellt, ist Samuels Vater bei dem Überfall umgekommen, während Angelina verschleppt worden ist und Beatrice mit den beiden Jungen in ein ugandisches Flüchtlingslager entkommen konnte. Samuel bleibt nach dem Turnier in den Staaten, wo der mit Ecko Lam befreundete Coach Lonnie Britt versucht, Samuel in die Auswahl zum NBA-Draft zu bekommen, und die Rechtsanwältin Ida Walker alle Hebel in Bewegung setzt, Samuels Familie ein Visum für die USA zu besorgen. Doch dazu muss Samuel seinen Highschool-Abschluss machen und Geld verdienen. Noch steht allerdings nicht fest, ob er tatsächlich das Zeug zum NBA-Profi hat. Die Gedanken an das Schicksal seiner Familie lassen Sooley, wie Samuel bald von seinen Fans genannt wird, nicht los … 
„Wenn im Wohnheim Nachtruhe herrschte und alles still war, saß er auf seinem Bett und durchforstete das Internet. Gelegentlich stieß er auf Fotos von Rhino Camp – Beatrice hatte gesagt, sie seien in Rhino South – und musterte angestrengt die Gesichter Hunderter Südsudanesen, in der verzweifelten Hoffnung, seine Mutter, James oder Chol zu entdecken. Immer noch klammerte er sich an den Gedanken, dass Angelina irgendwo dort war und nach ihrer Familie suchte.“ (S. 165) 
Bevor John Grisham eine Karriere als Rechtsanwalt und schließlich Bestseller-Autor einschlug, spielte er wie viele amerikanische Jungen davon, Profisportler zu werden, doch fehlte ihm das Talent, Baseball, American Football oder auch Basketball professionell zu spielen. Während Grishams bisherigen Sportromane „Der Coach“, „Touchdown“ und „Home Run“ aber noch einen gewissen Unterhaltungswert hatten, dümpelt die Story von „Das Talent“ leider über weite Strecken eher unspektakulär dahin. Dabei kommt das anfänglich noch etwas ausführlicher geschilderte Flüchtlingsdrama von Samuels Familie viel zu kurz. Stattdessen fokussiert sich Grisham auf die unglaubliche Karriere des südsudanesischen Jungen, der in kürzester Zeit nicht nur über zwei Meter groß wird, sondern dank unermüdlichen Trainings auch zum Matchwinner seiner College-Mannschaft wird, deren Siegesserie kein Ende zu nehmen scheint. 
Ein Großteil der Handlung nimmt dabei leider die Beschreibung der Spielverläufe ein, was für Nicht-Basketball-Fans schnell zur Zumutung wird. Vor allem leidet darunter die Intensität der an sich aufreibenden Schicksale des Basketball-Talents auf der einen und seiner im Flüchtlingslager verharrenden Familie auf der anderen Seite. Grisham beschränkt sich hier auf sehr sachliche, spröde Beschreibungen, die es der Leserschaft schwermachen, wirkliche Anteilnahme am Schicksal der Figuren aufzubringen. 
Das dramatische Finale ist letztlich wenig überzeugend gelungen, passt aber zu Grishams ohnehin unterdurchschnittlichen Werk. Er sollte besser bei seinen Justiz-Thrillern bleiben oder mehr Empathie für seine Figuren aufbringen, wenn es um eher emotionale Geschichten geht.  

John Grisham – „Der Polizist“

Sonntag, 23. Mai 2021

(Heyne, 672 S., HC) 
In seinem 1989 veröffentlichten Debütroman „Die Jury“ ließ John Grisham den jungen Anwalt Jake Brigance mit dem Schwarzen Carl Lee Hailey den Vater eines zehnjährigen Mädchens verteidigen, das brutal misshandelt und vergewaltigt wurde, worauf Hailey den geständigen Täter tötete. Über dreißig Jahre später lässt Grisham Brigance in einem ganz ähnlichen Fall die Verteidigung übernehmen. Diesmal nimmt er sich des sechzehnjährigen Drew Gamble an, der sich vor Gericht wegen des Mordes an dem Polizisten Stu Kofer verantworten muss. Kofer war zwar ein guter Polizist, betrank sich aber häufig, zettelte in Bars Schlägereien an und misshandelte auch seine Freundin Josie, der er mit ihren Kindern Kiera und Drew ein Zuhause gab. 
Als Stu eines Nachts nach einem seiner Saufgelage nach Hause torkelt, schlägt er Josie bewusstlos und schläft schließlich seinen Rausch aus. Als die verängstigten Kinder nach ihrer Mutter sehen und sie reglos auf dem Küchenfußboden finden, erschießt Drew den verhassten Mann mit dessen Dienstwaffe und ist beim Eintreffen der Polizei kaum ansprechbar. Sheriff Ozzie Walls nimmt den schmächtigen Drew fest, Richter Omar Noose beauftragt Jake mit der Verteidigung des Jungen, womit sich der ansonsten beliebte Anwalt in der Kleinstadt Clanton, Mississippi, nicht gerade beliebt macht. 
Vor allem Earl Kofer, der Vater des ermordeten Polizisten, fordert lautstark die Todesstrafe für den Jungen. Zusammen mit seiner schwarzen Assistentin Portia, die kurz vor der Aufnahme ihres Jura-Studiums steht, und seinen Freunden/Kollegen Harry Rex und Lucien Wilbanks, setzt Jake alles daran, dem Jungen die bestmögliche Verteidigung zu bieten und ihn möglichst vor der drohenden Todesstrafe zu bewahren. Dazu muss er allerdings vor der Jury die dunkle Seite des getöteten Cops offenlegen … 
„Er dachte an Drew und versuchte wieder einmal vergeblich zu definieren, was Gerechtigkeit bedeutete. Töten musste bestraft werden. Doch ließ es sich nicht manchmal auch rechtfertigen? Wie jeden Tag grübelte er darüber nach, ob er Drew aussagen lassen sollte. Um das Verbrechen rechtfertigen zu können, musste man den Angeklagten selbst anhören, die grauenvolle Situation heraufbeschwören, den Geschworenen deutlich machen, welche Panik im Haus herrschte …“ (S. 455) 
Mit Jake Brigance hat John Grisham ganz zu Beginn seiner Schriftsteller-Karriere einen ebenso sympathischen wie kämpferischen Pflichtverteidiger geschaffen, der fünf Jahre nach dem spektakulären Hailey-Prozess noch immer davon träumt, ein berühmter Prozessanwalt zu werden. Da er jedoch das Herz am rechten Fleck hat, übernimmt er weiterhin die Mandate für nahezu mittellose Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hat. Grisham erweist sich in „Der Polizist“ nicht nur als versierter Erzähler und Dramaturg, der einst das Genre des Justiz-Thrillers zu Bestseller-Form aufpolierte, sondern vor allem als Menschenfreund, der seinen Figuren bei all ihren offensichtlichen Schwächen die Sympathien entgegenbringt, um die Leserschaft auf die Seite des Angeklagten zu ziehen. Den an sich eindeutigen Fall eines Polizistenmordes versieht Grisham mit – wenn auch etwas überzogen wirkenden – derart ungewöhnlichen Umständen, dass sich auch der Leser fragen muss, ob in diesem Fall nicht eventuell der Mord an dem launischen und gewalttätigen Polizisten gerechtfertigt gewesen sein könnte. Das bedrohliche Klima, das in Clanton während des Prozesses herrscht, fängt Grisham ebenso überzeugend ein wie die gekonnt inszenierte Gerichtsverhandlung mit pointierten Dialogen und juristischen Feinheiten, dass es eigentlich unnötig ist, Jakes zweitem Prozess um eine Familie, die bei einem Bahnübergang in einen vorbeifahrenden Güterzug gefahren ist, weil die Warnleuchten nach Zeugenaussagen defekt gewesen sein sollen, größere Aufmerksamkeit zu widmen. 
Am Ende enttäuscht dieser „Smallwood“-Prozess, von dem sich Jake einen Befreiungsschlag für seine finanziell angeschlagene Kanzlei erhofft hat, so dass sich Grisham besser ganz auf den Gamble-Prozess hätte konzentrieren sollen. Mit „Der Polizist“ ist ihm aber auf jeden Fall ein durchweg packender Thriller gelungen, der Grishams Fähigkeiten voll zum Tragen kommen lässt und hoffentlich die eine oder andere Fortsetzung nach sich zieht. 

John Grisham – „Der Regenmacher“

Dienstag, 23. März 2021

(Hoffmann und Campe, 576 S., HC) 
Nach den fünf – allesamt verfilmten! – Bestsellern „Die Jury“, „Die Firma“, „Die Akte“, „Der Klient“ und „Die Kammer“ legte John Grisham 1995 (zwei Jahre später in deutscher Übersetzung) mit „Der Regenmacher“ seinen nächsten großen Wurf vor. Mehr noch als in seinen vorangegangenen Werken inszeniert der ehemalige Rechtsanwalt und Abgeordnete den juristischen Kampf eines noch jungen und unerfahrenen Anwalts gegen einen mächtigen, mit scheinbar unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Konzern. 
Gegen den Willen seines Vaters, einem ehemaligen Marineinfanteristen und Ingenieur, der seinen Sohn wegen Insubordination schon auf eine Militärschule zu schicken beabsichtigt hatte und eine immense Abneigung gegen Anwälte empfand, entschloss sich Rudy Baylor schon früh, selbst Anwalt zu werden. Ironischerweise kam sein Vater ums Leben, nachdem er von einer Leiter gefallen war, diese seine Firma verkaufte. Seine Mutter heiratete einen pensionierten Postbeamter, mit dem sie die 50.000 Dollar aus der Lebensversicherung mit Reisen in ihrem Winnebago durchbrachte. 
Im letzten Semester seines Jurastudiums belegt Rudy ausschließlich Vorlesungen, die nicht mit großer Arbeit verbunden sind, darunter das Seminar zu juristischen Problemen älterer Leute. Hier muss sich Rudy nur regelmäßig mit seinen Kommilitonen ins Cypress Gardens Senior Citizens Building begeben, um sich mit wirklichen juristischen Problemen wirklicher Menschen auseinanderzusetzen. Rudy bekommt es zunächst mit Miss „Birdie“ Birdsong zu tun, die ihr Testament zu ändern beabsichtigt. Ihrem derzeit gültigen Testament zufolge hat sie zwanzig Millionen Dollar zu verteilen, doch die bisher begünstigten Söhne und Enkelkinder sollen nun aus dem Testament gestrichen werden. Stattdessen soll der Großteil ihres Vermögens einem Fernsehprediger zugutekommen. Da Rudy völlig abgebrannt ist und er bislang vergeblich einen Job in einer der Anwaltskanzleien in Memphis an Land ziehen konnte, nimmt er Miss Birdies Angebot an, für eine sehr geringe Miete bei ihr in einer eigenen Wohnung auf ihrem Grundstück zu wohnen und sie dafür bei ihrer Gartenarbeit zu unterstützen. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitet Rudy allerdings ein anderer Fall, der an ihn herangetragen wird: Dot und Buddy Black berichten ihm, dass ihr Sohn Donny Ray an Leukämie erkrankt sei, doch obwohl sein Zwillingsbruder der ideale Spender für eine lebensrettende Knochenmarktransplantation wäre, habe es die Versicherungsgesellschaft Great Benefit mehrmals strikt abgelehnt, die Kosten in Höhe von 200.000 Dollar für die Operation zu übernehmen, obwohl dieser Eingriff in dem Vertrag nicht ausgeschlossen sei. Rudy holt sich Rat bei Professor Max Leuberg, der einen leidenschaftlichen Hass auf Versicherungsgesellschaften verspürt und in der Vergangenheit mit Verfahren zu tun gehabt habe, bei denen die Geschworenen die Versicherungen zu horrenden Strafen verurteilt hätten. 
Tatsächlich scheint dieser Fall zum Himmel zu stinken. Je mehr Rudy und seine Helfershelfer im Sumpf wühlen, desto mehr kommen sie einem ungeheuerlichen System auf die Spur, bei dem Great Benefit grundsätzlich alle größeren Ansprüche abweist und sich nur bei den Fällen auf eine Zahlung einlässt, wenn ihre Kunden mit Anwälten drohen. Da weder die Blacks noch Rudy sich auf einen Vergleich einlassen wollen, steht Rudy kurz nach seinem bestandenen Examen im Gerichtssaal, um gegen mehrere hochbezahlte, erfahrene Anwälte und ihren offensichtlich mit krimineller Energie vorgehenden Mandanten zu kämpfen … 
„So also sterben die Unversicherten. In einer Gesellschaft voll reicher Ärzte und funkelnder Krankenhäuser und mit den allerneuesten medizinischen Gerätschaften und dieser Unmenge von Nobelpreisträgern in aller Welt ist es empörend, dass jemand wie Donny Ray dahinsiechen muss und ohne angemessene ärztliche Behandlung sterben muss.“ (S. 348) 
John Grisham versteht es, seine Leserschaft schon mit den ersten Seiten zu packen und bis zum fulminanten Finale nicht mehr loszulassen. Indem er erstmals seinen Protagonisten als Ich-Erzähler einsetzt, bekommt das Publikum die Geschichte ausschließlich aus seiner Sicht zu hören, ohne dass beispielsweise beleuchtet wird, was beispielsweise die Gegenseite im Schilde führt. Dadurch hält Grisham die Spannung auf einem konstant hohen Niveau, denn der Leser befindet sich stets auf Augenhöhe mit seinem Helden, für den man nur Sympathie empfinden kann. Grisham und damit sein junger Protagonist nehmen sich viel Zeit, die Fälle von Miss Birdie und den Blacks aufzudröseln, wobei die Testamentsangelegenheit der alten Frau eher amüsantere Züge trägt, während das Schicksal des sterbenskranken Donny Way natürlich auch den Leser auf seine Seite zieht und klar Stellung gegenüber dem Versicherungskonzern bezieht. Allerdings strapaziert Grisham die Schwarz-Weiß-Malerei über Gebühr. 
Bei der Gerichtsverhandlung kommt letztlich keine wirkliche Spannung mehr auf, weil die Beweisführung so einseitig ausfällt, der Richter parteiisch ist und das Management von Great Benefit einfach nur genüsslich vorgeführt wird. Hier hätte ein wenig mehr Ausgewogenheit wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Geschichte beigetragen. Davon abgesehen bietet „Der Regenmacher“ einen wunderbaren Einblick in die Nöte junger Prozessanwälte, die sich oft mit recht drögen Fällen abgeben müssen, um überhaupt ihre laufenden Kosten bezahlen zu können. Und natürlich steckt auch eine gute Portion, wenn auch wenig subtile Gesellschaftskritik in diesem Buch, das auf die Verfehlungen großer Konzerne ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Blick auf die Menschen, die sie eigentlich vertreten, verweist und den Schutzbedürftigen eine Stimme verleiht. 

 

John Grisham – (Bruce Cable: 2) „Das Manuskript“

Mittwoch, 9. September 2020

(Heyne, 368 S., HC)
Bruce Cable ist Buchhändler aus Leidenschaft. Seit über zwanzig Jahren betreibt er in Santa Rosa auf Camino Island die Buchhandlung „Bay Books“, wo nicht nur einfach Bücher an Touristen verkauft werden, sondern in der sich Cable sehr dafür stark macht, hiesige Schriftsteller zu fördern und – neben anderen Events - mindestens vier Lesungen in der Woche zu veranstalten. Besonders freut er sich über den Erfolg von Mercer Mann, die in Santa Rosa ihre zweimonatige Lesereise beendet und deren zweiter Roman „Tessa“ beim Publikum ebenso gut ankam wie bei den Kritikern.
Wie mit vielen anderen Autorinnen, die Station bei „Bay Books“ machten, hatte Cable auch mit Mercer Mann eine Affäre, doch da sie mit einem neuen Mann nach Santa Rosa angereist kam, ist dieses Kapitel für Cable vorerst beendet. Am Tag vor Mercer Manns Lesung zieht der Orkan Leo über den Atlantik und fegt als Hurrikan der Kategorie vier über die Insel, die weitgehend evakuiert worden ist. Zu den wenigen Menschen, die sich wider jede Vernunft weigerten, die Insel zu verlassen, gehört auch Bruce Cable. Während seine Frau Noelle, mit der er in einer offenen Beziehung lebt, mit ihrem Lover in Europa nach neuen Antiquitäten Ausschau hält, muss er mit eigenen Augen mitansehen, welche Schäden Leo auf Camino Island anrichtet.
Doch richtig schockiert ist er, als er zusammen mit dem Krimiautor J. Andrew „Bob“ Cobb und dem Collegestudenten Nick Sutton die Nachricht erhält, dass sich unter den Toten, die Leo gefordert hat, auch der ehemalige Anwalt Nelson Kerr befindet, der seinen Job an den Nagel gehängt hat und seither drei erfolgreiche Kriminalromane veröffentlicht und einen vierten gerade beendet hat. Am Tatort, wo Cable die Leiche identifizieren soll, äußerst Nick den Verdacht, dass die Kopfwunde eher danach aussieht, als wäre Kerr nicht von herumfliegenden Trümmern getroffen, sondern gleich mehrmals am Kopf verwundet worden. Blutspuren im Haus und das spurlos verschwundene Manuskript zu Kerrs neuen Roman erhärten diese düstere Vermutung.
Während die örtliche Polizei weiterhin von einem tödlichen Unfall ausgeht, machen sich Cable und seine Freunde auf eigene Faust auf Tätersuche und erhalten durch die Schwester des Toten einen USB-Stick mit dem gesuchten Romantext. Kerr thematisierte in „Puls“ einen groß angelegten Betrug von Pflegeeinrichtungen, die die Flüssignahrung für hirntote oder stark demente Patienten mit einem registrierten, aber nicht zugelassenen Medikament anreichern, das dafür sorgt, dass das Herz länger schlägt, so dass die Pflegeeinrichtungen über eine längere Zeit Pflegekosten bei Medicare und Medicaid in Rechnung stellen können.
„,Nelson Kerr hat drei Bestseller geschrieben, aber bei keinem ging es um Medikamente, Gesundheitsversorgung oder etwas in der Art. Er wird von einem Informanten kontaktiert, vermutlich jemandem, der für den Hersteller des Medikaments oder ein Pflegeheim arbeitet, und dieser Informant will auspacken. Er will die bösen Jungs auffliegen lassen.‘“ (S. 220) 
Als sich diese Informationsquelle auch an Cable und seine Crew wendet, wird das Vorgehen gegen die betrügerischen Konzerne zu einem lebensgefährlichen Unterfangen für alle Beteiligten …
Nach „Das Original“ ist „Das Manuskript“ bereits der zweite Band um den umtriebigen Buchhändler Bruce Cable, der alles andere als ein gewöhnlicher Buchhändler ist. Nicht nur seine Vorliebe für junge Autorinnen, denen er regelmäßig den Aufenthalt in Santa Rosa versüßt, fällt aus dem Rahmen, dazu zählt auch der nicht immer einwandfreie Handel mit seltenen Büchern, das ihm bereits ein Vermögen eingebracht hat, das er auf verschiedene Offshore-Konten verteilt hat. Erfrischend für John-Grisham-Fans ist vor allem die Tatsache, dass sich die Geschichten um Bruce Cable jenseits von Anwaltskanzleien und Gerichtssälen abspielen. Dafür bekommt das Publikum interessante, wenn auch oberflächliche Einblicke in den Literaturbetrieb. Durch den Hurrikan Leo bekommt „Das Manuskript“ auch eine sehr menschliche, tragische Note, die allerdings bald durch das ungeheuerliche Gebaren profitgieriger Konzerne überdeckt wird, die durch geheime lebensverlängernde Maßnahmen bei ihren wehrlosen Patienten so viel Geld wie möglich herauspressen wollen. Grisham nimmt sich allerdings wenig Zeit für seine Figuren und reißt den vorhersehbaren und spannungsarmen Plot souverän herunter. Das sorgt zwar für kurzweilige Unterhaltung mit an sich packenden Themen, doch wirklich mitfiebern lässt sich bei diesem oberflächlich konzipierten Schnelldurchlauf nicht.
Leseprobe John Grisham - "Das Manuskript"

John Grisham – „Die Wächter“

Sonntag, 8. März 2020

(Heyne, 448 S., HC)
Cullen Post arbeitet für die gemeinnützige Organisation Guardian Ministries, die vor zwölf Jahren von Vicky Gourley gegründet wurde und es sich zur Aufgabe gemacht hat, unrechtmäßig (oft zum Tode) verurteilte Menschen zu rehabilitieren. Der 38-jährige Duke Russell ist derzeit einer von Posts fünf Mandaten. Er soll vor elf Jahren Emily Broone vergewaltigt und ermordet haben und wurde dafür vor fünf Jahren zum Tode verurteilt. Der ermittelnde Staatsanwalt Chad Falwright hat Posts Meinung nach damals schlampige Ermittlungen geführt und den damals zweiundzwanzigjährigen Mark Carter, der das Opfer als Letzter lebend gesehen hat, gar nicht als Verdächtigen eingestuft, während Post ihn für den Täter hält. Er muss es nur noch beweisen.
Damals wurden Bissspuren und Schamhaare von Pseudo-Sachverständigen zu erdrückenden Beweisen hochstilisiert, obwohl keine DNA-Analysen der Schamhaare durchgeführt wurden. Nachdem das Todesurteil für Russell aufgeschoben worden ist, widmen sich Post und sein schwarzer Kollege Frankie Tatum einem Fall, der bereits seit drei Jahren auf dem Schreibtisch von Guardian Ministries liegt: Quincy Jones wurde wegen Mordes an dem 37-jährigen Anwalt Keith Russo zum Tode verurteilt und wartet seit 22 Jahren im Gefängnis auf die Vollstreckung des Urteils.
Jones war damals Russos Mandant in Seabrook, aber unzufrieden mit dem Ergebnis, wie er die ihm anvertraute Scheidungsangelegenheit geregelt hatte. Verschiedene offensichtlich falsche Aussagen, von einem Gefängnisspitzel ebenso wie von Quincys Ex-Frau Diana, besiegelten das Urteil. Vor allem wurde dem Angeklagten eine Taschenlampe zum Verhängnis, die im Kofferraum von Quincys Wagen gefunden wurde, die ein Sachverständiger als Tatwaffe deklarierte, obwohl er das Objekt nie gesehen, sondern seine Blutspurenanalyse nur aufgrund von Farbfotos durchgeführt hatte. Doch als sich Post und seine Kollegen näher mit dem Fall befassen, stoßen sie auf ein undurchdringliches Geflecht aus Korruption und Intrigen.
Obwohl Guardian Ministries in erster Linie darum bemüht ist, bei ihren ausgesuchten Fällen die für unschuldig gehaltenen Mandanten wieder in Freiheit zu sehen, liegt Post in diesem Fall auch viel daran, den wahren Täter zur Verantwortung zu ziehen. Seiner Meinung nach steckt der korrupter Sheriff Pfitzner hinter dem Verbrechen, weil er verhindern wollte, dass Russo, der sein Geld vor allem als Anwalt für die Drogenmafia machte und schließlich vom FBI als Informant umgedreht wurde, sein Wissen um Pfitzners Beteiligung an dem Komplott kundtun konnte. Doch nicht zuletzt die in den Fokus der Ermittlungen gerückte Mafia versucht mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt …
„Sie wollen sich uns nicht offen in den Weg stellen, uns Angst einjagen, uns einschüchtern, zumindest jetzt noch nicht, weil das ihre Existenz bestätigen würde und sie wahrscheinlich ein weiteres Verbrechen begehen müssten, was sie gern vermeiden würden. Ein Feuer, eine Bombe oder eine Kugel könnten hohe Wellen schlagen und Spuren hinterlassen.
Quincy aus dem Weg zu räumen ist die einfachste Methode, die Ermittlungen zu torpedieren.“ (S. 274) 
John Grisham, der selbst jahrelang als Anwalt praktiziert hat, lässt sich für seine Romane immer wieder von realen Fällen inspirieren, so auch für „Die Wächter“. Wie der US-amerikanische Bestseller-Autor in seiner Anmerkung am Ende erwähnt, hat er den Fall des immer noch inhaftierten Joe Bryan, der vor dreißig Jahren zu Unrecht verurteilt worden war, seine Frau ermordet zu haben, und dafür noch immer in einem texanischen Gefängnis einsitzt. Grisham macht überhaupt keinen Hehl daraus, was er von der amerikanischen Justiz hält, die sich viel zu sehr auf Möchtegern-Sachverständige verlässt, die für ansehnliche Honorare alles aussagen, was die Ankläger hören wollen. Die Schwarz-Weiß-Malerei wirkt bei John Grisham gerade bei „Die Wächter“ etwas sehr dick aufgetragen, aber da er die Geschichte aus der Ich-Perspektive von Cullen Post schreibt, der aus eigener Erfahrung gelernt hat, wie fehlerhaft das Justiz-System in den USA funktioniert, fällt dieses Manko im Verlauf der Geschichte immer weniger ins Gewicht.
Dafür entwickelt der Plot – wenn auch auf sehr vorhersehbaren Bahnen – einen unwiderstehlichen Sog, der seine Spannung vor allem durch die Suche nach neuen Beweisen generiert, die Posts Mandanten endgültig entlasten. „Die Wächter“ zählt zwar nicht zu den stärksten Werken von John Grisham, macht aber – wieder einmal - thematisch auf eine erschreckende Ungerechtigkeit im US-amerikanischen Justizsystem aufmerksam.
Leseprobe John Grisham - "Die Wachter"

John Grisham – „Die Kammer“

Freitag, 26. Juli 2019

(Heyne, 672 S., Tb.)
Wegen einer Unmenge an Zivilklagen, die die Kanzlei des jüdischen Rechtsanwalts Marvin B. Kramer seit 1965 wegen diskriminierender Wahlpraktiken gegen lokale Amtsträger in Mississippi angestrengt hat, ist dieser auf der Liste zu verfolgender Juden des Ku-Klux-Klans gelandet. Jeremiah Dogan, Imperial Wizard und Anführer des Klans in Mississippi, plante im Frühjahr 1967, Kramers Büro in die Luft zu sprengen, und engagierte dafür den Klansmann Sam Cayall aus Clanton, Mississippi, sowie den jungen Sprengstoffexperten Rollie Wedge, der für den Anschlag erstmals mit einem Zeitzünder arbeitete. Die Explosion fand allerdings nicht wie geplant am frühen Morgen statt, sondern erst, als Kramer mit seinen beiden fünfjährigen Zwillingssöhnen Josh und John in der Kanzlei eingetroffen war. Während die Kinder bei der Explosion ums Leben kamen, überlebte Kramer zwar den Anschlag, büßte aber seine Unterschenkel ein, 1971 beging er Selbstmord.
Cayall wurde eher zufällig von einer Polizeistreife verhaftet und mit dem Anschlag in Verbindung gebracht. Der von Dogan beauftragte Klan-Anwalt Clovis Brazelton konnte zwar in mehreren Prozessen keinen Freispruch für seinen Mandanten erwirken, aber Cayall durfte bis 1980 in Freiheit leben. Erst als Jerry Dogan ins Visier des FBI geriet und für einen Deal Cayall wegen des Attentats an Kramer ans Messer lieferte, wurde Cayall wieder festgenommen und wegen Dogans Aussage 1981 wegen vorsätzlichen Doppelmords und eines Mordversuchs für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Nachdem verschiedene Anwälte von der Kanzlei Kravitz & Bane den Fall pro bono betreut hatten und Cayall 1990 der Kanzlei ihr Mandat entzogen hatte, versucht der junge Rechtsanwalt Adam Hall den Fall zu übernehmen. Er ist erst seit einem Dreivierteljahr bei Kravitz & Bane, hat bei seiner Einstellung allerdings verschwiegen, dass er der Enkel von Sam Cayall ist. Tatsächlich gelingt es Adam, seinen Großvater davon zu überzeugen, sich von ihm vertreten zu lassen, nachdem er ihn im Todestrakt von Parchman besucht hat.
Da das Gericht des Staates Mississippi den Hinrichtungstermin für den 8. August 1990 bestätigt, bleibt Adam nicht viel Zeit, seinen Großvater vor der Gaskammer zu retten. Während er bei seiner alkoholsüchtigen Tante Lee Booth in Memphis wohnt, arbeitet Adam nicht nur an verschiedenen Möglichkeiten für neue Anträge und Eingaben bei Gericht, um einen Aufschub der Vollstreckung des Todesurteils oder sogar eine Begnadigung bei Gouverneur David McAllister zu erwirken, sondern auch die Identität des mutmaßlichen Komplizen in Erfahrung zu bringen.
Vor allem erhält Adam durch Lee und Sam tiefe, verstörende Einblicke in die dunkle Vergangenheit der Cayall-Familiengeschichte. Doch die Möglichkeiten werden zunehmend begrenzter, nachdem ein Gericht nach dem anderen Sams Berufungen abschmettert.
„Adam war plötzlich nervös. Er hatte Dutzende Fälle von zum Tode Verurteilten gelesen, bei denen die Anwälte in letzter Minute Hebel in Bewegung setzten, die sie zuvor nie angerührt hatten, und Richter dazu brachten, sich noch einmal eine ganz neue Darstellung des Falles anzuhören. Die einschlägige Literatur war voll von Geschichten über juristische Möglichkeiten, die unentdeckt und ungenutzt blieben, bis ein anderer Anwalt mit frischem Blick die Arena betrat und einen Aufschub bewirkte. (…) Sam hatte Glück gehabt. Obwohl Sam die Anwälte von Kravitz & Bane verabscheute, hatten sie ihn exzellent vertreten. Jetzt war nichts mehr übrig, als ein paar verzweifelte Versuche, Griffe nach dem letzten Strohhalm.“ (S. 372f.) 
Nach seinen ersten, allesamt auch erfolgreich verfilmten Bestsellern „Die Jury“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Der Klient“ legte John Grisham 1994 mit „Die Kammer“ sein bis dato eindringlichstes Werk vor, das nicht nur ein flammendes Plädoyer gegen die Todesstrafe darstellt, sondern auch tiefe Einblicke in eine Familiengeschichte gewährt, die maßgeblich durch die diskriminierende Herrschaft des Ku-Klux-Klans geprägt worden ist. Grisham nimmt sich für alle Bestandteile seines umfassenden Plots viel Zeit. Das beginnt mit der ausführlichen Beschreibung der Vorbereitungen und Ausführung des Attentats auf die Kanzlei von Marvin B. Kramer und setzt sich vor allem in der detaillierten Schilderung der juristischen Angelegenheiten fort, mit denen alle am Prozess Beteiligten betraut werden. Die eindringlichsten Eindrücke hinterlässt allerdings die Schilderung des Alltags im Todestrakt, die eintönige Abfolge von meist sechzehn Stunden Schlaf, schlechtem Gefängnisessen, einer Stunde Aufenthalt im Freien und einigen wenigen Besuchen.
Aber auch die Familiengeschichte, die der junge Adam sowohl durch seine Tante Lee als auch seinen Großvater Sam zu hören bekommt, macht deutlich, wie sehr der zum Tode Verurteilte auch Opfer seiner familiären Wurzeln ist, wie sehr sein eigenes Handeln von den Klan-Aktivitäten seines Vaters geprägt worden ist. Die Spannung erzielt der Roman natürlich aus der Frage, ob es Adam gelingt, noch in letzter Minute etwas für seinen Großvater zu bewirken, und sei es auch nur die Umwandlung der Vollstreckung durch Gas in einer durch eine tödliche Injektion, was viele Bundesstaaten ohnehin schon praktizieren, weil der Tod in der Gaskammer als sehr qualvoll angesehen wird.
Doch auch die Wandlung des rassistischen Verurteilten in ein menschliches Wesen, das seine Taten zutiefst bereut, macht „Die Kammer“ äußerst lesenswert. Grisham versteht es nicht nur, die juristischen Prozesse verständlich aufzuzeigen, die dem jungen Anwalt zur Verfügung stehen, sondern auch die politischen Hintergründe und die gesellschaftlichen Voraussetzungen, unter denen der Ku-Klux-Klan seine Macht entwickeln konnte und wieder einbüßen musste.
1996 wurde auch „Die Kammer“ verfilmt, diesmal unter der Regie von James Foley mit Chris O’Donnell als Adam, Gene Hackman als Sam Cayall und Faye Dunaway als Adams Tante Lee in den Hauptrollen.
Leseprobe John Grisham - "Die Kammer"

John Grisham – „Der Klient“

Mittwoch, 5. Juni 2019

(Hoffmann und Campe, 480 S., HC)
Als sich der elfjährige Mark Sway mit seinem drei Jahre jüngeren Bruder Ricky aus der Wohnwagensiedling, in der sie mit ihrer alleinerziehenden Mutter Diane leben, stehlen, um im nahegelegenen Wald heimlich zu rauchen, stoßen sie auf einen Wagen mit laufendem Motor. Als Mark versucht, den offensichtlichen Selbstmordversuch zu unterbinden, indem er den Schlauch aus dem Auspuff zieht, wird er vom Fahrer ins Innere des Wagens gezerrt, wo er den Grund für die Verzweiflungstat erfährt: Bei dem bereits stark angetrunkenen Mann handelt es sich um den Mafia-Anwalt Jerome „Romey” Clifford aus New Orleans, der den Mafioso Barry Muldanno vertritt, weil dieser den Senator Boyd Boyette umgebracht haben soll.
Allerdings kann ihm schwerlich der Prozess gemacht werden, da bislang die Leiche des vermissten Mannes nicht aufgetaucht ist. Mark erfährt allerdings unfreiwillig, dass sich Boyettes sterbliche Überreste im betonierten Boden der Garage des Anwalts befinden. Nachdem sich Romey erschossen hat, alarmiert Mark die Polizei, sein kleiner Bruder wird mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert, wo er ins Koma fällt. Als die Polizei zu ahnen beginnt, warum sich der Anwalt umgebracht hat, und etliche Spuren von Mark im Wageninneren sicherstellt, setzt der aus New Orleans stammende Staatsanwalt Roy Foltrigg alles daran, den Jungen zum Verhör zu zwingen. Dagegen will die Mafia sicherstellen, dass Mark nichts ausplaudert, und setzt seine Familie unter Druck.
Mark wendet sich an die engagierte Anwältin Reggie Love, die alle Mühe hat, den Jungen vor dem Zugriff des FBI, eines gewitzten Zeitungsreporters und der Mafia zu schützen.
„Hier war er nun, elf Jahre alt, allein, mal lügend, dann die Wahrheit sagend, dann noch mehr lügend, nie sicher, was er tun sollte. Die Wahrheit kann einen das Leben kosten – das hatte er einmal in einem Film gesehen, und es fiel ihm immer dann wieder ein, wenn er den Drang verspürte, irgendwelche Amtspersonen anzulügen. Wie sollte er je aus diesem Schlamassel wieder herauskommen?“ (S. 160)
Als John Grisham 1993 seinen vierten Roman „Der Klient” veröffentlichte, war er mit seinen zuvor veröffentlichten, allesamt erfolgreich verfilmten Bestsellern „Die Akte”, „Die Firma” und „Die Jury” bereits zum weltweit meistgelesenen Autor avanciert. Auch mit „Der Klient” beweist der ehemalige Anwalt, dass er ein außergewöhnliches Gespür für ein dramatisches Setting besitzt und daraus einen bis zum Schluss unerbittlich packenden Thriller zu kreieren versteht.
Die Angst, aber auch das selbstbewusste Auftreten des aufgeweckten Jungen wird dabei ebenso eindringlich beschrieben wie die rührende Fürsorge von Jugendrichter Harry Roosevelt und der vom Leben bereits arg gebeutelten Anwältin. Auf der anderen Seite bekommen sowohl die habgierigen und publikumshungrigen Anwälte und die Beamten der Strafverfolgungsbehörden auf süffisant humorvoll-garstige ihre gehörige Portion Fett weg, was den Lesegenuss auf ansprechende Weise fördert. Bereits ein Jahr nach Erscheinen des Romans hat Joel Schumacher eine gleichnamige Verfilmung mit Tommy Lee Jones und Susan Sarandon in den Hauptrollen in die Kinos gebracht.

John Grisham – „Die Jury“

Samstag, 27. April 2019

(Heyne, 620 S., TB.)
Als das zehnjährige schwarze Mädchen Tonya Hailey in der Kleinstadt Clantan, Mississippi, brutal misshandelt und vergewaltigt wird, braucht der schwarze Sheriff Ozzie Walls nicht lange, um die beiden betrunkenen Weißen Billy Ray Cobb und James Williard als Tatverdächtige festzunehmen. Doch bevor den beiden der Prozess gemacht werden kann, erschießt Tonyas Vater Carl Lee die beiden mit einem M-16-Gewehr, das er von einem Freund bekommen hat, verletzt dabei aber auch einen Deputy so schwer am Bein, dass es unterhalb des Knies amputiert werden muss. Der junge Anwalt Jake Brigance versucht, Carl Lee vor der beantragten Todesstrafe zu bewahren, und hofft, durch den medienwirksamen Prozess, für den er gerade mal 900 Dollar bekommt, in Zukunft weitaus lukrativere Aufträge zu bekommen.
Zusammen mit seinem wohlhabenden und meist betrunkenen Mentor Lucien Wilbanks, dem prominenten, ebenso trinkfreudigen Scheidungsanwalt Harry Rex Vonner und der brillanten Jurastudentin Ellen Roark versucht Brigance, auf Unzurechnungsfähigkeit seines Mandanten zu plädieren, doch hat er in der überwiegend weißen County kaum Hoffnung auf einen fairen Prozess, zumal auch der Ku Klux Klan den Prozess zum Anlass nimmt, in Clanton mit Drohungen, Einschüchterungen und auch Brutalität dafür zu sorgen, dass Carl Lee von der Jury zum Tode verurteilt wird. Bei allen Turbulenzen in Clanton genießen sowohl Brigance als auch der politisch ambitionierte Staatsanwalt Rufus Buckley den Medienzirkus.
„Der eigentliche Medienrummel begann erst beim Prozess. Überall Kameras, neugierige Journalisten, Leitartikel, Fotos auf den Titelseiten von Zeitschriften. Eine Zeitung von Atlanta hatte das Verfahren gegen Carl Lee Hailey als sensationellsten Mordfall im Süden seit zwanzig Jahren bezeichnet. Jake wäre sogar bereit gewesen, den Angeklagten gratis – beziehungsweise fast gratis – zu vertreten.“ (S. 188) 
Mit seinem 1989 in den USA veröffentlichten Romandebüt „A Time to Kill“ (Die Jury), der 1996 von Joel Schumacher erfolgreich verfilmt wurde, machte der ehemalige Anwalt John Grisham das Justiz-Thriller-Genre so populär, dass sich fortan nicht nur seine eigenen Werke wie „Die Akte“ und „Die Firma“ in den internationalen Bestseller-Listen fanden, sondern auch diejenigen von Autoren wie Michael Connelly oder John T. Lescroart.
Mit „Die Jury“ zeigt Grisham auf spektakuläre Weise auf, von welchen Faktoren ein juristischer Prozess abhängig ist. Zwar beschreibt Grisham das Geschehen überwiegend aus der Perspektive von Carl Lee Haileys Anwalt Jake Brigance und seinem Stab, doch werden immer wieder die Beweggründe auch der gegnerischen Partei und anderer Beteiligter an diesem aufsehenerregenden Prozess aufgezeigt.
Grisham gelingt eine leicht verständliche Schilderung der Prozedur, nach welchen Kriterien die Anwälte die Jury zusammenstellen, psychiatrische Gutachter aussuchen, aber auch vor unlauteren Mitteln nicht zurückschrecken, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Das mag sich erst einmal trocken anhören, doch Grisham spickt seinen Thriller fortwährend mit Konflikten und Spannungsmomenten, die sich hier vor allem aus der Rassismus-Problematik speisen.
Da scheint selbst auf den ehrenwerten Richter Omar „Ichabod“ Noose Druck ausgeübt zu werden. Jakes Frau Carla verlässt nach einem vereitelten Bombenattentat mit der gemeinsamen Tochter das viktorianische Stadthaus und zieht ins entlegene Strandhaus, aber auch auf Jakes Sekretärin Ethel und ihren Mann und seine junge Assistentin Ellen werden brutale Attacken ausgeübt, um sie und natürlich auch Jake einzuschüchtern.
Bis zum Schluss hält Grisham die Spannung aufrecht, wenn die Geschworenen darüber entscheiden müssen, ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig war oder nicht und damit eben schuldig oder unschuldig. Allerdings werden nicht nur die feigen Attentate des Ku Klux Klans verurteilt, sondern auch die Kirchen, die im Namen von Carl Lees Familie Spenden sammeln, aber dafür einen eigenen Anwalt ins Spiel bringen wollen und einiges von dem Geld in den eigenen Taschen verschwinden lassen. Dazu geraten auch die Abwerbungstechniken prominenter Anwälte in den Fokus. Die trockenen Justizangelegenheiten werden auf der anderen Seite immer wieder durch die feucht-fröhlichen Besprechungen in Lucien Wilbanks Zuhause aufgelockert, so dass „Die Jury“ wirklich alles bietet, was einen perfekten Thriller ausmacht.
Leseprobe John Grisham - "Die Jury"

John Grisham – „Das Bekenntnis“

Samstag, 16. März 2019

(Heyne, 592 S., HC)
Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg setzt der in Clanton, Mississippi, lebende Baumwollfarmer Pete Banning eines Morgens im Oktober 1946 einen folgenschweren Plan um, der ihm selbst eine traurige Berühmtheit einbringen und seiner alteingesessenen Familie eine schwere Bürde auferlegen würde. Doch nachdem der 43-Jährige lange an die Zimmerdecke gestarrt und wie viele Male zuvor überlegt hatte, ob er den Mut aufbringen würde, zieht er sich langsam an, brüht Kaffee auf und macht seine Kniebeugen, die seine im Krieg zerschossenen Beine mit Schmerzen durchziehen.
Mit dem Kaffee in der Hand blickt er von der Veranda seines Hauses über die Ländereien, die seit Jahrhunderten im Besitz der Bannings sind. Er denkt an seinen Sohn Joel, der in diesem Semester noch seinen Abschluss in Jura an der Vanderbilt University in Nashville machen würde, und an seine Tochter Stella, die seit einem Jahr das Hollins College in Virginia besucht und Lehrerin werden will. Er besucht seine fünf Jahre ältere Schwester Florry, die als geschiedene Frau in der benachbarten Parzelle der Besitztümer lebt und ihre Farm durch Pete bewirtschaften lässt. Dann steigt er in seinen brandneuen Ford Pick-up und fährt nach Clanton zur Methodistenkirche, wo er das Arbeitszimmer von Reverend Dexter Bell betritt und ihn mit seinem langläufigen Revolver erschießt.
Der schwarze Angestellte Hop benachrichtigt Sheriff Nix Gridley, der Pete auf seiner Farm festnimmt und nach Clanton ins Gefängnis überfährt. Doch weder gegenüber dem Sheriff noch seinem Anwalt erzählt Pete etwas über seine Beweggründe. Der Prozess vor dem Geschworenengericht scheint nur eine Formsache zu sein, und Pete Banning, der auf den Philippinen gegen die Japaner jeden Tag um sein Leben gekämpft hatte, gibt seinem Verteidiger nicht die geringste Möglichkeit, die von Staatsanwalt Dunlap geforderte Todesstrafe in eine lebenslange Haftstrafe runterzuhandeln …
„Die Geschworenen, die alle bestenfalls aus der Mittelschicht stammten, wussten schon, was Sache war. Reicher Farmer ermordet armen Prediger. Das Thema war von Anfang der Verhandlung an vorgegeben und würde den Geschworenen bis zu deren Ende nicht aus dem Kopf gehen.“ (S. 464) 
Mit seinem neuen Roman „Das Bekenntnis“ scheint Bestseller-Autor John Grisham („Die Firma“, „Die Akte“) auf für den Leser sehr vertrautem Terrain zu wandeln. Doch der Prozess, bei dem der Angeklagte einfach nicht mit der Sprache über seine Beweggründe herausrückt und auch keine Entlastungszeugen aussagen, nimmt nicht mal die Hälfte des Romans ein. Auf gewohnt souveräne Art beschreibt Grisham einen Gerichtsprozess, der im ländlichen Mississippi seinen gewohnten Gang geht und der bis zum Ende ohne jede Überraschung auskommt.
Doch dann schlägt Grisham ein ganz neues Kapitel auf, nämlich wie Pete Banning im Jahr 1925 im Peabody Hotel in Memphis bei einer Abendveranstaltung Liza Sweeney kennenlernte, die er wenig später heiraten sollte, als sie mit Joel schwanger wurde. Doch dann wurde Banning mit dem 26. Kavallerieregiment auf die philippinische Halbinsel Bataan beordert, wo er in japanische Gefangenschaft geriet und nicht mehr nach Hause schreiben konnte, so dass Liza ihren Mann irgendwann für tot halten musste.
Doch so interessant die eindringlichen Schilderungen der Kämpfe, Folterungen, Entbehrungen, Verletzungen und Krankheiten auch sind, tragen sie nicht im Geringsten dazu bei, Bannings kaltblütig geplanten und ausgeführten Mord an dem Methodistenprediger zu erklären. Erst im letzten Viertel, als vor allem Joel als angehender Jurist zusammen mit seiner Schwester darum kämpfen muss, dass die Witwe des Predigers mit ihrem neuen Lebensgefährten im Zivilprozess nicht das gesamte Familienvermögen verliert, wird der eingangs nur kurz thematisierte Verdacht, dass der Ermordete während Bannings Abwesenheit eine Affäre mit seiner Frau unterhielt, etwas aufgearbeitet, aber im Zentrum dieses Kapitels stehen eher die Auswirkungen, die Pete Bannings Tat auf die zurückgebliebene Familie nach sich zieht.
Dabei kommen auch die Rassenunterschiede zur Sprache, die ihren Teil zu dem gesellschaftlichen Umgang mit Tätern und Opfern beitragen, aber auch wenn Grisham am Ende noch die obligatorische Überraschung bei der Auflösung des Mordfalls präsentiert und sich als glänzender Erzähler präsentiert, der mit seiner geradlinigen, ungekünstelten Sprache den Leser wie magisch in den Bann zu schlagen versteht, wird die ungewöhnliche Struktur dem Roman letztlich zum Verhängnis, da der sehr lang geratene Teil über Bannings Erlebnisse im Krieg überhaupt keine Verbindung zum übrigen Geschehen herstellen kann.
Leseprobe John Grisham - "Das Bekenntnis"

John Grisham – „Die Akte“

Samstag, 12. Mai 2018

(Heyne, 478 S., Tb.)
Als Abe Rosenberg und Glenn Jensen, zwei Richter am Obersten Gerichtshof, innerhalb kürzester Zeit ermordet aufgefunden werden, tappen sowohl FBI als auch CIA im Dunkeln, denn zwischen dem erzkonservativen einundneunzigjährigen Rosenberg und dem wankelmütigen Homosexuellen Jensen scheint es keine Verbindung zu geben. Einzig die aufgeweckte und ebenso attraktive Jurastudentin Darby Shaw, die seit einem Jahr mit ihrem Professor für Verfassungsrecht, Thomas Callahan, liiert ist, hat eine eigene Theorie zu den Morden, die offensichtlich von einem Profikiller ausgeführt worden sind, und fasst sie in einem Dossier zusammen, das über Callahan zu seinem Freund Gavin Verheek, beratener Anwalt des FBI-Direktors Voyles, gelangt und von dort seine Kreise bis zum Präsidenten zieht.
In den obersten Regierungskreisen sorgt das Dossier für einiges Aufsehen, denn darin wird der skrupellose Öl-Milliardär Victor Mattiece, der mit einigen Millionen den Wahlkampf des Präsidenten unterstützt hat, für die Morde verantwortlich gemacht. In der „Pelikan-Akte“ führt Darby aus, wie Mattiece über verschiedene Unterfirmen systematisch Land im Süden von Louisiana aufkauft, die von Umweltschützern als bedroht eingestufte Fauna und Flora zerstört, um die riesigen dort verborgenen Ölvorräte fördern zu können. Als ihr trinkfreudiger Freund Callahan durch eine Autobombe getötet wird, ist auch Darbys Leben in Gefahr. Sie sucht den Kontakt zum „Washington Post“-Journalisten Gray Grantham und versucht mit ihm zusammen, Beweise und Zeugen für ihre Theorie zu finden.
„Sie wusste mehr als irgend jemand sonst. Die Fibbies waren nahe daran gewesen, dann hatten sie sich zurückgezogen und jagten jetzt hinter Werweißwem her. Verheek hatte nichts erreicht, dabei stand er dem Direktor nahe. Sie würde das Puzzle selbst zusammensetzen müssen. Ihr kleines Dossier hatte Thomas das Leben gekostet, und jetzt waren sie hinter ihr her.“ (S. 215) 
Ein Jahr nach dem Welterfolg von „Die Firma“ legte der ehemalige Anwalt John Grisham 1992 mit „Die Akte“ einen weiteren Bestseller nach, der ebenso erfolgreich von Alan J. Pakula mit Julia Roberts und Denzel Washington in den Hauptrollen verfilmt worden ist.
Nachdem Grisham in „Die Firma“ die Verstrickungen einer renommierten Kanzlei in die Geschäfte der Mafia thematisierte, zieht sich der Spannungsfaden in „Die Akte“ bis in die höchsten Regierungskreise, bindet CIA, FBI und die Presse mit ein, beschreibt aber vor allem die verzweifelte Flucht der Jurastudentin Darby Shaw, die niemandem mehr trauen kann. Dabei kommt der Inhalt des kompromittierenden Dossiers und die Verstrickung des Öl-Milliardärs erst in der zweiten Romanhälfte zur Sprache. Bis dahin wird vielleicht etwas zu ausführlich um die Machtspiele im Weißen Haus, die komplizierten Beziehungen zwischen dem Weißen Haus, FBI-Direktor Voyles und CIA-Direktor Gminski sowie die Optionen zur Nachbesetzung der beiden ermordeten Richter geschrieben, worunter zwar die Dramaturgie leidet, aber immerhin ein Gespür dafür anregt, wie es hinter den Kulissen im Oval Office zugehen mag.
Für Spannung sorgt natürlich der Überlebenskampf der cleveren Jurastudentin Darby Shaw, bei dem sie scheinbar nur zum Journalisten Gray Grantham Vertrauen fassen kann. John Grisham versucht in „Die Akte“ etliche Handlungsstränge und -orte, Verbindungen und Personen ins Spiel zu bringen, was gelegentlich zu unnötig komplexen Zusammenhängen und rasant wechselnden Schauplätzen mit neuen Figuren führt. Doch davon abgesehen bietet „Die Akte“ raffiniert konstruierte Thriller-Spannung mit einer sympathischen Heldin und vor allem einem faszinierenden Fall.

John Grisham – „Forderung“

Montag, 16. April 2018

(Heyne, 431 S., HC)
Als Mark Frazier seine Mutter und seinen unter Hausarrest stehenden Bruder Louie besucht, um Ferien von seinem Jurastudium an der Foggy Bottom Law School in Washington, D.C., zu machen, das er im Mai abschließen würde, bereiten ihm vor allem die horrenden Schulden aus dem Studienkredit Sorgen. Seine Aufnahmeprüfung bestand er gerade eben, aber die Zentralbank ging sehr freizügig mit ihren Darlehen an Studenten um, und wenn er wie geplant einen guten Job nach dem Studium bekommt, wird er das Darlehen innerhalb weniger zurückzahlen können.
Doch wie sich während des Studiums herausstellen sollte, ist die Ausbildung an der Foggy Bottom so schlecht, dass deren Absolventen erschreckend oft bei der Zulassungsprüfung der Anwaltskammer durchfallen. Die Jobaussichten für Mark und seine Freunde Todd, Zola und Gordy sind alles andere als rosig. Der bipolare Gordy macht seine Freunde auf die faulen Machenschaften der Swift Bank aufmerksam, die einen Haufen Geld ins Marketing steckt, um sich nach außen hin als Vertrauensbank des kleinen Mannes zu präsentieren, dem sie dann versteckte Gebühren abrechnet. Als den verzweifelten Jura-Studenten klar wird, dass sie ihre jeweils um die zweihunderttausend Dollar Schulden nie werden zurückzahlen können, hängen sie ihr Studium an den Nagel, geben sich unter falschen Namen als Rechtsanwälte aus und machen sich in den Gerichten auf die Jagd nach Mandanten, von denen sie sich bar bezahlen lassen.
„Dass Zola lügen musste, bereitete ihr immer noch Probleme, aber inzwischen gehörte es fast zu ihrem Leben dazu. So gut wie alles, was sie tat, war eine Lüge: der falsche Name, die falsche Kanzlei, die falschen Visitenkarten und die falsche Persönlichkeit einer mitfühlenden Anwältin, die Jagd auf bedauernswerte Unfallopfer machte. So konnte sie nicht weitermachen. Wäre ihr Leben schlimmer, wenn sie jetzt immer noch studieren und versuchen würde, einen richtigen Job zu finden, und sich Sorgen wegen der Zulassungsprüfung und ihres Kredits machen müsste?
Ja, wäre es.“ (S. 232f.) 
Doch natürlich dauert es nicht lange, bis der Schwindel auffliegt und die Freunde untertauchen müssen. Sie setzen schließlich alles auf eine Karte und initiieren einen noch riskanteren Plan …
In seiner langjährigen Karriere als Bestseller-Autor von Justizthrillern hat sich John Grisham immer wieder des kleinen Mannes und außergewöhnlicher juristischer Themen angenommen. Für seinen neuen Roman wurde er durch Paul Campos‘ Artikel „The Law-School Scam“ in der „The Atlantic“-September-Ausgabe 2014 inspiriert. Mit „Forderung“ ist Grisham einmal mehr ein überaus flotter Pageturner gelungen, der gerade mal einen Zeitraum von etwas mehr als einer Woche abdeckt, mit einem sehr überschaubaren Figurenarsenal auskommt, dafür aber viel Raum für die Beschreibung der nicht illegalen, aber durchaus unlauteren Machenschaften der privaten Jura-Hochschulen einräumt, die sich durch die leicht erhältlichen Studienkredite eine goldene Nase verdienen.
Der Plot weist aber ein so unglaublich hohes Tempo auf, dass einmal mehr die Charakterisierung der Figuren auf der Strecke bleibt und die Glaubwürdigkeit der Täuschungsmanöver leidet. Davon abgesehen bietet „Forderung“ aber einfach rasante Thriller-Unterhaltung mit recht erfrischenden humoristischen Einlagen.
Leseprobe John Grisham - "Forderung"