(Rowohlt, 160 S., HC)
2023 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, ist der
norwegische Schriftsteller Jon Fosse vor allem durch seine Romanzyklen „Trilogie“
und „Heptalogie“ bekannt geworden. Nun ist sein neues Buch erschienen, der
gerade mal 160 Seiten umfassende Roman „Vaim“, der den Auftakt einer
neuen Trilogie bildet.
Früher hat Jatgeir mit seiner Schnigge, die er nach der Frau,
die er seit seiner Jugend – unerwidert und unbemerkt - geliebt hat, Eline getauft
hat, häufiger Ausflüge nach Bjørgvin unternommen, meist zum Vergnügen, und machte
es sich im Fogel bei ein paar Frikadellen, in Der Markthalle, im Letzten
Boot oder in Der Kaffeestube gemütlich, stets in der Hoffnung,
vielleicht eine Frau kennenzulernen, die er auch lieben kann. Doch jetzt treibt
ihn nur die Notwendigkeit an, Nadel und Faden zu kaufen, um einen Knopf
anzunähen. Hier in Vaim war das bestimmt nicht aufzutreiben. Umso größer ist
der Schock, als er zwar fündig wird, aber zweihundertfünfzig Kronen bezahlen
soll. Nach diesem Betrug ist ihm die Großstadt endgültig zuwider geworden.
Frustriert macht Jatgeir noch auf einer Insel Halt, um noch einmal die gleiche
Enttäuschung zu erleben. Als er sich um fünfhundert Kronen erleichtert, aber um
zwei Nadeln und etwas Garn reicher wieder auf den Weg machen will, hält ihn
ausgerechnet Eline auf, die einen Fischer geheiratet hat und zu ihm auf die
Insel gezogen ist. Nun will sie ihn verlassen, hat ihm einen Brief
zurückgelassen und taucht nun mit einem Koffer in der Hand vor Jatgeirs Boot
auf:
„Da Eline meinen Namen klar und deutlich gesagt hatte, war ich jetzt wohl damit dran, klar und deutlich ihren Namen zu sagen und ich nahm irgendwie meinen Mut zusammen und dann sagte ich laut und deutlich Eline und ich konnte nichts dafür, aber in meiner Stimme lag eine zitternde Liebe, oder eine Sehnsucht, es war, als hätte ich bittend den Namen Eline gesagt, und das war absolut nicht meine Absicht gewesen, es war einfach so, ich konnte nichts dafür, so viel Sehnsucht, so viele Jahre voller Sehnsucht, hatte sich wohl in mir angesammelt, dass ich sie nicht hatte zurückhalten können…“
Der ist zunächst ganz berauscht von seinem Glück, aber als
langjähriger Junggeselle auch unsicher, ob er auf einmal mit einer Frau
zusammenleben will…
Die erste Hälfte, die der Ich-Erzähler Jatgeir einnimmt,
wirkt wie eine fast schon klassische Liebesgeschichte, wäre da nicht dieser
besondere sprachliche Rhythmus, mit dem der an sich schmale Plot in einem einzigen
Satz geformt wird. Es braucht allerdings auch diese Form des sprachlichen Ausuferns,
um die feinsinnigen Nuancen der Absurdität des Ganzen einzufangen, denn in der
ersten Hälfte des Buches geht es um nicht mehr als das stürmische Wiedersehen
von Jatgeir und seiner geliebten Eline, angereichert um die amüsante Episode
des doppelt ernüchternden Einkaufs von Nadel und Faden. Während aber alles
darauf abzuzielen scheint, wie die zuvor nur von Jatgeir erträumte Beziehung mit
Eline nach dem unverhofften Wiedersehen verläuft, wird überrascht sein, dass
zwei weitere Männer zu Wort kommen, deren Schicksal mehr oder weniger lose mit
Jatgeir und Eline verbunden ist. Spätestens hier wird deutlich, dass die Männer
zwar das Wort haben, Eline aber die tatkräftige Person ist, die das Leben der
drei Männer auf den Kopf stellt. Zusammen mit dem hypnotischen Sprachfluß und
-Rhythmus ergibt sich eine fast schon mystisch geheimnisvolle, humorvoll vertrackte
Geschichte über das Meer und die Einsamkeit, über Liebe, Glauben, Leben und
Tod, die lange nachhallt.
