(Heyne, 332 S., Tb.)
Dan Simmons wird nicht nur von Kollegen wie Stephen King, Peter Straub und Dean R. Koontz als „brillant“ verehrt, sondern auch wegen seiner Geschichten, die sich mal dem Horror-Genre, dann wieder der Science-Fiction und schließlich des historischen Abenteuerromans zuordnen lassen. Nachdem Simmons für seinen 1985 veröffentlichten Debütroman „Song of Kali“ (dt. „Göttin des Todes“) mit dem renommierten World Fantasy Award ausgezeichnet worden war, legte er 1989 mit dem Horror-Roman „Carrion Comfort“ (dt. „Kraft des Bösen“), dem zum Klassiker avancierten Science-Fiction-Epos „Hyperion“ und „Phases of Gravity“ gleich drei, ganz unterschiedliche Nachfolgewerke vor.
Während die beiden erstgenannten Romane mehrfach prämiert wurden, fällt „Phases of Gravity“ qualitativ leider stark ab. Der Roman wurde im deutschsprachigen Raum 1994 zunächst unter dem Titel „In der Schwebe“ veröffentlicht, 15 Jahre später unter dem neuen, unnötigen und etwas irreführenden Titel „Monde“ neu aufgelegt.
Vor sechzehn Jahren war Richard E. Baedecker ein gefeierter Astronaut, der zu den wenigen seiner Zunft zählte, der je einen Fuß auf den Mond gesetzt hat. Mittlerweile ist der über Fünfzigjährige geschieden und arbeitet für eine Flugzeugfirma in St. Louis. Achtzehn Monate nach der Challenger-Explosion macht sich Baedecker auf den Weg nach Indien, um seinen Sohn Scott zu besuchen, der in einem Ashram in Poona nach dem Sinn des Lebens sucht. Während die Begegnung mit seinem Sohn enttäuschend kurz ausfällt, verbringt Baedecker viel Zeit mit Scotts Freundin Maggie Brown, die ihm die wirklichen Sehenswürdigkeiten in Indien nahebringt und ihm von Orten der Macht erzählt.
Zurück in den USA kündigt Baedecker seinen Job und besucht Glen Oak, wo als Ehrengast zum Old-Settlers-Wochenende eingeladen wurde. Dabei hat der ehemalige Astronaut vor zweiundvierzig Jahren gerade mal drei Jahre mit seiner Familie in dem kleinen Dorf in Illinois gelebt. Seine neue Ungebundenheit nutzt Baedecker, um mit Maggie nach ihrer Heimkehr aus Indien eine Affäre anzufangen und seine beiden Gefährten der Mondmission aufzusuchen. Während Tom Gavin zu einem fundamentalistischen religiösen Eiferer mutierte, machte Dave Muldorff Karriere als Kongressabgeordneter von Oregon. Als Muldorff unter ungeklärten Umständen bei einem Hubschrauber-Absturz ums Leben kommt, verspricht Baedecker dessen schwangerer Frau, seine eigenen Ermittlungen über die Unfallursache anzustellen.
„,Wiedergeboren zu werden bedeutet nicht, dass man irgendwo angekommen ist‘, sagte Dave. , Es bedeutet, man ist bereit, die Reise anzutreten. Die Pilgerfahrt zu weiteren Orten der Macht, die zum Scheitern verurteilte Suche, um Menschen und Dinge, die man liebt, davor zu bewahren, von den Schlingpflanzen erwischt und nach unten gezogen zu werden.‘“ (S. 255)
Im Gegensatz zu seinen anderen Werken lässt sich „In der Schwebe“ keinem für Dan Simmons typischen Genres zuordnen. Der Roman erzählt nicht einfach die Lebensgeschichte des bekannten, fiktiven Astronauten Richard E. Baedecker, sondern von der vielleicht wichtigsten Reise seines Lebens, die er nach dem Flug zum Mond unternommen hat.
Simmons setzt seine Geschichte aus verschiedenen Episoden in Baedeckers Leben zusammen, die aus den Erinnerungen des Protagonisten gespeist werden. Doch wirklich nahe kommt man Baedecker dabei nicht. Sowohl seine Beziehungen zu seinem Sohn als auch zu seinen NASA-Kameraden werden zu oberflächlich abgehandelt, so dass der Leser nur eine Ahnung von deren Charakter vermittelt bekommt. Nicht mal die seltsam geartete Liebesbeziehung zu Maggie verhilft hier nicht zu mehr Klarheit. Zwar bereist Baedecker eine Vielzahl von Orten in diesem Roman, doch scheint das Ziel die Reise selbst zu sein, denn ein signifikanter Erkenntnisgewinn, eine Wandlung in der Persönlichkeit ist nicht auszumachen. Dabei hätte am Ende die Begegnung mit dem weisen Cheyenne-Indianer Robert Sweet Medicine auf dem Bear Butte einige Möglichkeiten geboten, dem Roman eine fundamentale Wendung zu geben.
So treibt „In der Schwebe“ dem programmatischen Titel folgend etwas ziellos ohne jegliche Spannung dahin. Allein Simmons‘ gewohnt gefälliger Schreibstil verhindert, dass der Roman gänzlich enttäuscht. Wer vorher kein anderes Werk des versierten Schriftstellers gelesen hat, wird dies nach der Lektüre von „In der Schwebe“ bzw. „Monde“ wohl auch nicht mehr tun.
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