(Ullstein, 224 S., Tb.)
Der 1948 in Los Angeles geborene Schriftsteller James Ellroy zählt zu den schillerndsten Vertretern seiner Zunft, wuchs er nach der Scheidung seiner Eltern doch in einer unbeständigen Umgebung auf, trieb sich mit voyeuristischem Eifer auf den Straßen herum und musste im Alter von zehn Jahren damit umgehen, dass seine Mutter einem nie aufgeklärten Sexualverbrechen zum Opfer fiel. Ellroy verschlang in seinen Jugendjahren True-Crime-Reportagen, wobei ihn der als Schwarze-Dahlie-Fall bekanntgewordene Mord an der Nachwuchsschauspielerin Elizabeth Short aus dem Jahr 1948 besonders faszinierte, und Krimis von Mickey Spillane, Raymond Chandler, Ross Macdonald und Joseph Wambaugh, ehe Ellroys Leben selbst von Kleinkriminalität, Obdachlosigkeit, Rassismus, Voyeurismus sowie Alkohol- und Drogenabhängigkeit geprägt wurde. Als er Anfang der 1980er Jahre seine Schriftsteller-Karriere mit den Romanen „Browns Grabgesang“, „Heimlich“, „Blut auf dem Mond“ und „In der Tiefe der Nacht“ startete und den berühmten Fall um „Die Schwarze Dahlie“ als Roman verarbeitete, entwickelte sich auch eine bis heute andauernde Beziehung zum – neben dem britischen Scotland Yard - vielleicht berühmtesten Polizeirevier der Welt, dem Los Angeles Police Department, kurz LAPD genannt.
Vor zehn Jahren begann James Ellroy zusammen mit dem damaligen Chief of Police William Bratton, an einem Buch mit Tatortfotos zu arbeiten, die in dem einmaligen Los Angeles Police Museum aufbewahrt werden. Aus der Vielzahl aussagekräftiger Bilder haben Ellroy, der LAPD-Veteran Glynn Martin und engagierte Mitarbeiter des einzigartigen Museums für den vorliegenden Band das Jahr 1953 ausgewählt, ein Jahr, in dem nicht nur die Bullen das Sagen hatten, sondern von einem ambitionierten, reformierenden und tüchtigen ebenso wie kompromisslosen und trinkfreudigen Mann namens William „Whiskey-Bill“ H. Parker geprägt wurde, der dem LAPD sechzehn Jahr vorstand und dem Hauptgebäude seinen Namen verlieh, nachdem er 1966 plötzlich verstorben war.
„LAPD '53“ besticht zunächst einmal durch gestochen scharfe, gut ausgeleuchtete Schwarzweiß-Bilder, auf denen nicht nur „einfache“ Morde und Selbstmorde festgehalten sind, sondern auch so kunstvolle Arrangements, mit denen Menschen gewaltsam – aber auch freiwillig – aus dem Leben geschieden sind, so wie die ausgefeilte Konstruktion aus Rollen, Schnüren und Gewichten, mit der ein Mann im engsitzenden Damenbadeanzug den Erstickungstod herbeiführte. Oder aus dem Ruder gelaufene Überfälle auf die omnipräsenten Schnapsläden. Die Polizisten am Tatort markieren für die Fotos Einschusslöcher und weitere Indizien, Ellroy spinnt dazu die passenden Geschichten.
Hier treffen dann True-Crime und Fiktion aufeinander, denn nicht immer ließen sich Tathergang und Motiv zweifelsfrei rekonstruieren. Ellroy beschwört in seinen Beschreibungen und Geschichten immer wieder den Film noir herauf, nennt Filme wie „Schritte in der Nacht“ (1948), „Opfer der Unterwelt“ (1950), „Gewagtes Alibi“ (1949) und die Fernsehserie „Dragnet“ als Bezugspunkte und vergleicht die Protagonisten der vorgestellten Fälle mit bekannten Hauptdarstellern jener Zeit.
„City Hall ist City Hall. Das prächtigste Gebäude im L.A. von damals und das Markenzeichen des L.A. von heute. Der bemerkenswerteste und bestbekannte städtische Amtssitz im gegenwärtigen Amerika. Und die entschiedenste Manifestation von L.A. und von Bill Parkers LAPD als epischem Epizentrum und durchsetzungsmächtigem starken Arm des Film noir. Yeah, Kater und Kätzchen – wir schreiben 1953. Das Detective Bureau des LAPD arbeitet rund um die Uhr in der City Hall. Was wäre der Film noir ohne City Hall als L.-A.-Fixpunkt, L.-A.-Markenzeichen und fabulös phallisch emporgereckter Mittelfinger des Schicksals?“
„LAPD '53“ vermittelt einen interessanten Blick auf das Jahr 1953 aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Ellroys oft lakonischen, fast schon vulgären Beschreibungen der soziologischen Verhältnisse, der ausgeübten Verbrechen und der schnörkellosen Polizeiarbeit in Verbindung mit den schonungslos realistischen, unverstellten Tatortfotos, Steckbriefen und Verbrecherfotos aus den Polizeiarchiven wirken wie Standbilder aus den oft zitierten Film noirs jener Jahre, wobei Ellroys Sprache sicher nicht jedermanns Geschmack treffen wird.
„LAPD '53“ lädt dazu ein, sich selbst Geschichten zu den manchmal verstörenden Bildern auszudenken, liefert aber auch faszinierende Eindrücke damaliger Polizeiarbeit in der „Stadt der Engel“.
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