Zehn Jahre nach dem tragischen Auseinanderbrechen der Trainspotting-Gang schlagen sich Sick Boy und seine alten Kumpels Begbie, Renton und Spud noch immer meist eher schlecht als recht durch ihr armseliges Leben. Allein Renton hat den Absprung nach Amsterdam geschafft und sich mit einem angesagten Club ein bürgerliches Leben aufgebaut. Als Simon David Williamson alias Sick Boy nach einer trostlosen Episode in London nach Edinburgh in das schäbige Viertel Leith zurückkehrt, übernimmt er nicht nur den heruntergekommenen Pub seiner Tante, sondern strebt weiterhin nach der ganz großen Kohle. Er tarnt den Pub als gemütliches Café, das sich abends in ein Thai-Restaurant verwandelt, um in bislang unbenutzten Räumen im Obergeschoss Pornos zu drehen, die er über seinen alten Kumpel Rents in Amsterdam vertreiben lassen will.
Doch vorher gibt es noch die eine oder andere Rechnung zu begleichen. Vor allem Begbie hat es bis heute nicht verwunden, dass Renton seine Truppe bei dem fetten Drogendeal vor zehn Jahren abgezogen und das Weite gesucht hat, während Begbie für die Aktion einsitzen musste. Als Rents nach Edinburgh zurückkehrt, ahnt er nicht, dass Begbie wieder auf freiem Fuß ist. Währenddessen berauschen sich die Jungs nicht mehr am Heroin, sondern stehen auf Koks und willige Frauen, denen sie nahelegen, auch vor der Kamera zu ficken. Mit „Die sieben Säulen der Geilheit“ ist der Titel ebenso schnell gefunden wie die Hauptdarsteller.
Doch als sich Terry bei einer Nummer mit Simons Freundin Nikki eine Penisfraktur zuzieht, steht das Projekt unter einem ungünstigen Stern. Und es mehren sich nicht nur von den Frauen, die sich als Wichsvorlage degradiert fühlen, durchaus kritische Stimmen …
„Das ist unsere Tragödie: Niemand, abgesehen von destruktiven Ausbeutern wie Sick Boy oder farblosen Opportunisten wie Carolyn, bringt echte Leidenschaft auf. Alle sind von dem Müll und der Mittelmäßigkeit um sie herum wie erschlagen. Wenn das bezeichnende Wort der Achtziger ‚ich‘ und das der Neunziger ‚es‘ war, dann ist es im neuen Millennium ‚irgendwie‘. Alles muss vage und relativierbar sein. Erst war mal Inhalt wichtig, dann war Stil alles. Und jetzt wird nur noch gefaked.“ (S. 448)1996 verfilmte der spätere Oscar-Preisträger Danny Boyle („Slumdog Millionär“) Irvine Welshs Kultroman „Trainspotting“ (1993) und landete mit dem berauschenden Portrait einer sinnentleerten Spaßgesellschaft einen internationalen Erfolg, der auch Hauptdarsteller Ewan McGregor zum Star machte. Zum Filmstart von „T2 Trainspotting“ erscheint bei Heyne Hardcore, wo auch Welshs letzten Romane – das „Trainspotting“-Prequel - „Skagboys“ und „Das Sexleben siamesischer Zwillinge“ veröffentlicht wurden, mit der Neuauflage von „Porno“ (2002) der Roman zum Film.
Der aus Edinburghs Viertel Leith stammende, mittlerweile in Chicago lebende Irvine Welsh versteht es auch in „Porno“, seine abgefuckten Antihelden in einer Gossensprache reden zu lassen, die ebenso authentisch wie abstoßend wirkt, die aber auch genau das hoffnungslose Lebensgefühl widerspiegelt, in dem sich die Figuren gefangen sehen.
Einzig das Aufputschen durch Alkohol, Koks und hemmungslosen Sex scheint kurzfristig gegen die Sinnlosigkeit des Lebens ein Zeichen der Linderung setzen zu können. Wie sehr Welsh an seinen Figuren hängt, zeigt sich nicht nur an der Tatsache, dass er nach „Trainspotting“ sowohl ein Prequel als auch ein Sequel geschrieben hat, sondern beispielsweise auch Juice-Terry und die Birrell-Brüder aus dem Roman „Klebstoff“ in das „Trainspotting“-Universum eingeführt hat.
Wie Sick Boy letztlich erfolgreich versucht, seinen Porno-Film zu produzieren und in schließlich in einem Parallelwettbewerb in Cannes zu präsentieren, braucht sicher keine knapp 600 Seiten, auch nicht die zwangsläufige, Spannung erzeugende Konfrontation zwischen den Erzfeinden Begbie und Renton, so dass „Porno“ auch einige Längen aufweist, doch die absolut lebendige, mitreißende Art, in der Welsh das Lebensgefühl seiner Figuren in der jeweiligen Ich-Perspektive wiedergibt, resultiert in einem ebenso humorvollen wie tiefgründigen Roman, der sich auf einer Meta-Ebene auch mit dem Schönheitsideal und den durchaus fragwürdigen Werten und Lebensentwürfen im 21. Jahrhundert auseinandersetzt.
Leseprobe Irvine Welsh - "Porno"
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