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Ben Smith – „Dahinter das offene Meer“

Montag, 17. Februar 2020

(Liebeskind, 254 S., HC)
Ein namenloser Junge und ein ebenso namenloser alter Mann warten im Auftrag einer ungenannten Firma in einer unbestimmten Zeit einen grenzenlos erscheinenden Windpark in der Nordsee. Das Meer macht alles anonym. Die Arbeit wird allerdings meist nur provisorisch verrichtet. Alle paar Monate bringt ein Versorgungsschiff Proviant und Ersatzteile, doch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Werkzeugen und Ersatzteilen konnten nur kleinere Reparaturen erledigt werden, so dass der Windpark meist nur mit einer Leistung von unter sechzig Prozent läuft. Ein automatisches Instandhaltungssystem unterrichtet die beiden Mechaniker, welches Windrad welches Problem hat und was es zur Reparatur benötigt, doch über die Jahre hat das System an Zuverlässigkeit eingebüßt.
Tag für Tag machen sich der Junge und der alte Mann auf den Weg zu den reparaturbedürftigen Windrädern, ohne viele Worte miteinander zu wechseln. Meist geht es nur um die Sehnsucht nach richtigem Essen, weil sie das ewige Allerlei aus den Dosen nicht mehr ertragen. Abwechslung bringt nur der Müll, den die Strömungen antreiben. Möbel, brüchige Gehäuse elektrischer Geräte, verblichene Kleidung, einmal sogar ein ganzes, aus seiner Verankerung gerissenes Haus finden sich hier neben den üblichen Plastiktütenschwärmen.
Doch eines Tages entdeckt der Junge ein verschollenes zweites Wartungsboot, mit dem offensichtlich sein Vater, dessen Platz im Windpark er nach seinem Verschwinden eingenommen hatte, zur offenen See hinaus fahren wollte. Die Erinnerungen des Jungen an ihn sind sehr verschwommen. Nur der Schiffsführer des Versorgungsschiffes vermittelt ihm einige Eindrücke, die den Jungen neugierig machen. Da der alte Mann aber Schweigen über das Schicksal seines Vaters bewahrt, macht sich der Junge während seiner Wartungsmissionen heimlich auf die Suche nach seinem Vater, doch der alte Mann scheint ihm schnell auf die Schliche gekommen zu sein …
„Erst, als der alte Mann zurück zur Plattform kam, begriff der Junge, was da vorging. Das Boot folgte exakt der Route, die er, der Junge, genommen hatte, als er von den Windrädern zurückgekommen war, einschließlich des Abstechers, den er dabei gemacht hatte.
Der Junge lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und starrte auf den Bildschirm. Jetzt folgte der alte Mann ihm.“ (S. 121) 
Der britische Literaturwissenschaftler Ben Smith lehrt an der Universität Plymouth Kreatives Schreiben, wobei das Thema Klimawandel einen besonderen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet. Für seinen ersten Roman hat er sich folglich auf vertrautes Terrain begeben und ein mehr als tristes Bild einer Welt gezeichnet, aus der er allerdings nur einen verschwindend kleinen Teil präsentiert. Der Mikrokosmos eines maroden Windparks in der Nordsee ohne Aussicht auf die Vergnügungen einer hedonistischen und verschwenderischen Gesellschaft bildet die Bühne für ein Kammerspiel mit sehr überschaubarem Ensemble und ebenso minimal inszenierten Plot. Smith nimmt sich viel Zeit, die bescheidenen Lebensumstände der beiden Mechaniker zu beschreiben, den frustrierenden Arbeitsalltag, die wenig schmackhafte Nahrungsaufnahme und die kaum greifbaren Freizeitbeschäftigungen. Es wird nicht mal viel gesprochen, was es dem Leser schwer macht, sich in die anonymen Figuren hineinzufühlen. Auf den gut 250 Seiten passiert eigentlich nicht viel. Die Suche des Jungen nach seinem Vater bedeutet den einzigen Ausbruch aus dem ewig gleichen Alltag, bringt die Geschichte aber nicht wirklich voran und bewirkt noch weniger eine Entwicklung der Figuren.
Das Versteckspiel zwischen dem Jungen und dem alten Mann ist weder spannend inszeniert, noch verändert es den Blick des Lesers auf die postapokalyptische Welt, die Smith hier beschreibt. Die Reduzierung auf das Wesentliche in dieser dystopischen Geschichte übt fraglos einen gewissen Reiz aus, wobei die klare Sprache auch eine düstere atmosphärische Dichte kreiert, doch mich persönlich hat „Dahinter das offene Meer“ einfach nur gelangweilt.