Der 1958 in Turin geborene Alessandro Baricco ist vor allem durch seinen verfilmten Roman „Seide“ zu einem international bekannten Schriftsteller geworden, der zuletzt im Verlag Hoffmann und Campe die beiden Romane „Die junge Braut“ (2017) und „So sprach Achill“ (2018) veröffentlicht hat. Aber der studierte Philosoph und Musikwissenschaftler hat auch zahlreiche Essays, Erzählungen und Theaterstücke verfasst und als Redakteur der linksliberalen italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ zwischen Mai und Oktober 2006 eine Reihe von insgesamt dreißig Kolumnen zum Thema der Mutation der Kultur durch „die Barbaren“ geschrieben, die nun gesammelt in Buchform erschienen sind.
Baricco versucht hier aufzuzeigen, wie sich „die Barbaren“ aufgemacht haben, das Erbe der klassischen Kultur zu plündern, was ihnen durch die technologischen Entwicklungen vor allem des Fernsehens und des Internets erleichtert wird. Anhand einiger durchaus interessanter Beispiele - wie der kritischen Auseinandersetzung mit Beethovens Neunter Symphonie zur Zeit ihrer Erstaufführung im Mai 1824 und heute; Walter Benjamins Bemühen, die Welt zu beschreiben, wie sie bald sein würde, nicht wie sie war; die Art und Weise, wie sich die Barbaren die Welt des Weins, des Fußballs und der Bücher angenommen haben – beschreibt Baricco im kumpelhaften Ton als Verlust der Seele, als Versuch, die Welt mit Gefälligkeit, Oberflächlichkeit, Effekthascherei und triebhaftem Kommerz zu durchdringen.
„Es gibt keine Grenze, glaubt mir, es gibt nicht die Kultur auf der einen und die Barbaren auf der anderen Seite. Es gibt nur den Saum der Mutation, der vordringt und schon in uns verläuft. Wir sind Mutanten, alle miteinander, manche weiter entwickelt, andere weniger.“ (S. 216)Der Autor sieht die Unterschiede innerhalb der Mutanten vor allem in der Tiefe, mit der kulturelle Errungenschaften durchdrungen werden. Während die Barbaren sich damit begnügen, auf Google nur die relevantesten Ergebnisse zu verfolgen, geht es dem Kulturbürgertum um das tiefe Verständnis eines Werkes. Immer wieder bemüht Baricco seinen eigenen philosophischen und musikwissenschaftlichen Hintergrund, um mit der Demonstration seines eigenen Wissens seine intellektuelle Güte festzuschreiben, doch letztlich betreibt er mit seinen durchaus unterhaltsamen Kolumnen genau jene Jagd nach Spektakularität und Differenzierung, die er bei den Barbaren zu beobachten glaubt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen