Tess Gerritsen - (Rizzoli & Isles: 11) „Der Schneeleopard“

Sonntag, 31. Mai 2015

(Limes, 416 S., HC)
Als die Bostoner Polizei eines Morgens durch einen Briefträger über einen grausigen Leichenfund alarmiert wird, finden Jane Rizzoli und ihr Partner Barry Frost am Tatort eine nackte Leiche eines Mannes, der kopfüber von der Decke hängt, die Fußknöchel mit einem Nylonseil gefesselt und den Bauch so aufgeschlitzt, dass sich bereits ein Fliegenschwarm an den Inneren, die nicht entnommen wurden, gütlich tat. Der 64-jährige Leon Godt hatte sich einen Namen als leidenschaftlicher Jäger und einer der führenden Tierpräparatoren vor allem für große Wildkatzen gemacht und fand nun offensichtlich jenes Ende, das er zu seinen Lebzeiten den gnadenlosen Jägern in freier Wildbahn bereitet hatte.
Die Spur führt Rizzoli, ihre Kollegen und die Rechtsmedizinerin Dr. Maura Isles nach Botswana, wo Godts Sohn Elliot fünf Jahre zuvor bei einem Campingtrip, das als das „ultimative Buschabenteuer“ angepriesen wurde ebenso spurlos verschwand oder getötet wurde wie fünf seiner touristischen Begleiter und der Safari-Begleiter Clarence Nghobo. Allein die Londoner Buchhändlerin Millie Jacobson konnte damals den mörderischen Ereignissen entfliehen und hält sich seitdem auf einer Farm in Südafrika bei ihrem damaligen Retter und jetzigen Ehemann versteckt.
Als weitere Leichen mit ganz ähnlichen Verletzungen auch in anderen US-Bundesstaaten entdeckt werden, haben es Rizzoli & Co. auf einmal mit einem Serienkiller zu tun, der offenbar schon seit Jahren sein bizarres Werk verrichtet.
Rizzoli und ihr Mann, FBI-Agent Dean Gabriel, sind dringend auf Millie Jacobsons Hilfe angewiesen, um diese menschliche Bestie fassen zu können. Der nach wie vor vermisste Anbieter der Safari, Johnny Posthumus, ist nach Millies Angaben der offensichtliche Täter.
„Wir glaubten – ich glaubte -, dass wir bei ihm in sicheren Händen wären. Im Delta kann man auf Dutzende verschiedene Arten den Tod finden. Jedes Mal, wenn man aus dem Jeep steigt oder das Zelt verlässt, lauert irgendetwas auf einen oder trachtet einem nach dem Leben. An einem solchen Ort ist der eine Mensch, dem man einfach glauben und vertrauen muss, der Safari-Guide. Der Mann mit der Erfahrung, der Mann mit dem Gewehr.“ (S. 348f.) 

Mit ihrem bereits 11. Band in der Reihe um die Bostoner Polizistin Jane Rizzoli und ihre Freundin, die Pathologin Maura Isles, knüpft die amerikanische Thriller-Autorin Tess Gerritsen fast nahtlos an die erstklassig inszenierten Vorgänger an, mit denen es die sympathischen Protagonistinnen sogar zu einer eigenen Fernsehserie geschafft haben, die bereits in die fünfte Staffel geht.
Der neue Fall erhält vor allem durch die exotische afrikanische Kulisse neue atmosphärische Akzente, die vor allem durch die Ich-Erzählung der Safari-Touristin Millie Jacobson in Echtzeit auch eine dramatische Komponente erhalten. Natürlich entwickeln sich die Dinge und Ermittlungen wieder nicht erwartungsgemäß, und Jane wird durch den Fall wieder an ihre eigene Begegnung mit der menschlichen Bestie erinnert, die damals Jagd auf sie gemacht hatte.

Davon abgesehen halten sich die Einblicke in die privaten Nischen von Rizzoli & Isles eher in Grenzen. Dafür gestaltet sich der Fall um den exotischen (in der deutschen Ausgabe) titelgebenden Schneeleoparden bis zum furiosen Finale angenehm vielschichtig.

Scott Turow – „Die Erben des Zeus“

Montag, 25. Mai 2015

(Blessing, 431 S., HC)
Die eineiigen Zwillinge Paul und Cass Gianis halten seit ihrer Kindheit wie Pech und Schwefel zusammen. Doch als eines Tages im September 1982 Cass‘ Verlobte Dita Kronon ermordet in ihrem Bett aufgefunden wurde, hat sich der jahrzehntelange Streit zwischen den beiden aus Griechenland stammenden Familien Gianis und Kronon weiter zugespitzt. Zwar hat sich Cass damals schuldig bekannt und steht nach 25 Jahren Haft nun kurz vor seiner Entlassung, doch der Immobilien-Tycoon Hal Kronon ist längst nicht davon überzeugt, dass die Familie, die für den Mord an seiner Schwester verantwortlich gewesen ist, genügend gebüßt hat.
Also engagiert er mit der ehemaligen FBI-Agentin Evon Miller und dem Privatdetektiv Tim Brodie zwei Ermittler, die seinem Verdacht nachgehen sollen, dass auch Paul in die damaligen Ereignisse verwickelt war. Er selbst lässt Fernsehspots produzieren, die Paul wichtige Stimmen im Kampf um das Amt des Bürgermeisters von New York kosten.
Brodie, der damals als leitender Ermittler in der Mordsache keine gute Figur gemacht hatte, ist auf einmal gezwungen, sich wieder mit den Beweisen des Falls auseinanderzusetzen. Eine DNA-Untersuchung soll neue Erkenntnisse erbringen, doch wie Miller und Brodie erfahren müssen, liegt die Auflösung des Mordes viel tiefer verborgen.
„Giannis verheimlichte irgendwas. Das war das eigentliche Problem. Man konnte über die Presse und die Wahlkampf-Finanzierungsgesetze schimpfen und sagen, dass Politik verlogen war, und in neunzig Prozent der Fälle lag man damit richtig. Aber in Wahlkämpfen kamen oft harte Wahrheiten, bedeutsame Wahrheiten über Kandidaten ans Licht. Es ähnelte einer Gehirnoperation mit dem Pressluftbohrer. Aber mit jedem Tag wurde deutlicher, dass Gianis irgendetwas verschwieg.“ (S. 132) 
Scott Turow wirkte zwischen 1978 und 1986 als Staatsanwalt in Chicago und hat als Gegner der Todesstrafe beispielsweise 1995 die Freilassung von Alejandro Hernandez erreicht, nachdem dieser elf Jahre unschuldig in der Todeszelle gesessen hatte. Sein Romandebüt „Aus Mangel an Beweisen“ (1987) wurde nicht nur mit dem Silver Dagger prämiert, sondern 1990 auch erfolgreich von Alan J. Pakula mit Harrison Ford in der Hauptrolle verfilmt. Seither ist der amerikanische Justiz-Thriller-Autor nicht mehr aus den Bestseller-Listen wegzudenken. Dass er in das Zentrum seines neuen Romans „Die Erben des Zeus“ zwei griechisch-stämmige Familien stellt und mit Zeus Kronon auch eine zentrale Figur mit einem Götternamen versieht, kommt dabei nicht von ungefähr, denn der Roman erweist sich als komplexes Verwirrspiel, in dem die Anwälte und Ermittler lange Zeit im Nebel der dunklen Geheimnisse stochern, die sowohl die Kronons als auch die Gianis über Jahrzehnte gehütet haben. Gleich einer griechischen Tragödie ziehen sich die familiären Verstrickungen zurück bis zu Hals Vater Zeus, dessen Schwester Teri und deren bester Freundin Lidia, Pauls und Cass‘ Mutter.
Turow versteht es wie gewohnt souverän, den Leser schon mit dem ersten Kapitel, das die unmittelbare Vorgeschichte zum Mord rekapituliert, zu fesseln und über die nächsten 400 Seiten auch nicht mehr loszulassen. Wie ein Gerichtsmediziner seziert er die Abgründe zweier verhasster Familien, die auf schicksalhafte Weise seit einem Ladenpachtgeschäft miteinander verbunden sind. Stolz, Verrat, Schuld, Rache und Täuschung sind die großen Themen, die der Autor auf meisterhafte Weise in eine spannende Handlung webt und sprachlich so ungemein geschliffen präsentiert.
Leseprobe Scott Turow - "Die Erben des Zeus"

Jim Thompson – „Jetzt und auf Erden“

Donnerstag, 14. Mai 2015

(Heyne, 334 S., Tb.)
San Diego in den 1940er Jahren. James „Dilly“ Dillon hat schon in jungen Jahren einige Geschichten für gutes Geld verkaufen können, doch seit er mit einer Schreibblockade zu kämpfen hat, muss er sich und seine Familie mit schlecht bezahlten Handlanger-Jobs herumschlagen. Als er in einer Flugzeugfabrik anfängt, überrascht er seine Vorgesetzten mit einigen Verbesserungsvorschlägen und steigt schnell zum Lagerbuchhalter auf, was die Missgunst seiner Kollegen auf sich zieht. Allerdings ist die Arbeit auch so ermüdend, dass Dilly kaum dazu kommt, seine Schriftsteller-Ambitionen ernsthaft verfolgen zu können.
In dem viel zu kleinen Haus, wo er mit seiner Mutter, seiner Frau Roberta und den drei Kindern lebt, hat er nur sporadisch Zeit, auf der Toilette an einer Geschichte zu schreiben, aber außer Stückwerk kommt dabei nicht heraus. Immer wieder muss er an seinen Vater denken, der nach Ölquellen bohrte und ab und an sogar richtig viel Geld mit nach Hause brachte, und an bessere Zeiten, als er Storys für über tausend Dollar im Monat verkaufte, Direktor beim Writer’s Project wurde und eines von zwei Stipendien im Jahr von der Stiftung bekam.
„Und, fragte ich mich, warst du jemals glücklich? Hast du jemals deinen Frieden gehabt? Natürlich nicht, um Himmels willen. Du warst immer in der Hölle. Du bist nur noch tiefer gesunken. Und das wird so weitergehen, weil du wie dein Vater bist. Wie dein Vater ohne dessen Durchhaltevermögen. In ein, zwei Jahren haben sie dich in der Klapse. Weißt du nicht mehr, wie es mit deinem Vater abwärtsging? Genau wie bei dir. Ganz genau wie bei dir. Zornig. Sprunghaft. Trübsinnig. Und dann – na, du weißt es ja. Ha, ha. Du weißt es doch, verdammt.“ (S. 36) 
Als schließlich noch Dillys völlig abgebrannte Schwester Marge in den Schoß der Familie zurückkehrt, droht seine Welt vollends in Streit und Chaos zu versinken …
Obwohl Jim Thompsons Debütroman „Jetzt und auf Erden“ aus dem Jahre 1942 ebenso wie spätere Werke wie „Die Verdammten“, „In die finstere Nacht“ und „Blind vor Wut“ in wunderbar einheitlicher und ansprechender Aufmachung in der Heyne-Hardcore-Reihe erschienen ist, hat diese autobiografische Tour de Force noch wenig mit den finsteren Noir-Geschichten zu tun, mit denen der 1906 in Anadarko, Oklahoma, geborene Thompson zu einem der führenden Vertreter des Genres werden sollte. Finster ist trotzdem der Grundton, den Thompson in seinem längst zum Klassiker avancierten Werk anschlägt. Ebenso wie er selbst nach frühen Erfolgen als Schriftsteller sich als Glücksspieler, Sprengstoffexperte, Ölarbeiter und Alkoholschmuggler durchschlug, schlägt sich auch sein Alter Ego James Dillon mehr schlecht als recht durchs Leben.
„Jetzt und auf Erden“ präsentiert sich nicht als düsterer Krimi, besitzt keine Spannungsbögen oder knifflige Wendungen. Es ist die fast schon lapidare Ich-Erzählung eines schriftstellerischen Talents, dem irgendwann im ermüdenden Alltagstrott die zündenden Ideen und der Schwung ausgehen, lesenswerten Stoff zu produzieren. Thompson bedient sich dabei einiger Rückblenden, um die Geschichte seiner unglückseligen Familie und vor allem seine schwierige Beziehung zum eigenen Vater aufzudröseln, während die Gegenwart ganz im grauen Staub der Fabrikarbeit versinkt.
Er nimmt sich die Freiheit, seitenlang über die Abläufe in der Flugzeugfabrik zu schreiben, wohl wissend, den Leser auf eine Geduldsprobe zu stellen. Doch gerade mit der ausführlichen Beschreibung alltäglicher Routinearbeiten macht der Autor deutlich, wie Träume und Talente mit der Zeit aufgerieben werden können.
In seinem interessanten Vorwort weist Stephen King treffend darauf hin, dass Thompsons Romane „erschreckende Abbilder des kleinstädtischen Schmerzes, der Scheinheiligkeit und Verzweiflung“ sind. Besser lässt sich auch „Jetzt und auf Erden“ kaum beschreiben.
Leseprobe Jim Thompson - "Jetzt und auf Erden"

Karin Slaughter – (Georgia: 4) „Bittere Wunden“

Samstag, 9. Mai 2015

(Blanvalet, 573 S., HC)
Im Juli 1975 bekamen die beiden jungen Polizistinnen Amanda Wagner und Evelyn Mitchell von ihrem neuen Sergeant Luther Hodge den Auftrag, einer Vergewaltigungsanzeige im Ghetto-Viertel Techwood nachzugehen, nachdem ein Anwalt namens Treadwell ordentlich Staub im Büro des Sergeants aufgewirbelt hatte. Unter der Adresse, zu der Wagner und Mitchell geschickt worden sind, war Treadwells Nichte Kitty gemeldet, doch von Jane Delray, einer der Untermieterinnen, erfuhren die beiden Polizistinnen vom Sittendezernat, dass nicht nur Kitty, sondern auch Lucy Bennett und Mary Halston seit Monaten verschwunden sind.
Doch als sie die Suche nach den vermissten Prostituierten auf eigene Faust fortsetzen wollten, wurden sie von ihren männlichen Kollegen immer wieder auf übelste Weise diskriminiert und ausgebremst. Allein Hodge hielt den unbeirrbaren Frauen so gut es geht den Rücken frei. In der Gegenwart verkündet Amanda Wagner bei einer Pressekonferenz, dass das Georgia Bureau of Investigation eine Fahndung nach der 19-jährigen Studentin Ashleigh Renee Jordan ausgegeben hat. Will Trent darf diesen Fall nicht bearbeiten, weil seine Chefin ihn zum Dienst am Flughafen abgeordnet hat.
So hat er Zeit, mit Dr. Sara Linton, mit der er seit Wochen liiert ist, einen Spaziergang nach Buttermilk Bottom zu machen, wo das Kinderheim stand, in dem Will aufgewachsen ist. Wenig später taucht Wills Chefin Amanda Wagner dort auf und berichtet ihm, dass sein wegen mehrfachen Mordes verurteilter Vater aus dem Gefängnis entlassen worden ist. Will stellt sofort eine Verbindung zwischen dem aktuell vermissten Mädchen und den Fällen her, die vor 35 Jahren zur Verurteilung seines Vaters geführt haben. Offensichtlich findet die grausige Mordserie von damals heute ihre Fortsetzung.
„Sara hatte noch nie an das Konzept des Bösen geglaubt. Sie betrachtete das Wort als eine Ausrede – als Möglichkeit, Geistesgestörtheit oder Verderbtheit wegzuerklären. Ein sicheres Wort, hinter dem man sich verstecken konnte, statt der Wahrheit ins Auge zu sehen: dass Menschen zu abscheulichen Taten fähig waren; dass uns nicht viel davon abhielt, unseren niederen Trieben nachzugeben.“ (S. 344f.) 
Wie schon in „Harter Schnitt“, dem vorangegangenen Band in der „Georgia“-Reihe um Will Trent, Sara Linton, Evelyn Mitchell und Amanda Wagner, haben es die ProtagonistInnen in „Bittere Wunden“ mit einem sehr persönlichen Fall zu tun. Im Gegensatz zu dem dramaturgisch so homogen inszenierten Vorgänger wirkt „Bittere Wunden“ allerdings nicht nur wegen der Zeitsprünge wie ein dürftig aufeinander abgestimmtes Flickwerk, bei dem Karin Slaughter sich scheinbar nicht so recht entscheiden konnte, worauf das Buch seinen Fokus richten soll. Denn viel interessanter als der Fall der vermissten und gefolterten Mädchen ist der amerikanischen Bestseller-Autorin die Milieustudie gelungen, die den Leser eine Zeitreise zu dem Beginn der beruflichen Karriere der beiden Freundinnen Amanda und Evelyn unternehmen lässt.
Wie diese damals in einer Atmosphäre von Rassismus und Frauenfeindlichkeit ihren Weg bei der Polizei gemacht haben, ist eindrucksvoll emotional geschrieben und macht deutlich, warum die beiden taffen Frauen jetzt so sind, wie wir sie kennen. Ebenso aufschlussreich stellt sich Wills Reise in die Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit dem mörderischen Treiben seines Vaters dar. Seine Angst, dass er auch nur einen winzigen Teil seines Vaters in sich tragen könnte, lässt Will daran zweifeln, eine ernsthafte Beziehung zu einer Frau wie Sara zu unterhalten, die so ganz anders ist als seine Noch-Ehefrau Angie, mit der er durch eine traumatische Kindheit verbunden ist.
Karin Slaughter hätte sich damit begnügen können, den psychischen Befindlichkeiten ihrer Figuren auf den Grund zu gehen, doch als Thriller-Bestseller-Autorin musste natürlich auch ein Fall her, dessen Auflösung am Ende doch arg konstruiert wirkt.
„Bittere Wunden“ funktioniert wunderbar als gut recherchierte Geschichte über die sozioökonomische Struktur der Polizei in Atlanta in den 1970er Jahren und vor allem über die schwierige Rolle von Frauen innerhalb dieser staatlichen Organisation. Die Ermittlungen in den Fällen von damals und heute sind dagegen nicht so stringent dargelegt, wie wir es in schöner Regelmäßigkeit von Karin Slaughter gewohnt sind.
Leseprobe Karin Slaughter - "Bittere Wunden"

Karin Slaughter – (Georgia: 3) „Harter Schnitt“

Sonntag, 3. Mai 2015

(Blanvalet, 512 S., Tb.)
Nach der Geburt ihrer Tochter Emma hat Special Agent Faith Mitchell wieder ihren Job bei Georgia Bureau of Investigation aufgenommen. Tagsüber kümmert sich Faith‘ Mutter Evelyn um das gerade mal vier Monate alte Kind, mit dessen Vater Faith nichts mehr zu tun haben möchte. Als sie sich nach einem Computerkurs etwas verspätet, versucht Faith vergeblich, ihre Mutter zu erreichen, was absolut ungewöhnlich ist. Wie begründet ihre Sorge gewesen ist, erfährt Faith vor Ort: Bereits an der Tür entdeckt sie einen blutigen Handabdruck, ihre Emma findet sie im sonst verschlossenen Schuppen, in der Wohnung ihrer Mutter begegnet sie drei Männern, von denen einer bereits tot in der Wäschekammer liegt, die anderen beiden kann sie mit gezielten Schüssen ausschalten. Von ihrer Mutter fehlt allerdings jede Spur. 
Während Faith selbst sich erst mal von Dr. Sara Linton untersuchen lässt, bevor sie als Zeugin und Beteiligte vernommen werden kann, übernehmen Faith‘ Partner Will Trent und seine Vorgesetzte Amanda Wagner die Ermittlungen. Während Evelyn beim Atlanta Police Department den Weg für die Karriere von Frauen ebnete, erreichte ihre Freundin Amanda dasselbe beim GBI. Doch dann wurde gegen Evelyns Truppe im Drogendezernat wegen Korruption ermittelt. Alle Beteiligten wanderten in den Knast und stellten sich schützend vor ihre Vorgesetzte, die schließlich bei vollen Bezügen in Frühpension gehen durfte.
Doch die Vergangenheit hat Evelyn offensichtlich eingeholt. Will, der damals die Untersuchung gegen Evelyn geleitet hatte, und seine Kollegen identifizieren einige Tote als Mitglieder der mexikanischen Gang Los Texicanos. Und Evelyns Nachbarin und ehemalige Kollegin Roz Levy gibt in der Befragung zu Protokoll, dass sich Evelyn in letzter Zeit mit einem Mann getroffen hatte, der auf dem Unterarm ebenfalls das Tattoo der Los Texicanos trug.
Während Amanda, Faith und Will auf ein Zeichen von Evelyns Entführer warten, glaubt vor allem Will daran, dass es hier nicht um Geld, sondern um eine sehr persönliche Sache geht. Auf privater Ebene hat Will vor allem damit zu tun, seine Gefühle für Sara Linton und seine komplizierte Ehe mit Angie zu analysieren.
„Als Kind hatte Will sich beigebracht, nichts zu wollen, was er nicht haben konnte – die neuesten Spielsachen, Schuhe, die tatsächlich passten, selbst gekochte Mahlzeiten, die nicht aus einer Dose kamen. Seine Fähigkeit zur Selbstleugnung verschwand, sobald es um Sara Linton ging. Er konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie ihre Hand auf seiner Schulter sich angefühlt hatte, als sie gestern auf der Straße gestanden hatten. Ihr Daumen hatte seinen Hals gestreichelt. Sie hatte sich auf Zehenspitzen gestellt, damit sie auf gleicher Höhe waren, und einen Augenblick lang hatte er gedacht, sie würde ihn küssen.“ (S. 277) 
In ihrem dritten Roman (nach „Tote Augen“ und „Letzte Worte“), der die Schicksale der beiden GBI-Agenten Faith Mitchell und Will Trent mit dem der Ärztin Dr. Sara Linton verbindet, begnügt sich die amerikanische Thriller-Bestseller-Autorin Karin Slaughter erneut mit einer recht kurzen Einführung, um ihre Leser dann mit einem dermaßen packenden Fall zu fesseln, dass man „Harter Schnitt“ nicht mehr aus den Händen legen mag.
Dadurch, dass mit Faith Mitchell eine der Protagonistinnen so direkt in einen Fall involviert ist, wie sonst zuvor niemand, bangt das Publikum nicht nur intensiver mit, sondern erfährt dankenswerter Weise auch mehr über den Hintergrund der treibenden Kräfte der Georgia-Reihe. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht allein das Verhältnis von Faith zu ihrer Mutter und zu ihren Kindern Jeremy und Emma auf der einen Seite, sondern auch Wills merkwürdige Ehe mit Angie, mit der er seit der gemeinsamen Pflegeheim-Zeit verbunden ist.
Karin Slaughter ist eine absolute Meisterin, wenn es darum geht, eine Adrenalin-geschwängerte Spannung in einem undurchschaubaren Fall aufzubauen und dabei immer wieder auf die persönlichen Probleme ihrer Figuren einzugehen. Mit „Harter Schnitt“ hat die Autorin einmal mehr ihre unnachahmliche Fähigkeit unter Beweis gestellt, ihre Leserschaft mit einem extrem spannenden, sehr persönlichen Fall zu unterhalten und gleichzeitig die Bindung zu den außergewöhnlichen Handlungsträgern zu intensivieren.
Leseprobe Karin Slaughter - "Harter Schnitt"

Karin Slaughter – (Georgia: 1) „Tote Augen“

Freitag, 1. Mai 2015

(Blanvalet, 574 S., Tb.)
Die Ärztin Dr. Sara Linton versorgt im Grady Hospital gerade die schwangere Polizistin Faith Mitchell, die von ihrem Partner Will Trent nach einem Ohnmachtsanfall eingeliefert worden ist, als die Opfer eines Verkehrsunfalls ihre Aufmerksamkeit erfordern. Während ihr Kollege Krakauer sich um Fahrer und Beifahrer kümmert, hat es Sara mit einer Frau zu tun, die bevor sie angefahren worden ist, offensichtlich gefoltert und sexuell misshandelt wurde. Als sich Special Agent Will Trent vom Georgia Bureau of Investigation in dem Wald nahe des Unfalls auf die Suche nach der Höhle macht, in der die Frau gefoltert und ausgehungert wurde, stößt er auf ein weiteres weibliches Opfer, das sich nach der Flucht aus der Folterhöhle offensichtlich in einem Baum selbst das Leben nahm, um seinem Leiden ein Ende zu bereiten.
Während Sara auf der einen Seite versucht, als Ärztin mehr zur Aufklärung der Fälle beizutragen, als es ihre Pflicht wäre, versucht sie die merkwürdige Beziehung zu verstehen, die sie mit Will verbindet. Sara ist vor zwei Jahren aus dem Grant County, wo sie Coroner und Kinderärztin gewesen ist, nach Atlanta gezogen, nachdem ihr Mann, Polizeichef Jeffrey Tolliver, bei einem Bombenanschlag getötet worden war. Seither hat sie keine nennenswerten Freunde gefunden. Auf der anderen Seite lebt Will in einer merkwürdigen Ehe mit der Polizistin Angie, die immer mal wieder für Monate völlig aus Wills Leben verschwindet und dann ebenso unverhofft wieder auftaucht.
Ganz andere Probleme beschäftigen Faith Mitchell, die nicht nur mit ihrer aktuellen Schwangerschaft zu kämpfen hat, sondern der auch noch Diabetes diagnostiziert wird, was sie selbst daran zweifeln lässt, ob sie Will noch eine verlässlichere Partnerin sein kann.
„Faith schloss die Augen und stellte sich die Autopsiefotos von Jacquelyn Zabel vor, die Höhle, in der Jacquelyn und Anna Lindsey festgehalten worden waren. Sie rief sich die Abscheulichkeiten ins Bewusstsein, die diesen Frauen passiert waren – die Folterungen, der Schmerz. Wieder legte sie die Hand auf den Bauch. War das Kind, das in ihr wuchs, ein Mädchen? In was für eine Welt brachte Faith sie; eine Welt, on der junge Mädchen von ihren Vätern belästigt wurden, in der Magazine einem sagten, dass man nie perfekt genug sein könne, in der Sadisten einen von einem Augenblick auf den anderen aus der eigenen Welt heraus und weg vom eigenen Kind reißen und für den Rest des Lebens in eine Hölle auf Erden stoßen konnten?“ (S. 407) 
Derweil nimmt der Fall der beiden gefolterten Frauen größere Dimensionen an, als eine weitere Frau verschwindet. Abgesehen von ihrem ähnlichen Aussehen scheint die einzige Verbindung zwischen den Frauen ein Chatroom zu sein, zu dem die Ermittler keinen Zugang finden. Der einzige Mensch, der alle drei Frauen kennt, ist der Entführer …
Nach sechs Bänden der "Grant-County"-Reihe, in der die amerikanische „Thriller-Queen“ Karin Slaughter (BILD am Sonntag) den Fällen von Sara Linton und Jeffrey Tolliver nachging, hat sie mit „Verstummt“ und „Entsetzen“ zunächst zwei Bände um den Special Agent Will Trent herum konstruiert, ehe sie mit „Tote Augen“ nun erstmals Sara Linton und Will Trent in der „Georgia“-Reihe aufeinandertreffen lässt.
Auf knapp 600 Seiten nimmt die komplexe Ermittlung in den Fällen der entführten und gefolterten Frauen natürlich einen breiten Raum ein, und Karin Slaughter zeigt sich überhaupt nicht zimperlich, wenn es um die brutalen Details geht, die das Leiden und die Wunden der Opfer beschreiben. Zum Glück widmet die Autorin aber auch den persönlichen Entwicklungen ihrer Figuren viel Zeit. Wie Sara nach wie vor den Tod ihres Mannes vor drei Jahren zu verarbeiten und darüber hinaus zu definieren versucht, wie ihre Gefühle für Will Trent gestaltet sind, ist ebenso psychologisch nachvollziehbar dargelegt wie die Sorgen, die Faith Mitchell umtreiben, die bereits im Alter von 14 Jahren ihr erstes Kind geboren hat und nun nicht nur eine weitere Schwangerschaft zu verdauen hat, sondern auch die Diabetes-Diagnose, die sie ebenso sehr privat wie beruflich beschäftigt.
Und auch Will ist noch von seiner Vergangenheit gezeichnet, vom frühen Tod seiner Mutter, der Inhaftierung seines Vaters und den Aufenthalten in staatlichen Kinderheimen ebenso wie von der schwierigen Beziehung zu seiner Frau, die die meiste Zeit nicht da ist. Slaughter gelingt es geschickt, die Ermittlungen und die persönlichen Belange von Sara, Will und Faith nahtlos miteinander zu verweben, ohne die Spannung zu vernachlässigen. Selbst mit der Auflösung lässt sich Slaughter viel Zeit.
„Tote Augen“ stellt einen vielversprechenden Auftakt zu einer neuen Reihe da, in der kürzlich mit „Bittere Wunden“ bereits der vierte Teil erschienen ist.
Leseprobe Karin Slaughter - "Tote Augen"