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Emanuel Bergmann – „Tahara“

Mittwoch, 21. Februar 2024

(Diogenes, 288 S., HC) 
In der Filmszene kennt sich der 1972 in Saarbrücken geborene Emanuel Bergmann aus, verbrachte er nach dem Abitur doch einige Jahre in Los Angeles, um Film und Journalismus studieren, um dann für verschiedene Filmstudios, Produktionsfirmen und Medien sowohl in den USA als auch in Deutschland zu arbeiten. Was liegt da näher, als einen Roman in der Filmwelt anzusiedeln?  
Bergmann entführt seine Leserschaft mit seinem neuen Roman „Tahara“ zum Filmfestival nach Cannes, wo das Leben seines Protagonisten kräftig aus den Fugen gerät. 
Der berühmte Filmkritiker Marcel Klein hat seine besten Zeiten hinter sich. Früher hat man ihn sogar mit George Clooney verglichen. Mittlerweile muss er seine Stirnglatze mit einem Strohhut verdecken. Er ist mit der Abzahlung eines Kredits im Rückstand und trifft völlig übermüdet in Cannes ein, von wo er einmal mehr über das Filmfestival berichten soll. 
In die Pressekonferenz mit John Travolta, der seinen neuen Actionfilm vorstellt, geht er völlig unvorbereitet, doch dafür begegnet er der attraktiven französischen Lehrerin Héloïse, die am Lycée Französisch und Deutsch unterrichtet und wie Marcel das Kino liebt. Bei einem Espresso kommen sich die beiden völlig unterschiedlichen Filmliebhaber näher, doch ihre Begegnungen in den folgenden Tagen sind ebenso von Leidenschaft wie Streit, vor allem aber von Geheimnissen geprägt, die erst nach und nach gelüftet werden und ihre stürmische Liaison in etwas verwandeln, was beide ebenso fasziniert wie verängstigt. 
Als Marcel für eine Titelstory den Hollywoodstar Eva Vargas interviewen soll, die in der Steven-Spielberg-Produktion „A Light in the Dark“ die Hauptrolle verkörpert, kommt es zum Eklat, als Marcel der Schauspielerin erst in den Ausschnitt guckt und sie dann auf die Affäre ihres Verlobten anspricht. Da Marcel aus dem Interview nicht viel herausholen kann, findet er eine eigene Lösung für das Problem, das ihm allerdings nach Abgabe seiner Story um die Ohren fliegt… 
„Nun war er aufgeflogen, und so schrecklich das war, es barg auch eine kleine Gnade. Er konnte neu anfangen, reinen Tisch machen. Er hatte in diesen Tagen mit Héloïse etwas gekostet, von dem er vermutete, dass es manch anderen Menschen für immer vorenthalten blieb. Er begehrte sie auf eine Art, die ihn vollkommen verzehrte, und hätte man ihn gefragt, was er brauche, so hätte er geantwortet: nichts außer ihr, weder Schlaf noch Wasser, ich will nur bei ihr sein, in ihr sein, mit ihr sein.“ (S. 200) 
Mit dem Titel „Tahara“ nimmt Emanuel Bergmann („Der Trick“) Bezug auf die jüdische Tradition, die Toten vor der Beerdigung von Kopf bis Fuß sorgfältig zu waschen, damit der Verstorbene ohne Schmutz und Scham, vielleicht auch ohne Sünde vor seinen Schöpfer treten kann. Bergmanns ein wenig autobiografisch eingefärbter Marcel Klein durchläuft in dem Roman eine ähnliche Entwicklung, wird er doch durch die Entlarvung eines jahrelang gepflegten feinen Lügengespinstes dazu gezwungen, kräftig aufzuräumen in seinem Leben. 
Als Katalysator dient ihm dabei die Affäre mit der streng katholisch erzogenen Französin Héloïse, die aus ihrer Ehe mit dem Apotheker Grégoire auszubrechen versucht, sich ihm aber durch ihr Ehegelübde bis zum Tod mit ihm verbunden fühlt. Über die schwierige Liaison zwischen Marcel und Héloïse hinaus bietet „Tahara“ aber auch faszinierende Einblicke hinter die Kulissen eines Medienspektakels wie dem Filmfestival in Cannes, wo wirklich alles nur darauf ausgerichtet ist, dass eine gute Presse zu den Filmen erscheint, um die Leute in die Kinos zu locken. 
Diese Mechanismen entlarvt der Filmbranchen-Insider Bergmann auf unterhaltsame Weise. Die Kombination aus temperamentvoller Liebesgeschichte und einem etwas desillusionierenden Blick in die Film- und Medienwelt wirkt selbst wie der Plot zu einem Hollywood-Film, erinnert stellenweise aber auch an die amourösen Abenteuer aus der Feder von Philippe Djian. Der temporeiche Plot und das interessante Thema machen „Tahara“ zu einem filmreifen Lesevergnügen.