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Mario Puzo – „Der Pate“

Freitag, 11. März 2022

(Kampa, 640 S., HC) 
Wenn Francis Ford Coppolas dreifach Oscar-prämiertes Meisterwerk „Der Pate“ (1972) zurecht als die Mutter aller Mafia-Filme gilt, trifft dies natürlich auch umso mehr auf die Romanvorlage von Mario Puzo aus dem Jahre 1969 zu. Obwohl Puzo selbst nie Kontakt zu Vertretern der Mafia hatte, ist es ihm gelungen, ein authentisches Bild vor allem des außergewöhnlichen Familiensinns und Ehrenkodex einer einflussreichen Mafia-Familie zu zeichnen. Puzo schrieb zusammen mit Coppola nicht nur das Drehbuch zur Filmadaption seines Romans, sondern arbeitete auch an den Drehbüchern zu den Film-Fortsetzungen mit. 
Fassungslos muss der Bestattungsunternehmer Amerigo Bonasera im New Yorker Strafgericht miterleben, wie die jungen Männer, die seine Tochter krankenhausreif geschlagen haben, zu einer milden Bewährungsstrafe verurteilt werden. In seiner Verzweiflung will er sich an Don Corleone wenden, dem er zur Hochzeit seiner Tochter Connie ebenso seine Aufwartung macht wie Corleones Patensohn Johnny Fontaine, der von seiner zweiten Frau zum Narren gehalten wird, und der Bäcker Nazorine, der darum bittet, dass sein zukünftiger Schwiegersohn Enzo nicht in den Krieg muss, damit er seine schwangere Tochter Katherine zur Frau nehmen kann. Don Corleone steht in dem Ruf, keine Bittsteller zu enttäuschen, doch dafür erwartet er absolute Loyalität, die ihm seine Freunde durch regelmäßige kleine Geschenke oder Gefälligkeiten unter Beweis stellen. Dabei war es ein langer Weg, den Vito Andolini bis zu seiner jetzigen Stellung zurückgelegt hat. 
Nachdem sein Vater nach einem ungenügend geklärten Konflikt den örtlichen Mafiaboss im sizilianischen Dorf Corleone getötet hatte und eine Woche später selbst erschossen worden war, schickten Verwandte seinen zwölfjährigen Sohn Vito nach New York, wo er in der Familie Abbandando aufwuchs und in Andenken an sein Heimatdorf den Namen Vito Corleone annahm. Er arbeitete im Lebensmittelladen seines Pflegevaters, heiratete eine junge Sizilianerin und bekam wenig später mit Santino seinen ersten Sohn. 1915 folgte sein zweiter Sohn Federico. 
Zusammen mit seinen Freunden Clemenza und Tessio überfielt Corleone LKWs und erschoss den Schutzgelderpresser Fanucci, was Corleone soviel Respekt in seinem Viertel verschaffte, dass er zum Schutzherrn italienischer Familien in seinem New Yorker Viertel avancierte. Er gründete eine Handelsgesellschaft für Olivenöl, schaltete seine Konkurrenten aus und wurde während der Weltwirtschaftskrise erstmals Don Corleone genannt. 
Nachdem er seinen Konkurrenten Maranzano ausgeschaltet und sogar Auftragskiller von Al Capone aus Chicago zur Strecke gebracht hatte, brachte Corleone Frieden in die Unterwelt von New York und verständigte sich mit den mächtigsten Verbrecherorganisationen der USA über eine gerechte Aufteilung der Gebiete und Interessen. Vom profitablen Geschäft mit Rauschgift ließ er aber die Finger. Zusammen mit seinen Frau und den mittlerweile drei Söhnen Sonny, Freddie und Michael sowie der Tochter Constanzia zog Don Corleone nach Long Beach. Als Connie Corleone im August 1945 auf dem Anwesen ihrer Familie den temperamentvollen Carlo Rizzi heiratet, vergnügt sich der verheiratete Sonny mit der Brautjungfer Lucy Mancini, während Michael mit seiner Freundin Kay Adams abseits der Familie sitzt. Doch je älter der für seine Weitsicht und Gelassenheit berühmte Don Corleone wird, desto mehr rückt der zunächst unscheinbare Michael als sein Nachfolger ins Rampenlicht. Doch bis dahin sind etliche Konkurrenten und Verräter in den eigenen Reihen auszuschalten … 
„Sie alle gehörten zu jenem seltenen Schlag von Männern, die sich weigerten, die Regeln der organisierten Gesellschaft zu akzeptieren, die nicht daran dachten, sich der Herrschaft anderer Menschen zu beugen. Es gab keinen Sterblichen, keine Macht, die ihnen ihren Willen aufzwingen konnte, es sei denn, es wäre ihr eigener Wunsch. Sie waren Männer, die ihre Freiheit mit List und Mord zu verteidigen wussten. Nur der Tod konnte ihre Entschlüsse ändern.“ (S. 410) 
Mario Puzo hat mit der „Der Pate“ eine Familien-Saga über zwei Generationen vorgelegt, die von der ersten Seite an fesselt. Geschickt beginnt der Roman auf dem Höhepunkt von Don Corleones Macht, um aus den Gefälligkeiten, die er seinen Bittstellern auf der Hochzeit seiner einzigen Tochter gewährt, den moralischen Kompass zu etablieren, mit dem der Don seine Macht aufgebaut hat. Dabei dreht es sich vor allem darum, der Familie ein sicheres Heim und Auskommen zu bieten, und vor allem Michael Corleone setzt später alles daran, dass seine Kinder nicht in das Mafia-Geschäft einbezogen werden.  
Puzo nimmt sich die Zeit, die Geschichte der wichtigsten Figuren ausführlich nachzuzeichnen, verleiht ihnen Charakter und zeichnet ihren Lebenswandel nach. Natürlich nehmen die Auseinandersetzungen mit anderen mächtigen Familien viel Raum in dem Epos ein. Jedes Machtvakuum wird gnadenlos von den Konkurrenten ausgenutzt, wichtige Persönlichkeiten müssen regelmäßig geschmiert, Verräter identifiziert und ausgeschaltet, Verluste in der eigenen Familie brutal gerächt werden – wenn auch manchmal erst nach Jahren, denn Rache ist, wie der Don einmal bemerkt, ein Gericht, das man am besten kalt serviert. 
Puzo beschreibt die Machenschaften der Mafia nicht als primär gewalttätiges Unternehmen mit dem Zweck der Gewinnmaximierung, sondern als Schachspiel, bei dem am Ende nicht unbedingt der Stärkste, sondern der Klügste gewinnt. Der Autor, der als Sohn italienischer Einwanderer im New Yorker Stadtteil Little Italy aufgewachsen ist, verwebt die interessanten Einzelschicksale wie des einst berühmten Sängers Johnny Fontaine, der nach einer Krise zum Hollywood-Star und Studiochef aufsteigt, und Don Corleones zunächst wegen seiner Militärzeit in Ungnade gefallenen Sohnes Michael immer wieder gekonnt ineinander, würzt seine epische Geschichte mit viel Sex und Gewalt sowie großartigen Dialogen, die Coppola letztlich so kongenial auf die Leinwand brachte, dass auch der Roman zu einem der bedeutendsten Werke der Unterhaltungsliteratur wurde.
Die Neuauflage in Kampas Reihe „Red Eye“ lohnt sich nicht nur wegen des Vorworts von Francis Ford Coppola, sondern wartet auch mit stylischem Cover und rotem Farbschnitt auf.