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Antoine Laurain – „Ein Tropfen vom Glück“

Montag, 18. März 2019

(Atlantik, 254 S., HC)
Als der Amerikaner Bob Brown vor dreißig Jahren noch einfacher Mechaniker war und die damals dreiundzwanzigjährige Goldie Delphy in einer Bar kennenlernte, war es ihr gemeinsamer Traum, einmal in ihrem Leben nach Paris zu reisen, doch dann machte Bob Karriere bei Harley Davidson, zwei Kinder kamen zur Welt, und ihre Reisen führten sie nie über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus. Und nun war Goldie unheilbar an Leukämie erkrankt und seit zwei Monaten in einem tiefen Koma, aus dem sie wahrscheinlich nicht wieder aufwachen würde.
Also unternimmt Bob die längst geplante Reise allein und landet in der Ferienwohnung einer kleinen Hausgemeinschaft am Montmartre. Dort überrascht der kleinkarierte Hausvorsteher Hubert zwei jugendliche Einbrecher, worauf die aufgeregte Gemeinschaft zur Beruhigung erst einmal ein edles Tröpfchen zu sich nehmen muss. Das sind neben Hubert und Bob die Restauratorin Magalie (die wegen ihres Gothic-Looks wie die bekannte Darstellerin aus „Navy CIS“ aussieht und deshalb nur Abby genannt wird) und der unsterblich in sie verliebte Barmann Julien, der sich gerade erst eine Eigentumswohnung dort gekauft hat. Interessanterweise handelt es sich bei dem Wein um eine Flasche vom Weinberg Saint-Antoine stammende Cuvée aus dem Jahr 1954, jenem Jahr, an dem ein UFO über den Weinbergen gesichtet wurde.
Und so landet die situationsbedingt zusammengewürfelte Trinkgemeinschaft plötzlich im Jahr 1954, wo sie sich völlig neu orientieren müssen, aber auch hier, in einer anderen Zeit, tiefe Gefühle für sich entdecken …
„Sie standen einander in der Stille der Nacht gegenüber, mit diesem Schwindelgefühl, das dem ersten Kuss vorangeht. Man weiß, dass er stattfinden und die Liebe, die keine Worte braucht, besiegeln wird. Es ist unausweichlich, nur noch eine Frage von Sekunden. Etwas kaum Merkliches wird das Signal geben – eine Bewegung, ein Wimpernschlag, ein plötzliches Aufleuchten der Pupillen.“ (S. 194) 
Der in Paris lebende Drehbuchautor und Buchhändler Antoine Laurain („Liebe mit zwei Unbekannten“, „Der Hut des Präsidenten“) versteht es auch mit seinem neuen Roman, einem wieder recht schmalen Bändchen von gerade mal 250 Seiten, seinen Lesern die Stadt der Liebe in ebenso poetischer wie fantasievoller Weise nahezubringen. In „Ein Tropfen vom Glück“ bringt er vier ganz unterschiedliche Charaktere zu einem geselligen Abend zusammen, der außergewöhnliche Folgen nach sich zieht, nämlich eine Zeitreise ins Jahr 1954, wohin auch übrigens Juliens Urgroßvater reist, der 1978 von dem 54er Jahrgang getrunken hatte. Das bringt natürlich einige Komplikationen mit sich, aber auch wunderbare, unverhoffte Begegnungen mit Prominenten wie Jean Gabin, Édith Piaf und Audrey Hepburn, vor allem aber berauschende Gefühle, die sich vor den charmanten Kulissen der französischen Metropole ganz besonders entfalten können. Bei all den Herausforderungen, die so eine Zeitreise mit sich bringt, und den zwischenmenschlichen Leidenschaften, kommen die Charakterisierungen der einzelnen Figuren etwas kurz, so dass sich der Leser vor allem an den poetischen Schilderungen der nostalgischen Eindrücke und der emotionalen Turbulenzen erfreut.

Antoine Laurain – „Das Bild aus meinem Traum“

Donnerstag, 14. Juni 2018

(Atlantik, 191 S., Tb.)
Der angesehene Pariser Anwalt Maître Pierre-François Chaumont hat ein Faible für schöne Dinge und gibt auch mal tausende von Euro für Kristallkugeln aus Baccarat, Saint-Louis-Briefbeschwerer oder Vasen von Gallé aus, die in seiner Kunstsammlung im Arbeitszimmer untergebracht werden, weil seine Frau Charlotte die wertvollen Dinge nicht in den gewöhnlichen Wohnräumen stehen haben möchte. Eines Tages entdeckt Chaumont im Auktionshaus Drouot ein Pastellbild aus dem 18. Jahrhundert und ist erstaunt über die frappierende Ähnlichkeit zwischen dem portraitierten Mann mit gepuderter Perücke und blauem Anzug und sich selbst. Einzig ein unentzifferbares Wappen oben rechts in der Ecke könnte Auskunft über die Herkunft des Mannes geben.
Tatsächlich ersteht der Sammler das Bild für 11.760 Euro, doch Charlotte kann seine Begeisterung überhaupt nicht teilen, entdeckt sie ebenso wie die gemeinsamen Freunde doch nicht die geringste Ähnlichkeit zwischen dem Mann auf dem Bild und Chaumont.
Zunächst frustriert macht er sich auf die Spurensuche und landet auf einem Weingut in Rivaille. Dort wird Chaumont sogleich als Aimé-Charles de Rivaille, Graf von Mandragore erkannt, der vor vier Jahren nach Paris zu einem Weinhändler gefahren war, aber dort nicht ankam. Chaumont nutzt die Gunst der Stunde, tischt Mandragores Frau Mélaine eine irrwitzige Geschichte über sein Verschwinden auf und beginnt ein neues Leben …
„Ich war nicht zufällig hier, ich glich nicht zufällig diesem anderen Mann. Nichts, was seit meiner Entdeckung des Portraits geschehen war, war dem Zufall zuzuschreiben. Ich folgte meinem Schicksal. Jeder Versuch, diese Leute über ihren Irrtum aufzuklären, würde meinem Schicksal zuwiderlaufen. Vor mir öffnete sich eine Tür, und ich konnte entweder hindurchgehen oder meinen Weg wie bisher fortsetzen.“ (S. 116f.) 
„Das Bild aus meinem Traum“ ist das Debüt des ehemaligen Pariser Antiquitätenhändlers und Drehbuchautors Antoine Laurain aus dem Jahre 2007 und erschien 2016 erstmals in deutscher Sprache. Nachdem Laurain mit „Liebe mit zwei Unbekannten“, „Der Hut des Präsidenten“ und „Die Melodie meines Lebens“ auch das deutsche Publikum erobert hat, bietet die nun veröffentlichte Taschenbuchausgabe noch einmal die Möglichkeit, Laurains erste literarische Gehversuche zu erkunden. Dabei bringt er nicht nur seine Erfahrungen als Antiquitätenhändler in die Geschichte ein und thematisiert die Seele, die alte Dinge in sich tragen, sondern erzählt vor allem auf luftig-leichte Art, wie ein Mann mit Frau und angesehenem Beruf auf einmal die Möglichkeit wahrnimmt, ein ganz neues Leben zu beginnen, sich dabei aber auch fragt, was er dafür aufgeben muss.
Besonders tief durchdringt Laurain seinen Protagonisten allerdings nicht. Vielmehr geht es dem französischen Autor um das Spiel der Möglichkeiten. Das ist sicherlich charmant, stellt letztlich aber nur eine erste Fingerübung für die späteren, weitaus gelungeneren Werke dar.

Antoine Laurain – „Die Melodie meines Lebens“

Dienstag, 12. September 2017

(Atlantik, 254 S., HC)
Als die Post bei Modernisierungsarbeiten in einer ihrer Pariser Filialen vier Briefe unter Holzregalen findet, die nicht zugestellt worden sind, ist auch einer aus dem Jahre 1983 dabei, der nun mit 33 Jahren Verspätung dem Empfänger zugestellt wird. Der über fünfzigjährige Allgemeinmediziner Alain Massoulier staunt nicht schlecht, als er so erfährt, dass die Band The Hologrammes, die er damals mit der Sängerin Bérangère Leroy, dem Schlagzeuger Stanislas Lepelle, dem Bassisten Sébastien Vaugan und dem Pianisten Frédéric Lejeune unterhalten hat, von Polydor einen Plattenvertrag angeboten bekommen hätte. Stattdessen hat sich die New-Wave-Band recht schnell aufgelöst, ihre Mitglieder haben sich in alle Winde zerstreut.
Alain, der von seiner Frau betrogen wird und ein unspektakuläres, aber zufriedenes Leben im 8. Arrondissement führt, macht sich auf die Suche nach den alten Bandmitgliedern und vor allem nach dem Demotape mit den fünf Songs, die damals für Furore hätten sorgen können. Sébastien war Alain als Kopf einer rechtsextremistischen Gruppe noch bekannt.
Durch seine Recherche im Internet erfährt er schließlich, dass Stan Lepelle ein aufstrebender Künstler geworden ist, Frédéric Lejeune in Thailand gerade ein Hotel eröffnet hat, Sébastien und der Texter Pierre Mazart ein Antiquitätengeschäft am linken Seine-Ufer unterhält. Der Produzent der Band, Mazarts Bruder Jean-Bernard – kurz JBM genannt -, kandidiert gerade für das Präsidentschaftsamt. Nur bei Bérangère hilft Alain das Internet nicht weiter, sondern der Zufall.
„Was sagt man zu einer Frau, die vor mehr als dreißig Jahren geliebt hat und der man zufällig am Bahnhof begegnet? Die man nur für ein paar Minuten und danach nie wieder sehen wird? Das ist, als ob das Leben einem ein Almosen gibt, keine zweite Chance, sondern eine Art Augenzwinkern.“ (S. 144) 
Mit seinem neuen Buch „Die Melodie meines Lebens“ spielt der Pariser Schriftsteller Antoine Laurain („Der Hut des Präsidenten“, „Das Bild aus meinem Traum“) weniger mit der „Was wäre, wenn …“-Möglichkeit, die das 33 Jahre zu spät erhaltene Angebot eines Plattenvertrags für die Bandmitglieder einer ambitionierten New-Wave-Band bereitgehalten hätte, als mit einem Abgleich der Persönlichkeiten von damals mit ihrem heutigen Leben.
Besonders gelungen sind dem Autor dabei die Rückblenden in die 1980er Jahre, als sich die Band gegründet und gefunden hatte. Weniger gut nachzuvollziehen sind die Schicksale der Protagonisten in der heutigen Zeit. Hier verliert sich Laurain in Einzelschicksalen und unzusammenhängenden Anekdoten. Allein JBMs Präsidentschaftswahlkampf und die Beziehung zu seiner ehrgeizigen persönlichen Assistentin Aurore sowie das Aufsehen erregende Kunstprojekt, mit dem Stan auf einmal weltberühmt wird, nehmen etwas mehr Raum im Strudel der Episoden ein.
Die Charakterisierungen und die Erzähldramaturgie leiden unter den sprunghaften Perspektivwechseln, zu denen auch die eingeschobenen Ich-Erzählungen einzelner Beteiligter zählen. Davon abgesehen verzaubert der kurze Roman aber mit nostalgischem Charme und Gedanken zu verpassten Möglichkeiten und verlorenen Lieb- und Freundschaften.