Dennis Lehane – „Der Abgrund in dir“

Mittwoch, 29. August 2018

(Diogenes, 527 S., HC)
Rachel war drei Jahre alt, als ihr Vater aus dem Leben ihrer Mutter Elizabeth und ihrem eigenen verschwand. Vier Jahre später schrieb ihre Mutter, die selbst nie verheiratet gewesen war, mit „Die Treppe“ einen Bestseller-Ratgeber darüber, wie man erfolgreich verheiratet blieb, worauf sie zwei zunehmend weniger erfolgreiche Fortsetzungen nachlegte und bei aller Popularität selbst einen unglücklichen, ja verbitterten Eindruck machte.
Nachdem ihre Mutter bei einem Autounfall getötet wurde, hat Rachel damit begonnen, ihren Vater zu suchen, von dem sie nur den Namen James und die Information besaß, dass er in Connecticut unterrichtet hat.
Während ihres ersten Collegejahrs in Boston lernt Rachel den sympathischen Detektiv Brian Delacroix kennen, der bei der Suche nach ihrem Vater zwar keine Erfolge erzielt, aber über die Jahre mit Rachel in Verbindung bleibt, als sie Karriere erst bei der Zeitung, dann beim Fernsehen macht, wo sie ihren Sebastian kennenlernt, der sie allerdings fallen lässt, als Rachel in Haiti über die Naturkatastrophe berichtet und vor laufender Kamera einen Nervenzusammenbruch erleidet.
Ihre Panikattacken führen dazu, dass sie sich kaum aus der Wohnung traut, die sie schließlich mit Brian teilt, der seine Tätigkeit als Detektiv aufgegeben hat, um im internationalen Holzhandel zu arbeiten, den seine Familie betreibt. Doch als sie Brian eines Tages in Boston sieht, obwohl er eigentlich in London sein sollte, beginnt Rachel an ihrer Ehe zu zweifeln. Tatsächlich scheint Brian ein Doppelleben zu führen, das Rachel zunehmend den Boden unter den Füßen wegzieht.
„Sie nahm ein Bild von sich und Brian von der Kommode. Ihr inoffizielles Hochzeitsfoto. Sie sah seine verlogenen Augen und sein verlogenes Lächeln, und sie wusste, dass sie ebenso verlogen war wie er. An fast jedem Tag ihres Lebens, von der Grundschule an, über High-School, College, Uni und dann im Job, hatte sie eine Rolle gespielt. Sobald diese Rolle dem Publikum nicht mehr gefiel, hatte sie sie abgelegt und war in eine neue geschlüpft.“ (S. 400) 
Dennis Lehane, gefeierter Autor von erfolgreich verfilmten Bestsellern wie „Mystic River“ und „Shutter Island“, legt mit „Der Abgrund in dir“ sowohl einen packenden Psychothriller als auch eine vertrackte Liebesgeschichte vor, deren komplexe Facetten sich erst nach und nach auf immer wieder überraschende Weise entfalten.
Dabei zieht der Autor den Leser von Beginn an in ein verwirrendes Geflecht ausgefeilter Inszenierungen und falscher Identitäten. Der Roman beginnt mit einer Szene, in der Rachel ihren Mann Brian auf seinem Boot erschießt, worauf rückblickend Rachels Kindheit und die verzweifelte Sehnsucht nach einem Vater aufgerollt wird, deren Identität ihre Mutter nie preisgeben wollte. Immerhin führt ihre Suche zu einem Mann, den sie – leider irrtümlich - für ihren Vater gehalten hat, der aber immerhin zu einem guten Freund wird.
Und so begegnet Rachel in ihrem Leben scheinbar nur Männern, die eine mehr oder weniger raffiniert angelegte Rolle spielen. Während Sebastian seine Karrieresucht auf längere Sicht nur ungeschickt hinter seiner Sympathie für Rachel verbergen konnte, begegnen ihr mit Brian und seinem Geschäftspartner Caleb schon ganz andere Kaliber, die Rachel in ein letztlich tödliches Betrugsszenario involvieren, das ihr gesamtes Leben auf den Kopf stellt.
Lehane erweist sich einmal mehr als grandioser Erzähler, der vor allem seine Protagonistin Rachel Childs ausgezeichnet charakterisiert und Brian Delacroix so geheimnisvoll anlegt, dass die Entwicklung in der Beziehung zwischen den beiden Figuren glaubwürdig genug wirkt, um die Thriller-Komponente und das seltsam versöhnliche Finale erklären zu können. Neben dem spannungs- und wendungsreichen Plot gefällt aber vor allem das Spiel mit den Identitäten und Rollen, die Menschen im Lauf ihres Lebens annehmen, um Beziehungen und Jobs erfolgreich auszufüllen. In „Der Abgrund in dir“ beschreibt Lehane auf überzeugende Weise das erschreckende Szenario des Scheiterns eines scheinbar ausgeklügelten Rollenspiels.

Alessandro Baricco – „Die Barbaren. Über die Mutation der Kultur“

Sonntag, 26. August 2018

(Hoffmann und Campe, 224 S., HC)
Der 1958 in Turin geborene Alessandro Baricco ist vor allem durch seinen verfilmten Roman „Seide“ zu einem international bekannten Schriftsteller geworden, der zuletzt im Verlag Hoffmann und Campe die beiden Romane „Die junge Braut“ (2017) und „So sprach Achill“ (2018) veröffentlicht hat. Aber der studierte Philosoph und Musikwissenschaftler hat auch zahlreiche Essays, Erzählungen und Theaterstücke verfasst und als Redakteur der linksliberalen italienischen Tageszeitung „La Repubblica“ zwischen Mai und Oktober 2006 eine Reihe von insgesamt dreißig Kolumnen zum Thema der Mutation der Kultur durch „die Barbaren“ geschrieben, die nun gesammelt in Buchform erschienen sind.
Baricco versucht hier aufzuzeigen, wie sich „die Barbaren“ aufgemacht haben, das Erbe der klassischen Kultur zu plündern, was ihnen durch die technologischen Entwicklungen vor allem des Fernsehens und des Internets erleichtert wird. Anhand einiger durchaus interessanter Beispiele - wie der kritischen Auseinandersetzung mit Beethovens Neunter Symphonie zur Zeit ihrer Erstaufführung im Mai 1824 und heute; Walter Benjamins Bemühen, die Welt zu beschreiben, wie sie bald sein würde, nicht wie sie war; die Art und Weise, wie sich die Barbaren die Welt des Weins, des Fußballs und der Bücher angenommen haben – beschreibt Baricco im kumpelhaften Ton als Verlust der Seele, als Versuch, die Welt mit Gefälligkeit, Oberflächlichkeit, Effekthascherei und triebhaftem Kommerz zu durchdringen.
„Es gibt keine Grenze, glaubt mir, es gibt nicht die Kultur auf der einen und die Barbaren auf der anderen Seite. Es gibt nur den Saum der Mutation, der vordringt und schon in uns verläuft. Wir sind Mutanten, alle miteinander, manche weiter entwickelt, andere weniger.“ (S. 216) 
Der Autor sieht die Unterschiede innerhalb der Mutanten vor allem in der Tiefe, mit der kulturelle Errungenschaften durchdrungen werden. Während die Barbaren sich damit begnügen, auf Google nur die relevantesten Ergebnisse zu verfolgen, geht es dem Kulturbürgertum um das tiefe Verständnis eines Werkes. Immer wieder bemüht Baricco seinen eigenen philosophischen und musikwissenschaftlichen Hintergrund, um mit der Demonstration seines eigenen Wissens seine intellektuelle Güte festzuschreiben, doch letztlich betreibt er mit seinen durchaus unterhaltsamen Kolumnen genau jene Jagd nach Spektakularität und Differenzierung, die er bei den Barbaren zu beobachten glaubt.

Lee Child – (Jack Reacher: 19) „Im Visier“

Samstag, 11. August 2018

(Blanvalet, 414 S., HC)
Als Jack Reacher, ehemaliger Eliteermittler der Militärpolizei, im Bus nach Seattle sitzt, stößt er in der Army Times auf eine an ihn gerichtete Kleinanzeige, dass er Rick Shoemaker anrufen solle. „Man kann die Army verlassen, aber sie verlässt einen nie“, weiß der hochdekorierte Ex-Soldat, der wegen seiner Rastlosigkeit auch „Sherlock Homeless“ genannt wird. Da Reacher Shoemaker einen Gefallen schuldig ist, ruft er zurück und erfährt von General Tom O’Day die Hintergründe des versuchten Attentats, das vor zwei Tagen auf den französischen Präsidenten in Paris verübt worden war, dank des schusssicheren Panzerglases aber nicht von Erfolg gekrönt wurde.
Der mögliche Täterkreis ist allerdings überschaubar klein: Wer sich aus dreizehnhundert Metern vornimmt, ein panzerbrechendes Geschoss Kaliber .50 auf ein kopfgroßes Ziel abzufeuern, muss ein extrem gut ausgebildeter Scharfschütze sein, von denen es weltweit nur eine Handvoll gibt, darunter John Knott, den Reacher vor sechzehn Jahren festgenommen hat, der sich aber wieder auf freiem Fuß befindet.
Reacher soll mit der CIA-Agentin Casey Nice in Paris herausfinden, ob sich Knott und sein möglicher Komplize noch immer vor Ort aufhält und die nächste Möglichkeit plant, sein Ziel zu erwischen – beim G8-Gipfel in London. Dort geraten Reacher und Nice gleich in einen Bandenkrieg zwischen den Serben und den Romford Boys, die von dem bärengroßen Gangster Littley Joey angeführt werden und von dem Reacher vermutet, dass er Knott Unterschlupf gewährt. Um an Knott heranzukommen, sichert sich Reacher die Unterstützung des SAS-Agenten Bennett, doch all die brauchbaren Informationen können nicht vermeiden, dass Reacher das riesige Haus des Gangsterbosses betreten muss …
„Ich mochte Joey Green nicht. Teils aus den richtigen Gründen wie die Teenager aus Estland und Litauen und die Familienväter, die Wucherzinsen zahlen mussten. Aber auch aus anderen, primitiveren Gründen, denn bevor der Mensch zivilisiert worden war, hatte er siebenmal länger als Wilder gelebt, was Spuren hinterließ. Unterdessen gab der primitive Teil meines Gehirns den Ton an: Meine Stammesversammlung will, dass du beseitigst wirst, Kumpel. Noch dazu bist du hässlich. Und du bist ein Waschlappen.“ (S. 370f.)
Auch in seinem neunzehnten Abenteuer – von denen bereits zwei mit Tom Cruise in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurden – bleiben sich Jack Reacher und vor allem sein geistiger Schöpfer Lee Child treu: Ohne festen Wohnsitz und eigenes Auto zieht der hochdekorierte Ex-Militärermittler Jack Reacher durch die Lande und gerät durch einen „vorhersehbaren“ Zufall an einen ebenso lebensgefährlichen wie lebenswichtigen Auftrag. Wie so oft erhält er dabei eine attraktive weibliche Begleitung, mit der Reacher aber ausnahmsweise mal nichts anfängt und die überhaupt erschreckend blass bleibt. Das intellektuelle Geplänkel spielt sich diesmal zwischen Reacher und seinem Kontaktmann in London ab, den undurchsichtigen, aber bestens informierten Bennett, die Action wird aber allein von Reacher entfacht.
Der Plot von „Im Visier“ folgt dabei vertrauten Mustern. Reacher macht sich detailliert mit den Umständen des versuchten Anschlags in Paris vertraut, stellt komplizierte Berechnungen und Überlegungen über den Tathergang und die Täter an, um dann seinerseits einen Plan zu entwickeln, in dessen Details er weder Nice noch Bennett einweiht. Bis es zum Showdown kommt, muss der Leser einige von Reachers wie immer erstaunlichen Analysen und somit auch einige Längen über sich ergehen lassen, denn so sehr die faszinierenden Beschreibungen Jack Reacher als grandiosen Ermittler und überlegten Kämpfer erscheinen lassen, so unrealistisch wirken manche Rückschlüsse. Da sich „Im Visier“ an der Struktur früherer Reacher-Bände orientiert, erwartet den Leser wenig Überraschendes, dafür aber gewohnt kurzweilige, knackige Unterhaltung mit pointierten Dialogen und effizienter Action. 
Leseprobe Lee Child - "Im Visier"

Jardine Libaire – „Uns gehört die Nacht“

Montag, 6. August 2018

(Diogenes, 457 S., Pb.)
Elise Perez ist froh, endlich dem Sozialwohnungskomplex in der South Bronx entkommen zu sein und in New Haven in der Wohnung von Robbie, der am South Central Community College Flugzeugtechnik studiert und nebenbei im Red Lobster kellnert, ein neues Zuhause gefunden zu haben. Elise, Anfang Zwanzig, halb Puerto-Ricanerin, halb Amerikanerin, findet einen Job in einer Zoohandlung und lernt nach drei Monaten im Januar 1986 ihre Nachbarn James und Matt kennen, die aus einer ganz anderen Welt stammen.
Während Elise ohne Vater und ohne Schulabschluss aufgewachsen ist, stammt James aus der schwerreichen Investmentbankerfamilie Hyde, Moore & Kent, seine Mutter Tory ist eine berühmte Schauspielerin. Trotzdem lädt James Elise zum Abendessen ein, lässt sich zum Abschied zu einem Blow Job verführen und ist ganz hin und weg von Elise. James‘ Familie ist von dem nicht standesgemäßen Umgang natürlich alles andere als begeistert, doch davon lässt sich der Yale-Student nicht irritieren. Stattdessen will er sogar sein Erbe ausschlagen, die Uni abbrechen und mit Elise zusammenziehen.
„Vielleicht sind Elise und Jamey ihr eigenes Volk, vielleicht gehören sie zu niemandem sonst, zu nichts Größerem als zueinander. Können wir so leben? Darüber denkt Elise nach, als sie sich müde die schwarzen Turnschuhe aufschnürt, an deren Sohlen Gold klebt.“ (S. 329) 
Doch über dem jungen Glück schwebt eine dunkle Bedrohung, die nicht nur von dem Groll des Hyde-Clans herrührt …
Nachdem die in New York geborene und in Austin, Texas, lebende Jardine Libaire Kurzgeschichten im New York Magazine, in der Los Angeles Review of Books und in Elle veröffentlicht hat, legt sie mit „Uns gehört die Nacht“ ihr Romandebüt vor, das passenderweise durch ein Zitat aus Shakespeares „Romeo und Julia“ eingeleitet wird. Ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte, die aus einer Affäre entsteht und über anfängliche Neugier und wachsendem Interesse ganz kompromisslose Wege einschlägt, wirkt wie eine moderne Variante von Shakespeares Tragödie, und auch James und Elise scheint ein ähnliches Schicksal zu drohen wie ihren berühmten „Vorbildern“.
Der Autorin gelingt es erstaunlich gut, die ausgetretenen Pfade einer Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen zu umschiffen, indem sie vor allem mit wunderbaren Vergleichen und einer eigenen Sprache arbeitet, die den unterschiedlichen Gefühlen der Liebenden eine sehr individuelle Note verleiht – bis zum Shakespeare-würdigen Finale.
Leseprobe Jardine Libaire - "Uns gehört die Nacht"

Karin Slaughter – „Ein Teil von ihr“

Mittwoch, 1. August 2018

(HarperCollins, 544 S., eBook)
Eigentlich war es immer Andys Traum gewesen, in New York zu leben und zu arbeiten, doch nach sechs Jahren muss sie deprimiert feststellen, dass sie nicht vom Fleck gekommen ist. Aus ihrem Wunsch, sich einen Platz im Umfeld der Stars zu sichern, ist nur ein Assistenz-Job bei einem Bühnenbildner für eine Off-Broadway-Produktion und eine Affäre mit ihrem Professor am College für Kunst und Design herausgesprungen. Zwei Semester vor dem Abschluss ihres Theater-Studiums packt sie die Koffer und kehrt zu ihrer an Brustkrebs erkrankten Mutter Laura Oliver nach Belle Isle zurück, wo sie in einem Diner im Einkaufszentrum auf ihren 31. Geburtstag anstoßen wollen. Doch als sich die Frau eines von Lauras Patienten mit ihrer Tochter für die Wunder bedanken will, die sie an ihrem Mann bewirkt hat, stürmt ein Mann das Restaurant und erschießt die beiden zu Laura und Andy gestoßenen Frauen.
Als der Mann auch Laura und Andy mit einem Jagdmesser bedroht, geht Andy in Deckung, ihre Mutter reagiert dagegen ausgesprochen überlegt und bringt den Täter durch einen Schnitt über seine Kehle kurzerhand um. Nicht nur die Medien fragen sich nach Sichtung des Videomaterials von der spektakulären Aktion, warum Laura den Mann nicht einfach überwältigt hat, sondern ihn töten musste. Auch Andy erkennt ihre eigene Mutter nicht mehr wieder, zumal Laura von ihr verlangt, sofort auszuziehen und nichts zu dem Vorfall auszusagen.
Tatsächlich reicht die Vorgeschichte bis ins Jahr 1986 zurück, als sich die aufstrebende Pianistin Jane in einen charismatischen jungen Mann verliebt hat, der es auf das Imperium von Martin Queller abgesehen hat, der das Wohlfahrtssystem mit seinen Krankenhäusern und Pflegeheimen um ein Vermögen betrogen hat. Bei einer Podiumsdiskussion in Oslo erschoss Jane den Queller-Patriarchen und ist seither mit ihrem falschen Namen auf der Flucht gewesen …
„Erst in der sicheren Abgeschiedenheit Berlins hatte Jane erkannt, dass Angst sie ihr ganzes Leben lang begleitet hatte. Jahrelang hatte sie sich eingeredet, Neurosen seien der Fluch einer erfolgreichen Solokünstlerin, aber was sie in Wahrheit vorsichtig auftreten, ihre eigenen Worte zensieren, ihre Emotionen anpassen ließ, war die erdrückende Präsenz der beiden Männer in ihrem Leben.“ (Pos. 4991) 
Mit ihren Grant-County-, Atlanta- und Georgia-Krimireihen um die Gerichtsmedizinerin Sara Linton und Will Trent, Special Agent beim Georgia Bureau of Investigation, hat sich Karin Slaughter in kürzester Zeit zu einer internationalen Bestseller-Autorin entwickelt. Allerdings haben diese Reihen in den letzten Jahren stark an Qualität eingebüßt, was für Slaughter Anlass gewesen sein könnte, seit 2013 vermehrt eigenständige Romane wie „Cop Town“, „Pretty Girls“ und „Die gute Tochter“ zu schreiben.
Mit ihrem neuen Thriller „Ein Teil von ihr“ setzt die US-amerikanische Schriftstellerin diesen Trend fort und knüpft thematisch an „Die gute Tochter“ an, wo Slaughter versucht hat, einen Thriller-Plot mit einem Familiendrama zu verknüpfen.
„Ein Teil von ihr“ erzählt eigentlich zwei Geschichten, die ihren Anfang jeweils mit einem Mord nehmen und immer wieder zwischen 1986 und 2018 hin und herspringen, so dass die mühsam aufgebaute Spannung ebenso oft wieder abfällt. Das größte Problem besteht aber in den zwar sehr bemühten, aber absolut nicht überzeugenden Charakterisierungen der Hauptfiguren, von denen keine auch nur annähernd ein Identifikationspotenzial für den Leser besitzt.
So wirkt Lauras erwachsene, in New York kläglich gescheiterte Tochter Andy einfach nur naiv und unbeholfen, entwickelt im Verlauf der Geschichte aber auf einmal einen ausgeprägten detektivischen Spürsinn, mit dem sie zuletzt die wahre Identität ihrer Mutter aufdeckt. Trotz vieler Hintergründe und Unterhaltungen zwischen Andy und ihrer Mutter bleibt Laura eine verschlossene, geheimnisvolle Persönlichkeit, zu der der Leser ebenfalls keine Beziehung aufbauen kann.
Weitaus komplexer ist die Geschichte angelegt, die 1986 in Oslo ihren Anfang nimmt und vor allem die familiären Strukturen des Queller-Imperiums thematisiert sowie die unterschiedlichen Rollen, die die Sprösslinge des Familienoberhaupts bei dem Attentat spielen. Die Konstellation der Figuren und ihre Motivationen wirkt zunächst sehr interessant, doch sorgen allzu viele Abschweifungen dafür, dass das Interesse an der weiteren Entwicklung der Story schnell nachlässt.
Für Karin Slaughter und ihre Fans ist zu wünschen, dass sich die Autorin wieder auf ihre ursprünglichen Qualitäten in der Erzählung spannender Plots mit glaubwürdigen, gut gezeichneten Charakteren besinnt. 
Leseprobe Karin Slaughter - "Ein Teil von ihr"