Richard Laymon – „Das Ende“

Montag, 30. April 2018

(Heyne, 304 S., Tb.)
Eigentlich würde Bass Paxton lieber mit Pac losziehen, aber da seine Traumfrau mit seinem besten Freund verheiratet ist, muss er sich vorerst mit Faye Everett begnügen. Bei einem Kanuausflug mit Picknick am Silver River stoßen sie auf ein Pärchen, das nur auf den ersten Blick verliebt am Ufer beieinanderliegt. Als sich der Mann erhebt, hat der den Kopf der fast nackten Frau unter dem Arm und flüchtet mit ihm ins Wasser. Rusty Hodges, Waffennarr und Sheriff von Sierra County, trommelt seine Leute zusammen, wobei seine Schwiegertochter Mary „Pac“ Hodges, als Erste am Tatort auftaucht.
Die Leiche wird als Alison Parkington identifiziert, Frau des Gastprofessors Grant Parkington am Sierra College, der sich die Schuld am Tod seiner Frau gibt und Selbstmord begeht. Der Professor wiederum soll wie wild hinter seinen Studentinnen her gewesen sein.
Als Faye nach der ersten Befragung durch die Cops spurlos verschwindet, sieht ihre Mitbewohnerin Ina sieht nun die Möglichkeit, endlich ihrem Schwarm Bass näherzukommen, der sich die Chance nicht nehmen lässt, eine weitere Eroberung zu machen.
„Ina beugte sich vor, um ihm das Glas zu reichen, und sah, wie seine Augen nach unten wanderten. Er sah in den Ausschnitt ihres Tops. Nachdem er das Glas genommen hatte, verharrte sie noch einen Moment in der Position und ließ ihn in Ruhe ihre Brüste ansehen, bevor sie sich neben ihn auf das Sofa setzte.“ (S. 170) 
Mit „Das Ende“ erscheint nun einer der letzten bislang noch nicht ins Deutsche übersetzten Titel aus dem umfangreichen Oeuvre des mittlerweile auch hierzulande äußerst populären Horror-Schriftstellers Ruichard Laymon, der auch von seinen Kollegen Stephen King und Jack Ketchum sehr geschätzt worden ist. Allerdings stellt sich Laymons Werk in seiner Qualität als sehr durchwachsen dar. Nach den ersten deutschen Veröffentlichungen wie „Rache“, „Das Spiel“, „Die Jagd“, „Das Treffen“ und „Die Insel“, die den Autor hierzulande populär gemacht haben, markieren vor allem die zuletzt erschienen Titel wie „Das Auge“, „Die Tür“ und „Das Ufer“ erschreckende Defizite in der Figurenzeichnung und Dramaturgie.
Auch in „Das Ende“ begnügt sich Laymon mit einigen bizarren Slasher-Szenen, die aber längst nicht so explizit wie in seinen früheren Werken ausgefallen sind, und übertrieben häufigen sexuellen Anspielungen, die alles andere als originell sind.
Dramaturgisch hat sich der Autor zwar einen interessanten Kniff einfallen lassen, dieser verpufft allerdings bei den eindimensionalen Figuren, von denen allein Pac annähernd eine Charakterisierung erfährt. Die sehr einfache Sprache, das flotte Erzähltempo und der dialoglastige Schreibstil sorgen zwar für rasante, aber leider auch sehr oberflächliche Unterhaltung. 
Leseprobe Richard Laymon - "Das Ende"

Natalio Grueso – „Der Wörterschmuggler“

Samstag, 28. April 2018

(Atlantik, 254 S., Tb.)
Bruno Labastide hält sich für den einsamsten Menschen der Welt. Den sympathischen Abenteurer mit Sinn für kuriose Geschichten zieht es nach Venedig, der seiner Meinung nach melancholischsten und einsamsten Stadt der Welt. Doch in dem kleinen Apartment im gar nicht so touristischen Stadtviertel Dorsoduro hofft er die schreckliche Last der Einsamkeit lindern zu können, als er die geheimnisvolle wie wunderschöne Japanerin Keiko kennenlernt, die auf ihre eigene Weise mit der Einsamkeit umgeht: Ihre Liebhaber sucht sie sich nur für eine Nacht und nach der Schönheit der Verse aus, die ihr ihre Verehrer zukommen lassen.
Bruno hat es sich zur Aufgabe gemacht, Keiko mit immer neuen außergewöhnlichen Geschichten zu betören, beispielsweise mit der über den Argentinier Horacio Ricott, der Bücher statt Medikamente verschreibt, über den argentinischen Fußball-Moderator Ricardo Kublait und den Jungen namens Lucas, der in einer Zeit, als der für jedes gesprochene oder geschriebene Wort bezahlt werden muss, Wörter schmuggelt, um der wunderschönen Clara seine Liebe zu gestehen.
In einer weiteren Geschichte heuert Bruno in einem Genfer Hotel als Barkeeper an, wo er vor allem dafür sorgen muss, dass der Pianist, der nie auch nur eine Note falsch spielt, immer genügend Whisky in seinem Glas hat, und eine wohlhabende Dame kennenlernt, die eine besondere Vorliebe für Champagner hegt.
Und dann ist Bruno der mysteriösen Figur des Traumjägers auf der Spur, von dem er erstmals durch einen alten Mann am Ufer des Atitlán-Sees gehört hat. Der Legende nach soll der Traumjäger sich unvermittelt einem Menschen vorstellen, ihn nach seinen Träumen fragen, um dann den Berg hinaufzusteigen und einem den Traum zu verwirklichen.
„Die Geschichte des alten Mannes und der Traumjäger faszinierte mich. Allein der Gedanke an die Existenz einer magischen Figur, die durch die Dörfer und Berge streifte und Gutes tat, traurige oder müde Menschen suchte, arme Menschen, denen das Leben übel mitgespielt hatte, um ihnen dann einen ihrer Träume zu erfüllen, wenigstens einen, erschien mir wie eine wundersame poetische Gerechtigkeit. Und wenn es diese Persönlichkeit wirklich gab, wollte ich sie kennenlernen.“ (S. 198) 
Natalio Grueso ist Regisseur sowohl am Teatro Español als auch am Institut für Performing Arts of the City of Madrid und liefert mit „Der Wörterschmuggler“ seinen ersten Roman ab, der durch seine ungewöhnliche Form überrascht. Zwar bildet der Ich-Erzähler Bruno Labastide den Mittelpunkt in dem kurzweiligen Werk, doch geht es dem Autor eher darum, Gefühle von Einsamkeit, Melancholie und der Sehnsucht nach Liebe zu vermitteln, statt eine zusammenhängende Geschichte mit ausgefeilten Charakteren zu erzählen.
Schon der Ausgangspunkt der Erzählung in Venedig mit der wunderschönen Japanerin, die ihre Geliebten allein nach poetischen Gesichtspunkten und nicht nach Aussehen oder Status auswählt, macht deutlich, wie sehr die Liebe und Erotik den Takt für die nachfolgenden Geschichten vorgibt. Die Figuren bewegen sich an illustren Orten wie Paris, Bueno Aires, Shanghai und Sankt Petersburg, sind Pianisten, Traumjäger, Kaviarschmuggler, Radiomoderation oder Auslandskorrespondenten, kleine Jungen und alte Männer oder Frauen, die einfach nur gern Champagner trinken.  
Grueso demonstriert eine feine poetische Ader, die die einzelnen Geschichten auszeichnet und der allgegenwärtigen Sehnsucht nach Liebe und der Erfüllung von Träumen melancholischen Ausdruck verleiht, aber zum Glück auch immer wieder Hoffnung.
Schön wäre es gewesen, mehr als nur kurze Momentaufnahmen aus dem Leben der skizzierten Figuren präsentiert zu bekommen. Jede einzelne Geschichte hätte wahrscheinlich das Potenzial für einen Roman gehabt. So flüchtig die einzelnen Eindrücke auch bleiben, brilliert Grueso mit magischer Sprache und außergewöhnlichen Ideen, die sich um die ganz großen menschlichen Gefühle drehen.

James Patterson – (Alex Cross: 11) „Ave Maria“

Mittwoch, 25. April 2018

(Blanvalet, 381 S., Tb.)
Der für das FBI tätige Polizeipsychologe Alex Cross genießt es, seit langer Zeit endlich mal wieder Urlaub mit seinen Kindern zu machen. Den Trip nach Disneyland nutzt er auch, um seine Geliebte Jamilla Hughes vom San Francisco Police Department im Hotel zu treffen, doch dann erfordert der Mord an der Hollywood-Schauspielerin Antonia Schifman Alex‘ Anwesenheit in Los Angeles, dem bald weitere Morde an prominenten Filmschaffenden folgen. Dazu schreibt der Täter stets eine Mail an den „Los Angeles Times“-Kolumnisten Arnold Griner, die mit dem Namen Mary Smith unterzeichnet sind.
Bei den Ermittlungen geraten nicht nur das LAPD und das FBI aneinander, Alex muss auch noch im unerwarteten Sorgerechtsstreit um Klein Alex mit seiner Ex-Frau Christine vor Gericht aussagen und hat alle Mühe, den aufdringlichen Journalisten James Truscott auf Distanz zu halten.
„Die am meisten verwendete Formel in meinem Beruf lautet: Wie plus warum ist gleich wer. Wenn ich Mary Smith kennen lernen wollte, musste ich die Unterschiede und Ähnlichkeiten bedenken – die Kombination aus beidem -, und das für jeden Tatort dieser Morde. (…) Wie groß war die Überschneidung der Persönlichkeit des Killers und der Person, die die E-Mails verschickte? Wie ehrlich – ein besseres Wort fiel mir im Moment nicht ein – waren Mary Smiths Schreiben?“ (S. 143) 
In seinem bereits elften Fall hat der 41-jährige Alex Cross wieder mal alle Hände voll zu tun, sein turbulentes Familienleben mit seinem aufreibenden und wieder mal lebensgefährlichen Beruf unter einen Hut zu bringen. Bestseller-Autor James Patterson ist sicher ein Meister des rasanten und leicht zu lesenden Thrillers und führt sein Publikum auch in „Ave Maria“ durch 120 (!) sehr kurze Kapitel, in denen stets nur kurze Momentaufnahmen des Plots abgebildet werden. Ein tiefer Blick in die Ermittlungsarbeit oder in die Psyche der Figuren wird so nicht gewährt.
Die Spannung bezieht die Story tatsächlich aus der Frage, ob sich hinter dem Täter tatsächlich eine Frau verbirgt oder doch eher ein Mann eine falsche Fährte zu legen versucht. Abgesehen von den skrupellos ausgeführten Morden, bei denen auch noch meist die Gesichter der Opfer bis zur Unkenntlichkeit zerschnitten worden sind, bietet „Ave Maria“ aber auch eher konventionell konstruierte Thriller-Unterhaltung, bei der die familiären Ereignisse beinahe interessanter sind als die Aufklärung der Mary-Smith-Morde.
Vor allem beim hastig hingerotzten Finale werden die Schwächen des Thrillers offensichtlich, weil die überraschenden Wendungen wenig glaubwürdig wirken. 
Leseprobe James Patterson - "Ave Maria"

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 6) „Im Schatten der Mangroven“

Montag, 23. April 2018

(Pendragon, 542 S., Pb.)
Hollywood-Produzent Mike Goldberg produziert in New Iberia mit Star-Schauspieler Elrod Sykes einen Film und lässt die Geschäftsleute in der Gegend von einem Geldregen träumen. Dass auch der berüchtigte Mafioso Julie Balboni dabei seine Finger im Spiel hat, stört zunächst niemanden, doch dann muss Dave Robicheaux den Mord an der 19-jährigen Prostituierten Cherry LeBlanc aufklären, die offensichtlich zu einem ihr bekannten Mann ins Auto gestiegen ist und deren fürchterlich zugerichteter Körper im Wald aufgefunden ist. Von Balbonis Handlanger Cholo Manelli erfährt der Vietnam-Veteran, dass dieser sich mit Balboni über den Tod des Mädchens unterhalten hatte, während dieser behauptete, nichts darüber gehört oder gelesen zu haben.
Während seiner Ermittlungen wird Robicheaux aber auch noch an ein Erlebnis von vor 35 Jahren erinnert, als er in den Atchafalaya-Sümpfen Zeuge eines kaltblütigen Mordes an einem Schwarzen gewesen war. Allerdings konnte die Leiche nie gefunden, der Täter nicht gefasst werden. Ausgerechnet der alkoholsüchtige Sykes behauptet nun, die Überreste der Leiche entdeckt zu haben. Während Robicheaux einmal mehr mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert wird, legt er sich mit einigen mächtigen Männern in Iberia Parish an und gerät so selbst ins Visier eines raffinierten Killers, der keine Skrupel hat, auch unbeteiligte Menschen zu opfern …
„Meine Erfahrungen mit Mitgliedern der Mafia und Soziopathen im Allgemeinen zeigten, dass sie ganz selbstverständlich und ohne Weiteres lügen. Sie lügen so überzeugend, weil sie es oft tun, auch wenn keinerlei Bedarf dazu besteht. Man könnte jetzt tief in die Kiste der forensischen Psychologie greifen, um zumindest ansatzweise zu verstehen, wie die Gedankenprozesse solcher Menschen ablaufen, aber genauso gut könnte man seinen Kopf in den Mikrowellenherd stecken, um tiefere Erkenntnisse über die Elektrizität zu gewinnen.“ (S. 58) 
In schöner Regelmäßigkeit beglückt uns der Bielefelder Pendragon-Verlag seit Jahren mit Neuauflagen und Erstausgaben der zurecht gefeierten Krimi-Serie um den charismatischen Südstaaten-Cop Dave Robicheaux, der nach seiner Rückkehr aus Vietnam dem Alkohol verfallen war und noch immer Probleme hat, sein Temperament zu zügeln, wenn er der Ungerechtigkeit und Gewalt in seiner Welt ohnmächtig gegenübersteht. Doch da er das Herz am rechten Fleck trägt und einen wunderbaren Ehemann für seine Jugendliebe Bootsie und Adoptivvater für Alafair abgibt, kann man dem Staatsdiener kaum böse sein. Auch in seinem sechsten Fall, der 2009 von Bertrand Tavernier mit Tommy Lee Jones und John Goodman unter dem Titel „In The Electric Mist – Mord in Louisiana“ verfilmt worden ist, schlägt Robicheaux immer wieder mal über die Stränge, schließlich entwickelt sich Julie Balboni, mit dem er aufgewachsen ist, mit seiner Filmproduktion zu einer echten Plage. Burke gelingt es meisterhaft, die komplexen Beziehungsgeflechte zwischen den Protagonisten seines Romans auf höchst stimmungsvolle Weise nachzuzeichnen, den Rassismus und das organisierte Verbrechen, Hollywood und das große Geld, Prostitution und Korruption in einen Plot zu gießen, in dem auch die FBI-Agentin Rosa Gomez eine wichtige Rolle spielt. Zusammen mit den unnachahmlichen Landschaftsbeschreibungen und dem trockenen Humor bietet „Im Schatten der Mangroven“ abgründige Krimi-Unterhaltung vom Feinsten.

Andrea De Carlo – „Macno“

Sonntag, 22. April 2018

(Diogenes, 280 S., HC)
Gerade als Macno, charismatischer Diktator eines fiktiven südamerikanischen Staates, eine weitere Version der Rede zum Dritten Jahrestag aufgenommen hat, die in einigen Wochen ausgestrahlt werden soll, nehmen die Palastwachen zwei Eindringlinge fest, die zunächst für Terroristen gehalten werden. Doch die aus München stammende, nun in New York lebende Journalistin Liza Förster und Kameramann Ted Wesley wollen nur ein Interview mit dem Präsidenten, das ihnen Macno überraschenderweise auch gewähren will. Doch einen Termin zu finden, erweist sich als äußerst schwierig.
Macno lädt die beiden Journalisten ein, in seinem Palast zu wohnen. Während sich Liza und Macno vor allem persönlich näherkommen, rückt das angestrebte Interview zunehmend in die Ferne. Stattdessen unterhält sie sich mit dem Botaniker und Schriftsteller Henry Dunnell und Macnos rechter Hand, Ottavio Larici, der offensichtlich eigene Pläne mit Liza verfolgt. Er zeigt ihr alte Videos von Macnos legendär gewordener Talk-Show „Kollisionen“, in denen er vom abgesprochenen Konzept vorher abgesprochener Fragen abwich und so dem damaligen Ministerpräsidenten vom Thron stürzte.
Doch die populistische Kritik an Korruption und Unehrlichkeit der politischen Elite scheint Macno keine lange eigene politische Karriere zu bescheren. An eigenen konkreten Ideen und Konzepten zur Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas hat es ihm schon immer gemangelt, aber nun scheint ihm auch sein medienwirksames Charisma verloren zu gehen …
„Ottavio sagt: ‚Macno war nie ein Politiker. Er hatte weder ein politisches Programm noch ein politisches Bezugssystem, noch die Fähigkeit zur politischen Analyse – so unglaublich es klingen mag. Ihn interessierte die Welt und das Leben, wie er selbst sagte. Er hatte diese utopische und wenn du willst kindliche Vision, wie die Dinge sein könnten, wie schön das Leben sein könnte, wenn wir alle anders wären und die Umwelt anders wäre, die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Rollen und so weiter.“ (S. 224) 
Mit seinem dritten Roman nach „cream train“ und „Vögel in Käfigen und Volieren“ kreierte der Mailänder Schriftsteller Andrea De Carlo eine Mediensatire, die über dreißig Jahre danach leider nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Dabei vermeidet De Carlo konkrete Hinweise auf den politischen Führungsstil seines fiktiven Diktators. Vielmehr geht es dem Autor darum, die Scheinheiligkeit politischer Führer und Parteien zu entblößen, die kollektive Heuchelei, das strikte Verfolgen eigener Interessen, während die Menschen im Land Opfer von Plünderungen, Gewalt und Betrug wurden.
Der Plot beschränkt sich dabei fast nur auf den einen Monat, den Liza und Ted im präsidialen Palast verbringen, ohne ihrem Interview näher zu kommen, was die Ohnmacht der Medien in quasi diktatorisch geführten Staaten veranschaulicht. Letztlich gelingt es Liza nicht, ein persönliches Portrait von Macno zu zeichnen. De Carlo überzeichnet das Leben in Macnos Palast auf fast comichafte Weise, wenn Macno von all den berühmten Künstlern, Schauspielern und Prominenten, die sich auf den Festen und Empfängen vergnügen, nur angewidert ist, doch einen Ausweg bietet der Autor auch nicht an. Ähnlich wie sein titelgebender Protagonist beschränkt sich De Carlo auf die wenig schmeichelhafte Beschreibung des Ist-Zustandes und sorgt mit der eingestreuten Affäre für noch mehr triviale Ablenkung, als es Macno und sein Gefolge im Palast für die Massen besorgen.

Douglas Coupland – „Spieler Eins. Roman in 5 Stunden“

Samstag, 21. April 2018

(Tropen, 246 S., HC)
Die fast vierzigjährige Karen fliegt nach Toronto, um sich in der Cocktail-Lounge des Camelot-Hotels am Flughafen mit ihrem Blinddate Warren zu treffen. Dort wartet der als Barkeeper arbeitende trockene Alkoholiker Rick darauf, den Motivations-Guru Leslie Freemont zu treffen, ihm achttausendfünfhundert Dollar in bar in die Hand zu drücken, damit der 37-jährige, etwas niedergeschlagene Rick an dessen Power Dynamics Seminar teilnehmen kann. Luke wiederum, Pfarrer der Kirche des Neuen Glaubens, brütet bei einigen Whiskeys über seine Zukunft nach, nachdem er mit den 20.000 Dollar aus der Spendenkasse seiner Kirche das Weite gesucht hat.
Die autistische Rachel leidet darunter, dass sie zu keinen menschlichen Regungen fähig ist, keine Kunst und keinen Humor versteht. Sie ist auf der Suche nach einem Mann, der sie schwängert, weil sie hofft, als Mutter von ihrem Vater als vollwertiger Mensch akzeptiert zu werden.
Doch dann wird Karens Blinddate Warren vor der Bar von einem religiös motivierten Heckenschützen getötet, dann sorgt eine Giftgaswolke für Katastrophenstimmung, und ausgerechnet der Todesschütze Bertis verlangt Einlass in die nun hermetisch abgeriegelte Bar, in der die Besucher auf dem Fernsehbildschirm beobachten, wie der Ölpreis in die Höhe schnellt. Eingeschlossen in einer Bar, in der eigentlich niemand mehr sein möchte, beginnen Karen, Rachel, Luke, Rick und Bertis Allianzen zu schmieden und über den Sinn des Lebens zu philosophieren. So kommt der ehemaliger Pfarrer Luke zum Schluss:
„,Mit zwanzig weiß man, dass kein Rockstar mehr aus einem wird. Mit fünfundzwanzig weiß man, dass man es weder zum Zahnarzt noch zu sonst etwas Anständigem bringen wird. Und mit dreißig beginnt sich die Dunkelheit auf einen herabzusenken – man fragt sich, ob einem je ein erfülltes Leben beschieden sein wird, von Wohlstand und Erfolg ganz zu schweigen. Mit fünfunddreißig weiß man im Grunde, was man für den Rest des Lebens zu erwarten hat, und ergibt sich in sein Schicksal.“ (S. 105f.) 
Gleich mit seinem Romandebüt „Generation X“ avancierte Douglas Coupland Anfang der 1990er Jahre zum Sprachrohr für eine ganze Generation. In späteren Werken wie „Shampoo Planet“ und „Generation A“ hat es der kanadische Autor und Künstler immer wieder verstanden, das Lebensgefühl spezifischer Bevölkerungsgruppen und Generationen einzufangen, wobei er immer wieder religiöse, sexuelle, popkulturelle und virtuelle Thematiken verarbeitet.
In seinem 2010 veröffentlichten und zwei Jahre später bei Tropen/Klett-Cotta in deutscher Sprache erschienenen Roman „Spieler Eins. Roman in 5 Stunden“ entwirft Coupland einmal mehr ein postapokalyptisches Szenario, dessen Handlung einen recht überschaubaren Rahmen von fünf Stunden abdeckt und an sich wenig spektakulär erscheint.
Viel spannender als der für das Genre eher konventionelle Plot sind die ganz unterschiedlichen Figuren, die der Autor in einer Flughafenbar aufeinandertreffen lässt und ihnen eine je eigene Stimme verleiht – ergänzt durch Rachels Avatar „Spieler Eins“, der einen Blick auf die zukünftigen Ereignisse wirft und sie im weiteren Verlauf in einen Zusammenhang bringt.
Die Gespräche, die vor allem die autistische Rachel mit Fragen in Gang bringt, die sie auf ihrem Kompetenz-Seminar erlernt hat, geht die bunt zusammengewürfelte Truppe der Bedeutung des Lebens auf den Grund, wobei vor allem diskutiert wird, welche Rolle Gott darin spielt. Dabei gelingen Coupland immer wieder bemerkenswerte Aussagen, die den Leser mehr als nur inspirieren, sein eigenes Leben und das, was er daraus macht, zu reflektieren.
Leseprobe Douglas Coupland - "Spieler Eins"

John Grisham – „Forderung“

Montag, 16. April 2018

(Heyne, 431 S., HC)
Als Mark Frazier seine Mutter und seinen unter Hausarrest stehenden Bruder Louie besucht, um Ferien von seinem Jurastudium an der Foggy Bottom Law School in Washington, D.C., zu machen, das er im Mai abschließen würde, bereiten ihm vor allem die horrenden Schulden aus dem Studienkredit Sorgen. Seine Aufnahmeprüfung bestand er gerade eben, aber die Zentralbank ging sehr freizügig mit ihren Darlehen an Studenten um, und wenn er wie geplant einen guten Job nach dem Studium bekommt, wird er das Darlehen innerhalb weniger zurückzahlen können.
Doch wie sich während des Studiums herausstellen sollte, ist die Ausbildung an der Foggy Bottom so schlecht, dass deren Absolventen erschreckend oft bei der Zulassungsprüfung der Anwaltskammer durchfallen. Die Jobaussichten für Mark und seine Freunde Todd, Zola und Gordy sind alles andere als rosig. Der bipolare Gordy macht seine Freunde auf die faulen Machenschaften der Swift Bank aufmerksam, die einen Haufen Geld ins Marketing steckt, um sich nach außen hin als Vertrauensbank des kleinen Mannes zu präsentieren, dem sie dann versteckte Gebühren abrechnet. Als den verzweifelten Jura-Studenten klar wird, dass sie ihre jeweils um die zweihunderttausend Dollar Schulden nie werden zurückzahlen können, hängen sie ihr Studium an den Nagel, geben sich unter falschen Namen als Rechtsanwälte aus und machen sich in den Gerichten auf die Jagd nach Mandanten, von denen sie sich bar bezahlen lassen.
„Dass Zola lügen musste, bereitete ihr immer noch Probleme, aber inzwischen gehörte es fast zu ihrem Leben dazu. So gut wie alles, was sie tat, war eine Lüge: der falsche Name, die falsche Kanzlei, die falschen Visitenkarten und die falsche Persönlichkeit einer mitfühlenden Anwältin, die Jagd auf bedauernswerte Unfallopfer machte. So konnte sie nicht weitermachen. Wäre ihr Leben schlimmer, wenn sie jetzt immer noch studieren und versuchen würde, einen richtigen Job zu finden, und sich Sorgen wegen der Zulassungsprüfung und ihres Kredits machen müsste?
Ja, wäre es.“ (S. 232f.) 
Doch natürlich dauert es nicht lange, bis der Schwindel auffliegt und die Freunde untertauchen müssen. Sie setzen schließlich alles auf eine Karte und initiieren einen noch riskanteren Plan …
In seiner langjährigen Karriere als Bestseller-Autor von Justizthrillern hat sich John Grisham immer wieder des kleinen Mannes und außergewöhnlicher juristischer Themen angenommen. Für seinen neuen Roman wurde er durch Paul Campos‘ Artikel „The Law-School Scam“ in der „The Atlantic“-September-Ausgabe 2014 inspiriert. Mit „Forderung“ ist Grisham einmal mehr ein überaus flotter Pageturner gelungen, der gerade mal einen Zeitraum von etwas mehr als einer Woche abdeckt, mit einem sehr überschaubaren Figurenarsenal auskommt, dafür aber viel Raum für die Beschreibung der nicht illegalen, aber durchaus unlauteren Machenschaften der privaten Jura-Hochschulen einräumt, die sich durch die leicht erhältlichen Studienkredite eine goldene Nase verdienen.
Der Plot weist aber ein so unglaublich hohes Tempo auf, dass einmal mehr die Charakterisierung der Figuren auf der Strecke bleibt und die Glaubwürdigkeit der Täuschungsmanöver leidet. Davon abgesehen bietet „Forderung“ aber einfach rasante Thriller-Unterhaltung mit recht erfrischenden humoristischen Einlagen.
Leseprobe John Grisham - "Forderung"

„Lexikon des internationalen Films 2017“

Sonntag, 15. April 2018

(Schüren, 560 S., Pb.)
Auch wenn die Digitalisierung in immer weitere gesellschaftliche Bereiche vordringt und auch – man denke nur an die wachsenden Streaming-Angebote von Netflix, Amazon & Co. - die Art der Filmrezeption verändert, hat sich die Situation des Kinos nachhaltig stabilisiert, was sowohl die Zahl der Kinos (mit dem höchsten Stand seit zehn Jahren und die Anzahl der Besucher (bei über 122 Millionen mit einem leichten Plus gegenüber dem Vorjahr) betrifft.
Erfreulich bleibt für lesefreundliche Cineasten die Tatsache, dass das „Lexikon des internationalen Films“ weiterhin als Printausgabe erhältlich ist, während der Herausgeber des Jahrbuchs, die Katholische Filmkommission, den Filmdienst Ende des Jahres 2017 als Printpublikation eingestellt hat und nun als Online-Magazin filmdienst.de weiterführt.
Wie gewohnt vereint das „Lexikon des internationalen Films“ auch in diesem Jahr nicht nur in Kurzkritiken alle Filme, die 2017 im Kino, Fernsehen oder auf DVD/Blu-ray zu sehen waren – immerhin mehr als 2000 Titel -, sondern blickt in einer monatlich eingeteilten Chronik auf das vergangene Filmjahr zurück, in dem vor allem die durch die sexuellen Übergriffe von Harvey Weinstein in Gang gesetzte #MeeToo-Bewegung ein Umdenken in Hollywood initiiert hat. Darüber hinaus werden verstorbene Filmschaffende und besondere europäische Filme gewürdigt.
Überhaupt bildet der europäische Film den thematischen Schwerpunkt in diesem Jahr: Während der „Brexit“ die EU erschüttert und gerade in Osteuropa der Nationalismus auf dem Vormarsch ist, kommt gerade dem europäischen Kino die bedeutende Rolle zu, Geschichten von der Gemeinsamkeit der Völker zu erzählen, ohne ihre spezifischen Eigenheiten und Mentalitäten zu nivellieren.
„Kein touristischer oder folkloristischer Blick im Spiel- und Dokumentarfilm bringt uns Europa näher, sondern nur ein wahrhaftiger und authentischer. Ein solcher Blick darf auch die negativen Seiten nicht aussparen und soll vermitteln, wie die Menschen vor Ort mit Krisen und Konflikten umgehen, wie sie auf ihre Umwelt reagieren. Der Vielfalt der europäischen Kultur lässt sich dann am besten gerecht werden, wenn sie durch die Vielfalt an Meinungen und Perspektiven ergänzt wird.“ (S. 63) 
Die Redaktion des Filmdienstes hat in diesem Zusammenhang nicht nur 60 herausragende europäische Filme zusammengestellt, sondern würdigt in Hommagen den Filmemachern François Ozon („Frantz“), Pedro Almodóvar („Alles über meine Mutter“, „Fliegende Liebende“), Jean-Pierre und Luc Dardenne („Das Versprechen“, „Rosetta“), Lars von Trier („Dogville“, „Melancholia“) und Michael Haneke („Das weiße Band“, „Liebe“).
Das nach wie vor einzigartige, von Horst Peter Knoll und Jörg Gerle redaktionell bearbeitete Nachschlagewerk wird durch den Kinotipp der katholischen Filmkritik, die besten Kinofilme des Jahres 2017, die herausragenden DVD- und Blu-ray-Editionen und eine Übersicht über die wichtigsten Filmpreise abgerundet. Filmfreunde werden so mit Sicherheit noch auf etliche sehenswerte Filme stoßen, die in dem dem spannenden Kinojahr 2017 bislang an ihnen vorbeigegangen sind.

Katrine Engberg – „Krokodilwächter“

Freitag, 13. April 2018

(Diogenes, 506 S., HC)
Als sich Gregers Hermansen über die geöffnete Wohnungstür der beiden Studentinnen im 1. Stock des Miethauses der pensionierten Lehrerin Esther de Laurenti bemerkt, will er nach dem Rechten sehen und entdeckt eine schrecklich zugerichtete weibliche Leiche, die später als eine der Studentinnen, Julie Stender, identifiziert wird.
Während Gregers mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert wird, übernimmt das Ermittlerduo Jeppe Kørner und Anette Werner von der Mordkommission in Kopenhagen den Fall und stößt bald auf eine interessante Tatsache: Die Vermieterin Esther de Laurenti hat den Mord nahezu identisch in einem Krimi-Manuskript beschrieben, das sie in einer Online-Schreibgruppe mit Anna Harlov und dem bekannten Künstler Erik Kingo geteilt hat.
Bei ihren Ermittlungen stoßen der unter der Trennung von seiner Frau leidende Jeppe und seine besonnene Kollegin auf ein reges Sexualleben der Toten, die von ihrem Vater abgöttisch geliebt wurde und bereits eine Schwangerschaft hinter sich hatte, die offenbar aus einer Affäre mit ihrem damaligen Lehrer hervorgegangen war. Als dann auch noch Julies jugendlicher Freund Kristoffer tot aufgefunden wird, haben die Ermittler alle Mühe, Verbindungen zwischen den beiden Morden herzustellen und ein Motiv für die Taten zu entdecken.
Die alkoholsüchtige Esther beschließt, über Google Docs Kontakt mit dem Mörder aufzunehmen, der offensichtlich Zugriff auf ihr Manuskript hat.
„Worum ging es hier? Könnte jemand auf die Idee kommen, Menschen zu ermorden, weil er der Ansicht war, dass sie ein schlechtes Buch geschrieben hatte? Es war ja nicht einmal fertig, geschweige denn veröffentlicht!
Was willst du, schrieb sie und löschte es sofort wieder. Mitten in einem Mordfall kann man einem Verrückten nicht so einfach schreiben. Wenn aber der Verrückte als Erster schreibt? Wäre es dann nicht dumm, nicht zu antworten?“ (S. 292f.) 
Mit ihrem Krimidebüt „Krokodilwächter“ stürmte die aus Kopenhagen stammende Autorin, Tänzerin, Choreographin und Regisseurin Katrine Engberg gleich an die Spitze der dänischen Bestseller-Liste. Dabei wirkt der Mord nach einer literarischen Vorlage zunächst nicht besonders originell. Der Täterkreis scheint durch die begrenzte Bekanntheit des dem Mord zugrundeliegenden Manuskripts zwar sehr beschränkt zu sein, aber Engberg legt immer weitere Spuren, die vor allem auf das rege Sexualleben und die Verwicklungen zwischen ihren Liebhabern zurückgehen. Die Autorin geht mit Charakterisierungen eher sparsam um. Den beiden Ermittlern wird dabei die gleiche Aufmerksamkeit zuteil wie den Opfern, Zeugen und Verdächtigen.
Während Jeppe Kørner wegen der Trennung von seiner Frau Therese, die mit ihrem neuen Lebensgefährten Niels ihr Glück gefunden zu haben scheint, unter psychosomatischen Rückenschmerzen leidet und sich freut, durch eine Affäre mit einer verheirateten Frau wieder etwas Pepp in sein Sexleben zu bringen, wird Anette Werner nur als ausgeglichene Ehefrau und Ermittlerin beschrieben, die vielleicht ein paar Pfunde zu viel mit sich herumträgt.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit dieses Duo in den Folgebänden an Konturen gewinnt. Engberg konzentriert sich stattdessen ganz auf die schnörkellos geschilderte Ermittlungsarbeit und dabei vor allem auf die etwas verworrenen Beziehungen, die erst nach und nach das Mordmotiv offenbaren. Bis dahin bekommt es der Leser mit einem eher durchschnittlich spannenden, arg konstruierten Plot zu tun, der wenig Originelles zu bieten hat. Bei dem verwöhnten deutschen Krimi-Publikum wird es „Krokodilwächter“ nicht leicht haben, sich durchzusetzen. 
Leseprobe Katrine Engberg - "Krokodilwächter"

Donal Ryan – „Die Lieben der Melody Shee“

Sonntag, 8. April 2018

(Diogenes, 296 S., HC)
Die dreiunddreißigjährige Melody Shee trägt sich mit dem Gedanken, sich und ihr noch ungeborenes Kind umzubringen. Die Ehe mit ihrem Highschool-Schwarm Pat liegt in Trümmern, nachdem sich ihr Mann nach zwei Fehlgeburten heimlich sterilisieren lassen und seine Bedürfnisse nicht mehr im Ehebett, sondern bei Prostituierten befriedigt hat.
Melody, die ihren Traum von einer Karriere als Journalistin an den Nagel hängen musste und stattdessen als Nachhilfelehrerin arbeitet, rächt sich, indem sie einen ihrer Schüler, den siebzehnjährigen Traveller Martin Toppy, verführt und schwanger wird.
Sie hadert mit ihrem Schicksal, will wieder in ihr Elternhaus zu ihrem Vater ziehen, der sie beschwichtigt, dass alles gut wird. Tatsächlich freundet sich Melody allmählich mit dem Gedanken an, ihr Baby zur Welt zu bringen. Und dann lernt sie die neunzehnjährige Mary Crothery kennen, die sich selbst als eine „Schande für die Familie“ bezeichnet, die ihrem Mann keine Kinder schenken konnte und ihre einst beste Freundin Breedie in den Selbstmord getrieben hat.
Melody ist hin- und hergerissen, wie sie mit ihren Sünden, die sie in ihrer erzkatholischen Heimat begangen hat, umgehen soll, wie sie sich ihrem eigenen Kind und vor allem Pat gegenüber verhalten soll, und trifft eine außergewöhnliche Entscheidung.
„Pat hatte Sex mit Prostituierten: Das ist Fakt. Ich hatte Sex mit einem Jugendlichen, einem Schutzbefohlenen: Auch das ist Fakt. Welche Worte hätten etwas an der Tatsache ändern sollen, dass wir zu solchen Dingen fähig wären? Menschen tun einander Schlimmeres an, aber viel schlimmer wird es nicht. Wir haben Greueltaten begangen. In unserem Einfamilienhaus hat ein Holocaust stattgefunden, eine Auslöschung der Liebe.“ (S. 125) 
Der irische Schriftsteller Donal Ryan wurde für seinen Roman „Die Gesichter der Wahrheit“ mit dem Irish Book Award, dem Guardian First Book Award und dem European Union Prize for Literature ausgezeichnet. Wie in seinem Debüt „Die Sache mit dem Dezember“ und seinem preisgekrönten Zweitwerk erweist sich Ryan auch in „Die Lieben der Melody Shee“ als feinfühliger Beobachter menschlicher Befindlichkeiten. Im Gegensatz zu „Die Gesichter der Wahrheit“, wo der Autor eine ganze Reihe von Ich-Erzählern aufgefahren hat, die von ihren durch die Finanzkrise geprägten Schicksalen berichten, konzentriert sich Ryan in seinem neuen Roman auf zwei Frauengestalten, die ihre Vorstellung vom Liebesglück nicht realisieren konnten und als Konsequenz für ihr moralisch verwerfliches Verhalten von der Gesellschaft ausgestoßen worden sind.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht zwar die titelgebende Melodie Shee, aber das Schicksal ihrer Schülerin Mary wird immer enger mit ihrem eigenen verbunden. Ryan bedient sich der einfachen Sprache seiner Protagonisten und entwirft so ein stimmiges Portrait verzweifelter Frauen, die an den gesellschaftlichen Normen zugrunde zu gehen drohen, aber am Ende stark genug sind, mit den Entscheidungen, die sie treffen mussten, leben zu können.
Geschickt verwebt der Autor dabei ebenso Vergangenheit und Gegenwart wie die Schicksale seiner Figuren, die er weder verurteilt noch mit Mitleid überhäuft. Stattdessen bewegt er sich sehr subtil und einfühlsam zwischen all den verwirrenden Gefühlsregungen von Liebe, Trauer, Leidenschaft, Verrat, Verlust und Enttäuschung. 
Leseprobe Donal Ryan - "Die Lieben der Melody Shee"

Steve Hamilton – (Nick Mason: 2) „Drei Zeugen zu viel“

Montag, 2. April 2018

(Droemer, 334 S., Pb.)
Seit sein Zellenblock-Gefährte, der einflussreiche Chicagoer Gangster Darius Cole, seine Beziehungen hat spielen lassen, dass der für 25 Jahre verknackten Nick Mason nach bereits fünf Jahren wieder auf freien Fuß kommt, muss Nick ihm für die geschenkten 20 Jahre als Auftragskiller dienen. Als Cole alles daransetzt, ein Wiederaufnahmeverfahren in Gang zu setzen, setzt er Nick darauf an, zunächst die beiden im Zeugenschutzprogramm untergebrachten Kronzeugen, Coles ehemaligen Buchhalter Ken McLaren und Isaiah Wallace, auszuschalten.
Doch damit ist Nicks Auftrag noch längst nicht beendet, denn die schwierigste Aufgabe wartet noch auf ihn: Nicks Vorgänger Sean Burke räumt sich nämlich den Weg aus der Schutzhaft frei und macht Jagd auf Mason. Der macht sich weniger Sorgen um sein eigenes Leben oder Detective Sandoval, der ihm seit seiner vorzeitigen Entlassung an den Fersen klebt, sondern vor allem um das seiner Ex-Frau Gina und ihrer gemeinsamen Tochter Adriana, die Cole zu töten droht, sollte Nick die geforderten Gefälligkeiten nicht erledigen.
Aber auch Nicks Mitbewohnerin im schicken Townhouse in Lincoln Park West, Coles Geliebte Diana Rivelli, der Nick näherkommt, fürchtet um ihr Leben, als Coles Plan aufzugehen scheint, wegen einer juristischen Spitzfindigkeit aus dem Gefängnis zu kommen, was auch die resolute Staatsanwältin Rachel Greenwood nicht zu verhindern vermag.
Um die Menschen zu schützen, die ihm am Herzen liegen, entwickelt Nick zwei äußerst riskante Pläne, bei der ausgerechnet sein Kontrahent Burke eine wichtige Rolle spielt.
„Und auch wenn er mit Burke eine Abmachung getroffen hatte, konnte er nicht anders, als sich den Kopf seiner Tochter im Fadenkreuz eines Snipergewehrs irgendwo unten auf der Straße vorzustellen. Du hast einen Handel mit einem Irren geschlossen, dachte er. Du setzt alles aufs Spiel, was du hast, alles, was dir je etwas bedeutet hat.“ (S. 276f.) 
Während Steve Hamilton sich in der englischsprachigen Krimiwelt bereits als erfolgreicher Autor der Alex-McKnight-Reihe etabliert und u.a. mit dem renommierten Edgar Award ausgezeichnet worden ist, wird er hierzulande erst langsam durch die bei Droemer erscheinende Nick-Mason-Reihe bekannt. „Drei Zeugen zu viel“ setzt nahtlos an den kurzweiligen Spannungs-Trip des Debüts „Das zweite Leben des Nick Mason“ an und konfrontiert den Auftragskiller wider Willen erneut mit kniffligen Herausforderungen, denn bekanntermaßen hat das Zeugenschutzprogramm WITSEC bislang noch keinen seiner Mandanten verloren, die sich an die Regeln gehalten haben.
Dass Nick das Herz am rechten Fleck hat, beweist er schon dadurch, dass er niemanden tötet, den er nicht kaltstellen muss, aber auch seine Fürsorge für seine Familie, Freunde und nicht zuletzt Diana wird überzeugend dargestellt. Steve Hamilton konzentriert sich allerdings weniger auf die psychischen Befindlichkeiten seiner Figuren, sondern ganz auf den vertrackten, extrem spannend konstruierten Plot. Wie sein Nick Mason nicht nur seine komplexen Aufträge erledigt, sondern sich selbst immer wieder aus der Schusslinie bringen und Fluchtpläne schmieden muss, ist dramaturgisch so geschickt gestrickt, dass „Drei Zeugen zu viel“ atemloses Lesevergnügen verspricht und dazu mit einem Paukenschlag endet, der neugierig auf die weiteren Bände einer außergewöhnlichen Reihe macht.