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Jo Nesbø – (Harry Hole: 1) – „Der Fledermausmann“

Dienstag, 17. Januar 2023

(Ullstein, 416 S., Tb.) 
Der 1960 in Oslo geborene Jo Nesbø hatte bereits eine Karriere als Makler, Journalist und Sänger/Komponist der Pop-Band Di Derre hinter sich, als er 1997 seinen ersten Roman und damit den Start einer bis heute erfolgreichen Krimi-Reihe um den alkoholkranken Polizisten Harry Hole vorlegte. Der von ihm durch übermäßigen Alkoholkonsum verursachte Autounfall, bei dem sein Kollege auf dem Beifahrersitz getötet und ein junger Mann ab dem Hals abwärts gelähmt wurde, verfolgt Harry Hole bis heute. Statt ihn zu suspendieren, haben seine Vorgesetzten den Vorfall jedoch unter den Teppich gekehrt, indem sie den getöteten Beifahrer zum Fahrer erklärten, so dass Hole nach außen hin unbeschadet aus der Sache herauskam. 
Nun wird er nach Sydney geschickt, um bei den Ermittlungen zum Mord an der 23-jährigen norwegischen Staatsbürgerin Inger Holter zu assistieren, die nahezu nackt in der Nähe eines Parks aufgefunden wurde, nachdem man sie vergewaltigt und dann erwürgt hatte. Er wird dem Aborigine Andrew Kensington zugeteilt, mit dem er zunächst die Bar „The Albury“ aufsucht, in der das Mordopfer gearbeitet hatte. 
Offenbar hat Ingers Chef wohl vergeblich versucht, bei ihr zu landen. In einem Brief, die sie einer gewissen Elisabeth schreiben wollte, den man in ihrer Wohnung sichergestellt hat, schwärmt sie von einem 32-jährigen Evans und von der Möglichkeit, in einer norwegischen Serie mitzuspielen. Schließlich nimmt Kensington seinen norwegischen Partner mit in den Zirkus, wo ein Gerichtsprozess präsentiert wird, bei der ein Clown, der Ludwig XVI. darstellen soll, zum Tode verurteilt und durch eine Guillotine enthauptet wird. 
So lernt Hole, der in Australien Holy genannt wird, den homosexuellen Clown-Darsteller Otto Rechtnagel, dann den Aborigine Toowoomba kennen, der für Andrew fast wie ein Sohn ist. Doch als Hole allmählich einen Überblick über die Lebensumstände sowohl des Mordopfers als auch seines australischen Partners zu bekommen beginnt, werden weitere blonde Frauen aufgefunden, die auf eine ähnliche Weise zu Tode gekommen sind wie Inger Holter. 
Tatsächlich werden drei weitere Vergewaltigungen in unterschiedlichen Teilen des Landes in weniger als zwei Monaten entdeckt, bei denen die Opfer blond waren und gewürgt wurden, die aber nie den Täter beschreiben konnten. Um den möglichen Serienmörder zu fassen, scheut Hole nicht davor zurück, seine blonde Freundin Birgitta als Lockvogel einzusetzen… 
„Vorsichtig versuchte er, seine eigenen Gefühle auszuloten. Vorsichtig, weil er sich nicht erlauben konnte, sich ihnen hinzugeben. Noch nicht, jetzt noch nicht. Zuerst die guten Gefühle. Nur ganz wenig. Er wusste nicht, ob sie ihn stärker oder schwächer machen würden. Birgittas Gesicht zwischen seinen Händen, die Reste eines Lachens, das noch in ihren Augen lag. Dann die schlechten Gefühle. Sie waren es, die er noch für eine Weile aus seinem Leben verdammen musste, aber er versuchte, ihnen nachzuspüren, wie um sich einen Eindruck von ihrer Kraft zu verschaffen.“ 
Jo Nesbø findet einen ungewöhnlichen Weg, seinen Protagonisten Harry Hole einzuführen, nämlich fern seiner norwegischen Heimat. In der australischen Metropole Sydney ist er von Polizeichef Neil McCormack eigentlich zum Zuschauen verdammt, während sein ihm zugeteilter ortsansässiger Kollege Andrew Kensington ihn souverän mit den scheinbar richtigen Leuten aus dem Umfeld der ermordeten norwegischen jungen Frau bekannt macht. Dabei nutzt Nesbø die ausführlichen Gespräche zwischen Hole und dem Aborigine, um sowohl den Hintergrund des alkoholkranken Norwegers einzuführen als auch eine Geschichtslektion über das Verhältnis zwischen der australischen Ureinwohner und ihrer englischen Besatzer zu erteilen. 
Man merkt, dass Nesbø seine Hausaufgaben gemacht hat und sich bemüht, seine Figuren sorgfältig einzuführen, ohne zu viel preiszugeben. Für das Verständnis von Holes Charakter scheint hier der tragische, von ihm verursachte Autounfall und seine Jugendliebe Kristin von Bedeutung zu sein, für Kensington die Art und Weise, wie er sich als Aborigine einen Platz in der weißen Gesellschaft erkämpft hat. 
Die Ermittlungsarbeit droht dabei schon fast zum Nebenschauplatz zu werden. Nesbø hat in seinem Romandebüt noch nicht das ideale Tempo gefunden, um die Dramaturgie der Geschichte stimmig voranzutreiben, aber ein vielversprechender Anfang ist auf jeden Fall gemacht.  

Jo Nesbø – (Harry Hole: 13) „Blutmond“

Sonntag, 27. November 2022

(Ullstein, 542 S., HC) 
Seit seinem Romandebüt „Der Fledermausmann“, das zugleich den Start der bis heute international erfolgreichen Reihe um den Osloer Kriminalkommissar Harry Hole bildete, ließ Jo Nesbø in der Regel jedes Jahr, spätestens alle zwei Jahre einen neuen Fall um den herausragenden Ermittler folgen, der als einziger norwegischer Polizist bislang das FBI-Programm zum Profiling von Serienmördern durchlaufen hat. Doch zwischen dem zehnten Band „Koma“ und dem elften Band „Durst“ lagen auf einmal vier Jahre, und auch der nun folgende Band „Blutmond“ ließ drei Jahre nach „Messer“ auf sich warten. Harry Hole mag zwar mittlerweile seiner Tätigkeit überdrüssig sein, der norwegische Schriftseller Jo Nesbø glücklicherweise nicht. Vor allem präsentiert sich der Bestseller-Autor mit „Blutmond“ nach wie vor auf dem Höhepunkt seines Schaffens. 
Nach dem Mord an seiner Frau Rakel hat Harry Hole sein altes Leben in Oslo hinter sich gelassen und säuft sich in Los Angeles langsam zu Tode. In seiner Stammkneipe „Creatures“ hat er die Gesellschaft der alternden Filmdiva Lucille schätzen gelernt, die ihr nicht vorhandenes Geld in Filmprojekte investiert, die mit einer großen Rolle für eine ältere Frau locken, aber stets zum Scheitern verurteilt sind. Das bringt sie in die prekäre Situation, einem Drogenkartell fast eine Million Dollar zu schulden. Als Lucille gekidnappt wird, bekommt Hole zehn Tage Zeit, das Geld aufzutreiben. 
Da passt es sich ganz gut, dass er von einem Privatdetektiv aufgespürt wird, der Hole darum bittet, mit dem Anwalt Johan Krohn in Oslo Kontakt aufzunehmen. Der vertritt den stadtbekannten Immobilienmakler Markus Røed, der als Hauptverdächtiger in den Mordfällen zweier Mädchen gilt, die zuletzt auf seiner Terrassen-Party gesehen wurden. 
Hole wird fürstlich dafür entlohnt, den Ruf seines Auftraggebers wiederherzustellen. Während die zuständige Kommissarin Katrine Bratt bei ihrer Chefin mit dem Ansinnen abblitzt, Hole in das Ermittlerteam zu holen, schart er mit dem korrupten Cop Truls, dem sterbenskranken Psychologen Aune und dem Kokain-dealenden Schulfreund Øystein ein unkonventionelles, aber durchaus effektives Team zusammen, das die Polizei zusehends in Bedrängnis bringt. Der Killer, der von seinem verhassten Stiefvater nur Prim genannt worden ist, fiebert derweil mit Spannung dem Blutmond entgegen, der die Kulisse für sein großes Finale bilden soll. Als die Speichelprobe auf einer der beiden Frauenleichen allerdings Røed zugeordnet werden kann, scheint der Fall gelöst, doch weder Hole noch Prim sind mit dieser Entwicklung wirklich zufrieden. 
„Auf jeden Fall wurde dieser Hole langsam, aber sicher zu einem Problem. Was hatte er auf der Bühne verloren, die dem Fall vorbehalten sein sollte, dem Geheimnis, seinem Geheimnis. Und Markus Røed, dem Privilegierten, der sich über dem Gesetz wähnte und jetzt zur Schadenfreude aller am Pranger stand.“ (S. 331)
Einmal mehr erweist sich Jo Nesbø als raffinierter Konstrukteur ungewöhnlicher Mordfälle. Zum Glück widmet er dem Alkoholismus seines Protagonisten aber nicht zu viel Raum, auch wenn der in Los Angeles verortete Auftakt in dieser Hinsicht Übles erahnen lässt. 
Auch wenn Harry Hole im Verlauf der schwierigen Ermittlungen natürlich immer wieder in Versuchung geführt wird, fokussiert sich der Autor auf die sehr verwickelten Mordfälle. Zwar wird schon zur Hälfte von „Blutmond“ das Motiv des Täters offenbart, aber zum Glück noch nicht seine Identität. 
Nesbø versteht es, die Spannung nicht nur auf kontinuierlich hohem Niveau zu bewahren, sondern die verwickelten Ermittlungen auch mit einigen interessanten persönlichen Dramen und Geschichten zu schmücken. Immer wieder wechselt Nesbø geschickt die Perspektive zwischen den Ermittlungen, dem mit ungewöhnlichen Methoden agierenden Killer, dem Boulevard-Journalisten Terry Våge, dem lange Zeit verdächtigen Immobilienmakler und der komplizierten Beziehung zwischen Hole und Katrine, die mit dem Kriminaltechniker und Holes besten Kumpel Bjørn bis zu dessen Tod verheiratet war. Unterhaltsame Exkurse zur Film- und Musikwelt runden den packenden Plot ebenso gelungen ab wie die wissenschaftlichen Ausführungen zur Nützlichkeit von Parasiten, denen in „Blutmond“ eine besondere Bedeutung zukommt. 
Nesbø versteht es nach wie vor, packende Geschichten mit interessanten Figuren zu erzählen, auch wenn einige Züge im Plot doch recht konstruiert wirken. Dem überzeugenden Gesamteindruck schadet das allerdings nicht. 

 

Jo Nesbø – (Harry Hole: 6) – „Der Erlöser“

Dienstag, 11. Januar 2022

(Ullstein, 508 S., HC) 
In seinem sechsten Fall ermittelt der Osloer Kriminalkommissar Harry Hole im Todesfall des Junkies Per Holmen. Der heroinabhängige Junge wurde in einem Container auf dem Hafengelände von Bjørvika erschossen aufgefunden, die Pistole neben sich. Doch so recht will sich der Alkoholiker Hole mit dem offensichtlichen Selbstmord nicht zufriedengeben, besucht das Café der Heilsarmee, in der sich Obdachlose und Abhängige immer mal wieder aufwärmen und kommt in Holmens Familie den wahren Umständen von Pers Tod auf den Grund. Währenddessen hat Harry Hole mit etlichen Veränderungen in seinem Leben zu kämpfen. 
Sein früherer Chef Bjarne Møller lässt sich auf eigenen Wunsch nach Bergen versetzen, um dort das Dezernat für Gewaltverbrechen zu leiten. Zum Abschied erhält Hole von ihm eine zu laut tickende Armbanduhr, die er eines Nachts frustriert aus dem Fenster wirft. Møllers Nachfolger Gunnar Hagen nervt Hole nicht nur mit seinen Erzählungen über die Tapferkeit japanischer Soldaten, sondern versucht Hole auch noch etwas Disziplin beizubringen. Während seine frühere Lebensgefährtin Rakel einen neuen Liebhaber hat, macht Hole allmählich wieder Bekanntschaft mit seinem vertrauten Feind Alkohol. Ebenso schwierig erweisen sich die Ermittlungen im Mordfall von Robert Karlsen, einem bekannten Soldaten der Heilsarmee, der während eines Konzerts mitten in der Vorweihnachtszeit auf Norwegens bekanntester Straße aus kürzester Distanz erschossen wurde. 
Anhand der Bilder, die das Dagbladet als Mitorganisator der Konzerte am Egertorg gemacht hat, fällt ein Mann mit einem auffälligen roten Schal auf, den die Polizei als den kroatischen Auftragsmörder Stankic identifiziert. Der wartet bereits am Flughafen auf den Rückflug nach Zagreb, doch spielt ihm das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Durch den zwangsläufig verlängerten Aufenthalt in Oslo erfährt Stankic, dass er den falschen Karlsen erschossen hat. Offensichtlich hatte Robert kurzfristig mit seinem Bruder Jon, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht, den Dienst getauscht. 
Während „der Erlöser“ seinen Irrtum korrigieren will, sterben weitere Menschen, so Jon Karlsens wohlhabende Geliebte Ragnhild und Holes junger Kollege Jack Halvorsen, der seinen Verletzungen nach einem Messerangriff im Krankenhaus erliegt. Hole reist auf eigene Faust nach Zagreb, um Stankics Auftraggeber zu ermitteln, und stellt fest, dass Jon Karlsen das eigentliche Opfer des Attentats werden sollte. Zurück in Oslo beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn Hole will auf jeden Fall verhindern, dass Stankic weitere Morde ausübt, doch dann läuft alles anders als geplant … 
„Er spürte einen Kloß im Hals, der immer dicker wurde, und dachte an etwas, das Møller bei ihrer letzten Begegnung hier oben gesagt hatte: Es sei verrückt, dass man vom Zentrum Norwegens zeitgrößter Stadt nur sechs Minuten mit der Seilbahn fahren musste und sich plötzlich in eienr Gegend befand, in der sich ein Mensch verlaufen und zu Tode kommen konnte. Dass man im Zentrum von etwas, das man selbst als Gerechtigkeit empfand, plötzlich jede Orientierung verlieren und zu etwas mutieren konnte, das man normalerweise selbst bekämpfte.“ (S. 507) 
Es geht hoch her in „Der Erlöser“, dem sechsten Band um den 1,93 Meter großen, alkoholkranken Kommissar Harry Hole. Mit dem einführenden Fall des toten Junkies in einem Container beweist Hole sich und den Lesern, dass er noch immer mit dem Gespür eines brillanten Ermittlers gesegnet ist. Dieses braucht er dann auch im aufsehenerregenden Mord an dem Heilsarmee-Soldaten Robert Karlsen. Je tiefer Hole und seine Kollegen in die Organisation der Heilsarmee bekommen, desto verworrener erscheinen auch die Beziehungen zwischen den Beteiligten. Affären, Korruption, Missgunst und Hass sind hier offenbar ebenso an der Tagesordnung wie in der regulären Welt. 
Tatsächlich entwickelt Nesbø hier seine größten Stärken, wenn er nach und nach dieses komplexe Geflecht entwirrt und dabei geschickt Stück für Stück elementare Ereignisse aus der Vergangenheit sowohl der beiden Karlsen-Brüder als auch deren gemeinsame Bekannte Martine freilegt, mit der Hole selbst gern etwas anfangen würde. Allerdings schleichen sich in dem 500-Seiten-Krimi auch so einige Längen ein, die der Autor durch unnötige Spielereien und kleine falsche Fährten einfügt. Dafür ist das furiose und temporeiche Finale dramaturgisch erstklassig inszeniert und bekommt am Ende für Hole auch noch eine sehr persönliche, überraschende Note. Es bleibt also weiterhin spannend in Holes Leben und Karriere! 

 

Jo Nesbø – (Harry Hole: 2) „Kakerlaken“

Sonntag, 31. Januar 2021

(Ullstein, 410 S., Tb.) 
Als Atle Molne, der norwegische Botschafter in Thailand, mit einem Messer im Rücken auf dem Bett eines eher zwielichtigen Etablissements in Bangkok aufgefunden wird, soll Bjarne Møller, Leiter des Dezernats für Gewaltverbrechen in Oslo, auf Anweisung der Polizeipräsidentin einen seiner besten Männer zur Begleitung der Untersuchung nach Bangkok entsenden. Wie Møller durch den Staatssekretär Askildsen und Verwaltungschef Torhus vom Auswärtigen Amt erfährt, hatte Molne nicht die nötigen Qualifikationen für den Job, dafür aber die wohlwollende Unterstützung des Ministerpräsidenten, der natürlich wenig erbaut wäre, sollte öffentlich werden, dass der verheiratete Molne in einem Bordell zu Tode gekommen ist. 
Auf der Suche nach einem geeigneten Beamten, der bereits viel Erfahrung mit internationaler Polizeiarbeit hat und auf gewisse Erfolge zurückblicken kann, kommt Møller auf Vorschlag der Polizeipräsidentin schließlich auf den 35-jährigen Kommissar Harry Hole, der vor einem Jahr in Australien wertvolle Dienste geleistet hatte. Hole ist wenig begeistert von diesem Auftrag. Seit der Vergewaltigung seiner Schwester Søs hängt Hole an der Flasche, doch das reicht offenbar nicht, um den Job zu verweigern. In Bangkok arbeitet Hole mit der glatzköpfigen Amerikanerin Liz Crumley, Hauptkommissarin beim Morddezernat, zusammen. 
Bei der Besichtigung des Tatorts und des vor dem Motel parkenden Autos des Botschafters entdecken sie Wettscheine, Ampullen für flüssiges Ecstasy und einen verschlossenen Koffer, in dem die Beamten später Fotos finden, die den Botschafter als Pädophilen entlarvten. Bei den weiteren Ermittlungen stößt Hole auf den Banker Jens Brakke und den schwerreichen Bauunternehmer Ove Klipra, der Molnes Geldsorgen gelindert haben könnte. Brakke, der eine Affäre mit der schwerkranken Frau des Botschafters unterhält, kommt in Untersuchungshaft, doch ist Hole alles andere als von dessen Schuld überzeugt. Für die norwegischen Behörden ist der Fall abgeschlossen, Hole soll wieder zurück in die Heimat beordert werden. Doch Hole will die Sache zu einem befriedigenden Ende bringen und begibt sich bei seinen weiteren Nachforschungen in Lebensgefahr … 
„Waren ihm all die Zeitungsartikel und das Schulterklopfen, das er nach seiner Rückkehr aus Australien eingeheimst hatte, wirklich so egal, wie er geglaubt hatte? War die Idee, alles und jeden zu missachten, um sich möglichst bald wieder der Søs-Sache zu widmen, bloß ein Vorwand? Weil es ihm so verflucht wichtig geworden war, Erfolg zu haben?“ (S. 196) 
Nachdem der Norweger Jo Nesbø mit „Der Fledermausmann“ ein beachtliches Debüt und den Startschuss für die bis heute erfolgreiche Reihe um Polizeikommissar Harry Hole abgeliefert hatte, lässt er seinen charismatischen Protagonisten in „Kakerlaken“ diesmal im Land des Lächelns ermitteln. Während seine Vorgesetzten davon ausgehen, dass Hole wenig Wirbel um die Ermordung des norwegischen Botschafters machen und den Fall schnell abhaken würde, erweist sich der norwegische Kommissar doch als hartnäckiger und gewissenhafter, als es die politische Führung in seiner Heimat erwartet hat. Hole gerät in ein immer komplexeres Geflecht aus Korruption, Gier, sexuellen Perversitäten und geschickt inszenierten Intrigen. 
Nesbø bleibt dabei eher an den Ermittlungen des ermordeten Botschafters als an der Persönlichkeit seiner Hauptfigur. Da erfahren wir nur von den Alkoholproblemen, der Vergewaltigung seiner Schwester, für die Hole noch niemanden zur Rechenschaft ziehen konnte, und seinem Ehrgeiz, den Fall in Bangkok um jeden Preis zu lösen. Vor allem im Finale erweist sich Nesbø als raffinierter Krimi-Autor. Wie er seinen Harry Hole die einzelnen Fäden entwirren und den komplexen Fall letztlich lösen lässt, ist einfach packend geschrieben und macht neugierig auf die nachfolgenden Harry-Hole-Abenteuer, in denen es dann hoffentlich auch wieder persönlicher wird.


Jo Nesbø – (Harry Hole: 4) „Fährte“

Sonntag, 22. September 2019

(Ullstein, 576 S., Tb./eBook)
Harry Hole sucht an einem Freitagnachmittag im Oktober die Bankfiliale an der Osloer Bogstadvei auf, als er Zeuge wird, wie Männer in identischen, dunklen Overalls auf den Schalter von Stine Grette zugehen und auf die Öffnung der Geldautomaten drängen. Doch als der Bankraub schon vorüber war und die Täter mit ihrer Beute nur noch verschwinden müssen, beobachtet Harry, wie einer der Bankräuber Stine Grette etwas ins Ohr flüstert und beobachtet, wie ihr die Bedeutung seiner Worte bewusst werden, bevor er sie erschießt. Dieser brutale Überfall stellt aber nur den Anfang einer ganzen Reihe von Bankrauben dar, die dem sogenannten „Exekutor“ zugeschrieben werden. Während der Fall zunächst an den Leiter des Raubdezernats, Rune Ivarsson, geht, sind Holes Gedanken noch immer bei seiner ermordeten Freundin und Kollegin Ellen Gjelten, deren Tod nach Holes Meinung noch immer nicht aufgeklärt ist. Dafür war ihm sein Kollege Tom Waaler zu schnell am Tatort gewesen, um den des Mordes verdächtigten Neonazi Sverre Olsen im Feuergefecht zu erschießen.
Da der politisch gut vernetzte Ivarsson aber keine Ergebnisse im „Exekutor“-Fall aufweisen kann, stellt Hole mit der Videoanalystin Beate Lønn eigene Ermittlungen an. Er gelangt schließlich zu der Auffassung, dass der Banküberfall an gut getarnter Mord gewesen ist. Doch bevor sich Hole näher mit dem Fall befassen kann, gerät er selbst in den Fokus einer anderen Ermittlung: Während seine Lebensgefährtin Rakel in Moskau vor Gericht versucht, das Sorgerecht für ihren Sohn Oleg zu bekommen, trifft sich Hole mit seiner alten Geliebten Anna. Allerdings erwacht Hole nach einem Filmriss auf der Treppe vor ihrer Wohnung und kann sich nicht erinnern, warum Anna sich in ihrem Bett umgebracht haben sollte. Hole verschweigt den Ermittlern, dass er der Letzte gewesen sei, der Anna vor ihrem Tod lebend gesehen hat, und wird mit geheimnisvollen Emails traktiert, deren Absender genauestens über die Tat Bescheid zu wissen scheint.
„In zwei Tagen sollte Anna beerdigt werden, und niemand zweifelte daran, dass sie durch ihre eigene Hand zu Tode gekommen war. Der Einzige, der dort gewesen war und ihnen hätte widersprechen können, war er selbst, doch er konnte sich an nichts erinnern. Weshalb konnte er es dann nicht einfach auf sich beruhen lassen? Er hatte alles zu verlieren und nichts zu gewinnen. Und eins kam noch hinzu: Warum konnte er die Sache nicht einfach vergessen, um Rakel und seiner selbst willen?“ (Pos. 1533) 
In seinem vierten Harry-Hole-Roman dreht der in Oslo lebende Jo Nesbø groß auf. Norwegens erfolgreichster Autor lässt seinen prominenten, alkoholsüchtigen Antihelden wieder auf eine waschechte Krise zusteuern, denn nachdem bereits drei Frauen aus Holes früheren Leben sich entweder selbst getötet haben oder umgebracht worden sind, setzt ihm auch Annas Tod mächtig zu. Um den „Exekutor“-Fall zu lösen, lässt sich Hole auf ein gefährliches Spiel mit dem Bankräuber Raskol Baxhet ein, der sich überraschenderweise selbst gestellt hat und einige Bedingungen im Gegenzug für seine Hilfe stellt. Um zu seinem Ziel zu gelangen, muss Hole schon ein besserer Spieler sein als Raskol.
Nesbø erweist sich als raffinierter Meister komplexer Handlungsstränge, die er diesmal aber stringenter entwickelt als im vorangegangenen Band „Rotkehlchen“. Indem er den für Harry Hole noch unaufgeklärten Mord an dessen Kollegin Ellen Gjelten aufgreift, nimmt Nesbø nicht nur den Faden des Vorgängers auf, sondern entwickelt für Hole unangenehme Parallelen zum Tod seiner früheren Geliebten Anna. Geschickt verwebt der Autor Harry Holes Bemühungen, sowohl Annas Mörder als auch den „Exekutor“ zu identifizieren, legt eine Fährte, die sowohl nach Afrika als auch nach Brasilien führt, und jongliert so souverän mit überraschenden Wendungen, dass die Spannung auf einem sehr hohen Level gehalten wird. Dadurch, dass Harry Holes derzeitige Lebensgefährtin in Moskau verweilt, konzentriert sich Holes Gefühlsleben eher auf die Beziehung, die er mit Anna geführt hat, aber auch in anderer Hinsicht macht Nesbø immer wieder deutlich, dass Harry Hole zwar ein begnadeter Ermittler ist, aber nach wie vor eine zutiefst gebrochene Persönlichkeit, die sich immer wieder selbst aus dem alkoholindizierten Sumpf ziehen muss. Mit psychologischem Feingefühl und sorgfältiger Figurenzeichnung gelingt Nesbø mit „Fährte“ ein großartiger, vielschichtiger und extrem spannender Krimi, der gekonnt mit immer neuen Überraschungen aufwartet.
Leseprobe Jo Nesbø - "Fährte"

Jo Nesbø – (Harry Hole: 3) „Rotkehlchen“

Sonntag, 15. September 2019

(Ullstein, 480 S., Tb./eBook)
Als vor kurzem zum Staatsschutz versetzter Beamter ist Harry Hole im November 1999 dafür zuständig, zusammen mit den amerikanischen Kollegen vom Secret Service für die Sicherheit des amerikanischen Präsidenten bei dessen ersten Besuch in Norwegen zu sorgen, wo er an einem Gipfeltreffen mit PLO-Chef Arafat, dem israelischen Ministerpräsidenten Barak und dem russischen Präsidenten Putin teilnimmt. Allerdings schießt Hole während der Streckenüberwachung auf einen Secret-Service-Agenten, der sich nicht als solcher zu erkennen gegeben hat, und wird daraufhin von seinem Chef Bjarne Møller aus der Schusslinie genommen, auch wenn er sich ordnungsgemäß verhalten hat.
Als Bezirksleiter beim polizeilichen Überwachungsdienst erhält er Informationen zum Import eines sündhaft teuren Märklin-Gewehrs aus Südafrika, das besonders bei Attentätern beliebt ist. Die Spuren führen bis in die Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als eine Gruppe von norwegischen Soldaten auf der Seite der Nazis kämpften und dafür 1945 als Landesverräter hart bestraft wurden. Einer der Nazi-Kollaborateure will dieses gefühlte Unrecht wiedergutmachen und niemand geringeren als den norwegischen Kronprinzen dafür zur Rechenschaft ziehen. Während Hole und seine ambitionierte Kollegin Ellen Gjelten in der Neonazi-Szene ebenso wie in der Geschichte der norwegischen Beteiligung am Zweiten Weltkrieg fordert forscht, welche Identität der Attentäter angenommen haben könnte, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, der auch unter Holes Kollegen Opfer …
„Wenn eine Person, nach der man sucht, als Leiche in einer vier Monate alten Mordsache auftaucht, kann man nur schwer an einen Zufall glauben. Konnte der Mord irgendwie mit dem Kauf des Märklin-Gewehres zusammenhängen? Es war kaum zehn Uhr und Harry hatte bereits Kopfschmerzen. Er hoffte nur, dass Ellen ihm irgendetwas über diesen Prinzen liefern würde. Irgendetwas. Damit man irgendwo anfangen könnte.“ (Pos. 3700) 
Jo Nesbø hat nach seiner Karriere als Finanzanalytiker und Ökonom erst mit 37 Jahren zum Schreiben gefunden und schon mit seinem Harry-Hole-Debüt „Der Fledermausmann“ auf sich aufmerksam machen können, bevor er mit dem dritten Band „Rotkehlchen“ auch seinen internationalen Durchbruch feiern durfte. Es ist alles andere als leichte Krimikost, die Nesbø in „Rotkehlchen“ präsentiert, widmet er sich doch auch vielschichtige Weise dem dunklen Kapitel, das Norwegens Rolle im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Hier sorgen vor allem der Historiker Even Juul und der Kriegsveteran Sindre Fauke für die Darstellung der unterschiedlichen Aspekte. Indem der Autor zwischen den aktuellen Ermittlungen und den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg hin- und herspringt, die zu den Morden geführt haben, die Hole untersucht, werden allmählich die persönlichen Beweggründe des Täters offenbart, dessen Identität aber erst im wendungsreichen Finale offenbart wird.
Bis dahin bekommt der Leser nicht nur eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem der dunkelsten Kapitel in der norwegischen Geschichte präsentiert, sondern interessanterweise auch zwei Liebesgeschichten, von der eine die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg vorantreibt, die zweite aber ausgerechnet Harry Hole betrifft, der sich sowohl bei seinem Chef Møller als auch seiner liebenswerten Kollegin Ellen bedanken kann, dass sie in der Vergangenheit ihre schützenden Hände über Holes alkoholbedingte Ausfälle gehalten haben. Doch die Beziehung zu seiner alleinerziehenden Kollegin Rakel, auf die auch Staatssekretär Bernt Brandhaug ein Auge geworfen hat, verläuft alles andere als unkompliziert, und das gilt eben auch für den gesamten Plot. Jo Nesbø vermag zwar, hochkomplexe Plots zu entwickeln und dabei den Finger auf die Wunden in der norwegischen Gesellschaft zu legen, doch lässt er allzu viele Figuren mitwirken, die er kaum zu bemerkenswerten Persönlichkeiten entwickelt, denen man interessiert folgen möchte. Dafür springt der Autor zu häufig und abrupt zwischen den Schauplätzen, Zeiten und Figuren hin und her. Nichtsdestotrotz entwickelt „Rotkehlchen“ einen Sog, der das Publikum bis zum Schluss bei der Stange hält.
Leseprobe Jo Nesbo - "Rotkehlchen"

Jo Nesbø – (Harry Hole: 12) „Messer“

Sonntag, 1. September 2019

(Ullstein, 576 S., HC/eBook)
Als Harry Hole am Sonntagmorgen aufwacht, merkt er sofort, dass etwas nicht stimmt. Zunächst versucht er seinen üblichen Traum über einen gemeinsamen Morgen mit Rakel kurz nach ihrem Kennenlernen zu erinnern, doch dann wird ihm schlagartig und schmerzlich bewusst, dass sie ihn verlassen hatte. Schließlich bemerkt er Blut an seinen Fingern, eine leere Whiskyflasche. Er kann sich an nichts erinnern. Von seinem Freund Bjørn Holm erfährt er, dass er mit ihm zusammen in der Jealousy Bar gewesen ist, von wo er den besoffenen Harry gegen 22.30 Uhr nach Hause gefahren habe. Harry ist am absoluten Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Nach seiner erfolgreichen Zeit als Kriminalkommissar und seiner Zeit als Dozent an der Polizeihochschule ist sein Plan, durch die Heirat mit Rakel in ruhigere Fahrgewässer in Abstinenz zu gelangen, nicht aufgegangen. Stattdessen hat ihn der Vampiristen-Fall vor anderthalb Jahren wieder aus der Bahn geworfen.
Bjørns Lebensgefährtin Katrine Bratt, mit der Harry auch mal was hatte, und Gunnar Hagen haben Harry quasi aus der Gosse gezogen und ihm einen einfachen Job im Dezernat für Gewaltverbrechen beschaffen können. Doch statt nur Akten zu sortieren, will Harry den Sexualstraftäter und Serienmörder Svein Finne wieder hinter Schloss und Riegel bringen. Harry bringt den Psychopathen mit drei ungelösten Morden in Verbindung, denen noch weitere folgen. Dass auch seine geliebte Rakel erstochen aufgefunden wird, macht Harry besonders fertig und motiviert ihn, die Jagd auf Finne noch besessener voranzutreiben. Wegen seiner persönlichen Beziehung zum Opfer darf Harry allerdings nicht in dem Fall ermitteln und wird sogar vom Dienst suspendiert.
Seinen Stiefsohn Oleg, den er wie seinen eigenen Sohn liebt und der wie Harry Polizist werden will, informiert er telefonisch über die grauenvolle Tat. Dafür schaltet sich das nationale Kriminalamt unter Leitung von Ole Winter ein und zwingt die Osloer Polizei zur Zuarbeit, was gerade dem ambitionierten Ermittler Sung-min Larsen gegen den Strich geht. Harry lässt sich natürlich nicht davon abhalten, auf eigene Faust zu ermitteln, muss aber bald feststellen, dass er selbst zum engen Kreis der Verdächtigen zählt …
„Er würde anfangs natürlich der Hauptverdächtige sein, das war selbstverständlich. Deshalb musste er sie ablenken. Nur so konnte er Oleg vor der Lüge schützen, seinen jungen, reinen Glauben an die Liebe aufrechterhalten und ihn vor der Erkenntnis bewahren, dass er einen Mörder als Vorbild und Erzieher gehabt hatte. Er brauchte einen möglichen anderen Täter. Einen Blitzableiter. Einen anderen Schuldigen, der ans Kreuz genagelt werden konnte und sollte. Keinen Jesus, sondern einen Sünder, schlimmer als er selbst.“ (S. 388) 
In seinem zwölften Fall bekommt es Harry Hole mit einem alten Bekannten zu tun. Doch mehr als um die Jagd nach Svein Finne, mit dem er vor zwanzig Jahren seine Karriere bei der Polizei begonnen hatte, muss Harry sich mit sich selbst auseinandersetzen und herauszufinden versuchen, was in der Nacht, an die er sich beim besten Willen nicht erinnern kann und in der Rakel getötet worden ist, wirklich passiert ist. Auf dem sehr langen Weg bis zur Auflösung kommen wie bei Nesbø üblich etliche Verdächtige ins Spiel, werden viele an sich interessante Nebenplots eröffnet, die die Beziehungen der wichtigsten Beteiligten beleuchten. Vor allem wird aber beschrieben, wie Harry Hole immer mehr ins Abseits gedrängt wird, seine persönlichen Beziehungen neu definiert werden und sein eigenes Verhalten reflektiert, was ihn zu sehr drastischen Lösungen führt. Allerdings zieht sich der Weg bis zum dramatischen Finale immer wieder in die Länge, und der arg konstruierte Showdown auf einem Friedhof überzeugt nicht wirklich.
Jo Nesbø erweist sich in „Messer“ als wortgewandter Stilist, der seinen Figuren – allen voran seinem gebrochenen, aber charismatischen Antihelden Harry Hole – echtes Leben einzuhauchen versteht und seinen komplexen Kriminalplot mit immer wieder eingeschobenen philosophischen Betrachtungen - so zur Natur von Psychologie und Religion, zur Wahrnehmung von Menschen über ihren Besitz und nicht über das, was sie tun, und zur Persönlichkeit von Hipstern – tiefsinniger macht. An dem Elend, das Harry Holes Existenz durchzieht, scheiden sich allerdings ebenso die Geister wie an der zerfasert dargebotenen Geschichte, die nach der Identifizierung von Rakels Mörder nochmals unnötig in die Länge gezogen wird.
Leseprobe Jo Nesbo - "Messer"

Jo Nesbø – (Harry Hole: 11) „Durst“

Freitag, 6. Oktober 2017

(Ullstein, 624 S., HC/eBook)
Um mehr Zeit für seine Familie zu haben, hat sich Spezialfahnder Harry Hole aus dem aktiven Dienst zurückgezogen und einen Job als Dozent an der Polizeihochschule Oslo angenommen, wo er als prominenter Spezialist für Serienmorde den Polizeinachwuchs in seinen Vorlesungen und Seminaren an die Ermittlungsarbeit heranführt. Doch dann wird Holes Jagdinstinkt geweckt, als er von den Vampiristenmorden erfährt, die schnell die nationalen, dann auch internationalen Schlagzeilen bestimmen.
Der Täter scheint seine weiblichen Opfer über die Dating-Plattform Tinder kennenzulernen und sie mit Hilfe eines Metallgebisses nicht nur tödlich zu verletzen, sondern auch ihr Blut zu trinken. Unter den Opfern befindet sich auch die Kellnerin Marte Ruud aus Harry Holes Stammkneipe.
Da Polizeichef Mikael Bellman kurz davor steht, Justizminister zu werden, will er den Fall schnell gelöst haben und lässt er eine Sondereinheit gründen, die unter Leitung von Harry Hole parallel zu der Truppe von Kriminalkommissarin Katrine Bratt ermitteln soll. Vor allem der in Akademikerkreisen belächelte Vampiristen-Experte Hallstein Smith entwickelt sich zu einer großen Hilfe bei der Jagd auf den Killer, dessen Vorgehen Hole an Valentin Gjertsen erinnert, der vor vier Jahren auf spektakuläre Weise aus dem Gefängnis ausgebrochen war und sich diversen plastischen Operationen unterzogen hatte, weshalb er bis heute untertauchen konnte.
„‚Ich glaube nicht, dass es nicht Valentin Gjertsen ist. Obwohl mir dieser Gedanke tatsächlich auch schon gekommen ist. Ein Mörder begeht zwei Morde, ohne auch nur eine Spur zu hinterlassen. Das erfordert Planung und einen kühlen Kopf. Und dann überfällt er plötzlich jemanden und verteilt wie nichts Spuren und Beweise? Das ist auffällig, als legte der Betreffende es darauf an, seine Identität preiszugeben. Und das weckt dann natürlich den Verdacht, dass uns da jemand manipulieren und auf eine falsche Fährte führen will.‘“ (Pos. 3557) 
Auch in dem elften Band seiner populären Reihe um den charismatischen Spezialermittler Harry Hole gelingt es dem norwegischen Bestseller-Autor Jo Nesbø, den Leser von Beginn an mit einem faszinierenden Fall zu fesseln, der mit ungewöhnlicher Prämisse ausgestattet ist. Durch den Vampiristen-Experten Hallstein Smith erhalten wir einen kurzen Abriss über die Vampir-Mythologie und die psychische Disposition von Vampiristen, darüber hinaus bekommen wir Einblicke in das komplexe Beziehungsgeflecht, in das Hole mit seiner Frau Rakel, ihrem Sohn Oleg, der nun auch an der Polizeihochschule studiert, und seiner Kollegin Katrine Bratt vertrickt ist, die sich gerade von ihrem Kollegen, den Kriminaltechniker Bjørn Holm, getrennt hat.
Die Ermittlungen nehmen mit jedem weiteren Mord an Fahrt auf. Dabei verdichten sich die Hinweise, dass die Polizei und die Sondereinheit an der Nase herumgeführt werden. Zum Ende hin schlägt der Plot einige schon irrwitzig anmutende Kapriolen, die sicher für dramaturgische Spannung sorgen, aber auch zu konstruiert wirken, um wirklich überzeugen zu können.
Was „Durst“ neben dem an sich interessanten Thema besonders auszeichnet, sind eher die persönlichen Aspekte, die allerdings oft nur angerissen werden, aber im Vergleich zu anderen Reihen im Thriller-Genre sind Nesbøs Figuren gut gezeichnet und verleihen dem Werk eine angenehme psychologische Tiefe.
Leseprobe Jo Nesbø - "Durst"

Jo Nesbø - (Harry Hole: 5) „Das fünfte Zeichen“

Donnerstag, 18. Februar 2010

(Claassen, 490 S., HC)
Ausgerechnet in der Urlaubszeit, die auch das Morddezernat verwaisen lässt, wird Oslo von einer beunruhigenden Mordserie heimgesucht. Erst wird über der Wohnung von Vibeke Knutsen und Anders Nygard eine junge Frau nackt und tot in ihrer Dusche aufgefunden. Ihr linker Zeigefinger wurde abgetrennt, unter einem ihrer Augenlider fand man einen roten Diamanten. Wenig später meldet der Theater-Produzent Willy Barli seine Frau Lisbeth als vermisst, von der kurz darauf der linke Mittelfinger ins Morddezernat geschickt wird.
Dort wird unter Leitung des magenkranken Chefs Møller ein Ermittlungsteam zusammengestellt, bei dem sich der aufstrebende Tom Waaler und der abgehalfterte Harry Hole zusammenraufen müssen. Hole kann es noch immer nicht verwinden, dass seine Kollegin Ellen Gjelten ermordet worden ist, und rollte den Fall noch einmal auf, bis er sogar Waaler verdächtigt hatte. Es folgten vier Wochen Zwangsurlaub, die Hole überwiegend im Suff verbrachte. Erst als die Empfangsdame einer Anwaltskanzlei tot in der Damentoilette ihrer Firma aufgefunden wird und eine Verbindung mit den beiden anderen Fällen hergestellt werden kann, beginnt sich Hole wieder zusammenzureißen und stürzt sich mit gewohnt kriminalistischem Gespür auf die schwierigen Ermittlungen … Mit seinem fünften Fall um den eigenbrötlerischen Kommissar Harry Hole ist dem norwegischen Krimi-Autor Jo Nesbø ein hochkarätiger Thriller gelungen, der die besten Motive skandinavischer Krimi-Tradition und amerikanischen Bestsellern à la Thomas Harris, James Patterson und Jeffery Deaver miteinander vereint.