Mit seiner Kolumne über gute Manieren, die er unter dem Pseudonym August Sternberg seit zwölf Jahren für den Stil-Teil eines Wochenmagazins schreibt, hat es der 45-jährige Journalist Paul Neulich zu einigem Ansehen geschafft. Kaum hat er die Trennung von der Paartherapeutin Sonja Wilms verwunden, ist er mit seiner neuen Lebensgefährtin Sara vor zehn Monaten zu einer Reise in die Algarve aufgebrochen, wo beide erst einmal verarbeiten, was sie in ihrem alten Leben zurückgelassen haben und ob sie überhaupt zueinander passen.
Paul träumt davon, das Lokal von Kiko für die Zeit zu übernehmen, in der sich die alte Dame einer Operation unterziehen muss, doch fühlt er sich der Aufgabe und der Konfrontation mit den vielen Menschen in der Bar nicht gewachsen, so dass an Sara die Arbeit hängenbleibt. Sie hatte einst davon geträumt, Schauspielerin oder Künstlerin zu werden, fühlt sich in dem gutbürgerlichen Leben mit Paul aber erst richtig im Leben angekommen.
Pauls Ex-Frau Sonja sorgt mit einem Interview für Aufsehen, wird auf einmal von den Medien als neues Vorbild für die Frauen umgarnt und erfährt so die Aufmerksamkeit, die sonst Paul beschieden war, dem sie irgendwie immer noch hinterhertrauert. Und dann ist da noch Saras Ex-Freund Tin Hasenglock, der seiner großen Liebe Sara hinterherfliegen will, am Flughafen aber Opfer eines Terroranschlags wird. Im Krankenhaus erfährt er allerdings, dass er nicht wegen des Attentats operiert worden ist, sondern dass ihm ein Stück krebsverseuchter Darm entnommen wurde.
Der Erfinder der Kontaktbörse harpf.com lernt mit der temperamentvollen und gesellschaftskritischen Bio-Brotverkäuferin Tove eine ganz andere Seite vom Leben kennen.
„Nach ihrem ersten Treffen im Aufenthaltsraum war sie jedenfalls zweimal täglich bei ihm vorbeigeschlendert und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihm die Welt zu erklären, obwohl sie so viel jünger war. Tatsächlich fühlte sich Tin neben ihr wie ein Schlaganfallpatient, der das Sprechen neu lernen musste. Im gleichen schmerzhaften Prozess, in dem sich die Zellen rund um seine Narbe und in seinem zerstückelten Darm erneuerten, erneuerte sich dank Tove sozusagen auch die Welt vor seinem Fenster.“ (S. 172)Der 1980 in München geborene Autor Max Scharnigg schreibt nicht nur als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung, sondern hat mit seinen Romanen „Die Besteigung der Eiger-Nordwand unter einer Treppe“ und „Vorläufige Chronik des Himmels über Pildau“ auch als Schriftsteller auf sich aufmerksam gemacht, dazu mit „Herrn Knigge gefällt das!“ über gute Manieren im Netz philosophiert.
Mit seinem neuen, schlicht „Der restliche Sommer“ betitelten Roman beschreibt Scharnigg die ineinander verflochtenen Biografien von vier eigentlich erfolgreich mitten im Leben stehenden Menschen, die aber nicht so recht zu wissen scheinen, was sie denn genau vom Leben und vor allem der Liebe erwarten sollen. So suchen Paul und Sara erst einmal Abstand von ihrem alten Leben und den Sommer in Portugal zu verlängern, wo ihnen der Alltag nichts anhaben kann, wohl aber das mit giftigem Stachel bewehrte Petermännchen. Scharnigg widmet seinen vier gleichberechtigt nebeneinander angelegten Figuren jeweils eigene Kapitel im losen Wechsel, wobei vor allem deutlich wird, wie sich die ehemaligen Eheleute Paul und Sonja beruflich konträr entwickeln, wie der bislang vor allem in virtuellen Welten bewanderte Tin durch eine viel jüngere Frau das Leben von einer ganz anderen Seite kennenlernt und wie die eher ziellos im Leben dahingetriebene Sara in Portugal eine handfeste Arbeit zu schätzen lernt.
Der Autor entwickelt dazu keinen besonders kniffligen Plot, sondern treibt die Handlung – sofern es eine nennenswerte zu erzählen gibt – eher gemächlich voran. Vielmehr interessiert ihn die persönliche Entwicklung seiner Figuren, die ganz in ihren Gedanken und Erinnerungen portraitiert werden. Dabei legt Scharnigg eine sprachliche Gewandtheit und einen feinsinnigen Humor an den Tag, dass es eine Freude ist, den vier Typen und dann auch Tove durch das kurzweilige Buch zu folgen.
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