Posts mit dem Label Thomas Pynchon werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Thomas Pynchon werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Thomas Pynchon – „Schattennummer“

Mittwoch, 5. November 2025

(Rowohlt, 400 S., HC))
Seit seinem 1963 erschienenen Debütroman „V.“ ist der 1937 in Glen Cove auf Long Island in New York geborene Thomas Pynchon zu einem der bedeutendsten Schriftsteller der Postmoderne avanciert. Mit „Schattennummer“ präsentiert der in völliger öffentlicher Abgeschiedenheit lebende Amerikaner zwölf Jahre nach seinem letzten Roman „Bleeding Edge“ seinen wahrscheinlich letzten großen Roman und bleibt seinen Themen und vor allem seinem Stil treu.
Während Amerika 1932 von der Großen Depression erdrückt wird, aber erleichtert der Aufhebung der Prohibition entgegensieht, Al Capone seine Haftstrafe im Bundesgefängnis in Atlanta absitzt, lauscht Privatdetektiv Hicks McTaggart in Milwaukee den Gerüchten über Ehekrächen im Gangstermilieu und beschlagnahmten Spritlieferungen, die Grund für die kürzlich erfolgte Explosion in der Nähe gewesen sein könnten. Als Hicks bei Unalmagamated Ops von seinem Chef Boynt Crosstown den Auftrag bekommt, die Tochter des im Exil lebenden Multimillionärs Bruno Airmont zurückzuholen, hat er auch ein persönliches Interesse an der Sache, schließlich hatte Hicks mit der Tochter des „Al Capone des Käses“ eine sehr kurze Liaison. Nun soll die junge, in wohlhabenden Verhältnissen verlobte Frau mit dem Klarinettisten einer Swingband durchgebrannt sein. Doch ehe er sich versieht, wacht Hicks auf einem Ozeandampfer auf und landet schließlich in Ungarn, wo er nicht nur Probleme mit der Sprache hat, sondern schnell Bekanntschaft mit dubiosen Nazis, sowjetischen und britischen Spionen, aber auch Vampiren und schönen Frauen macht.

„Hicks könnte darauf hinweisen, dass stillzusitzen und sich eine Geschichte anzuhören nicht immer das Gleiche ist, wie darauf hereinzufallen, aber er sieht keinen Anlass, eine Auseinandersetzung anzufangen, denn sie ist ihm keineswegs fremd, die altehrwürdige Übung, die Männer seit Anbeginn der Welt durchzustehen haben: begehrenswerten Frauen zuzuhören, während sie sich endlos über die Geschichte ihres Liebeslebens auslassen, dies alles in der wenn auch geringen Hoffnung, hier und jetzt in der fröhlich klimpernden Währung ausgelassener Zweisamkeit dafür entschädigt zu werden.“

Während Thomas Pynchon schon von Beginn an vor allem seine sprachliche Virtuosität ins Spiel bringt, lässt er sein Publikum zunächst im Glauben, mit dem Protagonisten ein skurriles Abbild von lakonisch zynischen Privatdetektiven wie Philip Marlowe, Sam Spade oder Lew Archer vor sich zu haben, der in einem typischen Hardboiled-Plot eine von der Oberfläche verschwundene Frau aufspüren soll. Doch sobald Hicks im fernen Osteuropa aufschlägt, überschlagen sich die Ereignisse, in denen ein geheimnisvolles U-Boot ebenso eine Rolle spielt wie explodierender Käse, eine erschreckend hässliche Lampe und Hitler vergötternde Swing-Musiker. Es wird gejagt, gedroht und geschossen, vor allem aber auch viel getanzt und noch mehr gesprochen. Pynchon erweist sich einmal mehr als Meister der vieldeutigen Hinweise auch auf das aktuelle politische Geschehen, lässt den Plot fast im Hintergrund wie entfesselt seinen Gang nehmen, während er an vorderster Front ein schillerndes Sprach-Feuerwerk zündet. Er verwischt damit jegliche Eindeutigkeit, sowohl hinsichtlich der Geschichte samt ihrer unzähligen Nebenstränge als auch der wie hingestreuten und selten nicht aufgesammelten Figuren. Das macht „Schattennummer“ zu einem äußerst vitalen, vieldeutigen Lesevergnügen jenseits aller literarischen Konventionen.