(Rowohlt, 400 S., HC))
Seit seinem 1963 erschienenen Debütroman „V.“ ist der
1937 in Glen Cove auf Long Island in New York geborene Thomas Pynchon zu
einem der bedeutendsten Schriftsteller der Postmoderne avanciert. Mit „Schattennummer“
präsentiert der in völliger öffentlicher Abgeschiedenheit lebende Amerikaner
zwölf Jahre nach seinem letzten Roman „Bleeding Edge“ seinen
wahrscheinlich letzten großen Roman und bleibt seinen Themen und vor allem
seinem Stil treu.
Während Amerika 1932 von der Großen Depression erdrückt
wird, aber erleichtert der Aufhebung der Prohibition entgegensieht, Al Capone seine
Haftstrafe im Bundesgefängnis in Atlanta absitzt, lauscht Privatdetektiv Hicks
McTaggart in Milwaukee den Gerüchten über Ehekrächen im Gangstermilieu und
beschlagnahmten Spritlieferungen, die Grund für die kürzlich erfolgte Explosion
in der Nähe gewesen sein könnten. Als Hicks bei Unalmagamated Ops von
seinem Chef Boynt Crosstown den Auftrag bekommt, die Tochter des im Exil
lebenden Multimillionärs Bruno Airmont zurückzuholen, hat er auch ein
persönliches Interesse an der Sache, schließlich hatte Hicks mit der Tochter
des „Al Capone des Käses“ eine sehr kurze Liaison. Nun soll die junge, in
wohlhabenden Verhältnissen verlobte Frau mit dem Klarinettisten einer Swingband
durchgebrannt sein. Doch ehe er sich versieht, wacht Hicks auf einem
Ozeandampfer auf und landet schließlich in Ungarn, wo er nicht nur Probleme mit
der Sprache hat, sondern schnell Bekanntschaft mit dubiosen Nazis, sowjetischen
und britischen Spionen, aber auch Vampiren und schönen Frauen macht.
„Hicks könnte darauf hinweisen, dass stillzusitzen und sich eine Geschichte anzuhören nicht immer das Gleiche ist, wie darauf hereinzufallen, aber er sieht keinen Anlass, eine Auseinandersetzung anzufangen, denn sie ist ihm keineswegs fremd, die altehrwürdige Übung, die Männer seit Anbeginn der Welt durchzustehen haben: begehrenswerten Frauen zuzuhören, während sie sich endlos über die Geschichte ihres Liebeslebens auslassen, dies alles in der wenn auch geringen Hoffnung, hier und jetzt in der fröhlich klimpernden Währung ausgelassener Zweisamkeit dafür entschädigt zu werden.“
Während Thomas Pynchon schon von Beginn an vor allem
seine sprachliche Virtuosität ins Spiel bringt, lässt er sein Publikum zunächst
im Glauben, mit dem Protagonisten ein skurriles Abbild von lakonisch zynischen
Privatdetektiven wie Philip Marlowe, Sam Spade oder Lew Archer vor sich zu
haben, der in einem typischen Hardboiled-Plot eine von der Oberfläche verschwundene
Frau aufspüren soll. Doch sobald Hicks im fernen Osteuropa aufschlägt, überschlagen
sich die Ereignisse, in denen ein geheimnisvolles U-Boot ebenso eine Rolle
spielt wie explodierender Käse, eine erschreckend hässliche Lampe und Hitler
vergötternde Swing-Musiker. Es wird gejagt, gedroht und geschossen, vor allem
aber auch viel getanzt und noch mehr gesprochen. Pynchon erweist sich einmal
mehr als Meister der vieldeutigen Hinweise auch auf das aktuelle politische
Geschehen, lässt den Plot fast im Hintergrund wie entfesselt seinen Gang
nehmen, während er an vorderster Front ein schillerndes Sprach-Feuerwerk zündet.
Er verwischt damit jegliche Eindeutigkeit, sowohl hinsichtlich der Geschichte
samt ihrer unzähligen Nebenstränge als auch der wie hingestreuten und selten nicht
aufgesammelten Figuren. Das macht „Schattennummer“ zu einem äußerst vitalen,
vieldeutigen Lesevergnügen jenseits aller literarischen Konventionen.
