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James Sallis – (Turner: 3) „Dunkles Verhängnis“

Mittwoch, 8. Dezember 2021

(Heyne, 190 S., Tb.) 
Mit dem Privatdetektiv und Schriftsteller Lew Griffin sowie dem Ex-Cop, Ex-Häftling und Ex-Psychiater John Turner hat der US-amerikanische Schriftsteller, Kritiker, Musiker und Übersetzer James Sallis sehr lebendige, charismatische Figuren geschaffen, die irgendwie durch das Leben gestrauchelt sind, ohne richtigen Plan von einem Job zum nächsten, ganz anders gearteten. Während es die Reihe um Lew Griffin, mit der Sallis 1992 seine Karriere erfolgreich startete, immerhin auf sechs Bände brachte, hat er sich bei John Turner von vornherein auf eine Trilogie beschränkt. Viel Neues hat der nach „Dunkle Schuld“ und „Dunkle Vergebung“ abschließende Band „Dunkles Verhängnis“ zwar nicht zu bieten, dafür aber Sallis‘ einzigartig lakonische wie bildhafte Sprache, mit der er eine Lebensweisheit nach der anderen hervorbringt. 
Als vor zwei Jahren seine Freundin Val von einem Auftragskiller in ihrem eigenen Haus und in Turners Gegenwart erschossen worden ist, hat sich nicht nur für den Aushilfssheriff das Leben in Cypress Grove für immer verändert. Doc Oldham hat seine Praxis aufgegeben und sie an einen jungen Mann abgegeben, der noch grün hinter den Ohren zu sein scheint. Nun sitzt er meistens draußen irgendwo herum und gibt kluge Sprüche und Erkenntnisse von sich, wobei er in Turner einen regelmäßigen Zuhörer findet. 
So schwadroniert der unter Grauem Star leidende Doc darüber, wie fragil das Leben so sei, dass jeder seine eigene Version davon habe, was die Wahrheit, das Leben, den eigenen Werdegang angeht. Turner erinnert sich dagegen an eine ihm überlieferte Episode, deren Quintessenz darauf hinausläuft, dass man einfach sehen müsse, wie viel Musik man noch mit den Mitteln machen könne, die einem bleiben. In diese philosophischen Betrachtungen hinein erreicht Turner die Nachricht, dass Billy, der Sohn des ehemaligen Sheriffs Lonnie Bates, mit einem unbekannten Wagen ins Rathaus gefahren sei. Wenig später erliegt er seinen Verletzungen im Krankenhaus. Er war zuvor bei Kneipenschlägereien, Verkehrsvergehen und Hausfriedensbruch auffällig gewesen, hatte dann Milly geheiratet und wieder seinen Job im Baumarkt aufgenommen. 
Wie sich herausstellt, gehörte das Auto einer alten Dame aus Hazelwood, für die Billy und an Besorgungen gemacht hatte. Wenig später wird Milly vermisst und verletzt in einem Autowrack gefunden. Die Männer, die sie entführt haben, sind in einen Streit geraten, worauf der eine den anderen erschoss. Zu allem Überfluss taucht auch noch Eldon auf, der mit Val auf Tour gehen wollte, und erzählt Turner, dass er in Texas vielleicht jemanden umgebracht habe, er könne sich nicht erinnern … 
„Immer häufiger und ohne besonderen Anlass steigen Erinnerungen in uns auf, und es kommt so weit, dass alles uns an irgendetwas zu erinnern beginnt. Wir, unsere Handlungen, unser Leben, werden symbolisch. Wir stellen uns vor, die Welt würde dadurch tiefer, reicher; tatsächlich wird sie nur abstrakter. Wir reden uns ein, wir wüssten jetzt, auf was es wirklich ankommt im Leben, tatsächlich geht es nach wie vor nur darum, die tägliche Routine am Laufen zu halten.“ (S. 90) 
Mehr noch als in den beiden vorangegangenen Turner-Romanen dient in „Dunkles Verhängnis“ die Kriminalgeschichte nur als grobe Klammer, die den Erinnerungsfetzen, Assoziationen und Erkenntnissen, die Turner in seinem durchaus abwechslungsreichen, aber auch richtungslosen Leben angesammelt hat und die in der vermeintlichen Einöde eines Provinznestchens immer dann in seinem Geist widerhallen, wenn er einmal mehr mit den Kuriositäten des Lebens konfrontiert wird. 
Was letztlich zu Billy Bates‘ geheimnisvoller Fahrt ins Rathaus geführt wird, löst Sallis am Ende ebenso lapidar auf, wie sein vom Leben etwas müder Protagonist mit seinen philosophischen Betrachtungen um sich wirft. Besonders erheiternd wirkt die Turner-Trilogie nicht, aber sie spendet Trost denjenigen, die ebenso wie Turner und seine Weggefährten das Gefühl haben, ihr Leben nicht selbst in der Hand zu haben, sondern einfach dahinzutreiben. 
Bei aller Lebensmüdigkeit und Gewalt begegnet Turner seinen Nächsten allerdings mit ungebändigter Empathie, hat stets ein offenes Ohr für jene, die ein Problem haben, auch wenn er selten etwas beitragen zu können scheint, um diese aus der Welt zu schaffen. Diese schwierige Balance meistert Sallis wie kein Zweiter. 

James Sallis – (Turner: 2) „Dunkle Vergeltung“

Dienstag, 7. Dezember 2021

(Heyne, 236 S., Tb.) 
Bereits mit seiner sechsbändigen, zwischen 1992 und 2001 veröffentlichten Reihe um den Privatdetektiv, Teilzeitlehrer und Schriftsteller Lew Griffin hat James Sallis die Konventionen des Krimi-Genres geschickt umschifft und mit ganz eigener Stimme vom Suchen und Sich-Verlieren und Finden, von Gegenwart und Vergangenheit, von Lebensentwürfen und geplatzten Träumen erzählt. Während von diesen sechs Bänden leider nur zwei ins Deutsche übersetzt und von DuMont veröffentlicht worden sind, erging es der nachfolgenden Trilogie um den Ex-Cop, Ex-Häftling und Ex-Psychiater Turner hierzulande besser. 
Alle drei Romane sind unter den einheitlichen deutschen Titeln „Dunkle Schuld“, „Dunkle Vergeltung“ und „Dunkles Verhängnis“ bei Heyne verfügbar. 
Eigentlich hatte sich Turner in das kleine, zwischen Memphis und Little Rock gelegene Nest Cypress Grove zurückgezogen, um seine Ruhe zu haben. Sowohl seine Tätigkeit als Cop als auch als Therapeut hat ihn im Leben nicht wirklich vorangebracht, doch musste er schnell feststellen, dass seine Erfahrungen vom örtlichen Sheriff bei einem Ritualmord durchaus nützlich sein könnten. Am Ende der Ermittlungen musste Sheriff Lonnie Bates angeschossen ins Krankenhaus eingeliefert werden, sein Deputy Don Lee wurde zum kommissarischen Sheriff ernannt, während Turner sich bereit erklärte, hin und wieder als Deputy auszuhelfen. 
In dieser Funktion kommt er gerade nach einem Gefangenentransport aus Marvell zurück, als Don Lee davon erzählt, wie er einen Mann festgenommen hat, der mit seinem Mustang mit hundertdreißig Meilen durch die Stadt gerast war und nun eine der beiden Arrestzellen belegt. Wie sich herausstellt, befinden sich im Kofferraum des Mustangs zweihunderttausend Dollar. Der Gefangene namens Judd Kurtz macht seinen Anruf, wenig später wird er gewaltsam befreit, wobei Don Lee und June verletzt werden. Turner braucht nicht lange, um festzustellen, dass Kurtz offenbar als Geldkurier für die Mafia in Memphis unterwegs gewesen ist. Er sucht dort seinen alten Kollegen Sam Hamill auf, räumt in der Stadt ein wenig auf und kehrt wieder nach Cypress Grove zurück, wo ihn seine Tochter J.T. aus Seattle, ebenfalls Polizeibeamtin, besucht. Natürlich braucht die Mafia nicht lange, um den Verantwortlichen für den Vergeltungsschlag in Memphis ausfindig zu machen. Fortan lebt Turner in ständiger Gefahr … 
„Man fängt an zu glauben, dass man eine Möglichkeit entdeckt, die Welt mit klarem Blick zu sehen, während man in Wirklichkeit lediglich eine Sprache lernt – eine gefährliche Sprache, weil sie den Blick verengt und uns vorgaukelt, man verstehe, warum die Menschen tun, was sie tun. Aber wir verstehen es nicht. Wir verstehen so wenig von allem.“ (S. 205) 
Wie wenig es bei James Sallis – sowohl in seiner Lew-Griffin-Reihe als auch in seiner Turner-Trilogie – um die klassische Auflösung von Verbrechen geht, untermauert der Autor mit seiner Art, die Gegenwart immer wieder mit Episoden aus der Vergangenheit seiner Protagonisten zu konfrontieren. 
In „Dunkle Schuld“, dem ersten Turner-Roman, wechselte Sallis sogar konsequent nach jedem Kapitel von einer Zeit in die andere. Im Vergleich dazu wirkt „Dunkle Vergeltung“ mehr wie aus einem Guss, auch wenn der Ich-Erzähler immer wieder Anekdoten von früheren Fällen wie dem vierfachen Kindermörder Lou Winter zum Besten gibt, die Tuners pessimistische Weltsicht illustrieren. Sallis nimmt sich Zeit, seine Beziehungen zur Anwältin Val, die mit einem schwarzen Musiker losziehen will, um auf verschiedenen Festivals zu spielen, und zu seiner Tochter J.T. zu beschreiben, die ihr Leben in Seattle aufgibt, um fortan Dienst in der Nähe ihres Vaters zu tun. 
Die Auseinandersetzung mit der Mafia gerät da fast zur Nebensache – wenn auch mit tragischen Folgen. Vielmehr macht Sallis in bester Noir-Tradition deutlich, was jedwede Entscheidung, ob bewusst getroffen oder nicht, mit dem Leben eines Menschen macht. Doch trotz aller Erschütterungen gibt Turner nicht auf. Er ist für seine Mitmenschen ein verlässlicher Freund, ein Mann der Tat, der bei all dem Tod um ihn herum den Humor nicht verliert – und seine Zuversicht, doch noch den einen oder anderen Lichtblick am Horizont zu erheischen. 

James Sallis – (Turner: 1) „Dunkle Schuld“

Montag, 6. Dezember 2021

(Heyne, 302 S., Tb.) 
Seinen Debütroman „The Long-Legged Fly“, Auftakt seiner Serie um den Privatdetektiv, Lehrer und Schriftsteller Lew Griffin, veröffentlichte der US-amerikanische Schriftsteller, Poet, Kritiker, Übersetzer und Musiker James Sallis 1992 – da war er selbst bereits 48 Jahre alt. Mittlerweile wurde Sallis mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis (für „Driver“), dem Hammett Prize und dem Grand prix de littérature policière, und zählt zu den eigenwilligsten und bedeutendsten Krimi-Autoren unserer Zeit. Nach den sechs Lew-Griffin-Romanen (von denen leider nur die ersten beiden ins Deutsche übersetzt wurden) folgte 2003 der Auftakt einer Trilogie um den ehemaligen Soldaten, Polizisten, Gefangenen und Therapeuten Turner. 
Turner ist die Stadt leid, vor allem aber den Menschen, den die Stadt aus ihm gemacht hat. Nachdem er in einen Krieg geschickt worden war, den er nicht wollte, als Cop seinen Partner erschossen hatte, elf Jahre im Gefängnis gesessen hatte, um dann festzustellen, dass er auch als Therapeut nur wenig tun konnte, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zieht er sich nach Cypress Grove zurück, einem Kaff im Nirgendwo zwischen Memphis und Little Rock. Doch auch hier hat er nicht lange Ruhe. Sheriff Lonnie Bates weiß natürlich von Turners früherer Vergangenheit als Großstadt-Cop und bittet ihn als Berater um Unterstützung bei einem Mord, der wie eine rituelle Tötung inszeniert worden ist. Das Opfer wurde an die Seite eines Carports mit ausgestreckten gekreuzigt und von einem Holzpflock durchbohrt. 
Die Spur führt zu einem offenbar kultisch verehrten Trash-Filmemacher mit den Initialen BR, von dessen mutmaßlichem letzten Meisterwerk „The Giving“ nur eine Szene dokumentiert ist, in der ein Schauspieler ebenso zu Tode gepfählt wird wie der Mann, der als Carl Hazelwood identifiziert wird und für einen Herumtreiber ungewöhnlich weiche Hände hatte. Für Turner, der in Cypress Grove viele neue Freunde wie die Anwältin Val Bjorn und eben Sheriff Bates findet, geht es weit mehr als um die Suche nach dem Täter, sondern die Ermittlungen führen ihn tief in seine eigene Vergangenheit, vor allem in die Zeit seines Gefängnisaufenthalts. 
„In dieser Kiste, die dein Zuhause und dein zweiter Körper geworden ist, erhält jeder noch so kleine Laut ein übertriebenes Gewicht. Das Entlangstreifen des Wärterknüppels über die Gitterstangen, der rasselnde Atem des Mannes auf der Pritsche unter dir, Unterhaltungen, die sich aus Nachbarzellen oder dem gegenüberliegenden Trakt einschleichen, ein Husten, das von Wand zu Wand prallt.“ (S. 171) 
James Sallis hat sich bereits mit seiner Lew-Griffin-Reihe wenig um Konventionen des Krimi-Genres geschert und die nicht immer erfolgreich abgeschlossenen Suchen seines Protagonisten nach vermissten Personen stets mit philosophischen Betrachtungen und Rückblicken in die bewegte Vergangenheit des Privatdetektivs und Schriftstellers unterfüttert. 
In „Dunkle Schuld“, dem Auftakt der nachfolgenden Trilogie um einen Ex-Cop, Ex-Sträfling und Ex-Therapeuten, der dem Moloch der Großstadt entkommen wollte und nun in der Provinz wieder in den Polizeidienst einsteigt, geht Sallis in dieser Hinsicht sogar noch strukturierter vor, wechselt mit jedem Kapitel von der Gegenwart in Turners Vergangenheit und wieder zurück. So bekommt der Leser mit jedem weiteren Kapitel aus Turners Vorgeschichte einen besseren Einblick in die irgendwie verloren wirkende Seele des sympathischen und unaufdringlich agierenden Mannes. 
Sein Einsatz in Vietnam, die versehentliche Tötung seines Partners während der Schlichtung eines Ehestreits, die elfjährige Haftstrafe und die unbefriedigende Tätigkeit als Therapeut haben tiefe Wunden in Turners Seele hinterlassen, aber das hindert ihn nicht, seine ganze Erfahrung einzubringen, um einen wirklich seltsamen Mordfall aufzuklären, der immer kuriosere Züge annimmt. 
Turner lernt dabei einen Filmfreak kennen, der sich auf Trashfilme spezialisiert hat und dem Ermittler seine persönliche Erkenntnis auf den Weg gibt, dass Trashfilme die Gesellschaft so zeigen, wie sie ist, während die Hochglanz-Produktionen aus Hollywood eher die Gesellschaft präsentiert, wie sie sich selbst gerne sieht. In gewisser Weise trifft das auch auf James Sallis‘ Werk zu, das weit entfernt davon ist, Trash zu sein. Aber seine Geschichten gehen in die Tiefe, folgen keinem Schema F und nehmen gerade die Biegungen, die auch das echte Leben so unvorhersehbar machen. 

 
Leseprobe James Sallis - "Dunkle Schuld"