(Heyne, 302 S., Tb.)
Seinen Debütroman „The Long-Legged Fly“, Auftakt seiner Serie um den Privatdetektiv, Lehrer und Schriftsteller Lew Griffin, veröffentlichte der US-amerikanische Schriftsteller, Poet, Kritiker, Übersetzer und Musiker James Sallis 1992 – da war er selbst bereits 48 Jahre alt. Mittlerweile wurde Sallis mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Deutschen Krimi Preis (für „Driver“), dem Hammett Prize und dem Grand prix de littérature policière, und zählt zu den eigenwilligsten und bedeutendsten Krimi-Autoren unserer Zeit. Nach den sechs Lew-Griffin-Romanen (von denen leider nur die ersten beiden ins Deutsche übersetzt wurden) folgte 2003 der Auftakt einer Trilogie um den ehemaligen Soldaten, Polizisten, Gefangenen und Therapeuten Turner.
Turner ist die Stadt leid, vor allem aber den Menschen, den die Stadt aus ihm gemacht hat. Nachdem er in einen Krieg geschickt worden war, den er nicht wollte, als Cop seinen Partner erschossen hatte, elf Jahre im Gefängnis gesessen hatte, um dann festzustellen, dass er auch als Therapeut nur wenig tun konnte, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, zieht er sich nach Cypress Grove zurück, einem Kaff im Nirgendwo zwischen Memphis und Little Rock. Doch auch hier hat er nicht lange Ruhe. Sheriff Lonnie Bates weiß natürlich von Turners früherer Vergangenheit als Großstadt-Cop und bittet ihn als Berater um Unterstützung bei einem Mord, der wie eine rituelle Tötung inszeniert worden ist. Das Opfer wurde an die Seite eines Carports mit ausgestreckten gekreuzigt und von einem Holzpflock durchbohrt.
Die Spur führt zu einem offenbar kultisch verehrten Trash-Filmemacher mit den Initialen BR, von dessen mutmaßlichem letzten Meisterwerk „The Giving“ nur eine Szene dokumentiert ist, in der ein Schauspieler ebenso zu Tode gepfählt wird wie der Mann, der als Carl Hazelwood identifiziert wird und für einen Herumtreiber ungewöhnlich weiche Hände hatte. Für Turner, der in Cypress Grove viele neue Freunde wie die Anwältin Val Bjorn und eben Sheriff Bates findet, geht es weit mehr als um die Suche nach dem Täter, sondern die Ermittlungen führen ihn tief in seine eigene Vergangenheit, vor allem in die Zeit seines Gefängnisaufenthalts.
„In dieser Kiste, die dein Zuhause und dein zweiter Körper geworden ist, erhält jeder noch so kleine Laut ein übertriebenes Gewicht. Das Entlangstreifen des Wärterknüppels über die Gitterstangen, der rasselnde Atem des Mannes auf der Pritsche unter dir, Unterhaltungen, die sich aus Nachbarzellen oder dem gegenüberliegenden Trakt einschleichen, ein Husten, das von Wand zu Wand prallt.“ (S. 171)
James Sallis hat sich bereits mit seiner Lew-Griffin-Reihe wenig um Konventionen des Krimi-Genres geschert und die nicht immer erfolgreich abgeschlossenen Suchen seines Protagonisten nach vermissten Personen stets mit philosophischen Betrachtungen und Rückblicken in die bewegte Vergangenheit des Privatdetektivs und Schriftstellers unterfüttert.
In „Dunkle Schuld“, dem Auftakt der nachfolgenden Trilogie um einen Ex-Cop, Ex-Sträfling und Ex-Therapeuten, der dem Moloch der Großstadt entkommen wollte und nun in der Provinz wieder in den Polizeidienst einsteigt, geht Sallis in dieser Hinsicht sogar noch strukturierter vor, wechselt mit jedem Kapitel von der Gegenwart in Turners Vergangenheit und wieder zurück. So bekommt der Leser mit jedem weiteren Kapitel aus Turners Vorgeschichte einen besseren Einblick in die irgendwie verloren wirkende Seele des sympathischen und unaufdringlich agierenden Mannes.
Sein Einsatz in Vietnam, die versehentliche Tötung seines Partners während der Schlichtung eines Ehestreits, die elfjährige Haftstrafe und die unbefriedigende Tätigkeit als Therapeut haben tiefe Wunden in Turners Seele hinterlassen, aber das hindert ihn nicht, seine ganze Erfahrung einzubringen, um einen wirklich seltsamen Mordfall aufzuklären, der immer kuriosere Züge annimmt.
Turner lernt dabei einen Filmfreak kennen, der sich auf Trashfilme spezialisiert hat und dem Ermittler seine persönliche Erkenntnis auf den Weg gibt, dass Trashfilme die Gesellschaft so zeigen, wie sie ist, während die Hochglanz-Produktionen aus Hollywood eher die Gesellschaft präsentiert, wie sie sich selbst gerne sieht. In gewisser Weise trifft das auch auf James Sallis‘ Werk zu, das weit entfernt davon ist, Trash zu sein. Aber seine Geschichten gehen in die Tiefe, folgen keinem Schema F und nehmen gerade die Biegungen, die auch das echte Leben so unvorhersehbar machen.
Leseprobe James Sallis - "Dunkle Schuld"
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