Rick DeMarinis – „Götterdämmerung in El Paso“

Montag, 27. Dezember 2021

(Pulp Master, 320 S., Tb.) 
Als Sohn des italienischen Gangsters „Big Al“ DeMarinis ist Rick DeMarinis (1934-2019) früh mit der Welt in Kontakt gekommen, die er zwischen 1975 und 2015 in Romanen und Kurzgeschichten thematisiert hat. Zwar ist sein schriftstellerisches Werk innerhalb dieser 40 Jahre recht überschaubar geblieben, wurde aber immer wieder ausgezeichnet, so mit dem Jesse H. Jones Award des Texas Institute of Letters und dem Independent Publishers Award. Mit „El Paso Twilight“ erschien leider schon sein letzter Roman, der 2012 bei Pulp Master in deutscher Übersetzung vorgelegt wurde und wunderbar respektlos mit den Konventionen des Krimi-Genres aufräumt. 
Luther Penrose und J.P. Morgan sind schon seit der Schule enge Freunde. Da sich Luther in der Schule als großkotziger Streber präsentierte und von seinem besten Kumpel vor den Rowdys beschützt werden musste, etablierte sich diese Beziehung auch ihrem Einsatz bei Desert Storm. Als Millionenerbe war es Luther vergönnt, sich seiner Schriftstellerei zu widmen, während J.P. Morgan eine Karriere als Versicherungsdetektiv einschlug und nach seinem Rausschmiss dort nun auf eigene Rechnung Aufträge übernimmt. 
Luther ist gerade mit seinem neuen Werk beschäftigt, einem historischen Bildungsroman mit dem Titel „Der Entfesselte Parsifal“, als er seinen Freund damit beauftragt, seine Frau Carla wieder zurückzubringen. Die Dozentin für Lateinamerikanische Studien der Universität von Texas in El Paso setzt sich als leidenschaftliche Aktivistin für mexikanische Illegale ein und scheint mit dem Doktoranden Hector Martinez durchgebrannt zu sein, so Luthers Vermutung. Er setzt dabei nicht allein auf J.P.s Loyalität, sondern heuert auch noch die Detektei Hamilton Scales & Partner an. J.P. gelingt es, das vermeintliche Liebespaar in Las Vegas ausfindig zu machen, entdeckt aber, dass Carla und Hector eher durch ihre ehrenamtlichen Missionen verbündet sind als durch amouröse Leidenschaften. Es dauert nicht lange, da hängen J.P. auch die Kopfgeldjäger, Texas Ranger und eine obskure Nazi-Bruderschaft sich an die Fersen von Carla, Hector und J.P. Denn wie sich herausstellt, ist eine Menge Geld im Spiel … 
„Für mich sah die Sache folgendermaßen aus: Sie würde niemals nach Chihuahua City fahren. Sie würde einfahren. Auch Hector würde nicht nach Chihuahua City fahren. Höchstwahrscheinlich war er bereits tot. Und ich würde todsicher keine zehntausend Dollar von jemanden bekommen, der im Knast war oder tot. Dieses irre Vorhaben war bereits gescheitert und die Folgen würden alles andere als angenehm werden.“ (S. 183) 
Bereits in „Kaputt in El Paso“ hat DeMarinis das US-Grenzstädtchen am Rio Grande, auf dessen anderer Seite Juárez liegt, zum Mittelpunkt einer grenzüberschreitenden Handlung in bester Noir-Tradition gemacht. Mit „Götterdämmerung in El Paso“ bekommen das Flüchtlingsthema und vor allem rassistische Ressentiments, wie sie später in der Donald-Trump-Ära auf die Spitze getrieben wurden, eine besondere Bedeutung. So wie J.P. Morgans exzentrischer und selbstgefälliger Schriftsteller-Freund Luther in seinem neuen Roman, für den er tatsächlich einen Verleger findet, Hitler und Richard Wagner in einen Topf wirft, erhält die nationalistische Note durch die von verschiedenen Seiten organisierte Jagd auf Luthers Frau und ihrem Liebhaber weiteren Treibstoff. 
Es ist eine mehr als blutige Hetzjagd, die sowohl die Gesuchten als auch J.P. selbst nach Vegas, Phoenix bis nach Albuquerque treibt und immer wieder neue Aspekte zutage treten lässt, die die Geschichte ebenso abstrus wie bedrohlich real erscheinen lassen. DeMarinis präsentiert mit „Götterdämmerung in El Paso“ einen grotesken Road Trip, der die tiefe Zerrissenheit innerhalb der US-amerikanischen Bevölkerung und ihrem Verhältnis zu ihren Nachbarn aus Mexiko offenbart. 

 

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