Robert Bloch – „Das Regime der Psychos“

Dienstag, 26. September 2023

(Heyne, 128 S., Tb.) 
Zwar ist Robert Bloch (1917-1994) wegen seiner berühmten Romanvorlage zu Alfred Hitchcocks Klassiker „Psycho“ (1960) vor allem als Autor fantastischen und psychologischen Horrors bekannt, doch hat der Autor, der schon als Jugendlicher Kontakt zu H.P. Lovecraft und seinem Zirkel gepflegt hatte, im Laufe seiner langen Schriftsteller-Karriere auch etliche Science-Fiction-Geschichten geschrieben (hier ist die Sammlung „Die besten SF-Stories von Robert Bloch“ besonders zu empfehlen). 
1971 erschien mit „Sneak Preview“ sogar ein Science-Fiction-Roman aus seiner Feder, der drei Jahre später als „Das Regime der Psychos“ von Heyne im deutschsprachigen Raum veröffentlicht wurde. 
Eigentlich würde Graham, der als junger Regisseur in der Abteilung Weltraumopern dafür zuständig ist, die gewalttätigen Fantasien des Publikums auf andere Welten und schleimige, insektenäugige Ungeheuer umzulenken, gerne einen Dokumentarfilm drehen, doch mit seinem Ansinnen, Gewalt zwischen Menschen zu zeigen, wird er von seinem Produzenten Zank zu einer Auszeit mit der schönen Wanda verdonnert. Es gibt Schlimmeres. Schließlich verliebt sich Graham in Wanda, die ihn allerdings gleich an den Psycho-Chef Sigmond übergibt. 
In der nahen Zukunft haben Kriege, atomare Explosionen und Naturkatastrophen die Erde verwüstet. Nun leben die verbliebenen Menschen unter Kuppeln in ausgesuchten Städten und werden nicht von Politikern regiert, sondern von Psychologen, die bestens mit der Natur des Menschen vertraut sind und deshalb genau wissen, was sie brauchen, um friedlich miteinander auszukommen. Dazu gehört auch, dass jeder Mensch im Alter von fünfzig Jahren zwangspensioniert wird und als Sozialpensionär in den Süden verfrachtet wird, um den Rest des Lebens genießen zu können. Krankheit, Armut und Krieg scheinen besiegt, politische und religiöse Querelen ausgemerzt. 
Auf der anderen Seite haben die dreißig Millionen Menschen auf der Erde Zugang zu Kleidung, Ernährung, Wohnung, medizinischer und psychiatrischer Unterstützung. Damit auch Graham wieder in dieses System eingegliedert werden kann, soll er einer Gehirnwäsche unterzogen werden, doch dann bekommt er unverhofft die Gelegenheit, sich einer gut organisierten Gruppe anzuschließen, die wieder die alte Gesellschaftsform zurückbringen will. 
„Unter den Kuppeln betrachteten die Menschen sich nicht als Schachfiguren der Natur; wenn sie einander umarmten, geschah es nur zur Triebbefriedigung. Vielleicht war es wichtig, dass allen wieder eine Gelegenheit wie diese geboten wurde – unter einem dunklen und weiten Himmel zu stehen und sich im Bewusstsein der eigenen Unwichtigkeit und auf der Suche nach Kraft wie auch zu flüchtiger Erfüllung an einen anderen Menschen zu klammern.“ (S. 97) 
Robert Bloch ist mit „Das Regime der Psychos“ Anfang der 1970er Jahre ein interessanter Science-Fiction-Roman gelungen, der in vielerlei Hinsicht nach wie vor drängende Probleme wie Überbevölkerung, Zerstörung der Natur, Hungersnöte und soziale Ungleichheit thematisiert und als vermeintlichen Ausweg aus der Krise eine nivellierte, kontrollierte und dezimierte Gesellschaft vorstellt, die nicht zuletzt durch manipulative Filmproduktionen auf Kurs gehalten wird. 
Auch nach fünfzig Jahren bietet dieser Roman viel Stoff zum Nachdenken an, konzentriert sich aber auch mehr auf das übergeordnete Thema als auf seine Figuren, und das Ende fällt für Blochs Verhältnisse ungewöhnlich konventionell aus. Aber als Impulsgeber zur Reflexion über die Möglichkeiten und Gefahren einer allzu konditionierten Gesellschaft ist der Roman noch immer sehr lesenswert. 
 

Andrea De Carlo – „Techniken der Verführung“

Dienstag, 19. September 2023

(Diogenes, 424 S., HC) 
Ähnlich wie sein französischer Kollege Philippe Djian weiß auch der aus Mailand stammende Andrea De Carlo, die Schwierigkeiten des künstlerischen Schaffensprozesses zu beschreiben und diesen geschickt mit den Wirren des Künstlerlebens zu verknüpfen. Ein besonders prominentes Beispiel stellt De Carlos - im Original 1991 veröffentlichter - Roman „Techniken der Verführung“ dar. 
Der Mailänder Journalist Roberto Bata hat es satt, als Redakteur mit einem Praktikantenvertrag bei Prospettiva zu arbeiten und sich vom Chefredakteur Tevigati auf übelste Weise herumkommandieren zu lassen. Entsprechend widerwillig nimmt er den Auftrag an, zu einem Theaterstück nach einem Text von Marco Polidori, „Der Traumaktivator – Konzertantes Schauspiel in zwei Akten“, zu besuchen, um die Schauspielerin Maria Blini zu interviewen. Dass er dafür das geplante Abendessen mit seiner Freundin Caterina absagen muss, ist der ohnehin angeschlagenen Beziehung nicht gerade förderlich. Viel lieber würde sich Roberto um die Fertigstellung seines ersten Romans kümmern, doch da er Caterina, die ihren Vertretungsdienst als Augenärztin absolvierte, finanziell unterstützen muss, ist er weiterhin gezwungen, öde Interviews zu führen. 
Doch dann ist er von der Schauspielerin, die er für dreißig Zeilen interviewen soll, ganz hingerissen und begleitet sie zu einem Empfang, wo er nicht nur die Gelegenheit für das geplante Interview findet, sondern auch den berühmten Schriftsteller Marco Polidori kennenlernt. Roberto lässt Polidori sein Manuskript zukommen; der zeigt sich offen begeistert davon und öffnet dem angehenden Schriftsteller einige Türen: Polidori drängt Marco dazu, sich ganz auf seinen Roman zu konzentrieren, und verschafft ihm einen Job bei dem Magazin 360° in Rom, das vom Ministerium für Fremdenverkehr und Veranstaltungswesen finanziert wird. Hier hat Marco genügend Raum und Zeit, um sich ganz auf die Fertigstellung seines Romans zu konzentrieren, doch dann begegnet er zufällig Maria wieder und beginnt eine leidenschaftliche Affäre mit ihr, die allerdings komplizierter verläuft als erhofft. Und schließlich gibt es für Marco noch die Beziehung zu Caterina zu klären… 
„Mir war, als hätte ich jahrelang vor einem verschlossenen Garten voller unterschiedlicher Farben und Empfindungen und Möglichkeiten gestanden, bis Polidori mir, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, das Tor geöffnet hatte. Ich wollte nur möglichst schnell dorthin zurückkehren: in die reiche, noch unbekannte Vegetation eindringen, der duftenden Spur Maria Blinis folgen.“ (S. 159) 
Andrea De Carlo nutzt die interessante Ausgangssituation, dass ein junger, talentierter Autor von einer bereits fest im Literaturbetrieb verankerten Kulturinstitution protegiert wird, vor allem dazu, die vorhersehbaren Abhängigkeiten nicht nur im kulturellen Leben in Italien zu sezieren, sondern auch die Korruption in der Politik und die Verlogenheiten in persönlichen Beziehungen. 
Polidoris Monologe sind wunderbar ätzend wie präzise, wenn sie die Gesetze der Literaturszene demaskieren, die unverfrorene Gier der Politiker offenbaren. 
Dass der rasante Aufstieg von Roberto nicht ohne Folgen bleibt, enthüllt De Carlo auf ebenso genüssliche, aber leider auch sehr vorhersehbare Weise. Doch von dem plakativen Finale abgesehen, erweist sich der Autor als versierter Erzähler mit sprachgewaltigen Beschreibungen der offenbar erbärmlichen Zustände im italienischen Kulturbetrieb, teilt er doch durch Polidori immer wieder bissige Kommentare dazu aus. Die Liebe und das Geflecht unterschiedlichster Beziehungen kommen auch nicht zu kurz.  
„Techniken der Verführung“ erweist sich als kurzweiliger Ausflug in die letztlich verlogene, abgekartete, von Eigennutz und Abhängigkeit geprägte Welt von Politikern und Kulturschaffenden, unter der letztlich auch die persönlichen Beziehungen zu leiden haben. 

 

Robert R. McCammon – „Höllenritt“

Montag, 18. September 2023

(Knaur, 398 S., Tb.) 
Obwohl der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon bereits 1978 seinen Debütroman „Baal“ veröffentlicht hat und in der Folge neben Stephen King, Dean Koontz, James Herbert und Peter Straub zu einem der bedeutendsten Autoren des Horror-Genres avancierte, brauchte es zehn Jahre, bis auch das deutsche Publikum in den Genuss seiner Werke kam, als Knaur 1988 begann, seine Romane hierzulande zu veröffentlichen. „Höllenritt“ erschien 1980 in McCammons Heimat unter dem Titel „Bethany’s Sin“ und bedient sich wie McCammons erfolgreiches Romandebüt vor allem mythologischer Elemente, diesmal rund um die griechische Göttin Artemis. 
Nachdem der Vietnam-Veteran Evan Reid seinen Redakteurs-Job in LaGrange verloren hat, zieht er mit seiner Frau Kay und ihrer gemeinsamen Tochter Laurie im Juni 1980 in das beschauliche 800-Seelen Dorf Bethany’s Sin, wo ihm die Immobilienmaklerin Marcia Giles ein traumhaft schönes Haus in der McClain Terrace zu einem mehr als annehmbaren vermittelte. 
Während Kay nach den Sommerferien eine Stelle als Mathematiklehrerin am nahegelegenen George Ross Junior College antritt, will sich Evan auf seine Schriftstellerkarriere konzentrieren. Doch wie in der Vergangenheit wird Evan auch hier von prophetischen Alpträumen heimgesucht, die ihn ebenso beunruhigen wie seine Frau, die am liebsten nichts mehr über sie hören möchte. Bethany’s Sin wirkt jedoch nur auf den ersten Blick so idyllisch. Tatsächlich bemerkt auch der Wanderarbeiter Neely Ames, der vom Bürgermeister für alle möglichen Arbeiten eingestellt wird, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Er mäht Rasen rund um ein verlassen wirkendes Haus und findet auf dem nahegelegenen Schuttplatz die Reste von menschlichen Zähnen. 
Als er nachts von dämonisch wirkenden Frauen auf Pferden angegriffen wird, erzählt er nach ein paar Bieren auch dem Schriftsteller davon, der sich gerade bemüht, etwas von der Geschichte des Dorfes zu erfahren. Als er die ebenso schöne wie geheimnisvolle und aristokratische wirkende Dr. Drago und ihre Historische Gesellschaft kennenlernt, kommt er dem Geheimnis von Bethany’s Sin gefährlich nahe… 
„Diese Augen brannten in seinem Gehirn; auch wenn er seine schloss, sah er sie noch deutlich; feurige Halbkugeln irgendwo hinter seiner Stirn. Jetzt, nach diesem zweiten Traum, wusste er es. Und fürchtete das grässliche Wissen. Etwas in diesem friedlichen Ort Bethany’s Sin jagte ihn. Es kam immer näher.“ (S. 141) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“ einen alten kanaanitischen Gott der Sexualität und des Opfers in den Mittelpunkt seines apokalyptischen Debütromans gestellt hatte, ist es in „Höllenritt“ Artemis, die griechische Göttin der Jagd, der Jungfräulichkeit, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder, die den Rahmen für eine abenteuerliche Geschichte in einem nur auf den ersten Blick ruhigen und hübschen Dorf bildet und durch die Archäologin Dr. Kathryn Drago nach einer Ausgrabung in der Türkei wiederbelebt worden ist. 
McCammon bleibt in seiner Geschichte vor allem nah an der Reid-Familie, wobei die Ehe durch Evans unheimliche Träume bereits in der Vergangenheit arg gelitten hat. Die Traumata, die Evan durch seine Teilnahme am Vietnam-Krieg erlitten hat, werfen auch einen Schatten über den Neuanfang seiner Familie in Bethany’s Sin, und McCammon nimmt sich viel Zeit, die Auswirkungen von Evans besonderen Träumen auf den Neuanfang zu schildern. Auch die Beschreibung der feinsinnigen Empfindungen in dem neuen Umfeld gelingt dem Autor sehr gut. 
Nachdem er seine Leserschaft aber so geschickt in den Lauf der Geschichte eingebettet hat, braucht es allerdings schon ein enormes Maß an Gutgläubigkeit, um die Ereignisse bei den Ausgrabungen, die Dr. Drago in der Türkei durchgeführt hat, auf die unheimlichen Vorkommnisse in Bethany’s Sin übertragen zu können. 
Anfang der 1980er Jahre, als Stephen King schon so wegweisende Romane wie „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und „The Stand – Das letzte Gefecht“ veröffentlicht hatte, traf „Höllenritt“ sicher noch den Nerv der Zeit. Heute gefällt vor allem nach wie vor McCammons sprachliche Finesse, während die Originalität der Geschichte bereist Staub angesetzt hat und noch wie eine Fingerübung für spätere Arbeiten wirkt. 

 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 4, Harry Bosch: 23) „Dunkle Stunden“

Dienstag, 12. September 2023

(Kampa, 432 S., HC) 
Wenn man wie Michael Connelly in dreißig Jahren einen Protagonisten mit über 20 Romanen zu einer Kultfigur der Kriminalliteratur am Leben erhalten und dabei auf eine über mehrere Staffeln erfolgreiche Fernsehserie mitinitiiert hat, ist es mit Sicherheit nicht leicht, die Romanreihe auf einem qualitativ konstant hohen Niveau zu halten. Also hat der ehemalige Polizeireporter für die Los Angeles Times über die Jahre seine Aufmerksamkeit auch anderen Figuren gewidmet wie Boschs Halbbruder Mickey Haller oder dem Reporter Jack McEvoy. Connellys letzte literarische Erfindung ist die Figur des weiblichen Detective Renée Ballard, die vor einigen Jahren zur Nachtschicht beim LAPD strafversetzt worden ist, wo sich Ballard aber sehr wohl fühlt. Nach ihrem Einstieg mit „Late Show“ ermittelt sie seit dem zweiten Fall „Night Team“ allerdings mit dem mittlerweile pensionierten Detective Harry Bosch zusammen, der auch im mittlerweile vierten Abenteuer die prominenteste Nebenrolle einnimmt. 
Silvester in Los Angeles. Für die Cops bedeutet der Jahreswechsel, dass alle Polizisten zum Dienst in Uniform in Zwölf-Stunden-Schichten verdonnert sind. Um sich vor dem unvermeidlichen Bleihagel zu schützen, hat sich Renée Ballard mit ihrer Kollegin Lisa Moore, die eigentlich in der Tagschicht in der Einheit Sexualdelikte der Hollywood Division eingesetzt wird, mit dem Wagen unter der Cahuenga-Überführung verkrochen. Dabei hoffen sie, Hinweise auf die sogenannten „Midnight Men“ zu bekommen, ein männliches Paar von Sexualstraftätern, das in den vergangenen fünf Wochen jeweils gegen Mitternacht zwei Frauen vergewaltigt hat. 
Als Ballard und Moore nach einer Schießerei zu einem Tatort gerufen werden, finden sie Javier Raffa, den Inhaber einer Autowerkstatt, mit einer tödlichen Kopfwunde vor. Bei der ersten Untersuchung der Leiche stellt Ballard schnell fest, dass der Täter das mitternächtliche Geballere ausgenutzt hat, um Raffa aus nächster Nähe zu erschießen. Während sich Moore an dem Wochenende mit ihrem Freund vergnügt, ermittelt Ballard auf eigene Faust weiter und findet heraus, dass Raffa sich mit 25.000 Dollar aus der berüchtigten Las-Palmas-Bande freigekauft hatte. 
Die zur Tat passende Hülse einer Remington .22 führt zu einem fast zehn Jahre alten Raubüberfall, in dem Harry Bosch der leitende Ermittler gewesen war. Gemeinsam mit dem pensionierten Detective entdeckt Ballard außer der Waffe noch eine weitere Verbindung zwischen den beiden Morden, die bis ins Revier des LAPD reicht, was Ballard vor eine schwierige Entscheidung stellt. 
Aber auch die Jagd nach den Midnight Men entwickelt sich zu einem heiklen Balanceakt, da die Polizei die Medien nicht informiert, um die Täter nicht abzuschrecken, dass sie ihren Modus Operandi ändern. Ballard bringt sich durch ihre eigenmächtige Handlungsweise so sehr in die Bredouille, dass sie ihren Job zu verlieren droht. Doch mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen, hat sie ohnehin schon gespielt… 
Michael Connellys vierter Ballard- und sogar schon 23. Bosch-Band spielt vor dem Hintergrund der Pandemie, die nicht nur mit Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen verbunden gewesen ist, sondern auch zu einem Aufweichen der Arbeitsmoral bei den Cops im LAPD geführt hat. Für diese bedauernswerte Entwicklung steht Ballards Silvesterdienst-Partnerin Lisa Moore, die kein schlechtes Gewissen verspürt, Ballard das Wochenende allein Dienst schieben zu lassen und es sich selbst mit ihrem Freund gutgehen zu lassen. 
„Dunkle Stunden“ fesselt mit zwei unterschiedlichen Fällen, bei denen der Polizeiapparat keine gute Figur macht und Ballard sogar aus dem Spiel zu nehmen droht. Ebenso wie ihr Mentor Harry Bosch ist ihre Einstellung aber nicht korrumpiert, so dass sie sich nicht um die Konsequenzen ihres Handelns schert, wenn es doch der richtigen Sache dient. Connelly erweist sich einmal mehr als kundiger Kenner der Polizeiarbeit. Akribisch beschreibt er die einzelnen Schritte der Ermittlungsarbeit, die allerdings so viel Raum einnimmt, dass die persönlichen Elemente etwas arg kurz kommen und dem Roman eine sehr akademische, sachliche Note verleihen. Dazu sind auch die Spannungs- und Überraschungsmomente sehr moderat ausgefallen. „Dunkle Stunden“ ist zwar kein echtes Highlight in Connellys umfangreicher Werksbiografie, aber doch ein durchweg überzeugender Krimi, der keine Langeweile aufkommen lässt. 

Robert R. McCammon – „Baal“

Samstag, 9. September 2023

(Knaur, 346 S., Tb.) 
Der 1952 in Birmingham, Alabama, geborene Robert R. McCammon gesellte sich in den ausgehenden 1970er Jahren zu der Elite bereits etablierter Horrorautoren wie Stephen King und Dean Koontz hinzu, als er im Alter von 25 Jahren seinen Debütroman „Baal“ veröffentlichte, mit dem der Autor seine Variante des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse thematisierte. 
Als sich die zwanzigjährige Kellnerin Mary Kate Raines nach dem Ende ihrer Schicht auf den Weg zur Bushaltestelle macht, wird sie in einer dunklen Gasse von einem Mann angegriffen und brutal vergewaltigt. Als sie im Krankenhaus untersucht wird, stellt der behandelnde Arzt merkwürdige Verbrennungsmale an ihrem Körper fest, die die Form von Handabdrücken aufweisen, und zwar nicht nur im Unterleib und auf Armen und Schenkeln, sondern auch auf jedem Lid ist ein Fingerabdruck hinterlassen worden. Mary Kate bringt das Kind gegen den Willen ihres Mannes Joe zur Welt, doch stellt sie bald fest, dass ihr Sohn Jeffrey etwas aus der Art geschlagen ist. 
Nachdem Joe unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, wächst Jeffrey in einem Knabeninternat auf, wo er sich allerdings weigert, auf seinen Namen zu hören, und stattdessen mit Baal angesprochen zu werden fordert. Bald schon versammelt der Junge seine Altersgenossen um sich und beunruhigt mit seinem Verhalten sowohl die Schwestern als auch Pater Dunn. Schließlich brennt das Waisenhaus nieder… 
Jahre später reist Dr. Donald Naughton, Professor der Theologie an der Universität von Boston City, im Rahmen seiner Recherchen über Messiaskulte nach Kuwait, wo ein Mann namens Baal ganze Menschenmassen aus aller Welt mobilisiert hat, ihm zu folgen und sich in wilder Raserei während der Versammlung zu paaren. Als Dr. James Virga, Naughton Vorgesetzter an der Universität, nichts mehr von Naughton hört und schließlich von dessen Frau Judith einen verstörenden Brief ihres Mannes vorgelegt bekommt, reist er selbst nach Kuwait, um seinen Freund ausfindig zu machen, doch was er dort entdeckt, übersteigt jede Vorstellungskraft. 
Virga lernt einen geheimnisvollen Mann namens Michael kennen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Baal bis ans Ende der Welt zu jagen und unschädlich zu machen. Dr. Virga schließt sich dem Mann an und folgt ihm bis nach Grönland, wo Baal nach einem Zwischenfall im Nahen Osten mit einigen seiner Anhänger geflüchtet sein soll… 
„Wo ist Gott? fragte er sich. Ist die Menschheit so hoffnungslos verloren, dass Gott diesen Augenblick ohne einen einzigen barmherzigen Atemzug geschehen lässt? Ist Baal so mächtig geworden, dass selbst Er mit Entsetzen geschlagen ist? Der Gedanke machte ihn frösteln. Ihm schien, als wäre der gewaltige Mechanismus, der die letzten Augenblicke der Menschheit einläutete, in Bewegung gesetzt worden; er tickte die Sekunden fort wie eine gigantische Pendeluhr.“ (S. 238) 
McCammon bezeichnet seinen 1978 veröffentlichten Debütroman in dem 1988 geschriebenen Nachwort als „Zorniger junger Mann“-Roman, als ersten Versuch, aus der Tretmühle eines öden Jobs herauszukommen und seine Brötchen als Schriftsteller zu verdienen. Besonders originell wirkt der Plot dabei nicht. Die kurz abgehandelten Stationen von Baals Lebenslauf von seiner Zeugung über das Aufwachsen bei der überforderten Mutter und in katholischen Internaten bis zu seinen erfolgreichen Methoden, massenhaft Jünger zu rekrutieren, bewegen sich in vertrauten Regionen, die William Peter Blattys „Der Exorzist“ (1971) und dessen erfolgreiche Verfilmung durch William Friedkin sowie Filme wie „Das Omen“ (1976) und „Rosemaries Baby“ (1968) vorgezeichnet haben, um damit eine neue Welle des Horrorkinos loszutreten. 
Das Finale im eisigen Grönland erinnert zudem an Mary Shelleys „Frankenstein“. McCammons „Baal“ zeichnet sich eher durch die exotischen Schauplätze in Kuwait und Grönland aus, die der Autor eindrücklich vor den Augen des Lesers mit Leben erfüllt, und die gut gezeichneten Charaktere, während der Plot doch recht skizzenhaft ausgefallen ist und mehr Tiefe hätte vertragen können. Für einen Debütroman besticht „Baal“ zudem durch eine bildreiche Sprache, die in späteren Werken des Autors noch geschliffener zum Ausdruck kommt. 

 

Mick Herron – (Jackson Lamb: 6) „Joe Country“

Dienstag, 5. September 2023

(Diogenes, 480 S., Pb.) 
Zwar hat Mick Herron, der in Oxford englische Literatur studiert hat und dann als Korrektor bei einer juristischen Fachzeitschrift gearbeitet hat, bereits ab 2003 vier Romane um die Oxforder Privatdetektivin Zoë Boehm veröffentlicht, doch erst mit der 2010 begonnenen Reihe um Jackson Lamb und seine beim MI5 in Ungnade gefallenen „Slow Horses“ erreichte der englische Schriftsteller auch ein internationales Publikum. 2018 fing der Diogenes Verlag an, die Reihe auch der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Mit „Joe Country“ ist bereits der sechste Roman der Slough-House-Reihe erschienen, die seit 2022 mit Gary Oldman in der Hauptrolle als Fernsehserie bei Apple TV+ ausgestrahlt wird. 
Slough House, die abrissreife, verschimmelte Bruchbude, in der der unter Flatulenz und Abneigung gegen jegliche Höflichkeitsformen leidende Jackson Lamb seine liebevoll und sarkastisch als „Slow Horses“ bezeichnete Agenten führt, bekommt Zuwachs. Lech Wicinski wurde mit Kinderpornographie auf seinem dienstlichen Laptop erwischt und muss bis zur Aufklärung der Sachlage Dienst in Slough House schieben. Dort versucht Louisa Guy noch immer, über den Tod ihres Kollegen und Liebhabers Min Harper hinwegzukommen, als sie einen Anruf von Harpers Frau Clare erhält, die ihren Sohn Lucas vermisst und um Louisas Mithilfe bei der Suche bittet. 
Während River Cartwright seinen Großvater „O.B.“ (Old Bastard) beerdigen muss und dabei mal wieder Kontakt zu seiner egomanischen Mutter bekommt, versammelt sich auf dem Friedhof eine Reihe illustrer Gäste, darunter die neue MI5-Chefin Diana Taverner. Die Zeremonie wird allerdings empfindlich gestört, als unerwartet Rivers Vater, der in Ungnade gefallene Ex-CIA-Agent Frank Harkness, auftaucht und River zu einer ungewohnten Verfolgungsjagd animiert. 
Wie sich herausstellt, ist Harkness mit einem Team von drei Söldnern eingereist Während Louisa mit Hilfe der attraktiven Ex-Polizistin und Ex-Agentin Emma Flyte und ihrem Kollegen Roddy Ho Lucas‘ Handy in Wales ausfindig macht, wo der junge Mann mal als Kellner ausgeholfen hat, erfährt die Alkoholikerin Catherine Standish von ihrem Chef Jackson Lamb, wie und vor allem warum dieser seinen Vorgänger Charles Partner ausgeschaltet hat. 
Im verschneiten Wales spitzen sich die Ereignisse zu, als Louisa und Emma unfreiwillige Bekanntschaft mit Rivers Vater und seiner Crew machen. Die Sache entwickelt sich zu einem brisanten Politikum, bei dem nicht nur der Name eines Royals geschützt werden muss, sondern auch die Beziehung zwischen Lamb und Taverner einmal mehr auf dem Prüfstein steht… 
„Di Taverner hatte der Beerdigung beigewohnt und würde von Lamb genauso wenig vermuten, dass er Harkness‘ Anwesenheit ignorierte, wie sie damit rechnete, dass er sich in die Luft erhob oder die Zähne putzte. Aber das war nicht anders zu erwarten; ein Großteil des Lebens in Slough House wurde durch das ständige Tauziehen zwischen den beiden bestimmt. River hatte mal vorgeschlagen, sie sollten sich ein Zimmer nehmen – am besten schalldicht, abgeriegelt und mit einem Krokodil drin.“ (S. 152) 
Mick Herron hat mit der „Slough House“-Reihe fraglos die amüsanteste Variante des modernen Spionage-Romanes hoffähig gemacht. Während die von Herrons Landsmann Ian Fleming in den 1950er Jahren initiierte Reihe um den MI6-Agenten James Bond immerhin mit einigen pointierten Sprüchen aufwarten konnte, fiel die ebenfalls erfolgreich verfilmten „Jason Bourne“-Romane von Robert Ludlum recht humorlos aus. Da wirken Mick Herrons Plots weitaus erfrischender, die Figuren skurriler, der Humor derber. 
„Joe Country“ wartet nicht nur mit einem spannenden Fall für die lahmen Gäule auf, sondern beleuchtet auch die Beziehungen in Slough House etwas näher. Dabei kommt die Beziehung von River Cartwright zu seiner bislang durch Abwesenheit glänzende Mutter allerdings etwas kurz, wohingegen Jackson Lamb und Catherine Standish ihr Verhältnis ebenso neu definieren wie Di Taverner ihre Stellung beim MI5 durch einen geschickten Schachzug zu zementieren versucht. Die Action spielt sich dagegen in Wales mit allerlei Beteiligten verschiedener Lager ab und sorgt für die spannenden Momente in „Joe Country“. Vergnüglicher lassen sich Spionage-Romane wohl kaum lesen. Mit „Slough House“ und „Bad Actors“ hat Herron bereits zwei weitere Jackson-Lamb-Romane veröffentlicht, so dass wir uns auch hierzulande darauf freuen dürfen, die ungewöhnlichen Abenteuer von Lamb, Cartwright, Taverner & Co. weiter zu verfolgen.