Robert R. McCammon – „Höllenritt“

Montag, 18. September 2023

(Knaur, 398 S., Tb.) 
Obwohl der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon bereits 1978 seinen Debütroman „Baal“ veröffentlicht hat und in der Folge neben Stephen King, Dean Koontz, James Herbert und Peter Straub zu einem der bedeutendsten Autoren des Horror-Genres avancierte, brauchte es zehn Jahre, bis auch das deutsche Publikum in den Genuss seiner Werke kam, als Knaur 1988 begann, seine Romane hierzulande zu veröffentlichen. „Höllenritt“ erschien 1980 in McCammons Heimat unter dem Titel „Bethany’s Sin“ und bedient sich wie McCammons erfolgreiches Romandebüt vor allem mythologischer Elemente, diesmal rund um die griechische Göttin Artemis. 
Nachdem der Vietnam-Veteran Evan Reid seinen Redakteurs-Job in LaGrange verloren hat, zieht er mit seiner Frau Kay und ihrer gemeinsamen Tochter Laurie im Juni 1980 in das beschauliche 800-Seelen Dorf Bethany’s Sin, wo ihm die Immobilienmaklerin Marcia Giles ein traumhaft schönes Haus in der McClain Terrace zu einem mehr als annehmbaren vermittelte. 
Während Kay nach den Sommerferien eine Stelle als Mathematiklehrerin am nahegelegenen George Ross Junior College antritt, will sich Evan auf seine Schriftstellerkarriere konzentrieren. Doch wie in der Vergangenheit wird Evan auch hier von prophetischen Alpträumen heimgesucht, die ihn ebenso beunruhigen wie seine Frau, die am liebsten nichts mehr über sie hören möchte. Bethany’s Sin wirkt jedoch nur auf den ersten Blick so idyllisch. Tatsächlich bemerkt auch der Wanderarbeiter Neely Ames, der vom Bürgermeister für alle möglichen Arbeiten eingestellt wird, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Er mäht Rasen rund um ein verlassen wirkendes Haus und findet auf dem nahegelegenen Schuttplatz die Reste von menschlichen Zähnen. 
Als er nachts von dämonisch wirkenden Frauen auf Pferden angegriffen wird, erzählt er nach ein paar Bieren auch dem Schriftsteller davon, der sich gerade bemüht, etwas von der Geschichte des Dorfes zu erfahren. Als er die ebenso schöne wie geheimnisvolle und aristokratische wirkende Dr. Drago und ihre Historische Gesellschaft kennenlernt, kommt er dem Geheimnis von Bethany’s Sin gefährlich nahe… 
„Diese Augen brannten in seinem Gehirn; auch wenn er seine schloss, sah er sie noch deutlich; feurige Halbkugeln irgendwo hinter seiner Stirn. Jetzt, nach diesem zweiten Traum, wusste er es. Und fürchtete das grässliche Wissen. Etwas in diesem friedlichen Ort Bethany’s Sin jagte ihn. Es kam immer näher.“ (S. 141) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“ einen alten kanaanitischen Gott der Sexualität und des Opfers in den Mittelpunkt seines apokalyptischen Debütromans gestellt hatte, ist es in „Höllenritt“ Artemis, die griechische Göttin der Jagd, der Jungfräulichkeit, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder, die den Rahmen für eine abenteuerliche Geschichte in einem nur auf den ersten Blick ruhigen und hübschen Dorf bildet und durch die Archäologin Dr. Kathryn Drago nach einer Ausgrabung in der Türkei wiederbelebt worden ist. 
McCammon bleibt in seiner Geschichte vor allem nah an der Reid-Familie, wobei die Ehe durch Evans unheimliche Träume bereits in der Vergangenheit arg gelitten hat. Die Traumata, die Evan durch seine Teilnahme am Vietnam-Krieg erlitten hat, werfen auch einen Schatten über den Neuanfang seiner Familie in Bethany’s Sin, und McCammon nimmt sich viel Zeit, die Auswirkungen von Evans besonderen Träumen auf den Neuanfang zu schildern. Auch die Beschreibung der feinsinnigen Empfindungen in dem neuen Umfeld gelingt dem Autor sehr gut. 
Nachdem er seine Leserschaft aber so geschickt in den Lauf der Geschichte eingebettet hat, braucht es allerdings schon ein enormes Maß an Gutgläubigkeit, um die Ereignisse bei den Ausgrabungen, die Dr. Drago in der Türkei durchgeführt hat, auf die unheimlichen Vorkommnisse in Bethany’s Sin übertragen zu können. 
Anfang der 1980er Jahre, als Stephen King schon so wegweisende Romane wie „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und „The Stand – Das letzte Gefecht“ veröffentlicht hatte, traf „Höllenritt“ sicher noch den Nerv der Zeit. Heute gefällt vor allem nach wie vor McCammons sprachliche Finesse, während die Originalität der Geschichte bereist Staub angesetzt hat und noch wie eine Fingerübung für spätere Arbeiten wirkt. 

 

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