Posts mit dem Label Verlag: Knaur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Verlag: Knaur werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Michael Connelly – (Harry Bosch: 15) „Der Widersacher“

Samstag, 7. Dezember 2024

(Knaur, 458 S., Tb.) 
Seit 1992 schickt der ehemalige Polizeireporter Michael Connelly seinen unermüdlich und aufrichtig für Gerechtigkeit kämpfenden Detective Harry Bosch auf Verbrecherjagd und ist immer wieder für einige der besten Krimis verantwortlich gewesen, die es sogar ins Serienformat von Amazon Prime geschafft haben. Fast zwanzig Jahre später ist Bosch längst pensioniert, konnte aber seine Dienstzeit verlängern lassen und ist nun der Einheit Offen-Ungelöst des Los Angeles Police Departments zugeteilt. Mit seinem Partner David Chu bekommt er von Lieutenant Duvall den Fall von Lily Price zugewiesen, die 1989 ermordet worden war. Nun konnte eine DNA-Probe dem bereits inhaftierten Sextäter Clayton S. Bell zugeordnet werden, der zum Zeitpunkt des Mordes allerdings erst acht Jahre alt war. 
Wie Bosch und Chu bei einem von der Therapeutin Hannah Stone begleiteten Verhör mit Pell erfahren, war Pells Mutter während seiner Kindheit mit einem Mann namens Chill liiert, der Pell sexuell missbraucht und mit einem Gürtel geschlagen habe. So könnte Pells Blut an Lily Prices Hals gelangt sein. Doch bevor sich Bosch und Chu auf die Suche nach diesem mysteriösen Chill machen können, werden sie zu einem brisanten aktuellen Fall abkommandiert. Niemand Geringerer als Stadtratsmitglied Irvin Irving hat Bosch angefordert, den Tod seines Sohnes George zu untersuchen. 
Als Irving noch Chef der Einheit für interne Untersuchungen beim LAPD war, machte er Bosch immer wieder das Leben schwer, doch hält er Bosch für so integer und vertrauenswürdig, dass er ohne Rücksicht auf die Ergebnisse, zu denen der Detective kommen wird, die Wahrheit herausfinden wird. Dabei sieht zunächst alles danach aus, als habe sich der Lobbyanwalt vom Balkon von Zimmer 79 des Chateau Marmont Hotels zu Tode gestürzt. Bei ihren Ermittlungen stoßen Bosch und sein Partner, der hinter Boschs Rücken Informationen an eine Reporterin der Los Angeles Times weitergibt und so Boschs Vertrauen nachhaltig untergräbt, auf die Neuvergabe von Taxilizenzen, bei der sowohl der Stadtrat als auch sein Sohn die Finger im Spiel hatten. Der Geschädigte ist ausgerechnet Robert Mason, ein alter Cop, der Bosch allerdings ein wasserdichtes Alibi für Irvings Todeszeitpunkt präsentiert… 
„Mason stand auf und ging mit gesenktem Kopf zum Ausgang. Bosch sah ihm hinterher und dachte über die Wechselwirkung von Beziehungen und Ermittlungen nach. Er war in der Erwartung hierhergekommen, einen korrupten Polizisten zu finden, der einen Schritt zu weit gegangen war. Stattdessen betrachtete er Mason inzwischen als ein weiteres Opfer Irvin Irvings. Und ganz oben auf der Liste von Irvings Opfern stand dessen eigener Sohn. Vielleicht brauchte sich Mason gar keine Gedanken zu machen, wie er den Stadtrat am besten zur Rede stellen sollte. Vielleicht kam ihm Bosch zuvor.“ (S. 253) 
Auch in Boschs neuen Fällen ist mal wieder „High Jingo“ angesagt, die vertrackte Verquickung von Polizeiarbeit und Politik. Connelly ist als ehemaliger Verfasser von Polizeireportagen erfahren genug, um diese Fallstricke immer wieder in packende Krimis zu verpacken. Wie so oft sind es gleich zwei Fälle, mit denen es Bosch und sein ungeliebter Partner Chu in „The Drop“ zu tun bekommen, wobei der Originaltitel in erster Linie auf den Deferred Retirement Option Plan – kurz: DROP - anspielt, an dem Bosch als bereits pensionierter Cop teilnimmt. Das erhöht nicht nur das Tempo der Erzählung, sondern fesselt auch die Aufmerksamkeit der Leserschaft. 
Connelly liefert, was er am besten kann: akribisch beschriebene Ermittlungsarbeit mit etlichen Spuren, wobei nur der Irving-Fall etwas kniffliger zu sein scheint, während der Cold-Case-Fall von Lily Price vor allem dazu dient, Bosch eine neue Liebschaft zu verschaffen und ein actionreiches Finale zu präsentieren. 
„Der Widersacher“ lebt wie eigentlich alle Bosch-Romane von der charismatischen Persönlichkeit des Protagonisten, der auch mal Fehler macht, sich diese aber auch eingesteht. Zwar verderben etwas arg viele Zufälle eine durchweg glaubwürdige Story, aber für Connelly-Fans ist „Der Widersacher“ ein Muss.


Robert R. McCammon – „Botin des Schreckens“

Samstag, 28. September 2024

(Knaur, 622 S., Tb.) 
Der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon zählte mit seinen seit den späten 70er Jahre veröffentlichten Romanen wie „Baal“, „Höllenritt“, „Blutdurstig“ und „Wandernde Seelen“ zur zweiten Garde des Horror-Genres, das fest in den Händen von Größen wie Stephen King, Dean Koontz, Peter Straub, James Herbert, Ramsey Campbell und Clive Barker lag. Nachdem McCammon dem Genre den Rücken kehren wollte, ging es mit seiner Karriere allerdings bergab, obwohl er dann erst seine besseren Bücher veröffentlichte. Den Auftakt machte 1990 der Psychothriller „Mine“, der hierzulande von Knaur im vertrauten Design seiner Horror-Reihe veröffentlicht und als solches auch vermarktet wurde. 
Laura Clayborne, Chefredakteurin bei der in Atlanta erscheinenden „Constitution“, freut sich auf ihr erstes Baby, schreibt bis zur Entbindung aber weiterhin Buchrezensionen für den Kulturteil der Zeitung. Unter den Büchern, die gerade mit der Post eingetroffen sind, befindet sich auch „Verbrennt dieses Buch!“ von dem Alt-Hippie Mark Treggs, was sie an ihre eigene Hippie-Zeit zurückdenken lässt. Währenddessen stößt Mary „Terror“ Terrell, Gründungsmitglied der terroristischen Vereinigung „Sturmfront“ auf eine geheimnisvolle Botschaft im „Rolling Stone“-Magazin, die sie mit dem damaligen Befehlshaber Jack Gardiner in Verbindung bringt. 
Nachdem die Polizei fünf der zehn Sturmfront-Mitglieder schon vor Jahren liquidiert hatte, die seit August 1969 für verschiedene terroristische Attentate verantwortlich gewesen waren, befinden sich die fünf übrigen Sturmfrontler auf der Flucht. Mary will sich sofort auf den Weg zum in der Botschaft verschlüsselt erwähnten Treffpunkt machen, will ihrem geliebten Jack aber auch ihr „gemeinsames“ Kind präsentieren. Da es Mary selbst nicht vergönnt gewesen ist, Kinder zu bekommen, beschließt sie, eines zu entführen. 
Da kommt ihr Lauras frisch geborener David gerade recht, den sie ihr als Krankenschwester verkleidet direkt aus den mütterlichen Armen entführt. Laura, die gerade erst erfahren hat, dass ihr Mann seit Wochen schon eine Affäre hat, merkt schnell, dass das FBI wenig in der Hand hat, um die bald als Mary Terror identifizierte Entführerin ausfindig zu machen. Doch Laura ist eine zu allem entschlossene Mutter, ihr Kind zurückzugewinnen. Über Mark Treggs findet Laura den Kontakt zur ehemaligen Sturmfrontlerin Bedelia „Didi“ Morse und so eine echte Vorstellung davon, wo Mary Terror mit Lauras Baby hinwill. Mit Earl van Diver, einem ehemaligen Polizisten, den Mary damals schwer verletzt hatte, befindet sich noch ein weiterer Jäger auf Mary Terrors Fährte… 
„Westwärts, nach Kalifornien, dachte er. Auf der Suche nach Jack Gardiner. Es war alles auf Band. Das drahtlose SuperSnooper-Abhörgerät, das er in einer getöpferten Vase in Bedelia Morse‘ Wohnzimmer versteckt hatte, hatte ihre Stimmen eingefangen. Nach Kalifornien sollte es also gehen, dem Land der Spinner und der Schwulen. Ein guter Platz, um einem Alptraum den Garaus zu machen.“ (S. 426) 
Nach seinen letzten Horror-Romanen „Nach dem Ende der Welt“ und „Die schwarze Pyramide“ bewies McCammon mit „Botin des Schreckens“, dass er auch ohne übernatürliche Horror-Elemente spannende und vor allem glaubwürdigere Geschichten zu erzählen vermag. Sorgfältig bereitet er die schicksalhafte Begegnung der jungen Mutter Laura Clayborne und der psychisch labilen Mary Terrell vor, indem er beide Figuren ausführlich einführt, so dass nach der Entführung von Lauras David, den Mary nur Drummer nennt, schnell klar wird, dass weder Laura noch Mary von ihren jeweiligen Missionen abzubringen sind. 
Zwar kommt „Botin des Schreckens“ nicht ohne Längen aus, doch die Verfolgungsjagd, die die beiden Frauen von Atlanta bis nach Kalifornien führt, wobei sie immer wieder auf gewaltsame Weise aneinandergeraten, ist trotz des vorhersehbaren Finales gut und packend geschrieben. Vor allem die Motivationen der beiden Frauen sind psychologisch tiefgründig und glaubhaft ausgearbeitet. Mit „Unschuld und Unheil“ (bzw. „Boy’s Life“) und „Durchgedreht“ untermauerte McCammon sein schriftstellerisches Talent, bevor er sich eine zehnjährige Auszeit nahm, um mit der „Matthew Corbett“-Reihe eindrucksvoll zurückzukehren.



Robert R. McCammon – „Blutdurstig“

Montag, 9. September 2024

(Knaur, 496 S., Tb.) 
Nach „Baal“, „Höllenritt“ und „Tauchstation“ legte der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon 1981 seinen vierten Roman vor, der hierzulande erstmals 1988 unter dem Titel „Blutdurstig“ erschien. Man merkt diesem Frühwerk noch deutlich an, dass McCammon zwischen den bereits etablierten Horror-Autoren Stephen King, Dean R. Koontz und Peter Straub seine eigene Stimme zu finden versucht. 
Ende Oktober zählt Detective Captain Andy Palatazin zu den Polizisten, die Jagd auf einen Serienmörder machen. Nachdem ein Polizeibeamter den Mund einer der ermordeten Frauen mit toten Kakerlaken vollgestopft vorfand, dauerte es nicht lange, bis Gayle Clarke vom Los Angeles Tattler den Killer in ihrer Schlagzeile als „Kakerlak“ bezeichnete. Allerdings hinterließ der Kakerlak seit dreizehn Tagen keine Toten, keine Briefe mehr. Doch während der Mann namens Walter Benefield bereits auf der Suche nach seinem nächsten Opfer ist, breitet sich in Los Angeles eine weitaus größere Bedrohung aus. In dem Schloss, in dem einst dem Horrorfilmstar Orlen Kronsteen der Kopf abgehackt worden war, hat sich der Vampirfürst Prinz Vulkan mit seiner rechten Hand Falco eingenistet, der nach nichts weniger strebt, als ganz Los Angeles mit Untoten zu bevölkern. Als am Hollywood Memorial zwanzig Gräber geschändet und die Särge abtransportiert werden, haben weder die Öffentlichkeit noch die Polizei einen Schimmer, was ihnen da blüht, auch nicht, als weitere Friedhöfe auf ähnliche Weise verwüstet werden. Doch Palatazin, der aus dem ungarischen Krajeck stammt, bekommt bald mehr als eine Ahnung, was in der Stadt der Engel vor sich geht… 
„Wie viele hatten den Ruf des Meisters bereits vernommen? Wie viele irrten nachts bereits blutdürstig durch die Straßen? Tausend? Fünftausend? Zehntausend? Es würde schleichend geschehen, wie damals, vor so langer Zeit, in Krajeck, - bis die Stadt dem Meister und seiner Brut preisgegeben wäre. Er musste es einfach jemandem erzählen, der ihm glauben würde. Aber wem? Wem?“ (S. 255) 
Als die Gefahr auch anderen Menschen bewusstwird, scheint es schon zu spät zu sein, denn ein Sandsturm hat alle Zufahrtswege der Stadt unpassierbar gemacht… 
McCammon hat bereits in seinen ersten Werken zumindest ein erzählerisches Talent an den Tag gelegt, das zumindest in sprachlicher Hinsicht zu überzeugen verstand. Allerdings hapert es auch in seinem vierten Roman an einer originellen Geschichte. Die Vampir-Thematik haben andere Autoren wie Bram Stoker mit seinem Klassiker „Dracula“ und Stephen King (mit „Brennen muss Salem“) bereits ausgeschöpft. Dean Koontz dagegen hat nie einen Vampir-Roman geschrieben – aus gutem Grund, wie sich bei „Blutdurstig“ zeigt, denn McCammon reiht nur die vertrauten Elemente einer Vampirgeschichte aneinander. Selbst Prinz Vulkans Gehilfe Benefield kann seine literarische Herkunft von Draculas Diener Renfield nicht verhehlen. Dazu kommen das verwunschene Schluss als Vampir-Residenz, die Särge mit Erde aus der Heimat, Knoblauch, Kruzifixe und das ganze Gedöns – und leider auch viel zu viele Figuren, die nur oberflächlich charakterisiert werden. Der Sandsturm, der Los Angeles einkesselt, muss da als einzige originelle Idee herhalten, doch reicht das bei weitem nicht aus, um aus „Blutdurstig“ einen interessanten Roman zu machen.


Robert R. McCammon – „Das Haus Usher“

Montag, 29. April 2024

(Knaur, 414 S., Tb.) 
Obwohl Robert R. McCammon von den ausgehenden 1970er bis Anfang der 1990er Jahre sehr umtriebig im Horror-Genre gewesen ist, hat er doch nie den Erfolg seiner berühmten Genre-Mitstreiter wie Stephen King, Peter Straub, Dean R. Koontz oder Clive Barker einheimsen können. McCammons sechster, im Original 1984 unter dem Titel „Usher’s Passing“ veröffentlichter Roman zeigt sehr deutlich auf, warum der US-Amerikaner nie aus der zweiten Reihe herausgetreten ist. Die Idee, Edgar Allan Poes Grusel-Klassiker „Der Untergang des Hauses Usher“ fortzuführen, verdient zunächst einmal Respekt, doch die Umsetzung hätte besser ausfallen dürfen. 
Am 22. März 1847 bekommt der in gewissen Kreisen durchaus prominente Schriftsteller Edgar Allan Poe in New York Besuch von einem Mann, der sich als Hudson Usher vorstellt und Poe darauf hinweist, dass sein Bruder Roderick zwar tatsächlich 1837 bei einer Überschwemmung ums Leben gekommen und seine Schwester Madeline mit einem Wanderschauspieler durchgebrannt sei, doch das Haus Usher würde nach wie vor existieren… 
Mehr als hundertdreißig Jahre später kämpft der Schriftsteller Rix Usher um seine Zukunft. Sein letztes Buch „Feuerengel“ war vor drei Jahren mit bescheidenem Erfolg veröffentlicht worden, sein neues, fast sechshundert Seiten umfassendes Werk „Bedlam“, an dem Rix über eineinhalb Jahre gesessen hat, findet bei seiner Agentin Joan Rutherford allerdings wenig Anklang. Als seine Mutter ihn daher bittet, nach Usherland zurückzukehren, da es seinem Vater zunehmend schlechter ginge, kommt Rix der durch seinen Bruder Boone übermittelten Aufforderung nach. Zwar liegt Walen Usher, der durch die Munitionsfabrik seiner Familie zu einem der reichsten Männer Amerikas geworden ist, offiziell nicht im Sterben, doch die Wahrheit sieht viel düsterer aus. 
Rix beschließt nicht nur, seinem Vater in den letzten Stunden beizustehen, sondern auch seinen Plan umzusetzen, eine Chronik seiner Familie zu verfassen. Wie er nach seiner Ankunft in Usherland jedoch feststellen muss, schreibt bereits der Herausgeber der örtlichen Zeitung „Foxton Democrat“, Wheeler Dunstan, an einem solchen Werk, wobei ihn seine Tochter Raven unterstützt. Wheeler und Rix gründen eine Partnerschaft, bringen sich gegenseitig auf den neusten Stand und fügen die fehlenden Puzzleteile zusammen. Doch rund um Usherland geht es nicht mit rechten Dingen zu. Dazu zählt die Legende vom Kürbismann, dem Bergkönig und dem Zwitterwesen Gierschlund ebenso wie das regelmäßige Verschwinden von kleinen Kindern und die Ereignisse, die rund um den Stammsitz kreisen… 
„Der Tunnel musste schon alt sein. Wer hatte ihn wohl anlegen lassen? Hudson Usher, der mit fdem Bau des Stammsitzes begonnen hatte? Und wenn zwischen den Ushers und dem Kürbismann irgendeine Verbindung bestand, warum hatte dieser sich erst 1872 bemerkbar gemacht? Die Ushers waren seit den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hier. Was war der Kürbismann, und wieso hatte er mehr als hundert Jahre lang ungehindert sein Unwesen treiben können?“ (S. 367) 
Mit dem ersten Kapitel und der dort geschilderten Begegnung zwischen Edgar Allan Poe und Hudson Usher gelingt McCammon eine gute Überleitung von Poes berühmter Geschichte aus seinen „Grotesken und Arabesken“ in die Gegenwart der Usher-Familie, die durch Waffenproduktion zu unermesslichem Reichtum gekommen ist. McCammon nimmt sich auch die nötige Zeit, die derzeitigen Bewohner von Usherland und ihre schwierigen Beziehungen zueinander vorzustellen. Und auch die Beschreibung der unheimlichen Gegebenheiten rund um den Stammsitz sind McCammon gut gelungen. Doch dann lässt er das Figurenarsenal und die legendären Kreaturen wie den Kürbismann und Gierschlund etwas zu sehr außer Kontrolle geraten, so dass es dem Publikum nicht leichtgemacht wird, Identifikationsfiguren zu finden oder auch nur Sympathien mit auch nur einer von ihnen zu empfinden. Dass McCammon schließlich etliche Einflüsse von Poe selbst – vor allem das Pendel aus „Die Grube und das Pendel“ – mit in seine eigene Geschichte einbaut, führt nicht unbedingt zu mehr Originalität, sondern unnötiger Komplexität und Verwirrung.


Robert R. McCammon – „Nach dem Ende der Welt“

Samstag, 6. April 2024

(Knaur, 524 S., Tb. / Festa, 450 und 370 S., Tb.) 
Stephen Kings 1978 veröffentlichtes Weltuntergangs-Szenario „The Stand – Das letzte Gefecht“ zählt nicht nur zu den frühesten, bekanntesten, sondern auch umfangreichsten Werken des „King of Horrors“ und erschien zunächst in gekürzter Fassung, ehe 1990 mit der gewachsenen Popularität des Autors eine um 400 Seite längere ungekürzte Fassung veröffentlicht wurde. Robert R. McCammon avancierte in den 1980er Jahren mit Romanen wie „Höllenritt“, „Blutdurstig“ und „Wandernde Seelen“ zu einem ernst zu nehmenden Horror-Autor aus der zweiten Reihe, der 1987 mit „Swan Song“ seine eigene apokalyptische Vision auf den Markt brachte. 
Nachdem Knaur 1988 eine vom „Kollektiv-Druckreif“ übersetzte und gekürzte Version unter dem Titel „Nach dem Ende der Welt“ auf den deutschen Markt gebracht hatte, ließ Festa 2015 eine neu übersetzte und zweibändige, vollständige Neuauflage folgen, die die Schwächen der deutschen Erstveröffentlichung allerdings auch nicht ausmerzen konnte. 
Als sich die USA von einer sowjetischen Atom-U-Boot-Flotte vor ihren Küsten bedroht sieht, lässt sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika von seinen militärischen Beratern zu einem atomaren Präventivschlag gegen die UdSSR überreden und sorgt so für die atomare Apokalypse, die mit einem Schlag Milliarden von Menschenleben vernichtet und unzählige weitere mit schweren Verbrennungen und anderen Gebrechen zurücklässt. 
Währenddessen macht sich der Catcher Josh(ua) „Black Frankenstein“ Hutchins nach seinem überraschenden Sieg gegen Johnny Lee Richwine auf dem Weg nach Garden City in Kansas und die neunjährige Sue „Swan“ Wanda flieht mit ihrer Mutter Darleen vor dem gewalttätigen Tommy nach Blakeman im Nordwesten von Kansas, als sich der Himmel über ihnen verdunkelt. Unter den wenigen Überlebenden befindet sich auch die obdachlose, regelmäßig über die baldige Wiederkunft Jesu in seinem Raumschiff predigende Sister Creep, die durch Zufall die Auslöschung Manhattans überlebt hat. Zusammen mit einem Schuhverkäufer namens Artie macht sie sich auf den langen und gefährlichen Weg nach Detroit, um Arties Frau zu finden. Durch Zufall findet sie einen scheinbar magischen Glas-Ring, der ihr einen Rest von Hoffnung beschert. 
Zunächst unbeschadet überleben der 14-jährige Roland Croninger und sein Vater Phil die nukleare Katastrophe in dem von Colonel Macklin geleiteten Earth House, das zwar zum Schutz vor einem Atomkrieg errichtet worden ist, allerdings etliche Baumängel aufweist. Roland ist von dem charismatischen, allerdings auch traumatisierten Kriegshelden fasziniert und schließt sich der „Glorreichen Armee“ des Colonels an, der immer mehr Anhänger um sich zu scharen versteht und einen beispiellosen Raubzug durch die wenigen noch verbliebenen Städte des Landes organisiert. Ihr Ziel ist der Ort Mary’s Rest, wo Sister, Swan und Josh nach ihrer gemeinsamen Reise nach sieben Jahren ein wenig Hoffnung verbreiten können, weil das Mädchen über die beeindruckende Gabe verfügt, selbst dem trostlosesten Boden wieder Leben einzuhauchen. Doch das personifizierte Böse bedroht auch die letzte Bastion der Überlebenden… 
„Sister und Josh unterhielten sich darüber, was für eine Kreatur der Mann mit dem scharlachroten Auge sein könnte. Sie war sich unklar, ob sie an einen gehörnten und gabelschwänzigen Teufel glauben sollte, aber sie kannte das Böse gut genug. Wenn er nach ihnen sieben Jahre gesucht hatte, hieß das, dass er nicht alles wusste. Er war sicher listig, und vielleicht waren seine Eingebungen messerscharf, vielleicht konnte er das Gesicht wechseln, wie er wollte, vielleicht die Menschen mit einer Berührung in Flammen setzen, aber er war dümmlich und machte Fehler. Und vielleicht war seine größte Schwäche die Überzeugung, dass er verdammt viel schlauer sei als ein menschliches Wesen.“ (S. 368) 
37 Jahre nach seiner ursprünglichen Veröffentlichung scheint McCammons „Swan Song“ von erschreckender Aktualität zu sein, denn angesichts des andauernden Angriffskriegs der Russen gegen die Ukraine und den blutigen Auseinandersetzungen in Gaza sowie der drohenden erneuten US-amerikanischen Präsidentschaft von dem Mann mit der komischen Frisur wirkt das Szenario eines atomaren Krieges gar nicht so weit hergeholt. 
McCammon lässt seine Geschichte in einer vom Zeitpunkt des Schreibens nicht allzu entfernten Zukunft spielen und malt das erschreckende Bild internationalen Wettrüstens, dem Ausbreiten von terroristischen Organisationen einerseits und der wachsenden Armut und der Hungernöte auf der ganzen Welt andererseits. Vor diesem Hintergrund formieren sich nach der weitreichenden nuklearen Zerstörung in den USA zwei Lager, die auf einen großen Endkampf zwischen Gut und Böse hinsteuern. Während Colonel Macklin in den sieben Jahren nach der atomaren Zerstörung mit dem jungen Roland Croninger einen effizienten Vollstrecker heranwachsen sieht, der sich als „Ritter des Königs“ sieht und skrupellos seine Ziele verfolgt, um für die Glorreiche Armee mehr Nahrungsmittel, Wasser und vor allem Waffen und Munition zu besorgen, entwickelt sich das Mädchen Swan zu einer Führerin mit lebensspendenden Kräften. 
An Stephen Kings Meisterwerk „The Stand“ reicht „Swan Song“ lang nicht heran. Dafür hat McCammon zu wenig Sorgfalt bei der Zeichnung seiner zahlreichen, oft eindimensional und klischeehaften wirkenden Figuren walten lassen. Auch der Plot ist nicht stringent entwickelt und wirkt stark episodenhaft, so dass kaum eine dramaturgisch gefällige Spannung aufgebaut wird. 
Die übernatürlichen Elemente forcieren zwar den ausgeprägten Dualismus, wären aber nicht nötig gewesen, um die Geschichte überzeugend erzählen zu können. So hat sich McCammon mit „Nach dem Untergang der Welt“ zwar viel vorgenommen und überzeugt auch sprachlich, doch die nicht sehr gelungene Konstruktion des Endkampfs zwischen Gut und Böse bleibt ein Makel, das auch die erweiterte Neuübersetzung nicht in den Griff bekommt.


Robert R. McCammon – „Durchgedreht“

Sonntag, 24. März 2024

(Knaur, 544 S., Tb.) 
Robert R. McCammon stand zwar stets im Schatten der großen Horror-Autoren Stephen King, Dean R. Koontz, Peter Straub und Clive Barker, hat in den 1980er Jahren aber eine ganze Reihe lesenswerter Genre-Werke wie „Höllenritt“, „Tauchstation“, „Blutdurstig“, „Wandernde Seelen“ und „Das Haus Usher“ publiziert, die auch hierzulande eine treue Leserschaft fanden. 
Während die deutschen Übersetzungen allesamt bei Knaur erschienen sind, wechselte Campbell in den USA von Avon Books über Henry Holt & Company bis zu Pocket Books, die sich schließlich nicht mit den Ambitionen des Schriftstellers anfreunden konnten, dass dieser auch mal abseits des Horror-Genres seine literarischen Qualitäten ausprobieren wollte. So kam es, dass der 1992 veröffentlichte Roman „Gone South“ für lange Zeit das letzte Werk von McCammon gewesen sein sollte. Dabei demonstrierte der Autor gerade mit seinen „normalen“ Thrillern „Unschuld und Unheil“ und „Durchgedreht“ (der deutschen Ausgabe von „Gone South“) die ganze Palette seines Könnens. 
Wie so viele Vietnam-Veteranen hat der 42-jährige Dan Lambert nicht die besten Erinnerungen an seinen Einsatz in Fernost. Es sind jedoch nicht nur die Flashbacks an unmenschliche Gemetzel und den sinnlosen Tod befreundeter Kameraden, sondern auch die Nachwirkungen des in Vietnam eingesetzten Agent Orange, die Lambert zusetzen, leidet er doch unter Leukämie und einem Gehirntumor. Sein Vietnam-Trauma zerstörte seine Ehe und hat dazu geführt, dass er seinen Sohn Chad seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat. Dazu ist der Arbeitsmarkt anno 1991 in Shreveport, Louisiana, nicht gerade rosig. Mit den Raten für seinen Pick-up hängt Lambert seit zwei Monaten hinterher, und die Fahrten nach Death Valley, wo er immer wieder vergeblich einen Job als Tagelöhner zu finden versucht, erweisen sich als deprimierende Pflichtaufgabe. 
Während Lamberts bisheriger Bankberater Mr. Jarrett noch Verständnis für seine Situation hatte und die Raten stundete, zitiert ihn Jarretts knochenharter Nachfolger in die First Commercial Bank, um seinen Wagen zu pfänden. Lambert tickt daraufhin aus, und als ihm der skrupellose Emory Blanchard eine Pistole auf ihn richtet, schnappt sich der in die Enge getriebene Handwerker die Waffe des herbeigeeilten Sicherheitsmannes und schießt Blanchard in den Hals. In einer weiteren Kurzschlussreaktion flüchtet Lambert aus der Stadt. Die Bank setzt eine Belohnung von 15.000 Dollar auf Lamberts Ergreifung aus, worauf der schmierige Kautionsagent Smoates den routinierten Kopfgeldjäger Flint Murtaugh auf Lambert ansetzt. 
Dass Smoates darauf besteht, Murtaugh den Elvis-Imitator Cecil „Pelvis“ Eisley einzuarbeiten, bringt Murtaugh schnell zur Weißglut und führt immer wieder dazu, dass das kuriose Duo die sicher geglaubte Beute wieder aus den Augen verliert. Lambert gabelt unterwegs in einer Kneipe die junge Arden Halliday auf, die auf der Suche nach dem „Leuchtenden Mädchen“ ist, einer Heilerin, von der Arden hofft, dass sie Ardens riesiges Feuermal im Gesicht beseitigt. Doch die Odyssee in den Süden wird von weiteren Komplikationen und Leichen begleitet… 
„Selbst wenn er im Schutz der Dunkelheit fuhr, wusste er doch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor die Polizei ihn fand. Und seine Zeit lief schnell ab, wie es schien. Sollte er weiterhin versuchen zu fliehen oder einfach aufgeben und selbst die Polizei rufen? Es gab kein Entrinnen vor dem Gefängnis; es gab kein Entkommen vor der Krankheit, die Stück für Stück sein Leben verschlang. Nach Süden abgegangen, nach Süden abgegangen, dachte er. Wohin konnte man fliehen, wenn alle Auswege blockiert waren?“ (S. 280) 
Mit der Bezeichnung „Nach Süden abgegangen“ – und da wären wir auch bei der Erklärung des Romantitels „Gone South“ - beschreibt Dan Lambert die Erkenntnis, die falsche Abzweigung im Leben genommen zu haben, und vor allem die ersten Seiten und die Erinnerungen an die schreckliche Zeit in Vietnam, wo Lambert seinen besten Freund Farrow verloren hat, machen deutlich, welche dramatischen Entbehrungen und Verluste Lambert in seinem Leben hinnehmen musste. 
McCammon gelingt es gerade durch die Flashbacks, Lambert als pflichtbewussten Soldaten zu charakterisieren, der während des Krieges leider feststellen musste, dass er und seine Kameraden in einem sinnlosen Krieg verheizt wurden, und nun aufgrund der dort erlittenen psychischen wie körperlichen Beeinträchtigungen nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und trotzdem gibt er nie die Hoffnung auf, fährt Tag für Tag ins deprimierende Death Valley, um wieder keinen Job zu bekommen. 
McCammon beschränkt sich aber nicht nur auf die Geschichte eines Mannes auf der Flucht, sondern nimmt sich sehr viel Zeit, um Lamberts Jäger einzuführen, den aus einer Freak-Show stammenden Murtaugh (den haarlosen, aus seinem eigenen Körper ragenden Arm seines Bruders Clint mit dem fast unscheinbaren Mund versucht Flint so gut wie möglich vor den Augen anderer zu verstecken) und den leicht dümmlich wirkenden, korpulenten Elvis-Imitator Pelvis Eisley. Hier kommt McCammons Mitgefühl für die Randschichten der Gesellschaft, die Abgehängten und Verlorenen, zum Ausdruck, allerdings wirkt die Zusammenstellung des Kopfgeldjäger-Gespanns mehr als unglaubwürdig, denn warum Smoates ausgerechnet einen völlig ungeeignet erscheinenden Elvis-Imitator an die Seite eines routinierten, wenn auch ebenfalls skurril wirkenden Jägers stellen sollte, wird nie plausibel erklärt. Dieses Gespann ist es allerdings auch, was der Hetzjagd einige komische Momente beschert – ob man dies in einem Thriller schätzt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mit der durch ein Feuermal entstellten Arden und dem Motel-Ehepaar finden sich aber noch weitere merkwürdige Figuren in einem Thriller, der gerade zum Finale hin auch einiges an Action bietet. 
„Durchgedreht“ zählt sicher zu den besten Romanen von McCammon und wartet mit einer Handvoll interessanter, sorgfältig gezeichneter Figuren auf, doch leidet die Dramaturgie immer wieder durch Ungereimtheiten im stellenweise sehr konstruiert wirkenden Plot.


Robert R. McCammon – „Die schwarze Pyramide“

Samstag, 27. Januar 2024

(Knaur, 508 S., Tb.) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“, „Höllenritt“, „Tauchstation“, „Blutdurstig“, „Wandernde Seelen“, „Das Haus Usher“ und „Nach dem Ende der Welt“ etliche Topoi des Horror-Genres verarbeitet hatte, legte er 1988 mit „Stinger“ einen Roman vor, der sich als interessante Variante des Besuchs von Außerirdischen auf der Erde entpuppte. 1989 erschien die deutsche Übersetzung als „Die schwarze Pyramide“ wie alle McCammon-Romane im Knaur-Verlag. 
Das irgendwo in der texanischen Wüste liegende Kaff Inferno wird von zwei rivalisierenden Gangs dominiert. Auf der einen Seite treiben die Renegades ihr Unwesen. Zu ihnen zählt auch der achtzehnjährige Cody Lockett, dessen nichtsnutziger Vater Curt sich ganz dem Alkohol verschrieben hat. In Bordertown, dem südlich der Snake-River-Brücke gelegenen mexikanischen Viertel der dahinsiechenden Stadt, regieren die Culebra de Cascabel, die Rattlers. 
Cody wird ebenso Zeuge der seltsamen Ereignisse am Morgen wie die Tierärztin Jessie Hammond, ihr siebenunddreißigjähriger Mann Tom, der als Sozialkundelehrer an der Preston High School arbeitet, und ihre gemeinsame Tochter Stevie. Als Jessie mit Stevie zu einer Hacienda fährt, beobachtet sie Hintergrund einer Kupfermine, wie ein zylinderförmiges, rotglühendes, von Flammen umgebendes Objekt auf sie zugeflogen kommt. Nachdem das hintere Teil des Objekts explodiert ist, wird auch Jessies Wagen von den in alle Richtungen fliegenden Trümmern getroffen. 
Danach ist nicht nur Inferno nicht mehr wiederzuerkennen. Stevie, die eine merkwürdig aussehende, in der Konsistenz undefinierbare Kugel an sich nimmt, wird von einem außerirdischen Wesen in Besitz genommen, das sich Daufin nennt und in kürzester Zeit durch Lexika die amerikanische Sprache aneignet und Infernos Bewohner darauf aufmerksam macht, dass ein mächtiger Feind aus dem All, der sogenannte „Stinger“, auf der Suche nach ihr sei. 
Die Kreatur ist mit einem Raumschiff in der Form einer schwarzen Pyramide in Inferno gelandet und hat ein Energienetz um die Stadt gelegt, das niemanden aus der Stadt heraus- und in sie hineinlässt. Mit der Hilfe des bereits vor Ort befindlichen Militärs und einiger tapferer Einwohner versucht Daufin, Stinger das Handwerk zu legen. Dabei ziehen erstmals die verfeindeten Gangs an einem Strang, und Rick von den Rattlers versucht, seine Schwester Miranda, in die sich Cody verguckt hat, aus den Fängen des Ungeheuers zu retten. 
„Er sah zwar Feuer auf der Brücke, hatte aber keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen; stattdessen kletterte er über den Zaun, rutschte eine rote Böschung hinunter und blieb in dem schlammigen Wasserrinnsal liegen. Hinter sich konnte er die Häuser splitternd und krachend auseinanderfliegen hören. Noch ein, zwei Minuten, dann hatte das Wesen es geschafft; es würde durchbrechen und über den Fluss kommen.“ (S. 424) 
Zwei außerirdische Wesen, die in einem dem Untergang geweihten Kaff mit dem treffenden Namen Inferno einen ungleichen Kampf um Leben und Tod abfackeln, dient McCammon in seinem Horror-Roman als Ausgangspunkt für einen actionreichen Plot, der seinen Fokus vor allem auf die Beschreibung detaillierter Brutalität bei Stingers Suche nach dem außerirdischen Ausreißer legt. Zwar stellt der Autor zu Beginn eine Menge interessanter Charaktere vor, doch mehr als eine kurze Vita der Hammonds, der Witwe der Preston-Kupfermine, des in kriminelle Machenschaften verwickelten Unternehmers Mack Cade, der auch Sheriff Vance auf seiner Gehaltsliste stehen hat, und der Vater-Sohn-Beziehung von Curt und Cody, bietet er nicht an. Selbst die Rivalität zwischen Rick und Cody sowie ihre gemeinsame Sorge um Ricks Schwester Miranda wird nur oberflächlich abgehandelt. Dieses Vorgehen verhindert, dass McCammons Publikum wirklich tief in die Geschichte eintauchen kann und nur wenig Empathie für das Schicksal der Stadt und ihrer Einwohner aufbringt. 
„Die schwarze Pyramide“ verschenkt so leider einen Großteil seines Potenzials und gefällt vor allem durch McCammons sprachliche Gewandtheit. 

 

Robert R. McCammon – „Wandernde Seelen“

Samstag, 20. Januar 2024

(Knaur, 446 S., Tb.) 
Mit seinen ersten Romanen „Baal“, „Höllenritt“, „Tauchstation“ und „Blutdurstig“ avancierte der US-Amerikaner Robert R. McCammon vor allem Anfang der 1980er Jahre zu einem der interessantesten Horror-Autoren der Neuzeit. Auch wenn er stets in zweiter Reihe hinter Autoren wie Stephen King, Peter Straub, Dan Simmons, Clive Barker und Dean Koontz stand, präsentierte McCammon bis in die 1990er Jahre hinein atmosphärisch dichte Gruselgeschichten, die vor allem sprachlich weit über dem Durchschnitt des Genres lagen. Mit „Wandernde Seelen“, 1983 unter dem Originaltitel „Mystery Walk“ veröffentlicht, eroberte McCammon 1988 auch das deutsche Horror-Publikum. 
Billy Creekmore lebt in den 1960er Jahren in der kleinen Ortschaft Hawthorne, Alabama, und verfügt wie seine Mutter Ramona, die zu einem Viertel eine Choctaw-Indianerin ist, über die außergewöhnliche Gabe, mit den Toten zu reden und ihnen gerade nach einem gewaltsamen Tod Frieden zu verleihen. Davon will sein Vater, ein fundamentalistischer Baptist, nichts wissen. 
Als Dave Booker seine Frau Julie Ann und seinen Sohn Will tötet und das Haus abbrennt, wird Billy wie magisch von den Ruinen des Hauses angezogen und findet die Leiche seines Schulfreundes unter dem Kohlehaufen im Keller. Zu dieser Zeit macht sich der prominente Zelt-Prediger Jimmy Jed „J.J.“ Falconer mit seinem Sohn Wayne auf den Weg nach Hawthorne, um auch dort – wie zuvor in anderen Teilen des Südens – allerlei Menschen von ihren Schmerzen, Missbildungen und Krankheiten zu heilen und so Teilnehmer des Falconer-Kreuzzugs zu gewinnen. Die Familie Creekmore nimmt an dem Erweckungsgottesdienst teil und wird Zeuge, wie Wayne einige Kranke heilt, doch sowohl Billy als auch seine Mutter nehmen die schwarzen Wolken in der Aura der Todgeweihten wahr. Als Ramona sich erhebt und gegen die ihrer Meinung nach verwerflichen Praktiken protestiert, werden die Creekmores aus dem Zelt verwiesen. Romana sucht mit Billy ihre Mutter Rebekah auf, die Billy in das Geheimnis seines spirituellen Erbes eingeweiht wird. 
Sieben Jahre später besucht Billy die Oberschule in Fayette County, der Heimat der Falconers. Billy wird vom Besitzer des örtlichen Sägewerks gebeten, den Geist eines Mannes zu vertreiben, der bei einem Unfall mit einer Säge auf schreckliche Weise ums Leben gekommen ist, worauf die Arbeiter von den unheimlichen Geräuschen im Werk so abgeschreckt worden sind, dass sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Zwar hat Billy mit seiner Methode Erfolg, doch von den örtlichen Christen erntet Billy nur Hohn und Spott. In einer Zeit, in der vor allem im Süden die Rassentrennung noch gelebte Realität ist, werden Ramona und Billy schließlich aus dem Dorf gejagt, während John als strenggläubiger und rechtschaffender Christ bleiben darf. Billy heuert bei der Gespenstershow von Dr. Mirakel an und verliebt sich in die Tänzerin Santha. 
Von dort aus zieht es ihn nach Chicago, wo Dr. Hillburn in ihrem Institut feststellen will, wie es wirklich um Billys paranormale Fähigkeiten bestellt ist. Während die Falconers einen Plan schmieden, Billy und Ramona aus dem Verkehr zu ziehen, wird Billy in den Ruinen eines niedergebrannten Wohnhauses mit mehreren unruhigen Geistern konfrontiert… 
„Überall um sich herum konnte er sie ahnen. Sie waren im Rauch, in der Asche, in den verbrannten Gebeinen und entstellten Gestalten. Sie waren in der Luft und in den Wänden. Es gab an diesem Ort zu viel Seelenqual; tonnenschwer lag sie in der dichten Luft, und das Entsetzen darin knisterte wie Strom. Doch Billy wusste, dass es zum Fliehen nun zu spät war. Er würde tun müssen, was er konnte.“ (S. 375f.)
Robert R. McCammon hat mit „Wandernde Seelen“ vor allem einen einfühlsamen Coming-of-Age-Roman über zwei Brüder geschrieben, die nach ihrer Trennung in spirituell unterschiedlich geprägten Familien aufgewachsen sind und sich im frühen Erwachsenenalter mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten und den Erwartungen auseinandersetzen müssen, die von den Bedürftigen im südlichen Teil der Staaten an sie gestellt werden.  
McCammon gelingt es dabei sehr überzeugend, die unterschiedlichen Geisteshaltungen zu beschreiben, die den Lebenswelten der Creekmores auf der einen und der Falconers auf der anderen Seite zugrunde liegen. Der Kampf zwischen Adler und Schlange treibt schließlich die Handlung voran und macht vor allem deutlich, dass die wahren oder eingebildeten Fähigkeiten der beiden Brüder nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Dabei berücksichtigt der Autor sowohl die giftige Atmosphäre der Rassendiskriminierung als auch die spirituelle Tradition der amerikanischen Ureinwohner, das Streben nach Macht ebenso wie den Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. 
Zwar beugt sich McCammon im Finale etwas zu sehr den Konventionen des Genres, doch zählt „Wandernde Seelen“ definitiv zu den besseren Frühwerken des Autors. 

 

Robert R. McCammon – „Tauchstation“

Montag, 4. Dezember 2023

(Knaur, 400 S., Tb.) 
Als Robert R. McCammon Ende der 1970er Jahre seine Schriftsteller-Karriere begann, arbeitete er sich zunächst an den Archetypen des Horror-Sujets ab. Nach seinem Debüt mit „Baal“, der auf der Welle von Blockbustern wie „Der Exorzist“ und „Das Omen“ schwamm, beschwor „Höllenritt“ alte Dämonen herauf, und so durfte man gespannt sein, was dem amerikanischen Genre-Schreiber für sein nächstes Werk einfallen würde. „Tauchstation“, 1980 unter dem passenderen Titel „The Night Boat“ im Original veröffentlicht, vermischt das von den Nazis erzeugte Grauen mit Voodoo-Flüchen, kommt aber über das Mittelmaß nie hinaus. 
Nachdem er vor ein paar Jahren seine Frau und seine Tochter bei einem tragischen Unglück verlor, zog sich der ehemalige Finanzier David Moore auf die kleine Karibik-Insel Coquino zurück, wo er nicht nur das Hotel „Indigo Inn“ führt – in das sich selten genug Touristen verirren -, sondern auch ausführliche Tauchfahrten unternimmt, um versunkene Schiffswracks aufzuspüren. Bei einem dieser Tauchgänge stößt Moore unter einem Berg von Sand auf ein sehr gut erhaltenes U-Boot, das sich nach der Detonation einer ebenfalls freigelegten Wasserbombe an die Oberfläche bewegt und als das nazideutsche U-Boot 198 entpuppt. 
Durch die Strömung bewegt sich das Boot zielstrebig auf den Hafen der Insel zu und sorgt dort für extreme Unruhe. Constable Steve Kip lässt das Boot erst einmal in einem Schuppen von Langstrees Bootswerft einschließen, bis geklärt worden ist, was mit dem Wrack geschehen soll, denn darüber herrscht auf der Insel Uneinigkeit. Während die einen es gar nicht erwarten können, den vermeintlichen „Schatz“ zu erforschen, sind es vor allem die Ureinwohner, die das unheilvolle Wrack schnellstmöglich wieder in den Meerestiefen versinken lassen wollen. 
Doch ein übereifriger Inselbewohner kommt diesen Überlegungen zuvor und verschafft sich Zugang zu dem U-Boot, doch statt des erhofften Goldes findet der Mann den Tod und befreit die mumifizierten Leichen der Besatzung aus ihrem Grab. Nachdem sie vor gut vierzig Jahren auf dem Meeresgrund ihre Lebenssäfte eingebüßt haben, dürsten sie nun nach Rache und versetzen die Bewohner auf Coquino in Angst und Schrecken. Dass mit Schiller der letzte Überlebende der U-198 und mit Dr. Jana Thornton eine für das Britische Museum arbeitende Meeresarchäologin die Insel besuchen, trägt nicht gerade zur Beschwichtigung der um sich greifenden Hysterie bei, während sich die verfluchten U-Boot-Soldaten in einem unerbittlichen Blutrausch an den noch wirklich Lebenden zu laben beginnen … 
„Als er in diese Augenhöhlen starrte, begriff Moore, worin das Erbe des U-Boots bestand. Seine Insassen waren zu einem Leben im Tode verdammt, einem Schwebezustand von seelischer Qual und fleischlicher Verwesung. Irgendeine gottlose Macht hatte sie am Leben erhalten, als lebende Leichname in einem eisernen Sarg … und er selbst hatte sie aus dieser Gruft befreien helfen.“ (S. 277f.) 
Mit „Tauchstation“ verbindet Robert McCammon gleich mehrere Topoi des Horror-Genres, vermischt Nazi-Greuel mit monsterähnlichen Schrecken aus der Tiefe und Voodoo-Flüchen. Da ist erst einmal die paradiesische Idylle einer nicht allzu bekannten Insel in der Karibik, doch der Schein trügt, denn die Karaiben und die meist weißen Fischer trauen sich kaum über den Weg. McCammon gelingt es zwar, die Atmosphäre des Insellebens einzufangen, doch gewinnen seine Figuren dabei kaum Kontur. Es wird zwar kurz erwähnt, welche Traumata sowohl David Moore als auch Steve Kip in ihrer Vergangenheit erlebt haben, doch in die Tiefe geht der Autor bei der Charakterisierung seiner Protagonisten leider nicht, weshalb der Leser kaum Nähe zu den Figuren und ihren Schicksalen aufbaut. Ohnehin scheint das geheimnisvolle Auftauchen des über viele Jahre verschütteten U-Boots nur ein Prolog zu dem blutigen Massaker zu sein, das die zombifizierte, mit einem Voodoo-Fluch belegte U-Boot-Besatzung nach ihrer Befreiung auf der Insel anrichtet. 
Hier läuft McCammon schließlich zur Hochform auf, wenn er das Gemetzel in farbenfroher Detailverliebtheit schildert. Dank der sprachlichen Gewandtheit des Autors lässt sich der vorhersehbare Plot auch schnell konsumieren, aber besonders subtil und tiefgründig ist das nicht. 
„Tauchstation“ ist unterhaltsamer Horror-Trash, eine wenig originelle Fingerübung eines damals noch jungen Autors.


Robert R. McCammon – „Höllenritt“

Montag, 18. September 2023

(Knaur, 398 S., Tb.) 
Obwohl der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon bereits 1978 seinen Debütroman „Baal“ veröffentlicht hat und in der Folge neben Stephen King, Dean Koontz, James Herbert und Peter Straub zu einem der bedeutendsten Autoren des Horror-Genres avancierte, brauchte es zehn Jahre, bis auch das deutsche Publikum in den Genuss seiner Werke kam, als Knaur 1988 begann, seine Romane hierzulande zu veröffentlichen. „Höllenritt“ erschien 1980 in McCammons Heimat unter dem Titel „Bethany’s Sin“ und bedient sich wie McCammons erfolgreiches Romandebüt vor allem mythologischer Elemente, diesmal rund um die griechische Göttin Artemis. 
Nachdem der Vietnam-Veteran Evan Reid seinen Redakteurs-Job in LaGrange verloren hat, zieht er mit seiner Frau Kay und ihrer gemeinsamen Tochter Laurie im Juni 1980 in das beschauliche 800-Seelen Dorf Bethany’s Sin, wo ihm die Immobilienmaklerin Marcia Giles ein traumhaft schönes Haus in der McClain Terrace zu einem mehr als annehmbaren vermittelte. 
Während Kay nach den Sommerferien eine Stelle als Mathematiklehrerin am nahegelegenen George Ross Junior College antritt, will sich Evan auf seine Schriftstellerkarriere konzentrieren. Doch wie in der Vergangenheit wird Evan auch hier von prophetischen Alpträumen heimgesucht, die ihn ebenso beunruhigen wie seine Frau, die am liebsten nichts mehr über sie hören möchte. Bethany’s Sin wirkt jedoch nur auf den ersten Blick so idyllisch. Tatsächlich bemerkt auch der Wanderarbeiter Neely Ames, der vom Bürgermeister für alle möglichen Arbeiten eingestellt wird, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Er mäht Rasen rund um ein verlassen wirkendes Haus und findet auf dem nahegelegenen Schuttplatz die Reste von menschlichen Zähnen. 
Als er nachts von dämonisch wirkenden Frauen auf Pferden angegriffen wird, erzählt er nach ein paar Bieren auch dem Schriftsteller davon, der sich gerade bemüht, etwas von der Geschichte des Dorfes zu erfahren. Als er die ebenso schöne wie geheimnisvolle und aristokratische wirkende Dr. Drago und ihre Historische Gesellschaft kennenlernt, kommt er dem Geheimnis von Bethany’s Sin gefährlich nahe… 
„Diese Augen brannten in seinem Gehirn; auch wenn er seine schloss, sah er sie noch deutlich; feurige Halbkugeln irgendwo hinter seiner Stirn. Jetzt, nach diesem zweiten Traum, wusste er es. Und fürchtete das grässliche Wissen. Etwas in diesem friedlichen Ort Bethany’s Sin jagte ihn. Es kam immer näher.“ (S. 141) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“ einen alten kanaanitischen Gott der Sexualität und des Opfers in den Mittelpunkt seines apokalyptischen Debütromans gestellt hatte, ist es in „Höllenritt“ Artemis, die griechische Göttin der Jagd, der Jungfräulichkeit, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder, die den Rahmen für eine abenteuerliche Geschichte in einem nur auf den ersten Blick ruhigen und hübschen Dorf bildet und durch die Archäologin Dr. Kathryn Drago nach einer Ausgrabung in der Türkei wiederbelebt worden ist. 
McCammon bleibt in seiner Geschichte vor allem nah an der Reid-Familie, wobei die Ehe durch Evans unheimliche Träume bereits in der Vergangenheit arg gelitten hat. Die Traumata, die Evan durch seine Teilnahme am Vietnam-Krieg erlitten hat, werfen auch einen Schatten über den Neuanfang seiner Familie in Bethany’s Sin, und McCammon nimmt sich viel Zeit, die Auswirkungen von Evans besonderen Träumen auf den Neuanfang zu schildern. Auch die Beschreibung der feinsinnigen Empfindungen in dem neuen Umfeld gelingt dem Autor sehr gut. 
Nachdem er seine Leserschaft aber so geschickt in den Lauf der Geschichte eingebettet hat, braucht es allerdings schon ein enormes Maß an Gutgläubigkeit, um die Ereignisse bei den Ausgrabungen, die Dr. Drago in der Türkei durchgeführt hat, auf die unheimlichen Vorkommnisse in Bethany’s Sin übertragen zu können. 
Anfang der 1980er Jahre, als Stephen King schon so wegweisende Romane wie „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und „The Stand – Das letzte Gefecht“ veröffentlicht hatte, traf „Höllenritt“ sicher noch den Nerv der Zeit. Heute gefällt vor allem nach wie vor McCammons sprachliche Finesse, während die Originalität der Geschichte bereist Staub angesetzt hat und noch wie eine Fingerübung für spätere Arbeiten wirkt. 

 

Robert R. McCammon – „Baal“

Samstag, 9. September 2023

(Knaur, 346 S., Tb.) 
Der 1952 in Birmingham, Alabama, geborene Robert R. McCammon gesellte sich in den ausgehenden 1970er Jahren zu der Elite bereits etablierter Horrorautoren wie Stephen King und Dean Koontz hinzu, als er im Alter von 25 Jahren seinen Debütroman „Baal“ veröffentlichte, mit dem der Autor seine Variante des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse thematisierte. 
Als sich die zwanzigjährige Kellnerin Mary Kate Raines nach dem Ende ihrer Schicht auf den Weg zur Bushaltestelle macht, wird sie in einer dunklen Gasse von einem Mann angegriffen und brutal vergewaltigt. Als sie im Krankenhaus untersucht wird, stellt der behandelnde Arzt merkwürdige Verbrennungsmale an ihrem Körper fest, die die Form von Handabdrücken aufweisen, und zwar nicht nur im Unterleib und auf Armen und Schenkeln, sondern auch auf jedem Lid ist ein Fingerabdruck hinterlassen worden. Mary Kate bringt das Kind gegen den Willen ihres Mannes Joe zur Welt, doch stellt sie bald fest, dass ihr Sohn Jeffrey etwas aus der Art geschlagen ist. 
Nachdem Joe unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, wächst Jeffrey in einem Knabeninternat auf, wo er sich allerdings weigert, auf seinen Namen zu hören, und stattdessen mit Baal angesprochen zu werden fordert. Bald schon versammelt der Junge seine Altersgenossen um sich und beunruhigt mit seinem Verhalten sowohl die Schwestern als auch Pater Dunn. Schließlich brennt das Waisenhaus nieder… 
Jahre später reist Dr. Donald Naughton, Professor der Theologie an der Universität von Boston City, im Rahmen seiner Recherchen über Messiaskulte nach Kuwait, wo ein Mann namens Baal ganze Menschenmassen aus aller Welt mobilisiert hat, ihm zu folgen und sich in wilder Raserei während der Versammlung zu paaren. Als Dr. James Virga, Naughton Vorgesetzter an der Universität, nichts mehr von Naughton hört und schließlich von dessen Frau Judith einen verstörenden Brief ihres Mannes vorgelegt bekommt, reist er selbst nach Kuwait, um seinen Freund ausfindig zu machen, doch was er dort entdeckt, übersteigt jede Vorstellungskraft. 
Virga lernt einen geheimnisvollen Mann namens Michael kennen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Baal bis ans Ende der Welt zu jagen und unschädlich zu machen. Dr. Virga schließt sich dem Mann an und folgt ihm bis nach Grönland, wo Baal nach einem Zwischenfall im Nahen Osten mit einigen seiner Anhänger geflüchtet sein soll… 
„Wo ist Gott? fragte er sich. Ist die Menschheit so hoffnungslos verloren, dass Gott diesen Augenblick ohne einen einzigen barmherzigen Atemzug geschehen lässt? Ist Baal so mächtig geworden, dass selbst Er mit Entsetzen geschlagen ist? Der Gedanke machte ihn frösteln. Ihm schien, als wäre der gewaltige Mechanismus, der die letzten Augenblicke der Menschheit einläutete, in Bewegung gesetzt worden; er tickte die Sekunden fort wie eine gigantische Pendeluhr.“ (S. 238) 
McCammon bezeichnet seinen 1978 veröffentlichten Debütroman in dem 1988 geschriebenen Nachwort als „Zorniger junger Mann“-Roman, als ersten Versuch, aus der Tretmühle eines öden Jobs herauszukommen und seine Brötchen als Schriftsteller zu verdienen. Besonders originell wirkt der Plot dabei nicht. Die kurz abgehandelten Stationen von Baals Lebenslauf von seiner Zeugung über das Aufwachsen bei der überforderten Mutter und in katholischen Internaten bis zu seinen erfolgreichen Methoden, massenhaft Jünger zu rekrutieren, bewegen sich in vertrauten Regionen, die William Peter Blattys „Der Exorzist“ (1971) und dessen erfolgreiche Verfilmung durch William Friedkin sowie Filme wie „Das Omen“ (1976) und „Rosemaries Baby“ (1968) vorgezeichnet haben, um damit eine neue Welle des Horrorkinos loszutreten. 
Das Finale im eisigen Grönland erinnert zudem an Mary Shelleys „Frankenstein“. McCammons „Baal“ zeichnet sich eher durch die exotischen Schauplätze in Kuwait und Grönland aus, die der Autor eindrücklich vor den Augen des Lesers mit Leben erfüllt, und die gut gezeichneten Charaktere, während der Plot doch recht skizzenhaft ausgefallen ist und mehr Tiefe hätte vertragen können. Für einen Debütroman besticht „Baal“ zudem durch eine bildreiche Sprache, die in späteren Werken des Autors noch geschliffener zum Ausdruck kommt. 

 

David Morrell – (Thomas De Quincey: 2) „Die Mörder der Queen“

Montag, 21. Oktober 2019

(Knaur, 448 S., Tb.)
London, 1855. Beim sonntäglichen Elf-Uhr-Gottesdienst in der St. James Church sorgt bei den Mächtigen und Reichen des Viertels Mayfair, die die Kirche besuchen, die Ankunft einer nicht standesgemäß aussehenden Gruppe von vier Personen für Aufmerksamkeit, vor allem als die Fremden die oberste Bankschließerin bitten, sie zu der für Lord Palmerston reservierten Bank zu führen. Es spricht sich schnell herum, dass sich unter dieser Gruppe sowohl der berüchtigte Opiumesser Thomas De Quincey und seine Tochter Emily zählen, die gerade in Lord Palmerston Haus untergebracht sind, als auch Detective Inspector Ryan von Scotland Yard. Kaum hat Reverend Samuel Hardesty den Gottesdienst begonnen, bei dem der tapfer im Krimkrieg kämpfende Colonel Anthony Trask als Ehrengast begrüßt wird, bemerkt er, wie sich ein scharlachroter Fleck unter der Loge von Lady Cosgrove ausbreitet. Als die Dame mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden wird, übernehmen Ryan, sein Assistent Becker und De Quincey umgehend die Ermittlungen, denn der Täter könnte noch immer in der Kirche sein.
Aus der Hand der Toten sichern die Polizisten einen mit Trauerflor umrandeten Brief, der nur zwei Worte enthält, die Ryan an die schrecklichen Ereignisse vor fünfzehn Jahren erinnern. Damals haben verschiedene Männer versucht, ein Attentat auf Queen Victoria zu verüben. Zwar wurde bei dem Versuch, die Königin zu töten, niemand verletzt, aber der Attentäter Edward Oxford wurde verhaftet und verurteilt, aber wegen seiner offensichtlichen Hirngespinste um eine Gruppe von Verschwörern, die sich „Young England“ nennt, wegen Geisteskrankheit ins Bethlem Royal Hospital überführt. Offensichtlich versucht nun jemand, das damals praktizierte Unrecht wieder gutzumachen, denn nach Lady Cosgrove und ihrem Mann folgen noch weitere Opfer, die mitverantwortlich für den Umgang mit dem Angeklagten waren.
Vor allem dem gebildeten Autor Thomas De Quincey, der sowohl mit seiner Autobiographie „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ als auch mit seinem True-Crime-Werk „Der Mord als schöne Künst betrachtet“ für Aufsehen gesorgt hat, fallen bei der Art der inszenierten Morde und den hinterlassenen Botschaften Verweise zu dem Schicksal eines Jungen auf, der damals bei verschiedenen Stellen vergeblich versucht hatte, Hilfe für seinen Vater, seine Mutter und seine beiden Schwestern zu bekommen. Während Scotland Yard mit De Quinceys Unterstützung fieberhaft nach der Identität des Jungen sucht, versucht der Attentäter weiterhin, Queen Victoria das Leben zu nehmen …
„Er wollte Angst sehen. Er wollte Schmerzen sehen. Eine schnelle Bestrafung konnte nicht sühnen, was seiner Mutter, seinem Vater und seinen Schwestern angetan worden war, seiner geliebten Emma mit den leuchtend blauen Augen und der kleinen Ruth mit dem sonnigen Gemüt und der bezaubernden Zahnlücke.
Jetzt neigte er im fallenden Schnee den Kopf.
Heute Nacht zumindest werdet ihr vier in Frieden ruhen, dachte er. Unvermittelt packte ihn die Trauer um zwei weitere Menschen, die er liebte.“ (S. 353) 
Der kanadisch-US-amerikanische Schriftsteller David Morrell hat bereits mit seinem 1972 veröffentlichten Debütroman „First Blood“ Weltruhm erlangt, denn die daraus resultierende Filmreihe um den von Sylvester Stallone verkörperten Vietnam-Veteranen John Rambo trug erheblich zum Starruhm des Hauptdarstellers bei und ging dieses Jahr bereits in die fünfte Runde. In der Folge schrieb Morrell aber nicht nur Spionage-Romane wie „Der Geheimbund der Rose“, „Verschwörung“ und „Verrat“, sondern auch die Thriller „Testament“, „Massaker“ und „Totem“ sowie die Horror-Thriller „Creepers“ und „Level 9“, bevor er 2013 mit „Murder as a Fine Art“ den Start seiner Reihe um die historisch bedeutsame Persönlichkeit von Thomas De Quincey vorlegte. Knaur hat den im viktorianischen London spielenden Roman unter dem Titel „Der Opiummörder“ veröffentlicht und legt nun den mit Spannung erwarteten Nachfolger „Die Mörder der Queen“ vor, wobei Morrell geschickt historische Tatsachen und Figuren zu einem äußerst stimmungsvollen Gesellschaftsportrait und Thriller verwebt und die besonderen Fähigkeiten von Thomas De Quincey in den Mittelpunkt seiner historischen Thriller stellt.
Sowohl in der Einleitung als auch im Nachwort beschreibt Morrell, wie er dazu inspiriert wurde, De Quincey als Protagonisten einer hoffentlich noch lange fortgesetzten Reihe zu etablieren, und was den Mann besonders auszeichnet, der mit seinem 1821 veröffentlichten Buch „Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ als Erster seine Drogensucht öffentlich machte und vor Freuds Traumdeutung die Ansicht vertrat, dass wir von Gedanken und Empfindungen geleitet werden, „von denen wir gar nicht wissen, dass wir sie haben“.
Zusammen mit seinem kriminalistischen Spürsinn sind das die Elemente, die dem Plot seine Spannung verleihen. Vor allem gelingt es Morrell aber, tief in die Atmosphäre des viktorianischen Englands einzutauchen und die Unterschiede zwischen den in Prunk und Luxus lebenden Adligen und den im Schlamm wühlenden Armen aufzuzeigen. Dabei sind ihm aber auch die Charakterisierungen seiner Figuren hervorragend gelungen. Wie sich der Laudanum-abhängige Thomas De Quincey und seine fürsorgliche Tochter Emily auch in höheren Kreisen zu bewegen verstehen und die Ermittlungen von Scotland Yard vorantreiben, bietet das größte Lesevergnügen, und die Auflösung des Rätsels, wer sich hinter dem potentiellen Attentäter verbirgt, bleibt bis zum Schluss spannend.
Leseprobe David Morrell - "Die Mörder der Königin"

Linwood Barclay – (Promise Falls: 4) „Kenne deine Feinde“

Samstag, 22. Juni 2019

(Knaur, 464 S., Pb.)
Barry Duckworth, Detective bei der Polizei in Promise Falls, wird in seinem Büro von Brian Gaffney erwartet, den seine Kollegen ziellos durch die Straßen herumirrend aufgegriffen haben. Nach einem Filmriss hegt Gaffney die Vermutung, von Außerirdischen entführt worden zu sein, die ihn in den Rücken gestochen haben, doch bei näherer Betrachtung stößt Duckworth auf eine stümperhafte Tätowierung, nach der Gaffney für den Tod eines gewissen Sean verantwortlich gemacht wird.
Das Letzte, an das sich der völlig verstörte junge Mann erinnern kann, ist ein Aufenthalt in der Kneipe Knight’s. Bei der Sichtung der Überwachungskamera stößt Duckworth auch auf ein bekanntes Gesicht, das seines Sohnes Trevor, der mit seiner Freundin wenig später nach Gaffney das Lokal verlassen hat.
Während Duckworth nach einer Übereinstimmung mit einem älteren, ähnlich gelagerten Fall sucht, wird Privatermittler Cal Weaver mit einer außergewöhnlichen Mission betraut: Er soll Jeremy Plimpton beschützen, nachdem dieser in einem aufsehenerregenden Prozess in Albany beschuldigt worden ist, während einer Party im betrunkenen Zustand mit dem Porsche eines der Gäste, Galen Broadhurst, ein junges Mädchen überfahren zu haben. Der achtzehnjährige Großneffe der in Promise Falls lebenden Madeline Plimpton konnte von seinem Verteidiger Grant Finch allerdings vor einer Gefängnisstrafe bewahrt werden, indem dieser geltend machen konnte, dass der junge Mann so verwöhnt und verhätschelt worden ist, dass er die Folgen seines Handelns nicht absehen konnte. Seither wurde Jeremy nicht nur von der Presse als Riesenbaby tituliert, sondern auch das Opfer einer beispiellosen Hetzjagd im Netz – beispielsweise über die Webseite „Gerechte Strafe“ - und in den sozialen Medien.
Da Jeremy in Albany um sein Leben fürchten musste, ist er bei seiner Großtante nach Promise Falls untergetaucht, wo auch seine Mutter Gloria und ihr Freund Bob Butler den Privatermittler empfangen. Da es auch in Promise Falls nicht mehr sicher für Jeremy ist, unternimmt Weaver mit dem verängstigten Jungen einen Road Trip und stößt bei seinen Ermittlungen auf immer größere Ungereimtheiten. Derweil sehnt sich ein Mann nach zweifelhaftem Ruhm, der ihm im Schatten seiner wohlgeratenen Geschwister bislang versagt geblieben ist.
„Er würde den Sprung in die Abendnachrichten schaffen. Auf CNN.
Die Welt würde seinen Namen erfahren.
Kannte die Welt den Namen seiner Schwester? Kannte sie den seines Bruders? Einen Scheiß. Und dabei hatten sie ihr Leben doch solch hehren Aufgaben geweiht. Was hatten sie jetzt davon? Hatten sie irgendetwas vorzuzeigen? Blindgänger.“ (S. 360) 
Mit seiner „Promise Falls“-Trilogie hatte der kanadische Thriller-Bestseller-Autor Linwood Barclay („Ohne ein Wort“) eine Reihe ungewöhnlicher Vorfälle in der Kleinstadt Promise Falls thematisiert, das durch die Vergiftung der Wasserversorgung in die Schlagzeilen geraten war. Nun kehrt Barclay mit seinem neuen Roman nach Promise Falls zurück, und damit sowohl zu dem sympathischen Detective Barry Duckworth und dem ebenfalls einst in Promise Falls beheimateten Ex-Cop Cal Weaver, der nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes von Buffalo zurück nach Promise Falls zog, um weiter als Privatermittler zu arbeiten.
Für den vierten Roman der Reihe ist es nicht nötig, die Trilogie zu kennen. Mit den notwendigen Hintergrundinfos versorgt der Autor den Leser zwischendurch. Allerdings erreicht „Kenne deine Feinde“ nie die Qualität der Trilogie. Dabei bieten die zunächst unabhängig voneinander bearbeiteten Fälle, mit denen es Duckworth und Weaver zu tun haben, durchaus Material für eine spannende Lektüre. Doch gerade der Fall des sogenannten Riesenbabys wuchert nach interessantem Beginn zu einer immer komplexeren und leider absolut unglaubwürdigen Story heran, zu der allzu viele Personen ihren Beitrag leisten, ohne dafür schlüssige Motive zu haben.
Während die Beziehung zwischen Weaver und seinem Schützling Jeremy noch einfühlsam charakterisiert wird, ist der Rest des Plimpton-Clans so unsympathisch und bis zur Karikatur klischeehaft gezeichnet, dass die vielen „überraschenden Wendungen“ im Schlussviertel nur noch ärgerlich sind.
Leseprobe Linwood Barclay - "Kenne deine Feinde"

John Katzenbach – „Der Reporter“

Dienstag, 6. März 2018

(Knaur, 427 S., Tb.)
Ein Jahr nach Richard Nixons Abdankung erschüttert der brutale Mord an der allseits beliebten 16-jährigen Cheerleaderin Amy ausgerechnet am Unabhängigkeitstag Miami. Malcolm Anderson, der als Polizeireporter beim „Journal“ gute Beziehungen zum Morddezernat unterhält, ist mit dem Fotografen Andrew Porter als erster Pressevertreter am Tatort und sorgt mit seiner exklusiven Titelstory für Angst und Unbehagen in der Bevölkerung. Denn als sich der Killer telefonisch bei Anderson meldet, gibt er zu, ein völlig unschuldiges Opfer ausgewählt zu haben, dem weitere ebenso beliebige folgen werden. Wenig später wird ein altes Ehepaar ebenfalls tot in seiner Wohnung aufgefunden, wie das Mädchen an den Händen gefesselt und mit einer großkalibrigen Waffe erschossen.
Die Angst, die die Stadt großflächig erfasst, macht auch vor dem Reporter und seiner Freundin, der Krankenschwester Christine, nicht halt, schließlich ruft der offensichtlich psychotische Killer Anderson auch zuhause an und erzählt ihm ausführlich von seinen traumatischen Kriegserlebnissen in Vietnam und der Beziehung zu seiner verführerischen Mutter und dem strengen Vater. Auf einmal machte sich der erschütternde Gedanke breit, dass der Täter nicht nur seinen perversen Sexualtrieb befriedigen will, sondern es auf jeden beliebigen Menschen absehen könnte.
Trotz der vielen Hinweise, die der redegewandte Mörder Anderson auf seine Identität gibt, gelingt es der Polizei nicht, eine Spur zu finden. Das mörderische Treiben sichert dem „Journal“ prächtige Auflagen, während die Detectives Wilson und Martinez weiterhin im Dunkeln tappen.
„Je mehr ich mir die Stimme und den Tonfall des Killers vergegenwärtigte, seine Erinnerungen, seine Ichbezogenheit, seine Arroganz, desto mehr verlagerte sich meine Loyalität vom Mörder zur Polizei. Doch statt darüber erleichtert zu sein, hatte ich ein mulmiges Gefühl, ohne dass ich sagen konnte, warum.“ (S. 219) 
Bereits mit seinem Roman-Debüt „In the Heat of the Summer“ aus dem Jahre 1982 avancierte der ehemalige Gerichtsreporter John Katzenbach zum Thriller-Star. Schließlich wurde sein Debüt 1985 mit Kurt Russell in der Hauptrolle als „Das mörderische Paradies“ erfolgreich verfilmt, drei Jahre später erschien bei Bastei Lübbe die gleichnamige deutsche Erstausgabe, die nun als „Der Reporter“ in völlig neu bearbeiteter Ausgabe bei Knaur wiederveröffentlicht worden ist.
Dabei beweist der Sohn einer Psychoanalytikerin und des früheren US-Justizministers Nicholas Katzenbach viel Gespür für die Materie. Sowohl die Abläufe der polizeilichen Ermittlungsarbeit als auch die psychologischen Profilanalysen des Killers wirken absolut plausibel, zumindest die Haupt-Charaktere sind dazu gut gezeichnet.  
Katzenbach beschreibt nicht nur, was die erschreckend beliebigen Tötungsdelikte im Mikrokosmos der Beziehung von Ich-Erzähler Malcolm Anderson und seiner attraktiven und empathischen Freundin Christine anrichten, sondern wie verunsichert sowohl die Medien als auch die Bevölkerung mit dem Umstand umgehen, dass da draußen ein anonymer Killer herumläuft, der seine Geschichte in den Medien präsent haben will. Dabei thematisiert der Autor sowohl das Recht des Amerikaners auf den Besitz einer Waffe als auch die Verantwortung der Medien, die offenbar keine andere Möglichkeit sehen, als an der Story dranzubleiben. All dies verwebt Katzenbach zu einem gnadenlos packenden Thriller, der den Leser bis zum wendungsreichen Finale in Atem hält.
Leseprobe John Katzenbach - "Der Reporter"

Linwood Barclay – „Nachts kommt der Tod“

Sonntag, 28. Januar 2018

(Knaur, 560 S., Tb.)
Wegen seiner aufbrausenden Art musste Cal Weaver den Dienst als Cop in Promise Falls quittieren und lebt nun mit seiner Frau Donna in der Kleinstadt Griffon bei den Niagarafällen. In einer regnerischen Nacht gabelt er die siebzehnjährige Claire, Tochter von Bürgermeister Bertram Sanders, vor Patchett’s Bar auf, als sie sich als Freundin seines Sohnes Scott zu erkennen gibt, und will sie nach Hause fahren.
Seit Scott vor zwei Monaten im Drogenrausch beim Sturz vom Dach des örtlichen Möbelhauses tödlich verunglückt ist, sucht Cal, der nun als Privatermittler arbeitet, nach demjenigen, der Scott die Drogen angedreht hat. Doch Claire kann ihm in dieser Hinsicht nicht weiterhelfen. Da ihr angeblich übel ist, bittet sie Cal, sie im Iggy’s auf die Toilette gehen zu lassen, doch als sie nach längerer Zeit wieder ins Auto steigt, stellt der Detektiv fest, dass es sich um ein anderes Mädchen namens Hanna Rodomski handelt, die Claire so ermöglichen möchte, ihren mutmaßlichen Verfolger abzuschütteln.
Bevor Cal weitere Details dieses Täuschungsmanövers erfahren kann, stürzt Hanna an der nächsten roten Ampel aus dem Wagen und flüchtet in den nahegelegenen Wald. Am nächsten Morgen wird ihre halb entblößte Leiche am Flussufer gefunden. Cal gerät damit nicht nur ins Visier der örtlichen Polizei, die von seinem Schwager Augie Perry geleitet wird, sondern auch in den Konflikt zwischen Chief Perry und Bürgermeister Sanders, der der Polizei unlautere Methoden vorwirft.
Als auch noch Claire spurlos verschwindet und Hannas Freund Sean Skilling wegen Mordverdachts verhaftet wird, macht sich Cal auf die Suche nach dem vermissten Mädchen. Zu seiner Hartnäckigkeit gesellen sich aber auch immer wieder die Beziehungsprobleme mit Donna und sein aufwallendes Temperament.
„Es gab Zeiten, da litt ich unter der Wahnvorstellung, ein anständiger Mensch zu sein. Ich glaubte, ich hätte Ideale. Ich glaubte, mein Verhalten werde von edlen Motiven bestimmt.
Aber mit zunehmendem Alter kommt auch die Einsicht, dass jeder Tag einem Kompromisse abverlangt. Dass man die allgemeinen Regeln den eigenen Bedürfnissen anpasst, ist nichts, was einem schlaflose Nächte bereiten müsste.“ (S. 316) 
Seit seinem Debütroman „Ohne ein Wort“ zählt der kanadisch-US-amerikanische Schriftsteller Linwood Barclay zu den populärsten Vertretern des Thriller-Genres. Mit dem erstmals 2014 veröffentlichten Roman „Nachts kommt der Tod“ verweist er am Rande schon auf die kürzlich erschienene „Promise Falls“-Trilogie, denn Cal Weaver mischt auch im zweiten Band „Lügennacht“ als Ermittler mit.
In „Nachts kommt der Tod“ berichtet Weaver als Ich-Erzähler nicht nur von der Tragödie seines Sohnes, dessen Tod nach wie vor wie ein dunkler Schatten über seinem Leben und seiner Ehe liegt, sondern von den merkwürdigen Vorfällen, die mit dem Mord an Hanna und dem Verschwinden ihrer Freundin Claire ihren Anfang nehmen. Barclay erweist sich dabei als routinierter Spannungs-Autor, der seine Figur lebendig portraitiert und die Handlung bei hohen Tempo voranschreiten lässt. Das Ensemble in der Kleinstadt Griffon bleibt dabei angenehm überschaubar, die Verflechtungen innerhalb der städtischen Bewohner gestalten sich allerdings ungewöhnlich komplex.
Natürlich fügen sich kontinuierlich die einzelnen Puzzle-Teile allmählich zusammen, werden falsche Spuren gelegt und ebensolche Schlüsse gezogen. Zum Ende weist der Plot die obligatorischen Wendungen und Bekenntnisse der Schuldigen auf. Barclay bedient sich souverän der Genre-Konventionen und versteht es, die Spannung auf einem hohen Niveau zu halten.
Das macht auch „Nachts kommt der Tod“ zu einem kurzweiligen und packenden Lesevergnügen.

Linwood Barclay – (Promise Falls: 3) „Lügenfalle“

Montag, 27. März 2017

(Knaur, 493 S., Pb.)
Die kleine US-amerikanische Ostküstenstadt Promise Falls kommt einfach nicht zur Ruhe. Nachdem vor nicht mal einer Woche jemand das Autokino am Stadtrand in die Luft gejagt und dabei vier Menschen getötet hatte, hat Polizeichef Barry Duckworth am langen Memorial-Day-Maiwochenende nicht nur wie üblich mit seinem Übergewicht zu kämpfen, sondern auch den Ursprung einer echten Epidemie herauszufinden. Offensichtlich hat jemand das Trinkwasser der Stadt vergiftet, so dass im völlig überlasteten Stadtkrankenhaus bald über hundert Tote zu beklagen sind.
Nutznießer dieser Katastrophe scheint wieder einmal der frühere Bürgermeister Randy Finley zu sein, der nach wie vor plant, nach seiner skandalösen Affäre mit einer minderjährigen Prostituierten wieder zu kandidieren. Zum Glück hatte Finley die Produktion seiner Trinkwasser-Anlage seit einer Woche hochfahren lassen, so dass er die besorgten Bürger nun medienwirksam mit kostenlosem Wasser aus seinen Quellen versorgen kann.
Doch Duckworth hat sich kaum in den Fall einarbeiten können, da erreicht ihm vom örtlichen Thackeray-College die nächste Hiobsbotschaft: Dort wird die Studentin Lorraine Plummer in ihrem Zimmer ermordet aufgefunden, mit der gleichen Art von tödlicher Verletzung, die auch vor drei Jahren Olivia Fisher und kürzlich Rosemary Gaynor erlitten haben.
Ins Zentrum der Ermittlungen gerät Victor Rooney, der es offenbar nicht verwunden hat, dass vor drei Jahren zwar 22 Menschen den Mord an seiner Freundin Olivia mitbekommen, aber nichts unternommen haben, und sich dafür vielleicht an der ganzen Stadt rächen will.
„Wie wütend war Victor Rooney wirklich auf das Versagen dieser Stadt? Wütend genug, um es ihr heimzuzahlen? Wütend genug, um Botschaften zu senden? Dreiundzwanzig tote Eichhörnchen an einem Zaun, zum Beispiel? Drei rot beschmierte Schaufensterpuppen in Kabine 23 eines stillgelegten Riesenrads? Einen brennenden, außer Kontrolle geratenen Bus mit einer ‚23‘ auf dem Heck?“ (S. 318) 
Und schließlich sucht der ehemalige Journalist David Harwood, der nun die Öffentlichkeitsarbeit für Finley betreibt, nach Sam und ihrem Sohn Carl, die im Trubel der Trinkwasservergiftung ihre Sachen gepackt und spurlos verschwunden sind …
Im großen Finale seiner „Promise Falls“-Trilogie besinnt sich Thriller-Bestseller-Autor Linwood Barclay („Ohne ein Wort“, „Frag die Toten“) wieder auf seine originären Fähigkeiten und präsentiert von Beginn an einen atmosphärisch dichten, atemlosen Pageturner, in dem eine Katastrophe auf die nächste folgt. Zum Glück konzentriert sich der Autor diesmal wieder auf ein überschaubareres Figuren-Ensemble, nachdem es in „Lügennacht“ doch arg durcheinander herging.
Zwar macht sich Barclay auch diesmal wenig Mühe, seinen Figuren Charakter zu verleihen – abgesehen von dem immer mal wieder als Ich-Erzähler fungierenden Polizeichef bleiben die Einwohner und Verantwortlichen von Promise Falls ziemlich blass -, aber die Suche nach dem Trinkwasser-Attentäter einerseits, dem Frauenmörder andererseits und schließlich dem Zusammenhang mit der ominösen Zahl 23 und den früheren merkwürdigen Vorfällen in der Stadt ist absolut packend beschrieben.
Barclay thematisiert dabei nicht nur mangelnde Zivilcourage und die allgegenwärtige Angst vor Terrorismus, sondern auch generell den Zerfall zivilisierter Werte und Moralvorstellungen.
Leseprobe Linwood Barclay - "Promise Falls III: Lügenfalle"