James Patterson – „Die 17. Informantin“

Dienstag, 31. Mai 2022

(Limes, 382 S., Pb.) 
Seit seinem 1976 erschienenen und gleich mit dem Edgar Allan Poe Award für das Beste Erstlingswerk ausgezeichneten Thriller „The Thomas Berryman Number“ (dt. „Der Auftrag“) hat sich der US-amerikanische Schriftsteller James Patterson vor allem mit seiner 1993 initiierten Reihe um den Psychologen und Detective Alex Cross in die Herzen der Thriller-Fans geschrieben. Aber auch die Bücher um den „Women’s Murder Club“ oder „Club der Ermittlerinnen“, die 2001 mit „1st to Die“ ihren Anfang nahm, finden sich regelmäßig auf den Bestseller-Listen wieder. Mit „Die 17. Informantin“ liegt nun schon der 17. Titel der Reihe vor. 
Yuki Castellano, stellvertretende Bezirksstaatsanwältin von San Francisco, bekommt einen äußerst interessanten Fall auf den Tisch. Der Werbeproduzent Marc Christopher wirft seiner direkten Vorgesetzten Briana Hill, mit der er auch einige Zeit lang liiert gewesen ist, vor, dass sie ihn mit vorgehaltener Pistole zum Geschlechtsverkehr gezwungen hat. Zwar zeigt sich Castellanos Chef, Leonard „Red Dog“ Parisi, etwas skeptisch, was die Erfolgsaussichten betrifft, steht aber voll hinter seiner engagierten Staatsanwältin. 
Da Christopher zum einen die angezeigte Vergewaltigung mit einer in seinem Wecker installierten Kamera gefilmt hat und zum anderen mit Paul Yates einen Kollegen als Zeugen benennt, der ebenfalls seine Erfahrungen mit Hill machen durfte, sieht Castellano sowohl der Anhörung vor der Grand Jury als auch dem anschließenden Prozess gelassen entgegen. Doch als Christopher seine Aussage vor Gericht unnötig ausschmückt, beginnt Castellano an der Glaubwürdigkeit des Werbefilmproduzenten zu zweifeln. 
Währenddessen wird ihre Freundin Lindsay Boxer, Detective beim San Francisco Police Department, von der Obdachlosen Millie Cushing auf mehrere Morde an Obdachlosen hingewiesen, für die allerdings die Kollegen im Bezirk Mitte zuständig sind. Als sie zusammen mit ihrem Partner Richard Conklin Informationen zu den Morden sammelt, bekommt Boxer den Eindruck, dass ihre Kollegen Stevens und Moran wenig tun, um die Morde aufzuklären. Doch Boxer kommt mit ihren eigenen Ermittlungen zu den Mordfällen auch nicht voran. 
„Das Tatmuster dieses Täters bestand darin, wehrlose Obdachlose in der Dunkelheit und aus nächster Nähe zu erschießen, und zwar irgendwo, wo es keine Überwachungskameras gab. Und dann puff. Vom Winde verweht. Dass dieser Irre so dicht an seine Opfer herangekommen war, bedeutete, dass sie keine Angst vor ihm gehabt hatten. Sie hatten nicht geschrien, waren nicht weggelaufen, hatten sich nicht gewehrt. Vielleicht kannten sie ihn. Vielleicht war er sogar einer von ihnen.“ (S. 255) 
James Patterson und seine seit Jahren bewährte Co-Autorin Maxine Paetro folgen in „Die 17. Informantin“ bewährten Mustern. Die parallel entwickelten Handlungsstränge der Ermittlungen zu den Morden an den Obdachlosen und der Prozess gegen Briana Hill wegen Vergewaltigung sorgen durch die bewährt kurzen, meist drei- bis vierseitigen Kapitel, für hohes Tempo, die schlichte Sprache lässt den Leser quasi durch den Plot fliegen. 
Im Gegensatz zu den immer globaleren Schreckensszenarien, denen sich Alex Cross gegenübersieht, gefällt die Plot-Struktur in der „Women’s Murder Club“-Reihe nach wie vor durch ein bodenständiges und glaubwürdiges Setting. Allerdings geben sich Patterson/Paetro kaum noch Mühe mit der Figurenzeichnung. Die Gerichtsmedizinerin Claire Washburn und die Reporterin Cindy Thomas werden hier nur am Rande erwähnt. Bei Yuki Castellano kommen noch Beziehungsprobleme mit ihrem abwesend wirkenden Mann Brady ins Spiel, bei Lindsay gesundheitliche Probleme – das war’s. 
So bietet „Die 17. Informantin“ flott und routiniert inszenierte Thriller-Kost, die allerdings ohne jeglichen Tiefgang auskommt. 

Joe Hill – „Vollgas“

Sonntag, 29. Mai 2022

(Festa, 478 S., eBook) 
Um sich von dem Namen seines übermächtigen Vaters, Horror-Ikone Stephen King, zu emanzipieren, schreibt Joseph Hillström King seit jeher unter dem Pseudonym Joe Hill, hat sich aber mit Romanen wie „Blind“, „Teufelszeug“ und „Christmasland“ längst aus dem Schatten des Mannes lösen können, der wie kein Zweiter die moderne Horror-Literatur geprägt hat. Während sein Vater mit Joe Hills jüngeren Bruder Owen King schon den epischen Roman „Sleeping Beauties“ zusammen geschrieben hat, ist es bei Joe Hill und Stephen King bislang nur bei Kurzgeschichten zu einer Zusammenarbeit gekommen, die sich in dem von Festa herausgegebenen Band „Vollgas“ in Form zweier eindrucksvoller Geschichten wiederfindet. Die übrigen elf Geschichten können das hohe Niveau der beiden Gemeinschaftsarbeiten allerdings nicht immer halten. 
Mit der gemeinsam geschriebenen Geschichte „Vollgas“, die von HBO verfilmt werden soll, nimmt die Sammlung immerhin gleich ordentlich Fahrt auf. Nach einem unerfreulichen Zwischenfall, bei dem ein junges Mädchen und Roy Klowes auf brutale Weise getötet wurden, befindet sich die Bikergang The Tribe von Vince Adamson und seinem rebellischen Sohn Race auf der Fahrt nach Vegas und macht im Painted Desert Halt, wo sich die Truppe über ihr weiteres Vorgehen abstimmen muss. Dean Clarke hatte vor, mit einem Startkapital von 60.000 Dollar mit Race ein Meth-Labor in Smith Lake aufzubauen, wozu ihm Vince mit zwanzig Riesen aushalf, doch das Labor brannte bereits am ersten Betriebstag aus. Nun will sich Race die 60 Riesen von Clarkes Schwester in Show Low zurückholen. Nachdem ein Truckfahrer die Unterhaltung mitverfolgt hat, macht er sich mit seinem Truck zunächst vom Acker. Als der Tribe eine Stunde später wieder auf den Truck stößt, macht der Fahrer nach und nach kurzen Prozess mit den Gang-Mitgliedern… 
Im Nachwort macht Joe Hill keinen Hehl daraus, dass „Vollgas“ von Richard Mathesons fabelhafter Geschichte inspiriert wurde, die der junge Steven Spielberg als „Duell“ verfilmt hat. Auch wenn „Vollgas“ wenig originell wirkt, hat sie doch das nötige Tempo und den Nervenkitzel, um überzeugen zu können. 
In „Das Karussell“ besucht der 18-jährige Paul mit seiner Freundin Geri, ihrem Bruder Jake und dessen Freundin Nancy das am Ende des Cape Maggie Piers gelegene Karussell „Wild Wheel“, dessen Tiere eine verstörende Kollektion grotesker Wesen darstellen. Der Karussellmann hat zu jedem der ungewöhnlich aussehenden Tiere eine exklusive Geschichte parat. Nach ein paar Runden auf dem Karussell lassen sich die vier Freunde weiter durch den Freizeitpark treiben, bis Nancy feststellt, dass ihr ein nagelneuer Fünfziger abhandengekommen ist. Kaum spricht Paul die Vermutung aus, dass der Karussellmann dafür verantwortlich gewesen sein könnte, als er Nancy auf das Pferd half, nimmt Jake dem mittlerweile seinen Rausch ausschlafenden Karussellbetreiber zwei Zwanziger ab, doch wenig später entwickeln die Tiere des Wild Wheel ein furchterregendes Eigenleben… 
In „Wolverton Station“ begegnen uns während einer Zugfahrt Wölfe in Menschengestalt, „An den silbernen Wassern des Lake Champlain“ bekommen wir eine Variation des Ungeheuers von Loch Ness vorgesetzt, in „Faun“ trifft sich eine exklusive Großwild-Jäger-Truppe. Nach diesen wenig inspirierenden Geschichten taucht mit „Überfällig“ wieder ein echtes Highlight auf. 
Nachdem sich seine Eltern gemeinsam in dem Auto bei laufendem Motor in ihrer Garage aus dem Leben geschieden sind, hat John Davies seinen Job als Fahrer bei einer Spedition verloren und bekommt zufällig die Möglichkeit, in der Bücherei, in die er das längst überfälliges Buch „Eine wunderbare Geschichte“ seiner Mutter zurückbringen wollte, den Büchereibus zu fahren. Doch seine Kunden scheinen oft aus einer anderen Zeit zu kommen…
 „Die Möglichkeit, dass jemand aus den 60er Jahren aufgetaucht sein könnte, um ein überfälliges Buch zurückzugeben und vielleicht neuen Lesestoff auszuleihen, hatte nicht die Wirkung auf mich, die man vielleicht erwarten würde. Ich hatte keine Angst, zu keinem Zeitpunkt. Ich war nicht beunruhigt. Eher verspürte ich so etwas wie Dankbarkeit und auch eine gewisse mild amüsierte Verwirrung.“ (S. 203) 
Mit „Meine Welt dreht sich nur um dich“ präsentiert Hill eine unterhaltsame Science-Fiction-Geschichte über ein Mädchen, das zu seinem Geburtstag von seinem Vater eine Kristallkugel mit einer hässlichen Meerjungfrau geschenkt bekommt, zur Feier des Tages aber einen Münz-Freund mietet, der ihr eine Stunde lang wie Aladins Flaschengeist nahezu alle Wünsche zu erfüllen verspricht. Gemeinsam machen sie sich zur Spitze der Speiche auf, um einen echten Sonnenuntergang zu erleben. Doch damit ist das Abenteuer noch längst nicht vorbei… „Tweets aus dem Zirkus der Toten“ verbindet auf intelligente, satirisch angehauchte Weise klassischen Horror mit den Tücken moderner Kommunikationskanäle, in „Mums“ wird die Leiche der beerdigten Mutter von Jack durch eine ungewöhnliche Samen-Mischung zu unnatürlichen Leben wiedererweckt. 
Die wiederum mit Stephen King verfasste Geschichte „Im hohen Gras“ erzählt von der Fahrt, die Cal DeMuth mit seiner im sechsten Monat schwangeren Schwester Becky von Portsmouth zu Onkel Jim und Tante Anne nach San Diego unternehmen und dabei auf dem Parkplatz einer Kirche aus dem nahegelegenen Feld den Hilferuf eines Jungen vernehmen. Doch als Becky und Cal dem Ruf in das hohe Gras folgen, erwartet sie das pure Grauen… 
Ebenso interessant wie die besten Geschichten in diesem Band sind das Vorwort und die Anmerkungen zum Schluss, in denen Joe Hill davon schreibt, wie er als Sohn eines so berühmten Vaters seine ersten eigenen Versuche, Schriftsteller zu werden, bewerkstelligte und welche Personen, Schriftsteller und Geschichten ihn selbst inspiriert haben. Die Geschichten sind in einem Zeitraum von über einem Jahrzehnt entstanden und decken ein breites Spektrum an Themen ab, sind dabei aber unterschiedlich in Spannungsaufbau, Atmosphäre und Auflösung. Da mindestens die Hälfte der Geschichten großartig unterhalten, sind die weniger interessanten durchaus zu verschmerzen.  

David Baldacci – (Atlee Pine: 4) „Abgerechnet“

Mittwoch, 25. Mai 2022

(Heyne, 480 S., HC) 
Seit seinem 1996 veröffentlichten und von - und mit - Clint Eastwood (unter dem Titel „Absolute Power“) verfilmten Debütroman „Der Präsident“ ist David Baldacci zu einem der erfolgreichsten Thriller-Autoren avanciert, wobei er seine Fans vor allem mit interessanten Charakteren fesselt, deren Abenteuer gleich in Serie verfolgt werden können. In den letzten Jahren hat der US-Amerikaner sein Publikum mit der FBI-Agentin Atlee Pine bekannt gemacht, die seit dreißig Jahren auf der Suche nach ihrer verschwundenen Zwillingsschwester Mercy ist, die im Alter von sechs Jahren entführt worden ist, während Atlee selbst mit einer schweren Kopfverletzung gerade so mit dem Leben davongekommen ist. Nach den drei Bänden „Ausgezählt“, „Abgetaucht“ und „Eingeholt“ kommt die Reihe um die sympathische wie kämpferische Atlee Pine nun mit „Abgerechnet“ zu ihrem Abschluss. 
In den letzten Jahren ihrer Suche ist die FBI-Agentin, die mit ihrer Assistentin und Freundin Carol Blum eine Außenstelle in der Nähe des Grand Canyon in Arizona betreibt, ein großes Stück vorangekommen. Besonders hoffnungsvoll stimmt sie die Entdeckung, dass ihre Schwester noch lebt. Ihren bisherigen Ermittlungen nach ist Mercy von einem Mann namens Ito Vincenzo entführt und zu dem Ehepaar Joe und Desiree Atkins gebracht worden, die das Mädchen Rebecca Atkins nannten, gefangen hielten und misshandelten. Vicenzos Bruder, ein Mafioso, wollte sich mit dieser Aktion an Julie Pine, der Mutter der beiden Mädchen, rächen, da sie als Maulwurf für eine Regierungsbehörde dafür gesorgt hatte, Mafiafamilien zu Fall zu bringen. 
Atlee fand ein Foto, auf dem Mercy als ungefähr Vierzehnjährige zwischen Joes Eltern, Len und Wanda Atkins, zu sehen war. Außerdem ist sie auf ein Video der Überwachungskamera gestoßen, dass Mercy dabei zeigt, wie sie aus ihrem Gefängnis bei der Familie ausgebrochen ist. Mit einem Standbild aus dem Video startete sie einen Suchaufruf über das FBI, der allerdings ergebnislos blieb. Eine andere Spur erwies sich als vielversprechender. Ihr leiblicher Vater, Jack Lineberry, verfügt über nahezu grenzenlose finanzielle Mittel und stellt Atlee alles zur Verfügung, was sie für ihre weitere Suche nach Mercy benötigt. Pine findet zum einen heraus, dass in dem Sarg, in dem Tim Pine liegen sollte, Mercys Entführer begraben worden ist, zum anderen, dass nicht Mercy für den Mord an ihrem Peiniger Joe Atkins verantwortlich gewesen ist, sondern Desiree, die seitdem spurlos verschwunden ist. 
Während Atlee über Wanda Atkins die Spur zu Desiree aufnimmt, schlägt sich Mercy als Eloise „El“ Cain mit Jobs als Staplerfahrerin, bei einem Sicherheitsdienst und illegalen Kämpfen in Mixed Martial Arts durchs Leben. Als sie in einem Motel beobachtet, wie ein grobschlächtiger Mann seine zierliche Freundin misshandelt, schlägt sie ihn so nieder, dass er später an einem Hirnaneurysma verstirbt. Das bringt den rachsüchtigen Bruder, Peter Buckley, auf den Plan, dem zwar bewusst ist, dass sein Bruder Ken selbst für den Schlamassel verantwortlich ist, den er sich eingebrockt hat. Doch da er zur Familie gehörte, will er seinen Tod rächen, wozu er die ehemalige FBI-Agentin Britt Spector engagiert. Das Wiedersehen zwischen Mercy und Atlee findet so unter denkbar ungünstigen Bedingungen statt. Vor allem für Mercy bedeutet das Wiedersehen eine große Umstellung in ihrem bisherigen Leben. 
„Es hatte nie jemanden gegeben, der ihr wirklich wichtig war, weil da niemand war, dem sie wichtig war. Wenn man sein Leben nach diesen Prinzipien führte, kamen einem so grundlegende Gefühle wie Liebe und Zuneigung abhanden. Sie verkümmerten wie Muskeln, die nicht gebraucht wurden. Statt echte Bindungen einzugehen, hatte Mercy sich darauf beschränkt, anderen, die zum Treibgut der Gesellschaft gehörten, ab und zu mit ein paar Münzen auszuhelfen.“ (S. 379f.) 
Mit Atlee Pine hat David Baldacci eine faszinierende Figur geschaffen, deren familiärer Hintergrund bereits so außergewöhnlich genug ist, um daraus eine Romanhandlung zu kreieren. Aber die Beziehungen zwischen Tim und Julie Pine auf der einen und Atlees leiblichen Vater Jack Lineberry auf der anderen Seite bilden nur das – wenn auch komplex verschachtelte – Gerüst für die langjährige Suche der einzelgängerischen FBI-Agentin nach ihrer Schwester Mercy. 
Hier stehen ihr nicht nur die Ressourcen des FBI und ihres Kollegen von der Militärstrafverfolgungsbehörde CID, John Puller, zur Verfügung, sondern auch die Unterstützung ihres leiblichen Vaters. Der Thriller-Plot kommt aber durch den unglücklichen Zusammenstoß zwischen Mercy und dem Bruder eines rachsüchtigen Geschäftsmannes zustande, der nicht nur den vermeintlichen Mord an seinem nichtsnutzigen Bruder rächen will, wie sich herausstellt. Die parallele Suche von Peter Buckley und Atlee Pine nach Mercy Pine sorgt für Tempo und Spannung, zumal bei der Gegenüberstellung der Parteien einiges an Action aufgeboten wird. 
Obwohl Baldacci hier leicht den Bogen überspannt und am Ende auch etwas rührselig wird, ist ihm letztlich ein souverän durchkomponierter und packender Thriller gelungen, der vor allem durch die Frauen-Power in Gestalt der beiden Schwestern, aber auch der abtrünnigen FBI-Agentin Britt Spector und natürlich Atlee Pines Assistentin Carol Blum zum Ausdruck kommt. Da haben die Männer nicht viel zu lachen. Alles in allem ist Baldacci mit „Abgerechnet“ ein würdiger Abschluss der Reihe um die hartnäckige FBI-Agentin Pine gelungen.  

Dennis Lehane – (Kenzie & Gennaro: 5) „Kalt wie dein Herz“

(Diogenes, 512 S., Pb.) 
Auch wenn Dennis Lehane hierzulande vor allem wegen seiner erfolgreich verfilmten Romane „Mystic River“ (Clint Eastwood, 2003), „Gone Baby Gone – Kein Kinderspiel“ (Ben Affleck, 2007) und „Shutter Island“ (Martin Scorsese, 2009) bekannt geworden ist, gingen seine Bücher in seiner US-amerikanischen Heimat schlagartig häufiger über den Ladentisch, als Bill Clinton dabei gesehen wurde, wie er beim Aussteigen aus der Air Force One Lehanes Roman „Prayers for Rain“ in der Hand hielt. Es war der bereits fünfte, 1999 veröffentlichte Roman in der Serie um die Privatermittler Patrick Kenzie und Angela Gennaro, der hierzulande erstmals im Jahr 2001 unter dem Titel „Regenzauber“ erschien und nun in neuer Übersetzung von Peter Torberg als „Kalt wie dein Herz“ im Diogenes Verlag vorliegt. 
Im Februar empfing Patrick Kenzie zusammen mit seinem Kumpel Bubba die Klientin Karen Nichols, die sich von einem Stalker namens Cody Falk belästigt fühlte. Kenzie und sein schlagkräftiger Kumpel statteten Falk, der bereits einige Anzeigen wegen Körperverletzung und Vergewaltigung auf seinem Konto aufwies, einen Besuch ab, der zur Folge haben sollte, dass Falk Karen Nichols in Ruhe ließ. Alles schien in Ordnung zu sein, doch nach ungefähr vier Wochen hinterließ Nichols eine Nachricht auf Kenzies Anrufbeantworter, auf die sich der Privatermittler nicht zurückmeldete, weil er mit seiner gerade angesagten Liebschaft, der Rechtsanwältin Vanessa Moore, auf die Bahamas fliegen wollte. Monate später erfährt Kenzie aus dem Radio, dass seine frühere Klientin nackt von der Aussichtsplattform des Costum House in den Tod gesprungen ist. 
Als sich Kenzie vor allem aus Schuldbewusstsein mit den näheren Umständen von Nichols’ Tod befasst, stößt er auf die Nachricht, dass ihr Freund David Wetterau in der Rushhour bei Rot über eine Straße ging, stolperte und von einem Auto so unglücklich erfasst wurde, dass er seitdem im Koma liegt. Karen Nichols fiel anschließend in ein tiefes seelisches Loch, verlor erst ihre Arbeit, dann ihr Auto und schließlich auch ihre Wohnung, danach schien sie wie vom Erdboden verschluckt, mietete sich ein Motelzimmer und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Prostituierte. 
Für weitere Ermittlungen schließt sich Kenzie mit seiner alten Partnerin und Lebensgefährtin Angie Gennaro zusammen, die nach dem letzten desaströs verlaufenden Fall aus Kenzies Wohnung und Leben verschwunden ist, aber offenbar hängen die beiden noch sehr aneinander. Als sie Nichols‘ Mutter Carrie und Stiefvater Christopher Dawe aufsuchen, entfaltet sich allmählich das ganze Ausmaß der Tragödie, die mit einem Kindestausch begann und über den Tod von Karens Schwester über Erpressung führte. Dabei scheint auch Nichols‘ Psychiaterin Dr. Diane Bourne nicht ganz unschuldig gewesen zu sein, die nicht nur Beziehungen zu ihren Patienten und ihrem Sekretär Miles Lovell unterhielt, sondern auch vertrauliche Informationen durchsickern ließ. Schließlich stoßen Kenzie und Gennaro auf einen Psychopathen, der vor wirklich nichts zurückschreckt, um die Dawe-Familie zu vernichten. 
„Ich wusste nicht viel über ihn – wusste nicht, wie er hieß oder wie er aussah -, aber so langsam bekam ich ein Gespür für ihn. Es handelte sich, da war ich mir sicher, um den Mann, den Warren Martens im Motel gesehen und als denjenigen beschrieben hatte, der die Fäden in der Hand hielt. Er hatte Karen Nichols vernichtet, und nun hatte er Miles Lovell vernichtet. Seine Opfer einfach nur umzubringen schien ihn zu langweilen – stattdessen zog er es vor, sie in einem Zustand zurückzulassen, in dem sie sich selber wünschten, tot zu sein.“ (S. 249) 
Lehanes 1994 begonnene und sechs Bände umfassende Reihe um Kenzie und Gennaro zählt zu den besten Krimi-Serien überhaupt. Mit „Gone Baby Gone“ wurde der vierte und damit der „Kalt wie dein Herz“ direkt vorangegangene Roman von Ben Affleck mit Casey Affleck und Michelle Monaghan in den Hauptrollen auch erfolgreich verfilmt. An diese Qualität knüpft „Kalt wie dein Herz“ nahtlos an. Der Thriller thematisiert nicht nur die berufliche und vor allem private Annäherung der langjährigen Partner Kenzie und Gennaro, sondern auch einen besonders komplizierten Fall, in dem nicht nur munter mit falschen Identitäten gespielt wird, sondern Lügen, Mord, Entführung, Erpressung und Folter die Aufklärung des Falles in die Länge ziehen. 
Wie das aus Kenzie, Gennaro und dem skrupellosen Kriegsveteran Bubba Rogowski bestehende Trio die komplexen Zusammenhänge um Karen Nichols‘ Tod aufdröselt und den psychopathischen Täter systematisch in die Enge treibt, ist nicht nur packend mit sehr lebendigen Charakteren geschrieben, sondern auch mit der richtigen Portion Humor gewürzt. Das ist auch Peter Torbergs gelungener Neuübersetzung zu verdanken, der „Kalt wie dein Herz“ wie im Rausch durchlesen lässt. Besser kann Kriminalliteratur nicht sein! 

Peter Straub – (Blaue Rose: 2) „Koko“

Samstag, 14. Mai 2022

(Heyne, 559 S., Jumbo) 
Der amerikanische Schriftsteller Peter Straub hatte Anfang der 1970er Jahre mit seinen Mainstream-Romanen „Marriages“ (dt. „Die fremde Frau“) und „Under Venus“ (dt. „Das geheimnisvolle Mädchen“) zunächst noch mäßigen Erfolg, ehe er 1975 mit „Julia“ erstmals einen übernatürlichen Thriller präsentierte. In diesem Genre erreichte er mit den nachfolgenden Romanen „Geisterstunde“, „Schattenland“ und „Der Hauch des Drachen“ eine größere Popularität, bevor er durch seine Zusammenarbeit mit Stephen King an „Der Talisman“ auch hierzulande zu einer wichtigen Stimme der phantastischen Literatur avancierte. Der nachfolgende Roman „Koko“ bescherte Straub schließlich seinen ersten World Fantasy Award
Der Kinderarzt Michael Poole ist im Sheraton Hotel in Washington, D.C., mit seinen Vietnamkriegskameraden verabredet, um gemeinsam an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Während er sich auf das Treffen mit seinem ehemaligen Lieutenant, Harry „Beans“ Beevers, Tina Pumo, dem Besitzer eines vietnamesischen Restaurants, und Conor Linklater vorbereitet, muss er an zwei weitere Kameraden denken, die er in Vietnam kennen und schätzen gelernt hat, den mittlerweile erfolgreichen Schriftsteller Tim Underhill und Manuel Orosco „M.O.“ Dengler, der bei einem Autounfall ums Leben kam, als er zusammen mit seinem Kameraden Victor Spitalny Fronturlaub in Bangkok machte. 
Bei ihrem Zusammentreffen kommt die Sprache sehr schnell auf eine Mordserie in Fernost, zu der Harrys noch als Berufssoldaten aktiven Brüder entsprechende Zeitungsberichte sammelten. Den Opfern wurden nicht nur Augen und Ohren entfernt, sondern auch Spielkarten in den Mund gelegt, auf denen neben kryptischen Botschaften der Name „Koko“ stand. Die Vermutung liegt nahe, dass Tim Underhill hinter „Koko“ stehen könnte, also machen sich Poole, Linklater und Beevers auf nach Singapur, wo sie den Schriftsteller vermuten, während Pumo sich weiterhin um sein Restaurant kümmern muss. Doch als das Trio Underhill tatsächlich ausfindig macht, hat Koko bereits wieder zugeschlagen. Offensichtlich räumt der Killer alle Journalisten aus dem Weg, die über die grausamen Morde an vietnamesischen Kindern bei Ia Thuc im Jahr 1968 berichten wollten, an denen Beevers Trupp beteiligt gewesen ist. Zusammen mit Underhill machen sich die drei Veteranen auf die Rückreise in die USA, wo Koko bereits weitere Zeitzeugen zu töten begonnen hat… 
 „Ich habe einen kleinen Jungen erschossen, sagte sich Poole. Doch er wusste, dass er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden würde. Lieutenant Beevers hatte ein kleines Mädchen so lange gegen einen Baum geschleudert, bis dem armen kleinen Wesen der Kopf zersprungen war. Spitalny hatte Kinder in einem Graben bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wollte man sie dafür bestrafen, so musste man schon den ganzen Zug vor das Kriegsgericht stellen. Auch das war ganz entsetzlich. Diese Untaten würden keine Folgen haben. Was sich sozusagen in einem luftleeren Raum abspielte, zählte nicht. Das war das Schlimme.“ (S. 332) 
Peter Straub hat mit „Koko“ vor allem einen Vietnam-Roman geschrieben. Die Erinnerungen an den sinnlosen Krieg mit seinen brutalen Verbrechen an der Zivilbevölkerung verfolgen die vier Protagonisten noch heute. Und auch wenn sie sich mittlerweile ein neues Leben aufgebaut haben, können sie die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Vor allem können sie nicht zulassen, dass das sinnlose Morden fortgesetzt wird. Straub nimmt sich viel Zeit, sowohl seine vier Protagonisten als auch ihre Erinnerungen an ihren Einsatz in Vietnam ausführlich zu beschreiben. Es geht aber nicht nur um gemeinsame Vergangenheitsbewältigung, sondern auch darum, eine Mordserie aufzuklären. Dabei kommt der Autor nahezu ohne übernatürliche Elemente aus, mit denen er seine Erfolgsromane so überzeugend gespickt hat. Die begangenen Kriegsverbrechen sind grauenvoll genug, um sie noch in einen phantastischen Kontext zu stellen. Geschickt wechselt Straub immer wieder die Erzählperspektive, recht früh auch schon zu Koko, dessen Identität über den ganzen Roman hinweg immer wieder Rätsel aufgibt. So ist mit „Koko“ ein psychologisch tiefgründiger und extrem spannender Mix aus Kriegsroman und Krimi-Thriller gelungen, der zu Straubs besten Werken zählt. Es ist der 2. Band der „Blaue Rose“-Reihe, die mit der gleichnamigen Novelle begann und nach „Koko“ mit „Mystery“ und „Der Schlund“ fortgesetzt wurde. 

 

Dan Simmons – „Göttin des Todes“

Donnerstag, 5. Mai 2022

(Heyne, 318 S., Tb.) 
Dan Simmons hat den perfekten Start für seine Schriftsteller-Karriere hingelegt. Gleich mit seinem 1985 veröffentlichten Debüt „Song of Kali“ wurde er mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet und von Kollegen wie Dean Koontz („Der beste Erstlingsroman, den ich je gelesen habe“) und Stephen King hoch geschätzt. „Kein amerikanischer Autor der Gegenwart ist wie Dan Simmons befähigt, das Reale und das Irreale in gleichem Maße überzeugend zu verschmelzen“, wird Stephen King zitiert. Das trifft insbesondere auf Simmons‘ Debüt zu, das 1991 unter dem Titel „Göttin des Todes“ als deutsche Erstveröffentlichung erschien. 
Der amerikanische Schriftsteller Robert C. Luczak wird im uni 1977 von „Harper’s“ damit beauftragt, nach Kalkutta zu fliegen, um ein bisher unveröffentlichtes Manuskript des seit acht Jahren verschollenen bengalischen Dichters M. Das in Empfang ausfindig zu machen. Abe Bronstein, Herausgeber der kleinen Literaturzeitschrift „Other Voices“, für die Luczak überwiegend tätig ist, versucht vergeblich, seinen Freund von der Reise abzubringen. Für Luczaks Frau Amrita bietet die Reise zudem die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren und als potentielle Dolmetscherin tätig zu werden. 
Als Luczak mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen sieben Monate alten Tochter Victoria in Kalkutta landen, werden sie überraschenderweise von einem gewissen M.T. Krishna in Empfang genommen, der für einen verhinderten Freund des indischen Schriftstellerverbandes eingesprungen ist und sich als Teilzeitlehrer mit guten Kontakten zu Education Foundation der Vereinigten Staaten in Indien vorstellt. Am nächsten Morgen wird Luczak von Michael Leonard Chatterjee empfangen, der ihm als Vertreter des Schriftstellerverbandes von Bengalen versichert, dass M. Das noch lebe, doch von einem persönlichen Treffen zwischen Luczak und dem Bengalidichter will der Verband nichts wissen. Viel interessanter scheint die von Krishna arrangierte Begegnung mit dem Studenten Jayaprakesh Muktanandaji zu sein, der dem Amerikaner von einem Initiationsritus erzählt, bei dem die Kapalikas von jedem neuen Mitglied die Opferung einer menschlichen Leiche vor dem Standbild der Kali im Tempel der Kapalikas fordern. 
Im Laufe der Zeremonie wird diese Leiche durch Kali wiedererweckt. Als Luczak endlich das M. Das zugeschriebene Manuskript erhält, verbringt er eine schlaflose Nacht damit, das lange, verstörende Gedicht zu lesen, das sich ausführlich der hinduistischen Göttin des Todes und der Zerstörung widmet. Nun drängt Luczak sehr vehement darauf, M. Das persönlich zu treffen, worauf sich der in die Defensive getriebene Schriftstellerverband schließlich einlässt. Doch die Begegnung mit Das erschüttert Luczak zutiefst… 
„Ich habe eine Theorie zu Kalkutta entwickelt, obwohl Theorie eine zu hochtrabende Bezeichnung für eine intuitive Meinung ist. Ich glaube, es gibt Schwarze Löcher in der Wirklichkeit. Schwarze Löcher in der menschlichen Seele. Und tatsächlich Orte, wo aufgrund der Dichte von Elend oder schierer menschlicher Perversion die Beschaffenheit der Welt einfach auseinanderfällt und der schwarze Kern in uns alles andere verschlingt.“ (S. 314) 
Auch wenn der amerikanische Schriftsteller und Redakteur Robert Luczak die Hauptfigur in „Göttin des Todes“ verkörpert, nimmt die unheilvolle Atmosphäre in der indischen Metropole Kalkutta doch eine ebenso bedeutende Rolle ein. Simmons hält sich nicht lange mit einer Einführung auf, stellt nur kurz den Verleger Bronstein und den Ich-Erzähler Luczak vor, der sich bereits mitten in den Vorbereitungen für die Reise befindet. Die eigentliche Geschichte beginnt schließlich auch erst in Kalkutta, wo Luczak nicht nur mit dem allgegenwärtigen Elend konfrontiert wird, sondern auch etliche obskure Menschen kennenlernt, die das Mysterium um den seit Jahren verschwundenen Dichter M. Das nur intensivieren. 
In der detaillierten Beschreibung von Kulkuttas Atmosphäre und den dort verwirrenden Vorgängen liegt die Stärke von „Göttin des Todes“. Simmons liefert dabei auch einige eindringliche Beschreibungen der Riten rund um diese zerstörerische Göttin, konfrontiert seinen Protagonisten direkt mit ihrem Auftreten in seinen Träumen und legt so gekonnt die Grundlage für einen zunehmend verstörenden Plot, der nur durch den allzu versöhnlichen zu einem nicht ganz überzeugenden Schluss geführt wird. Simmons legte mit diesem atmosphärisch dichten Horror-Drama den erfolgreichen Start für seine Karriere, in der die Horror-Romane „Sommer der Nacht“, „Kinder der Nacht“ und „Kraft des Bösen“ ebenso nachhaltigen Eindruck hinterließen wie die Science-Fiction-Sagen um „Hyperion“ und „Endymion“, die Joe-Kurtz-Thriller und die historischen Romane „Der Berg“, „Terror“ und „Drood“

 

John Grisham – „Der Verdächtige“

Dienstag, 3. Mai 2022

(Heyne, 416 S., HC) 
Allein die Tatsache, dass seine ersten sieben Romane – von „Die Jury“ und „Die Firma“ über „Die Akte“ und „Der Klient“ bis zu „Die Kammer“, „Der Regenmacher“ und zuletzt „Das Urteil“ – verfilmt worden sind, spricht Bände über den Erfolg des ehemaligen Rechtsanwalts und Bestseller-Autors John Grisham. Seit seinem im Original 1989 veröffentlichten Debüt „Die Jury“ liefert der bekennende Baptist und Demokrat nahezu jährlich einen Bestseller ab und kehrt nun hin und wieder auch zu Figuren aus früheren Romanen zurück. So ist Jake Brigance, Grishams Protagonist aus „Die Jury“, zunächst 2013 in „Die Erbin“ zurückgekehrt, um dann noch einmal in „Der Polizist“ einen 16-Jährigen vor der Todesstrafe zu bewahren. Lacy Stoltz wiederum hat als Anwältin bei der Gerichtsaufsichtsbehörde in Florida in „Bestechung“ einen aufsehenerregenden Korruptionsfall aufgeklärt, bei der eine Richterin jahrelang erhebliche Bestechungsgelder kassiert hat. Nun wird sie mit einem Fall konfrontiert, bei dem ein amtierender Richter mehrere Morde begangen haben soll, die nie aufgeklärt werden konnten. 
Seit ihrem Erfolg vor drei Jahren scheint die Karriere von Lacy Stoltz beim Board on Judicial Conduct (BJC), zuständig für Berufsaufsicht und standeswidriges Verhalten von Richtern, ins Stocken geraten zu sein. Die dienstälteste Mitarbeiterin weiß weder, wohin ihre Beziehung zum FBI-Beamten Allie führt, noch ob sie sich vielleicht beruflich verändern soll. 
Da erhält sie einen zunächst anonymen Anruf von einer Frau, die sich später als die sechsundvierzigjährige Jeri Crosby vorstellt, die als geschiedene und alleinlebende Professorin Politikwissenschaft an der University of South Alabama in Mobile lehrt. Sie behauptet, dass ihr Vater Bryan Burke, Juraprofessor im Ruhestand, von einem amtierenden Richter namens Ross Bannick ermordet worden sein soll. Da weder Spuren noch Motiv ausgemacht werden konnten, ist allerdings nie jemand der Tat verdächtigt worden. Doch damit nicht genug: Jeri hat keine Kosten und Mühen gescheut, um weitere fünf ungelöste Morde ausfindig zu machen, die mit der gleichen Methode ausgeübt worden sind. Den Opfern wurde zunächst der Schädel zertrümmert, dann mit einem Nylonseil erdrosselt, wobei der Druck mit einem doppelten Mastwurf gesichert wurde. 
Offensichtlich rächt sich Bannick an all jenen, die ihn im Laufe seines Lebens gekränkt haben. Dabei beweist er unglaubliche Geduld und Vorsicht, und da die Morde in mehreren Bundesstaaten begangen wurden, sind nie irgendwelche Zusammenhänge untersucht worden. Auch wenn sich Lacy anfangs sträubt, sich mit diesen Vorwürfen auseinanderzusetzen, muss sie mit ihrem Team dem Fall widmen, als Jeri offiziell Beschwerde gegen Bannick einreicht. Die Professorin fühlt sich hinter ihrer anonymen Fassade so sicher, dass sie Bannick aufzuscheuchen versucht, indem sie ihm Gedichte schickt, die auf seine verschiedenen Opfer verweisen, doch Bannick ist auch in technischer Hinsicht so versiert, dass er bald herausfindet, wer ihm das Leben gerade so schwer zu machen versucht… 
„Die Person, die ihm nachstellte, war kein Cop, kein Privatdetektiv, kein Kriminalschriftsteller, der sich auf echte Fälle verlegt hatte und auf Nervenkitzel aus war. Sie war selbst betroffen, jemand, der seit vielen Jahren im Dunkeln agierte, beobachtete, Material sammelte, Spuren verfolgte. Er war mit einer neuen Realität konfrontiert, und brillant, wie er war, würde er auch damit fertigwerden. Er würde das Opfer finden und den Briefen ein Ende setzen. Schluss mit den albernen Gedichten.“ (S. 249) 
Um Lacy Stoltz noch einmal im Fall eines richterlichen Fehlverhaltens ermitteln zu lassen, brauchte es schon einen spektakulären Fall, den er mit der offensichtlichen Mordserie eines Richters auch spektakulär in Szene zu setzen weiß. Dabei wechselt Grisham immer wieder die Perspektive von Lacy Stoltz und Jeri Crosby auf der einen und Richter Ross Bannick auf der anderen Seite. Die persönlichen Hintergründe der drei Protagonisten kommen dabei auch nicht zu kurz, gehen allerdings auch nicht besonders in die Tiefe.  
Grisham konzentriert sich ganz auf die Jagd nach Bannick, die vor allem darin besteht, endlich Beweise für die ihm vorgeworfenen Taten zu finden, wobei vor allem das FBI involviert wird. Das hohe Tempo und die Spannung durch das Katz- und Maus-Spiel lassen fast darüber hinwegsehen, dass die Figur des Richters nicht besonders glaubwürdig gezeichnet ist und die Motivation seiner Taten mehr als fragwürdig erscheint, der Schluss fällt sogar enttäuschend aus. Ein spektakulärer Fall macht noch keinen guten Thriller aus, aber Grisham schreibt immerhin so routiniert und hat mit den beiden tragenden Frauenfiguren zwei sympathische Charaktere geschaffen, dass Grisham-Fans dennoch auf ihre Kosten kommen. Interessant ist dabei vor allem die Vorstellung, dass gerade ein Mann, der das Gesetz schützen soll, zum Verbrecher geworden ist.