Peter Straub – (Blaue Rose: 2) „Koko“

Samstag, 14. Mai 2022

(Heyne, 559 S., Jumbo) 
Der amerikanische Schriftsteller Peter Straub hatte Anfang der 1970er Jahre mit seinen Mainstream-Romanen „Marriages“ (dt. „Die fremde Frau“) und „Under Venus“ (dt. „Das geheimnisvolle Mädchen“) zunächst noch mäßigen Erfolg, ehe er 1975 mit „Julia“ erstmals einen übernatürlichen Thriller präsentierte. In diesem Genre erreichte er mit den nachfolgenden Romanen „Geisterstunde“, „Schattenland“ und „Der Hauch des Drachen“ eine größere Popularität, bevor er durch seine Zusammenarbeit mit Stephen King an „Der Talisman“ auch hierzulande zu einer wichtigen Stimme der phantastischen Literatur avancierte. Der nachfolgende Roman „Koko“ bescherte Straub schließlich seinen ersten World Fantasy Award
Der Kinderarzt Michael Poole ist im Sheraton Hotel in Washington, D.C., mit seinen Vietnamkriegskameraden verabredet, um gemeinsam an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Während er sich auf das Treffen mit seinem ehemaligen Lieutenant, Harry „Beans“ Beevers, Tina Pumo, dem Besitzer eines vietnamesischen Restaurants, und Conor Linklater vorbereitet, muss er an zwei weitere Kameraden denken, die er in Vietnam kennen und schätzen gelernt hat, den mittlerweile erfolgreichen Schriftsteller Tim Underhill und Manuel Orosco „M.O.“ Dengler, der bei einem Autounfall ums Leben kam, als er zusammen mit seinem Kameraden Victor Spitalny Fronturlaub in Bangkok machte. 
Bei ihrem Zusammentreffen kommt die Sprache sehr schnell auf eine Mordserie in Fernost, zu der Harrys noch als Berufssoldaten aktiven Brüder entsprechende Zeitungsberichte sammelten. Den Opfern wurden nicht nur Augen und Ohren entfernt, sondern auch Spielkarten in den Mund gelegt, auf denen neben kryptischen Botschaften der Name „Koko“ stand. Die Vermutung liegt nahe, dass Tim Underhill hinter „Koko“ stehen könnte, also machen sich Poole, Linklater und Beevers auf nach Singapur, wo sie den Schriftsteller vermuten, während Pumo sich weiterhin um sein Restaurant kümmern muss. Doch als das Trio Underhill tatsächlich ausfindig macht, hat Koko bereits wieder zugeschlagen. Offensichtlich räumt der Killer alle Journalisten aus dem Weg, die über die grausamen Morde an vietnamesischen Kindern bei Ia Thuc im Jahr 1968 berichten wollten, an denen Beevers Trupp beteiligt gewesen ist. Zusammen mit Underhill machen sich die drei Veteranen auf die Rückreise in die USA, wo Koko bereits weitere Zeitzeugen zu töten begonnen hat… 
 „Ich habe einen kleinen Jungen erschossen, sagte sich Poole. Doch er wusste, dass er dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden würde. Lieutenant Beevers hatte ein kleines Mädchen so lange gegen einen Baum geschleudert, bis dem armen kleinen Wesen der Kopf zersprungen war. Spitalny hatte Kinder in einem Graben bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Wollte man sie dafür bestrafen, so musste man schon den ganzen Zug vor das Kriegsgericht stellen. Auch das war ganz entsetzlich. Diese Untaten würden keine Folgen haben. Was sich sozusagen in einem luftleeren Raum abspielte, zählte nicht. Das war das Schlimme.“ (S. 332) 
Peter Straub hat mit „Koko“ vor allem einen Vietnam-Roman geschrieben. Die Erinnerungen an den sinnlosen Krieg mit seinen brutalen Verbrechen an der Zivilbevölkerung verfolgen die vier Protagonisten noch heute. Und auch wenn sie sich mittlerweile ein neues Leben aufgebaut haben, können sie die Vergangenheit nicht ruhen lassen. Vor allem können sie nicht zulassen, dass das sinnlose Morden fortgesetzt wird. Straub nimmt sich viel Zeit, sowohl seine vier Protagonisten als auch ihre Erinnerungen an ihren Einsatz in Vietnam ausführlich zu beschreiben. Es geht aber nicht nur um gemeinsame Vergangenheitsbewältigung, sondern auch darum, eine Mordserie aufzuklären. Dabei kommt der Autor nahezu ohne übernatürliche Elemente aus, mit denen er seine Erfolgsromane so überzeugend gespickt hat. Die begangenen Kriegsverbrechen sind grauenvoll genug, um sie noch in einen phantastischen Kontext zu stellen. Geschickt wechselt Straub immer wieder die Erzählperspektive, recht früh auch schon zu Koko, dessen Identität über den ganzen Roman hinweg immer wieder Rätsel aufgibt. So ist mit „Koko“ ein psychologisch tiefgründiger und extrem spannender Mix aus Kriegsroman und Krimi-Thriller gelungen, der zu Straubs besten Werken zählt. Es ist der 2. Band der „Blaue Rose“-Reihe, die mit der gleichnamigen Novelle begann und nach „Koko“ mit „Mystery“ und „Der Schlund“ fortgesetzt wurde. 

 

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