(Heyne, 318 S., Tb.)
Dan Simmons hat den perfekten Start für seine Schriftsteller-Karriere hingelegt. Gleich mit seinem 1985 veröffentlichten Debüt „Song of Kali“ wurde er mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet und von Kollegen wie Dean Koontz („Der beste Erstlingsroman, den ich je gelesen habe“) und Stephen King hoch geschätzt. „Kein amerikanischer Autor der Gegenwart ist wie Dan Simmons befähigt, das Reale und das Irreale in gleichem Maße überzeugend zu verschmelzen“, wird Stephen King zitiert. Das trifft insbesondere auf Simmons‘ Debüt zu, das 1991 unter dem Titel „Göttin des Todes“ als deutsche Erstveröffentlichung erschien.
Der amerikanische Schriftsteller Robert C. Luczak wird im uni 1977 von „Harper’s“ damit beauftragt, nach Kalkutta zu fliegen, um ein bisher unveröffentlichtes Manuskript des seit acht Jahren verschollenen bengalischen Dichters M. Das in Empfang ausfindig zu machen. Abe Bronstein, Herausgeber der kleinen Literaturzeitschrift „Other Voices“, für die Luczak überwiegend tätig ist, versucht vergeblich, seinen Freund von der Reise abzubringen. Für Luczaks Frau Amrita bietet die Reise zudem die Möglichkeit, in ihre Heimat zurückzukehren und als potentielle Dolmetscherin tätig zu werden.
Als Luczak mit seiner Frau und ihrer gemeinsamen sieben Monate alten Tochter Victoria in Kalkutta landen, werden sie überraschenderweise von einem gewissen M.T. Krishna in Empfang genommen, der für einen verhinderten Freund des indischen Schriftstellerverbandes eingesprungen ist und sich als Teilzeitlehrer mit guten Kontakten zu Education Foundation der Vereinigten Staaten in Indien vorstellt. Am nächsten Morgen wird Luczak von Michael Leonard Chatterjee empfangen, der ihm als Vertreter des Schriftstellerverbandes von Bengalen versichert, dass M. Das noch lebe, doch von einem persönlichen Treffen zwischen Luczak und dem Bengalidichter will der Verband nichts wissen. Viel interessanter scheint die von Krishna arrangierte Begegnung mit dem Studenten Jayaprakesh Muktanandaji zu sein, der dem Amerikaner von einem Initiationsritus erzählt, bei dem die Kapalikas von jedem neuen Mitglied die Opferung einer menschlichen Leiche vor dem Standbild der Kali im Tempel der Kapalikas fordern.
Im Laufe der Zeremonie wird diese Leiche durch Kali wiedererweckt. Als Luczak endlich das M. Das zugeschriebene Manuskript erhält, verbringt er eine schlaflose Nacht damit, das lange, verstörende Gedicht zu lesen, das sich ausführlich der hinduistischen Göttin des Todes und der Zerstörung widmet. Nun drängt Luczak sehr vehement darauf, M. Das persönlich zu treffen, worauf sich der in die Defensive getriebene Schriftstellerverband schließlich einlässt. Doch die Begegnung mit Das erschüttert Luczak zutiefst…
„Ich habe eine Theorie zu Kalkutta entwickelt, obwohl Theorie eine zu hochtrabende Bezeichnung für eine intuitive Meinung ist. Ich glaube, es gibt Schwarze Löcher in der Wirklichkeit. Schwarze Löcher in der menschlichen Seele. Und tatsächlich Orte, wo aufgrund der Dichte von Elend oder schierer menschlicher Perversion die Beschaffenheit der Welt einfach auseinanderfällt und der schwarze Kern in uns alles andere verschlingt.“ (S. 314)
Auch wenn der amerikanische Schriftsteller und Redakteur Robert Luczak die Hauptfigur in „Göttin des Todes“ verkörpert, nimmt die unheilvolle Atmosphäre in der indischen Metropole Kalkutta doch eine ebenso bedeutende Rolle ein. Simmons hält sich nicht lange mit einer Einführung auf, stellt nur kurz den Verleger Bronstein und den Ich-Erzähler Luczak vor, der sich bereits mitten in den Vorbereitungen für die Reise befindet. Die eigentliche Geschichte beginnt schließlich auch erst in Kalkutta, wo Luczak nicht nur mit dem allgegenwärtigen Elend konfrontiert wird, sondern auch etliche obskure Menschen kennenlernt, die das Mysterium um den seit Jahren verschwundenen Dichter M. Das nur intensivieren.
In der detaillierten Beschreibung von Kulkuttas Atmosphäre und den dort verwirrenden Vorgängen liegt die Stärke von „Göttin des Todes“. Simmons liefert dabei auch einige eindringliche Beschreibungen der Riten rund um diese zerstörerische Göttin, konfrontiert seinen Protagonisten direkt mit ihrem Auftreten in seinen Träumen und legt so gekonnt die Grundlage für einen zunehmend verstörenden Plot, der nur durch den allzu versöhnlichen zu einem nicht ganz überzeugenden Schluss geführt wird. Simmons legte mit diesem atmosphärisch dichten Horror-Drama den erfolgreichen Start für seine Karriere, in der die Horror-Romane „Sommer der Nacht“, „Kinder der Nacht“ und „Kraft des Bösen“ ebenso nachhaltigen Eindruck hinterließen wie die Science-Fiction-Sagen um „Hyperion“ und „Endymion“, die Joe-Kurtz-Thriller und die historischen Romane „Der Berg“, „Terror“ und „Drood“.
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