Seit der forensische Anthropologe David Hunter vor einigen Jahren von einer psychotischen Frau namens Grace Strachan mit einem Messer angegriffen worden war und fast vor seiner eigenen Haustür verblutet wäre, plagen ihn immer noch Albträume. Mittlerweile lebt er ungemeldet auf Ballard Court, dem luxuriösen Zweitwohnsitz eines Arztkollegen seines Freundes Jason, mit seiner Freundin Rachel zusammen. Bevor Rachel für einen Forschungsauftrag für drei Monate nach Griechenland reist, wird Hunter von Detective Chief Inspector Sharon Ward zum Londoner Stadtteil Blakenheath gerufen, wo in dem seit über zehn Jahren stillgelegten und bereits zum Abriss vorgesehenen Krankenhaus St. Jude eine in Plastikfolie eingewickelte, teilweise mumifizierte Leiche auf dem Dachboden gefunden wurde.
Doch bei dem Versuch, die Leiche zu bergen, stürzt der forensische Rechtsmediziner Professor Conrad durch den Boden, worauf die Polizeibeamten auf ein fensterloses Krankenzimmer stoßen, das auf keinen Bauplänen verzeichnet ist und in dem weitere Leichen geborgen werden. Bei der Obduktion der ersten Leiche bestätigt sich der fürchterliche Verdacht, dass es sich um eine schwangere Frau handelt. Bei den weiteren Ermittlungen hat es Hunter nicht nur mit dem überheblichen David Mears von BioGen zu tun, einer privaten Firma, die verschiedene forensische Experten beschäftigt, sondern auch mit dem aufdringlichen Journalisten Francis Scott-Hayes, dem kommunalen Aktivisten Adam Oduya und der mürrischen Lola Lennox, die immer wieder in der Nähe von St. Jude zu sehen ist und zuhause ihren schwerkranken Sohn Gary pflegt, und dem mit dem Abriss beauftragten Unternehmer Jessop, den die Verzögerungen durch die polizeilichen Ermittlungen schwer treffen. Die Hinweise scheinen auf Gary Lennox zu deuten, doch dann werden zwei der Beteiligten von einem Auto angefahren und dabei getötet bzw. schwer verletzt …
„Es lässt sich an den Fingern einer Hand abzählen, wie oft die Zeit zäh dahinfloss, während ich an einer Ermittlung beteiligt war. Viel öfter ist das Gegenteil der Fall, und ich tauche aus einer Tätigkeit auf, nur um festzustellen, dass mal eben ein ganzer Tag vergangen war. Doch im St. Jude schien die Zeit regelrecht zu gefrieren.“ (S. 202)Seit der britische Schriftsteller Simon Beckett mit dem 2006 in Deutschland veröffentlichten ersten Roman um den forensischen Anthropologen David Hunter, „Die Chemie des Todes“, zum internationalen Bestseller-Autoren avancierte, sind vier weitere Titel in der Reihe erschienen, zuletzt „Totenfang“ (2016). Drei Jahre später scheint Beckett nicht mehr so recht zu wissen, wie er die Geschichte um seinen berühmten Protagonisten weiterspinnen soll.
Nach dem Tod seiner Frau und seiner Tochter gibt die Beziehung zu Rachel in „Die ewigen Toten“ nicht viel mehr her als Trennungsängste und Rachels Sorge um das Leben ihres Liebsten. Also konzentrieren sich sowohl Beckett als auch sein Protagonist ganz auf den mal wieder ganz außergewöhnlichen Fall mysteriöser Leichenfunde in einer Krankenhausruine. Hier nimmt sich der Autor alle gebührende Zeit, die Fertigkeiten der Forensik-Koryphäe David Hunter zu demonstrieren. Leider verliert er dabei die Charakterisierung seiner Figuren aus den Augen, die in allen Belangen sehr hölzern wirkt. Einzig die schrullig-missgelaunte Lola Lennox fällt hier etwas aus dem Rahmen, doch eine Identifikationsfigur sucht der Leser in „Die ewigen Toten“ vergebens.
In der Regel werden im Thriller-Genre solche Defizite durch einen rasant vorangetriebenen, spannungsreichen Plot ausgeglichen, aber auch damit kann der neue Hunter-Thriller nicht dienen. Stattdessen reibt sich Hunter in enervierenden Konkurrenzkämpfen auf, suhlt sich nach einer Kränkung auch mal im Selbstmitleid, versucht durch gebratene Leckereien zu der abweisenden Lola Lennox vorzudringen und muss sich der Avancen sowohl eines aufdringlichen Journalisten und eines Aktivisten erwehren, mit denen Hunter im Grunde nichts zu tun haben will. Währenddessen kommen die Ermittlungen so schleppend voran, dass der gelangweilte Leser immer wieder versucht ist, das Buch aus der Hand zu legen, doch mit der vagen Hoffnung, dass doch noch irgendwann was passieren muss, bleibt man am Drücker und wird im letzten Viertel mit einigen Ereignissen konfrontiert, die dem Genre gerecht werden.
Davon abgesehen erweist sich Simon Beckett als routinierter Erzähler mit einem gefälligen, auf Dauer aber etwas spröde wirkenden Schreibstil. Er nimmt sich viel Zeit, die Details der Ermittlungen zu beschreiben, aber der Spannungsbogen bleibt auf konstant niedrigem Niveau, bis der zuweilen arg konstruiert wirkende Zwist im Finale den Roman die Kurve bekommen lässt.
Leseprobe Simon Beckett - "Die ewigen Toten"
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