James Sallis – „Willnot“

Montag, 18. Februar 2019

(Liebeskind, 224 S., HC)
In der amerikanischen Kleinstadt Willnot stößt der Jäger Tom Bale mit seinem Hund Mattie eines frühen Morgens auf eine Grube voller Leichen. Der örtliche Sheriff Hobbes und seine Leute werden ebenso zum Tatort gerufen wie die State Police und Lamar Hale, ein ortsansässiger Arzt, der nicht nur seine eigene Praxis hat, sondern auch im Krankenhaus arbeitet. Auffällig ist der Kalkgeruch, aber die Identität der Opfer ist ebenso unklar wie das Motiv für die grausame Tat.
Zurück in seiner Praxis erhält Hale Besuch von Brandon „Bobby“ Lowndes, der im Alter von sechzehn Jahren als Folge eines Jungenstreichs ins Koma gefallen und von Hale ein Jahr lang wieder aufgepeppelt worden war, bevor er der Stadt den Rücken kehrte und jetzt unangekündigt zurückgekehrt ist. Auch hier liegen die Gründe für den Arzt im Dunkeln, denn Freunde und Familie besitzt Bobby in der Stadt nicht, der sich nach eigener Auskunft auch nur auf der Durchreise befindet und Hallo sagen wollte.
Als sich aber die FBI-Agentin Theodora Odgen nach ihm erkundigt, überschlagen sich die Ereignisse in dem sonst so beschaulichen Ort. Bobby, der nach FBI-Informationen ein Elitekiller der Marines sei, der sich unerlaubt von der Truppe entfernt haben soll, wird selbst angeschossen, kann aber aus dem Krankenhaus fliehen, bevor er zu dem Vorfall befragt werden kann, doch scheint er immer wieder wie ein Gespenst mal hier, mal dort in der Stadt aufzutauchen und ebenso schnell wieder unterzutauchen.
„Menschen in Willnot neigen dazu, auf dem schmalen Rand von Landkarten zu verweilen, mehr als nur ein paar von ihnen starren dem Tiger ins Auge. Liegt etwas in ihrer Natur, das sie dorthin zieht, sie dort hält? Oder sickert das im Laufe der Zeit durch den Kontakt, die Beziehungen ein? Lass sie sich in einer geraden Linie aufstellen, und sie stehen schief da.“ (S. 77) 
James Sallis, der durch seine Romanreihe um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin bekannt geworden ist und 2008 für seinen Roman „Driver“ mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet wurde, beginnt „Willnot“ zwar mit der Entdeckung eines Verbrechens, aber die darauf folgenden Ermittlungen nehmen dann nur noch einen rudimentären Teil des Plots ein. Vielmehr lässt der amerikanische Autor seinen Ich-Erzähler Lamar Hale, der mit dem zum Schulleiter beförderten Lehrer Richard liiert ist und zusammenlebt, über die Lebensumstände in Willnot philosophieren, wobei die Erinnerungen an seinen Vater eine wesentliche Rolle spielen, der als Schriftsteller vor allem im Science-Fiction-Genre erfolgreich gewesen ist.
Aus den erinnerten Zusammenkünften mit anderen Schriftstellern auf Kongressen und den phantastischen Geschichten, die Hale in all den Jahren gelesen hat, dringen immer wieder Erkenntnisse über die menschliche Natur, über Leben und Tod, über die Wege, die ein Leben einschlagen kann, durch. So erinnert sich Hale an einer Stelle an die Geschichte „Der Biograf“ über einen Mann, der Menschen aus ihrem Leben herausnimmt, ihren Platz einnimmt, Dinge tut, die sie selbst nie tun würden, um sie dann wieder in ihr Leben zurückzubringen, wo sie mit den neuen Erfahrungen, die sie geerbt haben, ihrem Leben eine ganz neue Richtung geben.
So geht es dem Leser bei „Willnot“ immer wieder. Durch die Querweise auf reale oder fiktive andere Romane aus dem Umfeld von Lamar Hales Vater durchziehen regelmäßig philosophische Betrachtungen die Handlung, die nur als Katalysator für weitere Gedankengänge zu dienen scheint. Sallis gelingt es, vor allem Lamar und Richard sorgfältig und einfühlsam zu charakterisieren und sie als Mittelpunkt der Geschichte zu etablieren. Dazu sorgen die lebendigen Dialoge, Hales tiefsinnige Betrachtungen und der ungewöhnliche Plot für ein Lesevergnügen der besonderen Art.

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