Margie Standiford wartet in der Todeszelle eines Gefängnisses in Oklahoma auf ihre Hinrichtung durch eine Giftinjektion. Ihre letzten Stunden verbringt sie damit, dem Bestseller-Autor Stephen King, der über Margies Anwalt Mr. Jefferies die Rechte an ihrer Geschichte gekauft hat, ein Tape zu besprechen, auf dem sie die 114 Fragen beantwortet, die er ihr zu ihrer Lebensgeschichte gestellt hat. Das tut sie nicht nur, um ihren Sohn Gainey finanziell abzusichern, sondern vor allem ihre eigene Version der Geschichte zu veröffentlichen, die bereits ihre Freundin Natalie erfolgreich zu einem Buch vermarktet hatte, das aber eben – ihrer Meinung nach - nicht die Wahrheit erzählte.
Der Fragenkatalog von Stephen King bietet ihr nun die Möglichkeit, ihre Version der Geschichte publik zu machen, wobei sie nach einer Einleitung mit ihrer Kindheit beginnt, mit dem Umzug aus der Nähe von Depew nach Kickingbird Circle in Edmond, wo ihr Vater Trainerassistent in einem Reitpark und ihre Mutter beim örtlichen Postamt beschäftigt waren. Margie verlebte eine ganz normale Kindheit, hatte Freundinnen und Spaß in der Schule, vor allem an Erdkunde, sang im Chor, spielte Softball, ging aber nicht in die Kirche – da sonntags die großen Pferderennen stattfanden. Am 26. Oktober 1984 lernte sie ihren späteren Mann Lamont kennen, als sie in einer Tankstelle arbeitete und sich die Zeit damit vertrieb, jede Nacht ein Fläschchen Wodka zu leeren.
Lamont kam mit einem 442-Kabrio vorgefahren, verließ die Tankstelle, ohne zu bezahlen, kehrte dann aber zurück, um so Margie kennenzulernen. Mit ihm nahm auch Margies Drogenkonsum zu. Während sie zu High-School-Zeiten nur Bier und Wodka getrunken, an den Wochenenden Gras geraucht und bei Gelegenheit Downers eingeworfen hatte, kamen nun Acid und Speed dazu, dem sie schließlich ihren Spitznamen verdankte. Als sie wegen Drogenmissbrauchs sechs Monate in Clara Waters absitzen musste, lernte sie Natalie kennen, mit der sie eine Affäre begann, doch als Margie zu mutmaßen begann, dass Natalie auch mit Lamont schlief, kommt es zur Katastrophe.
Bei einem gemeinsamen Roadtrip auf der Route 66 überfielen sie ein Schnellrestaurant, nachdem sie bereits ein älteres Ehepaar umgebracht hatten, schließlich erschossen sie sogar einen Polizisten, wofür sich Margie schließlich vor Gericht verantworten musste.
„In der Zeitung bezeichnen sie die Morde immer als sinnlos. Die Leute waren vielleicht übel zugerichtet, aber zumindest gab’s einen Grund dafür. Dann ist das noch, dass sie uns als Serienmörder bezeichnen. Das ist einfach falsch – ein Serienmörder bringt immer nur einen um, aber das öfter. Das andere, was mich stört, ist die Bezeichnung ,mordlüstern‘. Ich glaub, das stimmt genausowenig. Lüstern hört sich an, als hätte uns die Sache gut gefallen, als wären wir ganz unbekümmert gewesen oder so, als hätt’s uns Spaß gemacht, während es in Wirklichkeit genau umgekehrt war.“ (S. 224)
In seinem vierten, im Original 1997 veröffentlichten Roman „Die Speed Queen“ hat der aus Pittsburgh stammende Schriftsteller Stewart O’Nan eine eigenwillige Methode gefunden, die Geschichte seiner Protagonistin, der zum Tode verurteilten Marjorie Standiford, zu erzählen, nämlich als transkribierte Kassettenaufnahme, die der Bestseller-Autor Stephen King zu einem Roman formen soll, nachdem er der Todgeweihten einen Fragenkatalog zukommen ließ. Diese Form der Ich-Erzählung ist deshalb so interessant, weil die Leserschaft nur die schöngefärbte Perspektive der Erzählerin zu hören bekommt, die in ihrer Lebensgeschichte vor allem ihren Weggefährten Lamont und Natalie die Schuld an den Verbrechen zuschiebt, so als sei sie kaum beteiligt gewesen und habe sich nur um ihren Sohn gekümmert, während die beiden mutmaßlichen Verräter die Morde verübten. Die Fragen des – zwar an sich realen, in diesem Fall aber fiktiv eingebundenen – Autors Stephen Kings werden nicht aufgeführt, erschließen sich in der Regel aber aus der Art von Margies Antworten.
„Die Speed Queen“ erweist sich als die tragische Geschichte einer sehr durchschnittlichen Frau, die sich mit Mindestlohn-Jobs über Wasser hält und voll in den Beziehungen zu Lamont und später auch Natalie aufgeht. Wie sie im späteren Verlauf ihnen die Schuld an den tödlichen Verbrechen gibt, wirkt wie ein Racheakt, weniger wie eine wahrheitsgetreue Aufarbeitung. Der Roman thematisiert aber auch den Umgang der Medien mit Gewalt und fehlgeleiteter Berühmtheit. Stephen King fungiert hier als Stellvertreter für ein mächtiges Sprachrohr, der mit seinen Millionenauflagen auch Margies letztlich bemitleidenswerte Geschichte möglichst breit bekannt machen soll.
Auch wenn die sehr einfache Sprache, mit der O’Nan seine Protagonistin ihre Geschichte erzählen lässt, zunächst gewöhnungsbedürftig ist, entwickelt die Story bei allen Zeitsprüngen einen starken Sog, mit dem eine an sich unauffällige Figur an Persönlichkeit gewinnt.
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