Guiseppe Tomasi ist der kinderlose letzte Spross des alten sizilianischen Adelsgeschlechts der Lampedusa. Nichts ist mehr da von dem alten Glanz der Palazzi, des Reichtums und der Würde. Seine Tage verbringt der knapp Sechzigjährige damit, durch die Straßen zu ziehen und unersättlich Bücher auf Italienisch, Französisch und Englisch zu verschlingen, was ihm schon als Kind den Spitznamen Il Monstro einbrachte. Als er seinen Arzt Dr. Coniglio aufsucht, konfrontiert dieser den Kettenraucher mit der Entdeckung eines Lungenemphysems, das zwar nicht heilbar, aber doch aufzuhalten wäre, würde Guiseppe wenigstens mit dem Rauchen aufhören.
Doch der todkranke Mann beschließt, weder mit dem Rauchen aufzuhören, noch seiner ebenso klugen wie schönen Frau etwas zu sagen, der lettischen Baronesse Alessandra von Wolff-Stomersee, die in Berlin und in Wien bei Freud Psychoanalyse studiert hatte und Mitbegründerin und Präsidentin der Psychoanalytischen Gesellschaft war. Stattdessen reift in ihm ein kühner Plan: Um etwas Bleibendes zu schaffen, will er einen Roman schreiben. Drei Jahre benötigt er für „Der Leopard“, der zunächst von den renommierten italienischen Verlagen Mondadori und Einaudi abgelehnt wurde, später aber zum
meistverkauften Buch des 20. Jahrhunderts in Italien, in über 20 Sprachen übersetzt und von Luchino Visconti mit Burt Lancaster, Claudia Cardinale und Alain Delon verfilmt wurde.
„Dass das Geschlecht der Lampedusa so restlos ausgelöscht werden würde, betrübte ihn. Sein Urgroßvater hatte neun Kinder hervorgebracht. Und er war jetzt der Letzte. Mitten in der Verschwendung und Verwirrung eines untergehenden Zeitalters war er in ein ebenfalls vom Niedergang betroffenes Geschlecht hineingeboren, und bald würde eine neue Art von Aristokratie vorherrschen, ein Adel des Geldes und der Privilegien, der den Wert des Neuen im Blick hatte.“ (S. 340)
Bereits mit seinem 2019 bei Diogenes veröffentlichten Roman „Die Frau in der Themse“ ist dem kanadischen Schriftsteller Steven Price ein atmosphärisch dichter Roman gelungen, der das viktorianische London in allen seinen Facetten abzubilden verstand. Mit seinem neuen Werk „Der letzte Prinz“ bewegt er sich in die etwas verloren wirkende Region Siziliens, das sich nie so wirklich der italienischen Republik zugehörig fühlte und stets nach Unabhängigkeit strebte. Die Geschichte beginnt im Januar 1955 mit dem erschütternden Arztbesuch, worauf Guiseppe Tomasi seine Gedanken und Erinnerungen – durchaus sprunghaft – schweifen lässt, zu den Reisen nach Lettland, wo er die Liebe von Alessandra „Licy“ von Wolff-Stomersee gewann, zum schwierigen Verhältnis zu seiner Mutter, die an Mussolini geglaubt, aber seine Frau abgelehnt hatte, zu seinem Wirken in den literarischen Zirkeln und dem Hadern mit seinem eigenen Roman.
Steven Price hat offenbar sorgfältig recherchiert und einen Ton in seiner Sprache gefunden, der die Leserschaft oft genug in den Bann schlägt, so überzeugend ist die Zeitreise und das sehr persönliche Portrait von Guiseppe Tomasi di Lampedusa gelungen. Es ist aber auch sehr „altmodische“ Geschichte, die Price hier vorlegt, was einer der in den Ablehnungsschreiben erwähnten Gründe gewesen ist, warum „Der Leopard“ schwer an ein Publikum zu vermitteln wäre.
„Der letzte Prinz“ ist beileibe keine leichte Lektüre, sondern ein sprachlich wunderbar ausgestaltetes, in seiner Sprunghaftigkeit und atmosphärischen Authentizität aber auch etwas sprödes Werk, auf das man sich einlassen können muss. Wer diese Hürde aber erst einmal genommen hat, wird posthum Zeuge nicht nur der Entstehung eines literarischen Klassikers, sondern auch dem schleichenden Niedergang eines alten Adelsgeschlechts.
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