Stewart O’Nan – „Die Armee der Superhelden“

Mittwoch, 18. November 2020

(Rowohlt, 208 S., Tb.) 
Der aus Pittsburgh stammende Schriftsteller Stewart O’Nan hat sich in seinem mittlerweile durchaus umfangreichen Oeuvre als Meister des schonungslosen Blicks auf das Gewöhnliche, auf den Alltag und die – oft gescheiterten - Beziehungen ganz normaler Menschen etabliert. Im Jahr 2000 erschien bei Rowohlt seine bereits 1993 im Original veröffentliche Story-Sammlung „Die Armee der Superhelden“, und selbst wer bislang nur wenige Bücher des amerikanischen Ausnahme-Autors gelesen haben sollte, wird sofort merken, dass im Zentrum der zwölf hier vereinten Geschichten alles andere als Superhelden stehen. 
So versucht der auf einer Mülldeponie arbeitende Carter in der Eröffnungsgeschichte „Der Finger“ noch immer einen Draht zu seiner Frau Diane zu finden, von der er seit einem Jahr getrennt lebt. Er fühlt sich nach wie vor verantwortlich, obwohl sie sich – wie er weiß – mit anderen Männern trifft, bringt ihr Umschläge mit Geld, wenn sie dringend welches benötigt, besucht sie und ihr gemeinsames Kind am Sonntag und führt Reparaturen in ihrem Haushalt durch. Doch als er eine Kommode von der Mülldeponie hübsch für Diane aufbereitet, findet er sie wenig später erneut im Müll wieder. In „Der 3. Juli“ versucht die verwitwete Mrs. May den heruntergekommenen Golf-Club in Schuss und die wenigen Gäste bei Laune zu halten, doch kann sie sich nicht auf ihren Angestellten Lawson verlassen, der bestimmte Arbeiten anfängt, sich dann aber anderen Beschäftigungen zuwendet wie das Beschützen seiner Tauben vor dem Falken. 
In „Die Versteigerung“ werden Farmen von bankrotten Leuten versteigert, in „Winter Haven“ versucht ein Polizeibeamter ein Haus zu verkaufen, nachdem er sich von seiner Frau Eileen getrennt hat, und nun ein Auge darauf wirft, dass ein Hausbesetzer, der am Strand ein Haus nach dem anderen in Beschlag nimmt, nicht auch sein Haus besetzt. In der Titelgeschichte versucht ein Mann, seine Einsamkeit dadurch zu lindern, dass er sich wie sein Sohn mit dem Sammeln von Comics beschäftigt, doch als sein Sohn kein Interesse mehr an den Comics hat und sie verkaufen will, wird seinem Vater die Einsamkeit umso schmerzlicher bewusst. 
In der abschließenden Geschichte „Econoline“ denkt Willie T. darüber nach, in Rente zu gehen, sich einen Bus zu kaufen und damit Leute aus einem Seniorenheim durch die Gegend zu fahren. Doch der Job drückt dem alten Mann zunehmend aufs Gemüt. 
„Aber selbst während seine Fahrgäste lachten und Witze rissen, vergaß Willie T. nie, dass sie bald sterben würden. So zu tun, als wäre alles in Ordnung, war leichter, als daran zu glauben. Christine war stolz auf ihn, Mr. Binstock war stolz auf ihn, Mr. Fergus war stolz auf ihn. Ungeachtet des Geldes wäre es dumm gewesen, gegen ihren vereinten Respekt anzukämpfen. Also fuhr er, angstvoll, skeptisch.“ (S. 203) 
Mit „Die Armee der Superhelden“ taucht Stewart O’Nan einmal mehr tief in die Seele einfacher amerikanischer Menschen ein, die am Ende ihres Berufslebens stehen und mit Sorge auf die Zeit danach blicken; die am Ende einer Ehe/Beziehung sind, sich aber mit den veränderten Lebensbedingungen nicht abgefunden haben; die sich mit Menschen umgeben, die einander nicht verstehen – da helfen auch keine Sprachkurse weiter wie in „Mr. Wu denkt“. In nahezu jeder Geschichte offenbart der Autor mit seiner schnörkellosen Sprache und seinem lakonischen Ton die emotionale Leere, die Einsamkeit seiner Figuren, die viel reden, aber letztlich wenig mitzuteilen haben und von ihren Gesprächspartnern wenig Verständnis erwarten können. 
Zum Glück sind es nur gut 200 Seiten, in denen O’Nans Leserschaft die niederschlagende, pessimistische Sicht auf den Alltag ganz gewöhnlicher Leute ertragen müssen. Auf der anderen Seite tragen die Geschichten hoffentlich dazu bei, sich selbst besser zu fühlen, weil man nicht ein so trostloses Leben führt. Im Gegensatz zu seinen meist sehr gelungenen Romanen, bei denen O’Nan tief in die Psyche der Protagonisten blicken lässt, präsentieren hier die kurzen Erzählungen nur einen kurzen Blick auf einzelne Situationen, als würde man als Kinobesucher zu spät in einen Film kommen und vor dem Finale wieder gehen, denn oft fehlt auch eine Pointe.


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