Jeffery Deaver – (Colter Shaw: 1) „Der Todesspieler“

Montag, 9. November 2020

(Blanvalet, 510 S., HC) 
Colter Shaw hat gerade einen unbekannten Mann in die Flucht geschlagen, der es offensichtlich auf sein Wohnmobil im Oak View Wohnmobilpark in der Bay Area abgesehen hatte, als er von seinen Nachbarn, die sein Haus in Florida hüteten, einen neuen Auftrag übermittelt bekommt. Colter ist nämlich Prämienjäger, der vor allem vermisste Personen aufspürt und dafür die ausgesetzten Belohnungen kassiert. Obwohl er gerade in privater Mission unterwegs ist, interessiert ihn der Fall eines vermissten Mädchens im Silicon Valley. Die neunzehnjährige Studentin Sophie „Fee“ Mulliner lebte mit ihrem Vater und dem Pudel Luka zusammen, den sie nie zurücklassen würde, wie Colter von ihrem Vater erfährt, der eine Belohnung von 10.000 Dollar für Hinweise auf den Verbleib seiner Tochter ausgesetzt hat. 
Die örtliche Polizei war bislang weitgehend untätig gewesen, da kein Hinweis auf ein Verbrechen vorliegt und keine Lösegeldforderung eingetroffen ist. Colter knöpft sich zunächst Sophies Ex-Freund Kyle Butler vor, der aber aufrichtig erschüttert über Sophies Verschwinden wirkt. Im Quick Byte Café in Mountain View stößt Colter auf einen ersten Hinweis. Bei der Sichtung der Videoüberwachung entdeckt er einen Mann, der womöglich einen Peilsender bei Sophie angebracht haben könnte. Als er Sophies möglichen Weg mit ihrem Fahrrad zu rekonstruieren versucht, findet er tatsächlich an einer Böschung ihr Handy und Spuren, die auf einen Unfall mit ihrem Fahrrad hindeuten. Doch nach wie vor steckt die Polizei nicht viel Energie in die Sache. Im Quick Byte Café lernt Colter schließlich die attraktive Gamerin Maddie Poole kennen, die ihn in die Welt der Computerspiele einführt und ihm die nächste heiße Spur liefert: Nachdem Sophie von Colter nämlich in einem Fabrikgebäude gerettet werden konnte, scheinen sich die Hinweise zu verdichten, dass der Täter ein psychopathischer Spieler sein könnte, der nach dem Muster eines Spiels namens „Der flüsternde Mann“ vorgeht. 
Tatsächlich verschwindet kurz darauf mit dem homosexuellen Blogger Henry Thompson eine weitere Person. Zusammen mit Maddie versucht Colter, in der hart umkämpften Welt des Computerspiele-Markt die entscheidende Spur zu finden, denn mit den steigenden Levels wird es für die Opfer schwieriger, sich aus ihren prekären Situationen auch zu befreien … 
„Der Spieler folgte lediglich der vorgegebenen Handlung. Er war an den Schauplatz von Sophie Mulliners Gefangenschaft zurückgekehrt, um das Mädchen zu jagen. Hier hatte er das Gleiche getan. Er war eine Weile auf Abstand geblieben, damit Henry Thompson sein Signalfeuer entzünden könnte – genau wie Sophie eine Chance zum Ausbruch aus dem Raum erhalten hatte. Dann war er zurückgekommen, um das Spiel zu beenden.“ (S. 304) 
Seine Thriller-Reihe um den querschnittsgelähmten Ermittler Lincoln Rhyme hat Jeffery Deaver weltberühmt gemacht. Nun startet er mit „Der Todesspieler“ eine neue Serie um einen charismatischen Protagonisten, der einen höchst interessanten Hintergrund aufweist und seit zehn Jahren gegen Belohnung vermisste Personen aufspürt, womit er sich ganz bewusst von Kopfgeldjägern abgrenzt. Deaver startet seinen Roman gleich mit einer satten Portion Action und Spannung, führt den ebenso im Computerspiel unbewanderten Colter zusammen mit seiner Leserschaft immer tiefer in die Welt der virtuellen Abenteuer. Deaver erweist sich als Meister darin, die Spannungsschreibe konstant, aber langsam anzuziehen. Immer wieder erweist sich Colter dabei als cleverer als die Polizei. Erst mit dem lesbischen Detective Standish, die den zuvor tatenlosen Wiley abgelöst hat, erhält er kompetente Unterstützung, die ihm zuvor nur die Profi-Gamerin Maddie gewähren konnte. Bis sie den wahren Täter endlich identifizieren, nimmt der Plot allerdings etliche Wendungen, die nicht immer überzeugend wirken und die Geschichte unnötig in die Länge ziehen, aber dieses Spiel beherrscht Deaver virtuos. Das Computerspiel-Thema wird hier nicht nur vom wirtschaftlichen Aspekt her betrachtet, sondern bekommt hier im Zusammenhang mit dem Geschäft um gesammelte persönliche Informationen und auch Fake-News und Meinungsbildung eine beunruhigende Bedeutung. Seinen Protagonisten stellt er quasi nebenbei vor, immer wieder sorgen Colters Erinnerungen an seine Kindheit dafür, seinen familiären Hintergrund zu erhellen. So erfahren wir, dass Colter im Alter von vier Jahren mit seiner Familie aufs Land gezogen ist, auf ein riesiges Anwesen in den Ausläufern der Sierra Nevada, wo seine Eltern Ashton und Mary Dove ihn und seine Brüder Russell und Dorion in die Regeln des Spurenlesens, Jagens und Überlebens in der Wildnis einführten. Zusammen mit seinem erfolgreich absolvierten Jura-Studium hat Colter also die besten Voraussetzungen, um der Polizei beim Aufspüren der vermissten Personen zu helfen. Aber auch die private Mission, zu der Colter am Anfang aufgebrochen ist, hat es in sich und wird ihn und die gespannten Leser auch in den hoffentlich bald folgenden Fortsetzungen gut unterhalten. 

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