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Sinclair McKay – „Berlin – 1918-1989. Die Stadt, die ein Jahrhundert prägte“

Donnerstag, 8. Juni 2023

(HarperCollins, 556 S., HC) 
Der Zweite Weltkrieg hat es dem Briten Sinclair McKay angetan. Sein auch hierzulande unter dem Titel „Die Nacht als das Feuer kam - Dresden 1945“ veröffentlichtes Werk „Dresden. The Fire and the Darkness“ zählte 2020 bei der Sunday Times zu den besten Büchern des Jahres. Davon abgesehen bereitete er mit „The Lost World of Bletchley Park: The Illustrated History of the Wartime Codebreaking Centre“ die Bedeutung der Frauen von Bletchley Park auf, jener geheimen militärischen britischen Dienststelle, die im Zweiten Weltkrieg – vor allem deutsche - kodierte Nachrichten entschlüsselte. Unter dem weitreichenden Titel „Berlin – 1918-1945. Die Stadt, die ein Jahrhundert prägte“ setzt sich McKay nun mit den Auswirkungen auseinander, die der Zweite Weltkrieg vor allem auf das Leben der Ost- und West-Berliner mit sich brachte. 
Für Sinclair McKay ist Berlin eine „nackte Stadt, (…) die ihre Wunden und Narben offen zur Schau stellt“, wie der Literaturkritiker der britischen Zeitungen „The Telegraph“ und „The Spectator“ sein ausführliches Vorwort zu seinem neuen Sachbuch einleitet. Darüber, was die angesprochenen Wunden und Narben verursacht hat, lässt sich der Brite auf den folgenden mehr als 500 Seiten in aller Breite aus, angefangen bei den Nachwehen der Weimarer Republik, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und den Kämpfen zwischen den Kommunisten und dem von der Regierung unterstützten Freikorps über die Machtübernahme der Nazis, den Entbehrungen und des Genozids während des Zweiten Weltkriegs und der Trennung der Stadt im Machtkampf zwischen der kommunistischen Sowjetunion einerseits und den demokratischen Siegermächten USA, Frankreich und England auf der anderen Seite bis zum erlösenden Fall der Mauer im Jahr 1989. 
Der Autor spannt dabei einen weiten Bogen über das Leben und die Kultur in Berlin, setzt sich mit der Architektur von Bauhaus-Gründer Walter Gropius, Heinrich Tessenow und Albert Speer ebenso auseinander wie mit den Filmproduktionen von später in die USA emigrierten Regisseuren wie Billy Wilder und Fritz Lang, den Werken der Schriftsteller Erich Kästner und Berthold Brecht, den weltberühmten Berliner Philharmonikern und dem jungen Dirigenten Herbert von Karajan. Berücksichtigung finden auch so einflussreiche Wissenschaftler wie Albert Einstein, Otto Hahn, Gustav Hertz und Lise Meitner sowie Wernher von Brauns Raketenexperimente. Auf leicht zu lesende populärwissenschaftliche Weise verknüpft McKay Biografien der vorgestellten Personen mit dem Alltag der Berliner Menschen, untermauert seine Beschreibungen immer wieder mit Anekdoten einfacher Menschen, deren Schicksale vor allem von der ZeitZeugenBörse in Berlin dokumentiert werden – bis zum Fall der Berliner Mauer. 
„Die Teilung war absolut. Für manche Künstler und Schriftsteller gelten Mauern als Symbol für den Tod, da man nicht sehen kann, was dahinterliegt. Die krasse Unerbittlichkeit der Berliner Mauer verlieh ihr sofort eine globale Relevanz als Grenze des neurotischen Kalten Krieges, als Trennlinie mit Bedeutung für die ganze Welt. Von Anfang an ertrugen manche Berliner die neue Begrenzung ihres Lebens nicht. Das waren jedoch nicht die Insulaner, sondern die Ost-Berliner, die theoretisch die Freiheit eines ganzen Kontinents im Osten hatten.“ (S. 496) 
Dabei wird vor allem deutlich, dass sich die Berliner nie haben unterkriegen lassen, während des Krieges monatelang hungernd und frierend in unterirdischen Räumen ausgeharrt, aber nie ihren Humor verloren haben. Auch wenn McKays Berlin-Buch kaum neue Erkenntnisse vermittelt, beschreibt er auf anschauliche Weise die Auswirkungen von wissenschaftlichen Entwicklungen, künstlerischen Strömungen und politischen Entscheidungen auf das Leben in Berlin. Wer allerdings hofft, dass der Autor die Jahrzehnte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso ausführlich abhandelt wie die Kriegsjahre, wird enttäuscht. Die Jahre bis zum Bau und dem Fall der Mauer werden vergleichsweise kurz thematisiert, ebenso der Einfluss, den die Entwicklung in Berlin auf das 20. Jahrhundert gehabt haben soll. Ausgewählte Schwarzweiß-Bilder und ausführliche Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln runden das Werk gelungen ab.