(Luzifer, 514 S., HC)
In den 1980er Jahren zählte Robert R. McCammon mit
Romanen wie „Baal“, „Höllenritt“, „Wandernde Seelen“, „Nach dem Ende der
Welt“ und „Botin des Schreckens“ noch zu den populäreren Vertretern
des von Stephen King, Dean Koontz, Peter Straub, James Herbert, Clive Barker
und Ramsey Campbell geprägten Horror-Genres, doch fühlte er sich zunehmend
in seiner schriftstellerischen Freiheit eingeschränkt, weshalb er nach den
beiden Thrillern „Durchgedreht“ und „Unschuld und Unheil“ eine langjährige
Pause einlegte. Anfang der 2000er Jahre legte McCammon mit dem ersten
Band um den jungen Gerichtsdiener und Hobby-Ermittler Matthew Corbett ein ebenso
bemerkenswertes wie umfangreiches Comeback hin, denn die deutsche Ausgabe von „Speaks
the Nightbird“ erschien im Luzifer Verlag in zwei Bänden: „Matthew
Corbett und die Hexe von Fount Royal“.
Der fahrende Friedensrichter Isaac Woodward und sein zwanzigjähriger
Gerichtsdiener Matthew Corbett, den er vor einigen Jahren in einem Waisenhaus
aufgelesen hat, machen sich 1699 von Charles Town, Carolina, auf den
beschwerlichen Weg nach Fount Royal, um einer mutmaßlichen Hexe den Prozess zu
machen, nachdem der zuvor mit der Aufgabe betraute Richter Kingsbury sein Ziel
nie erreicht hatte. Als sie unterwegs bei unwirtlichem Wetter eine Herberge finden,
währt die Erleichterung nur kurz, denn der habgierige Wirt Shawcombe entwendet
nicht nur Woodwards innig geliebte goldbestickte Weste, die sein einziges Andenken
an seine in England verbliebene Ex-Frau Ann gewesen ist, sondern macht sich
auch mit dem Rest der Habseligkeiten seiner Gäste aus dem Staub. Als Matthew im
nahegelegenen Wald die Überreste eines menschlichen Skeletts entdeckt, ahnt er,
dass sein Vormund und er selbst nur knapp einem ähnlichen Schicksal wie Richter
Kingsbury entgangen sind. Als sie in endlich in Fount Royal ankommen, werden
sie in ihrer verwahrlosten Erscheinung zunächst für Bettler gehalten, ehe sie
beim wohlhabenden Gründer der Stadt, dem 47-jährigen Robert Bidwell, unterkommen.
Er ist wie viele andere Bewohner der unglückseligen Stadt darauf erpicht, dass
die inhaftierte Rachel Howarth möglichst schnell auf dem Scheiterhaufen
verbrennt, bevor sie noch mehr Unheil in der Stadt anrichtet. Ihr wird nicht nur
vorgeworfen, ihren Mann ermordet zu haben, sondern etliche Zeugen wollen auch
beobachtet haben, wie die 26-jährige Schönheit mit portugiesischen Wurzeln
Unzucht mit dem Teufel trieb. Der Richter wird jedoch bald von einem schrecklichen
Fieber ergriffen, das Dr. Shields nicht so recht in den Griff bekommt, und
Matthew wird des Hausfriedensbruchs angeklagt, nachdem er einen Jutesack in der
Scheune des Schmieds untersuchen wollte. Die dreitägige Gefängnisstrafe nutzt
er nicht nur, um die Aussagen der Zeugen für den angeschlagenen Richter zu protokollieren,
sondern sich näher mit der intelligenten und selbstbewussten Mitgefangenen zu
beschäftigen. Während der Richter ebenso wie die Bewohner von Fount Royal schon
dazu neigt, Rachel Howarth zu verurteilen, stellen sich Matthew noch viele
Fragen…
„Also, war sie eine Hexe oder nicht? Obwohl Matthew diverse gelehrte Werke gelesen hatte, in denen Hexerei mit Geistesgestörtheit, Dummheit oder ganz einfach boshaften Beschuldigungen erklärt wurde, konnte er es beim besten Willen nicht sagen. Und das machte ihm mehr Angst als alle Zeugenaussagen, die er gehört hatte. Aber sie ist so schön, dachte er. So schön und so allein. Wie konnte der Teufel eine solch schöne Frau durch Menschenhand sterben lassen, wenn sie ihm tatsächlich diente? Über Fount Royal grollte der Donner. Regen begann, an einem Dutzend mürber Stellen durch das Gefängnisdach zu tropfen. Matthew lag zusammengerollt in der Dunkelheit und kämpfte mit der zentralen Frage eines Geheimnisses, das von einem noch größeren Rätsel umgeben war.“ (S. 409)
So ganz hat Robert McCammon die Wurzeln seiner
schriftstellerischen Karriere doch nicht verleugnen können, auch wenn der erste
Band der Matthew-Corbett-Reihe eher als historischer Mystery-Krimi und Entwicklungsroman
daherkommt. Der Autor nimmt sich viel Zeit, um das Leben in den britischen
Kolonien anno 1699 zu beschreiben, das gesellschaftliche Gefüge ebenso wie die
Gepflogenheiten, rassistischen Ressentiments und der besondere Umgang mit dem
Glauben. Die Hexenprozesse von Salem finden hier ihren Niederschlag genauso wie
heuchlerische Wanderprediger, die sich weniger um die Erlösung der Gefallenen scheren
als um die eigene lasterhafte Bedürfnisbefriedigung. McCammon beschreibt dabei
den in den Augen der Bewohner von Fount Royal verabscheuungswürdigen Verkehr
der mutmaßlichen Hexe mit dem Teufel ebenso unverblümt wie sodomitische Praktiken.
Die Spannung entwickelt sich dabei eher gemächlich, weil sich McCammon
viel Zeit nimmt, die einzelnen Figuren sorgfältig einzuführen und die
unterschiedlichen Auffassungen von Richter Woddward und seinem eigensinnigen Mündel
darzulegen. Am Ende des ersten Bandes ist man zumindest überzeugt, dass Rachel
Howarth unschuldig ist, aber noch muss Matthew Corbett beweisen, was die
Zeugen, die auf die Bibel geschworen haben, zu ihren die junge Frau belastenden
Aussagen bewogen hat. McCammon ist ein sprachlich sehr versierter literarischer
Genre-Mix gelungen, der vor allem den titelgebenden Protagonisten nicht
unverändert lässt. Man darf gespannt sein, wie der Autor die atmosphärisch dichte
Geschichte fortführt und zum Ende kommen lässt.

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