Stephen King – (Der Dunkle Turm: 2) „Drei“

Freitag, 25. Januar 2019

(Heyne, 464 S., Pb.)
Nachdem Roland von Gilead, der letzte Revolvermann seiner Art, mit dem Mann im Schwarz ein stundenlanges Palaver abgehalten hat, bei dem Roland mit Tarotkarten („Der Gefangene“, „Herrin der Schatten“ und „Tod“) die Zukunft vorausgesagt worden ist, stirbt der Mann in Schwarz und Roland sieht am Ufer des westlichen Meeres dem Sonnenuntergang entgegen. Mit der einbrechenden Dunkelheit krabbeln aber auch Monster-Hummer aus dem Meer, Roland verliert bei der überraschenden Attacke zwei Finger seiner rechten Hand und einen Zeh. Trotz der einsetzenden, von Fieber und Schüttelfrost begleiteten Blutvergiftung setzt Roland seine Suche nach dem Dunklen Turm fort und findet bald die erste der Türen, die ihm der Mann in Schwarz prophezeit hatte.
Als er sie durchschreitet, schlüpft er in den Körper des Junkies Eddie Dean, der gerade für seinen Boss Balazar eine Ladung Kokain nach New York bringen soll. Eine aufmerksame Stewardess kommt Eddies Verhalten und vor allem der Wechsel seiner Augenfarbe von Braun zu Blau seltsam vor und sorgt dafür, dass Eddie nach der Landung der Maschine vom Zoll in Empfang genommen wird. Doch zwischenzeitlich hat Roland es geschafft, das Kokain in seine Welt zu bringen, so dass Eddie nach zweistündigem Verhör endlich zur eigentlichen Übergabe bei Balazar fahren kann.
Doch hier kommt es zu einem weiteren Zwischenfall, bei dem nicht nur Eddies Bruder Henry umkommt, sondern auch die ganze Drogenhändlerbande. Eddie folgt Roland durch die Tür nach Mittwelt und macht sich am Strand entlang auf den Weg zur nächsten Tür mit der Aufschrift „Die Herrin der Schatten“.
Nachdem er zuvor Eddie im New York der 1980er Jahre aufgegriffen hat, landet Roland nun in den 1960er Jahren im Körper einer schwarzen Rollstuhlfahrerin, deren Persönlichkeit sich durch ein traumatisches Erlebnis in ihrer Vergangenheit gespaltet hat, in die wohlerzogene und wohlhabende Odetta Holmes und in die vulgäre, teuflisch raffinierte Detta Walker, was für Eddie und Roland für ihre zukünftige Reise zum Dunklen Turm eine besondere Herausforderung bedeutet, denn sobald Detta in dem beinlosen Körper der Schwarzen das Sagen hat, drohen sowohl dem schwerkranken Roland als auch dem erschöpften Eddie ungemütliche Zwischenfälle. Gemeinsam gelingt es ihnen schließlich, auch die dritte Tür zu erreichen.
Mit Hilfe des Wirtschaftsprüfers Jack Mort, der zum Spaß Leute umbringt und so auch einst den Jungen Jake vor ein Auto gestoßen hatte, den Roland auf der ersten Etappe seiner Reise im Gasthaus kennengelernt hatte und später opfern musste, kommt Roland endlich an die nötige Menge Penicillin, um seine Entzündung zu heilen. Nach der Rückkehr in seine Welt erwartet Roland, Eddie, Jack und Odetta/Detta eine weitere Überraschung …
„Es war der Turm. Der Dunkle Turm.
Er stand am fernen Ende einer Ebene, die im brutalen Licht einer sterbenden Sonne die Farbe von Blut hatte. Er konnte die Treppe nicht sehen, die spiralförmig nach oben führte, immer weiter hinauf innerhalb der Hülle aus Stein, aber er konnte die Fenster sehen, die sich an dieser Treppe entlang erstreckten, und er sah die Geister aller Menschen, die er je gekannt hatte, an ihnen vorübergehen. Immer weiter gingen sie hinaus, und ein heftiger Wind trug den Klang von Stimmen zu ihm, die seinen Namen riefen.“ (S. 456) 
Nachdem „Schwarz“, der erste von insgesamt acht Bänden (wenn man den Spin-off-Roman „Wind“ dazuzählt) von Stephen Kings epischer Saga um den Dunklen Turm, noch eine Zusammenfassung jener Geschichten darstellte, die King zwischen 1978 und 1981 im The Magazin of Fantasy & Science Fiction veröffentlicht hatte und die Jagd von Roland nach dem Mann in Schwarz thematisierte, wirkt „Drei“ weitaus stimmiger in Dramaturgie und Erzählton.
„Schwarz“ war noch deutlich von Robert Brownings Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ ebenso inspiriert wie von Spaghetti-Western, Fantasy- und Horror-Elementen, mit „Drei“ begibt sich Stephen King nun ganz in das Reich der Fantasy und der archetypischen Suche des Narren nach dem Gral, der hier die Form des Dunklen Turms annimmt.
Unterhaltsam schildert der Autor, wie Roland der Prophezeiung folgend seine Gefährten auf der Reise einsammelt, wobei der persönliche Hintergrund der ganz unterschiedlichen Charaktere und ihr Eintritt in Rolands Welt so glaubwürdig aufgearbeitet wird, dass „Drei“ eine ganz eigene Atmosphäre entwickelt. Was den Plot dabei so spannend macht, ist das untrügliche Wissen aller Beteiligten, dass Roland jeden von ihnen opfern wird, um den Dunklen Turm zu erreichen, trotzdem begleiten sie ihn. Auch der Leser ist gespannt, wie die Reise in dem nächsten Band „tot“ fortgesetzt wird.
Leseprobe Stephen King - "Drei"

Stephen King – (Der Dunkle Turm: 1) „Schwarz“

Mittwoch, 23. Januar 2019

(Heyne, 237 S., Pb.)
In einer postapokalyptischen Welt, die der unseren nicht ganz unähnlich ist, macht sich Roland von Gilead, seines Zeichens der letzte Revolvermann, in einer unwirtlichen Wüste, die nicht einmal Teufelsgras wachsen lässt, auf die Suche nach dem Mann in Schwarz. Seit über zwei Monaten ist er ihm auf der Spur und hat in den „endlos, schreiend monotonen fegefeuerähnlichen Einöden“ nicht mal die Spur eines Lagerfeuers des Gesuchten gefunden. Doch den Mann in Schwarz zu finden ist nur die erste Etappe seiner Reise sein, die ihn letztlich zum Dunklen Turm führen soll.
Als er nach ein paar Tagen auf eine Hütte und den darin wohnenden Grenzbewohner Brown trifft, erzählt er ihm von seinen Erlebnissen in der Geisterstadt Tull, wo er sich mit einem Mädchen namens Allie vergnügt, bis er auf eine dämonische Priesterin stößt, die vom Mann in Schwarz verzaubert wurde und den Revolvermann dazu bringt, die Bewohner der ganzen Stadt niederzuschießen. Schließlich stößt er in einem Rasthaus an einer längst vergessenen Kutschenstraßen auf den Jungen Jake, der in unserer Welt bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, und nun in Mittwelt noch einmal stirbt, weil ihn Roland auf seinem Weg zum Dunklen Turm opfern muss.
„So endet es, dachte er. Immer wieder endet es so. Es gibt Suchen und Straßen, die unablässig weiter führen, und alle enden am selben Ort … auf dem Schlachtfeld.
Abgesehen vielleicht von der Straße zum Turm.“ (S. 118) 
Als Roland den Mann in Schwarz endlich in einem Golgatha, einer Stätte der Schädel, eingeholt hat, kommt es nicht zum erwarteten Showdown zwischen dem geheimnisvollen Zauberer und dem letzten Revolvermann. Stattdessen sitzen sie am Lagerfeuer bei einer Zigarette zu einem Palaver beisammen, denn Roland braucht Antworten, die ihm nur der Mann in Schwarz geben kann, der sich schließlich als alter Bekannter aus der Heimat des Revolvermanns herausstellt …
Inspiriert von Robert Brownings erzählenden Gedicht „Childe Roland to the Dark Tower Came“ hat Stephen King im März 1970 angefangen, sein letztlich acht Bände umfassendes, in über dreißig Jahren entstandenes Epos um den Dunklen Turm als Fortsetzungsroman zu schreiben. Die in „Schwarz“ versammelten Geschichten sind zwischen 1978 und 1981 zunächst in „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ veröffentlicht worden und 1982 erstmals vereint in Buchform erschienen. Eine klar definierte Erzählstruktur hat Stephen King in „Schwarz“ noch nicht gefunden. Immer wieder wird die Reise des Revolvermanns von Geschichten unterbrochen, die den Leser zurück in wegweisende Episoden aus Rolands Leben führt, unter denen die Auseinandersetzung mit seinem Lehrer Cuthbert eine zentrale Bedeutung erfährt. Hier wird der Grundstein für eine epische Erzählung gelegt, die in einer unbestimmten Zeit spielt, mit Themen wie Verrat und Erlösung, Mut und Verzweiflung, Liebe und Zerstörung, Traum und Erinnerung, Leben und Tod spielt und dabei verschiedene Genres wie Horror, Western, Fantasy und Science Fiction streift.
Wenn am Ende dieses ersten, für Stephen King ungewöhnlich schmalen Romans der Mann in Schwarz dem Revolvermann die Tarotkarten legt, ist damit bereits der weitere Weg von Roland vorgegeben. King hat mit der Arbeit an seinem Lebenswerk bereits 1970 begonnen, als er sich von Brownings Gedicht, aber auch von Spaghetti-Western, der Artussage und Fantasy-Werken wie Tolkiens „Der Herr der Ringe“ inspirieren ließ. „Schwarz“ wirft dabei mehr Fragen nach Rolands Suche und dem Dunklen Turm auf, als sie zu beantworten, aber dafür nahm sich King schließlich noch weitere Jahre und Romane Zeit …
Leseprobe Stephen King - "Schwarz"

Lee Child – (Jack Reacher: 9) „Sniper“

Dienstag, 22. Januar 2019

(Blanvalet, 478 S., HC)
An einem Freitagnachmittag in einer Kleinstadt in Indiana eröffnet ein Scharfschütze vom Parkhaus aus das Feuer auf eine Menschenmenge auf der Plaza der Fußgängerzone. Fünf Menschen sterben. Emerson, Chef des Dezernats Schwerverbrechen, übernimmt die Ermittlungen in einem Fall, der nach Auswertung aller Spuren absolut wasserdicht scheint. Als Täter kommt nur der 41-jährige James Barr in Frage, ein vor vierzehn Jahren ehrenhaft entlassener Scharfschütze der U.S. Army. Sein Minivan wird neunzig Sekunden nach Eingang des ersten 911-Notrufs auf den Überwachungskameras beim Verlassen des Parkhauses gefilmt, seine Fingerabdrücke werden auf einer Patronenhülse, auf dem Markierungskegel am Tatort und einem Quarter festgestellt, den er in die Parkuhr geworfen hat. Als ein SWAT-Team sein Haus stürmt, werden auch seine Waffe und die am Tatort verwendeten Schuhe sichergestellt.
Als Staatsanwalt Alex Rodin Anklage erhebt, verlangt James Barr nach Jack Reacher, der durch eine Fernsehübertragung von Barrs Festnahme erfährt. Reacher ist Barr Anfang der 1990er in seiner Funktion als Offizier der Militärpolizei bei einem Vorfall in Kuwait City begegnet, als Barr von einem Parkhaus vier amerikanische Unteroffiziere erschossen hat. Da sich diese im Nachhinein als Räuber und Vergewaltiger herausgestellt haben, wurde der Vorfall unter Verschluss gehalten, aber Reacher nahm Barr das Versprechen ab, ihn zu erledigen, sollte er sich jemals wieder zu seiner Tat hinreißen lassen. Doch bevor Reacher mit Barr sprechen kann, wird der Gefangene von Mithäftlingen ins Koma geprügelt.
„Reacher beschloss, noch vierundzwanzig Stunden zu bleiben. Vielleicht gab es bis dahin eine klare Prognose, was Barrs Zustand betraf. Vielleicht konnte er irgendwie bei Emerson vorbeischauen und sich einen besseren Überblick über das Beweismaterial verschaffen. Vielleicht hatte er dann keine Bedenken mehr, den Fall Alex Rodins Dienststelle – gewissermaßen mit eingeschaltetem forensischem Autopiloten – zu überlassen.“ (S. 94) 
Tatsächlich erscheinen Reacher die sichergestellten Beweise zu gut. Zusammen mit Barrs Schwester Rosemary, und seiner Anwältin Helen Rodin, die erst am Anfang in ihrer Karriere steht und sich gleich mit ihrem Vater als Gegner anlegt, und dem Ermittler Franklin macht sich Reacher auf die Suche nach den Hintermännern und zieht damit unerwünschte Aufmerksamkeit skrupelloser russischer Verbrecher auf sich, die Reacher aber erst recht davon überzeugen, dass Barr ein weiteres Opfer in dieser Verschwörung darstellt …
Bereits die ersten acht Bände um Jack Reacher, den ehemaligen erstklassigen Ermittler der Militärpolizei, hätten das Potenzial für eine Verfilmung gehabt, doch erst mit dem 2005 erschienenen und drei Jahre später auch in deutscher Sprache erhältlichen Roman „Sniper“ wurde daraus Wirklichkeit, als Star-Schauspieler Tom Cruise in die Rolle des notorischen, unauffindbaren und ziellos durch Amerika ziehenden Einzelgängers schlüpfte. „Sniper“ präsentiert den charismatischen wie intelligenten und schlagkräftigen Ermittler auch in Höchstform.
Lee Child gelingt es, von Beginn an ein packendes Setting zu etablieren und einen Verdächtigen einzuführen, an dessen Schuld es wenig zu rütteln gibt. Doch die Russen um den ehemaligen Gulag-Inhaftierten „der Zec“ mischen sich für Reachers Geschmack zu sehr in die Ermittlungen ein, machen ihm selbst das Leben schwer, als dass sich der Ex-Militärpolizist mit den vordergründig stichfesten Beweisen begnügen würde. Der Autor hat Reachers Spurensuche so spannend in kurzen, klaren Sätzen beschrieben, dass das Erzähltempo locker mit der Handlung mithält, die immer wieder durch einzelne Nahkampf-Aktionen akzentuiert wird und auf ein furios inszeniertes Finale hinausläuft. Viel besser hat man Jack Reacher seither kaum erleben dürfen!
Leseprobe Lee Child - "Sniper"

Josephine Rowe – „Ein liebendes, treues Tier“

Montag, 21. Januar 2019

(Liebeskind, 208 S., HC)
Anfang der Neunzigerjahre steht die Familie des Kriegsveteranen Jack Burroughs vor unrettbaren Trümmern. Seine schlechten Träume der über zwanzig Jahre zurückliegenden Vergangenheit können nicht mal die Beruhigungspillen vertreiben. Als auch noch sein geliebter Hund von einer Wildkatze buchstäblich zerrissen wird, sieht er den herumliegenden Körperteilen gleichsam die Überreste seines eigenen verpfuschten Lebens und verschwindet spurlos – diesmal für immer, wie seine Tochter Ruby glaubt.
Offensichtlich hat ihr Vater nie eine echte Chance gehabt. Erst seine Mutter, die in ihrem Selbstmordversuch auch ihre Kinder mit in den Tod reißen wollte und in einer psychiatrischen Anstalt landete, dann der Vietnamkrieg, dessen Echo noch immer in seinem Schädel dröhnt. Sein Bruder Les hat sich sogar die Finger abgehackt, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen.
Die drei Frauen in Jacks Leben gehen jeweils auf ihre eigene Weise mit dem Unglück um, das Jack in ihr Zuhause gebracht hat. Lani, die älteste Tochter, vertickt nicht nur die Beruhigungspillen ihres Vaters auf Partys, sondern gerät auch so immer wieder in Schwierigkeiten. Ihre kleine Schwester Ruby verliebt sich in einen Mann aus anderen Verhältnisse und lernt erstmals eine Familie kennen, die mehr zu bieten hat als pure Verzweiflung und unerfüllte Träume. Jacks Frau Evelyn fühlt sich einfach um ein besseres Leben betrogen, geht an der Unterstützung, die sie Jack zu geben versucht, selbst zugrunde.
„Hier ist was schwer durcheinandergeraten, wie durch den Fleischwolf gedreht. Jemand anderes hat sich ihr Leben geborgt und gurkt damit durch die Gegend, macht Strecke, wie man das mit einem geklauten Auto tut. Aber irgendwann ist Schluss damit. Irgendwann ist man zermürbt vom schlechten Gewissen. Keine Spritztour kann ewig dauern. Eines Tages wird Ev aufwachen, und dann ist es wieder da, ihr wahres Leben, steht ordentlich geparkt vor dem Haus und glänzt.“ (S. 45) 
Die 1984 im australischen Queensland geborene Josephine Rowe wurde nach Aufenthalten in den USA und Kanada 2016 mit dem Elizabeth Jolley Prize für ihre Kurzprosa ausgezeichnet, die u.a. bei McSweeney’s und in der Paris Review erschienen sind, und veröffentlichte im selben Jahr ihren Debütroman, der nun in der deutschen Übersetzung als „Ein liebendes, treues Tier“ bei Liebeskind vorliegt.
Darin verleiht sie den Figuren rund um den Kriegsveteranen Jack Burroughs und seiner Familie jeweils eine eigene Perspektive, einen individuellen Erzählton. Das ist nicht immer leicht nachzuvollziehen, oft genug besteht die Sprache nur aus abgehackten Satzfetzen (so Jacks vereinzelte, aneinandergereihte Erinnerungen an den Krieg), unzusammenhängend wirkenden Gedanken, die deutlich machen, wie zerrüttet das Leben der Burroughs ist.
Eine konventionelle Dramaturgie sucht der Leser in dem gerade mal gut zweihundert Seiten umfassenden Bändchen vergebens, dafür wird er mit scharfen Beobachtungen und düsteren Gedanken konfrontiert, die in einer ebenso klaren wie verwirrend aufwühlenden und dann wieder zutiefst poetisch betörenden Sprache niedergeschrieben sind.
Wer sich darauf einlassen kann, wird mit einem außergewöhnlichen Leseerlebnis und einer zutiefst melancholischen Geschichte über unerfüllte Träume und die Folgen grausamer menschlicher Triebe belohnt.

Richard Bachman – „Todesmarsch“

Sonntag, 13. Januar 2019

(Heyne, 316 S., Tb.)
In einer vom Militär beherrschten Zukunft, in der die Menschen meistgehend verarmt sind, bietet allein der jährliche „Todesmarsch“ männlichen Jugendlichen zwischen 14 und 17 die Möglichkeit, lebenslangen Luxus zu erreichen. Allerdings ist die vom „Major“ organisierte Veranstaltung für alle Beteiligten die reinste Tortur, und nur der einzig Überlebende darf sich über den Gewinn freuen. Alle anderen werden nach drei Warnungen, die auf jeweilige Unterschreitung der Schrittgeschwindigkeit von vier Meilen die Stunde folgen und die jeweils erst nach einer weiteren Stunde gestrichen werden, von Soldaten aus einem den Marsch begleitenden Panzerfahrzeug erschossen.
Unter den einhundert Teilnehmern befindet sich auch der 16-jährige Raymond Davis Garraty aus Pownal, Maine. Zu Beginn des Marsches freundet er sich mit verschiedenen Jungs an, mit dem durchtrainierten Peter McVries, dem unterhaltsamen Hank Olson, dem geselligen Südstaatler Art Baker und Harkness, der über den Marsch später ein Buch schreiben will, aber schon früh aus dem Rennen scheidet. Mit dem rätselhaften Stebbins und dem aggressiv auftretenden Gary Barkovitch sind aber auch einige nicht so angenehme Zeitgenossen mit von der Partie. Die Gespräche unter den Teilnehmern drehen sich meist um die Familien und die Motivation, an dem Marsch teilzunehmen, und vielen der jungen Menschen wird klar, dass ihnen der tödliche Ernst der Angelegenheit gar nicht bewusst gewesen ist. Ray sehnt sich vor allem danach, seine Freundin Janice, die er über alles liebt, mit der er aber noch nicht geschlafen hat wiederzusehen. Sie wartet zusammen mit seiner Mutter in Freeport auf ihn. Doch bis dahin ist es ein ziemlich langer Weg …
„Dies war das erste Mal, dass er sich wirklich wünschte, diesen Marsch zu gewinnen. Selbst am Start, als er sich noch frisch und kräftig gefühlt hatte – zu der Zeit, als die Dinosaurier noch die Erde bevölkerten -, hatte er nicht bewusst den Wunsch gehabt zu gewinnen. Das war das Ganze nur eine Herausforderung gewesen. Aber die Gewehre schossen keine kleinen roten Zettel ab, auf denen PÄNG! geschrieben stand. Dies war kein Baseball und auch kein anderes Spiel, es war die brutale Realität.“ (S. 286) 
Ähnlich wie in seinem nachfolgenden Roman „Menschenjagd“, den Stephen King ebenfalls unter seinem Pseudonym Richard Bachman veröffentlichte, entwirft der 1979 entstandene Roman „Todesmarsch“ eine düstere Zukunftsvision einer desillusionierten, verarmten Gesellschaft, die von skrupellosen Militärschergen regiert wird und die durch makabre, aber die Massen begeisternde Spiele die unwahrscheinliche Möglichkeit (hier stehen sie bei 1:100) haben, ihr zukünftiges Leben in Reichtum und Luxus zu verbringen.
Wie weit auseinander Traum und Realität liegen, müssen die einhundert jugendlichen Teilnehmer des Todesmarsches auf die ganz bittere Art erfahren, wenn sie nach und nach ihre eben noch neben ihnen laufenden Kameraden dabei beobachten müssen, wie sie kraftlos auf der Straße in sich zusammensacken und von gezielten Gewehrschüssen niedergestreckt werden.
King begnügt sich wieder mit sehr rudimentären Skizzierungen der gesellschaftlichen Verhältnisse in der nicht näher definierten Zukunft. Hier sorgen allein die Gespräche zwischen den Gehern für ein paar Hintergründe (so wurde Rays Vater eines Tages einfach von Soldaten abgeholt und nicht mehr wiedergesehen). Interessant ist vor allem der fortschreitende körperliche wie psychische Verfall der Teenager-Jungen, was dem Autor sehr glaubwürdig gelingt. Je mehr Ray zum Ende des Marsches hin erleben muss, wie die ihm ans Herz gewachsenen Freunde/Konkurrenten wegsterben, umso deutlicher wird ihm bewusst, wie sinnlos die Teilnahme am Todesmarsch gewesen ist.
Der existentiellen Geschichte entspricht ein ebenso reduzierter Schreibstil, der sich ganz auf die Begebenheiten auf der Marschstrecke konzentriert und neben den Beobachtungen, wie der körperliche Verfall der Teilnehmer voranschreitet, vor allem die psychischen Befindlichkeiten wiedergibt, die in den Gesprächen der Jugendlichen untereinander zum Ausdruck kommen. Der Leser wird so nie vom Geschehen abgelenkt und läuft quasi mit den Jugendlichen mit, teilt ihre Sehnsüchte und Todesängste.
Leseprobe Richard Bachman - "Todesmarsch"

Richard Bachman – „Menschenjagd“

Mittwoch, 9. Januar 2019

(Heyne, 254 S., Tb.)
Im Jahre 2025 klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auf wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Davon weiß auch der arbeitslose Benjamin Richards ein Lied zu singen, der mit seiner Frau Sheila und seiner anderthalbjährigen Tochter Cathy in Co-Op-City lebt, einer Slum-ähnlichen Wohnsiedlung in der Südstadt, die durch einen Kanal von den in der Nordstadt lebenden Reichen getrennt ist. Um die in den Sozialwohnungen untergebrachten Unterprivilegierten ruhig zu halten, sorgen die öffentlichen Fernsehanstalten über die kostenlos installierten Fernseher mit einer Flut von Unterhaltungsshows für Dauerberieselung, darunter so populäre Shows wie „Tretmühle zum Reichtum“, bei der jeder der chronisch Herz-, Leber- oder Lungenkranken, für jede Minute, die sie auf dem Laufband überleben, zehn Dollar erhalten.
Als Bens Tochter an einer Lungenentzündung zu sterben droht, weil sich die Familie keine Medizin leisten kann und Ben seine Frau für den Lebensunterhalt auch nicht anschaffen lassen will, durchläuft er beim örtlichen Fernsehsender das Bewerbungsprogramm für die Shows und wird schließlich für die populärste Show angenommen: Bei „Menschenjagd“ bekommt er zwölf Stunden Vorsprung vor seinen Jägern und erhält – bzw. seine Ehefrau, denn bislang hat keiner der Kandidaten überlebt – für jede Stunde, die er seinen Häschern entkommen konnte, einhundert Dollar. Dafür muss er allerdings jeden Tag zwei Kassetten mit Aufnahmen von jeweils zehn Minuten zum Sender schicken, mit denen er beweisen kann, dass er sich noch unter den Lebenden befindet.
Allerdings gibt er durch den Poststempel auch seinen Aufenthaltsort preis. Hinweise aus der Bevölkerung werden gut belohnt, doch gelingt es Richards, einige Helfer zu finden, die ihm neue Papiere und eine gute Tarnung verschaffen. Doch die Angst weicht dem Flüchtigen nicht von der Seite …
„Richards lief rasch ins Badezimmer. Er war völlig ruhig und ignorierte seine Angst wie ein Mann auf einem hohen Felsvorsprung, der nicht an den Abgrund denkt, der sich vor ihm auftut. Wenn er überhaupt einen Ausweg finden sollte, dann nur, indem er einen klaren Kopf behielt. Wenn er in Panik geriet, würde er bald sterben.“ (S. 87) 
Gut ein Vierteljahrhundert bevor seine US-amerikanische Kollegin Suzanne Collins ihre Jugendbuch-Trilogie „Die Tribute von Panem“ vorlegte, schrieb Stephen King in seinem vierten Roman unter seinem kurzzeitigen Pseudonym Richard Bachman 1982 seinen düsteren Sci-Fi-Thriller „Menschenjagd“, der auch als Vorlage für die Verfilmung „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle (1987) diente. King braucht nur wenig Raum, um seine Leser in das vertraute „Brot und Spiele“-Szenario einzuführen. Die grassierende Arbeitslosigkeit, die tiefe Riss in der Gesellschaft, die einlullende Macht des Fernsehens, die Gier nach Blut und die Sehnsucht nach Erlösung sind die Eckpfeiler, auf denen der Plot von „Menschenjagd“ aufgebaut ist.
Sein Protagonist Ben Richards ist King als rebellischer, aber familienliebender und tapferer Underdog von Anfang an so sympathisch gelungen, dass der Leser gleich mit dessen Schicksal mitzufiebern beginnt. Zwischenzeitlich werden noch einige wenige andere Figuren eingeführt, wovon sich Mrs. Williams als Geisel zum Ende hin als die interessanteste erweist. Trotz einiger unglaubwürdiger Entwicklungen im Schlussviertel bietet „Menschenjagd“ ein bei allen gesellschaftskritischen Aspekten nicht besonders tiefgründiges, aber temporeiches und kurzweiliges Lesevergnügen.

Richard Bachman – „Der Fluch“

Sonntag, 6. Januar 2019

(Heyne, 347 S., Tb.)
Bisher hat der übergewichtige Anwalt William „Billy“ Halleck satte 249 Pfund auf die Waage gebracht, doch durch einen folgenschweren Autounfall hat sich Halleck den Fluch eines Zigeuners mit verfaulender Nase eingefangen, der ihm nach dem anhängigen Gerichtsverfahren an der Wange berührte und ein „Dünner“ zuraunte. Zu dem Gerichtsverfahren kam es überhaupt erst, weil Halleck von seiner ansonsten eher prüden Frau Heidi während einer Autofahrt erstmals mit der Hand befriedigt wurde und er durch sein vermindertes Reaktionsvermögen im Augenblich seines Orgasmus eine Zigeunerin zu Tode gefahren hat, die plötzlich zwischen zwei parkenden Autos hindurch auf die Straße gelaufen war.
Da der Polizeibeamte vor Ort es versäumte, bei Halleck einen Alkoholtest zu machen, der örtliche Polizeichef Duncan Hopley den Vorfall nicht mit der nötigen Sorgfalt verfolgte und schließlich auch der mit ihm befreundete Richter Carry Rossington Halleck schließlich freigesprochen hat, konnte Halleck wieder seinen Angelegenheiten nachgehen, während die ungeliebten Zigeuner der Stadt verwiesen wurden.
Doch da er erschreckend schnell an Gewicht verliert, fängt Halleck wirklich an den Fluch zu glauben, denn weder sein Hausarzt Dr. Houston noch der Aufenthalt in einer privaten Spezialklinik können keine körperliche Ursache für Hallecks rapiden Gewichtsverlust finden. Als auch noch Rossington und Hopley von ähnlichen Verwünschungen betroffen zu sein scheinen, bleibt Halleck nichts anderes übrig, als den Vater der Toten, Taduz Lemke, ausfindig zu machen, um ihn dazu zu bewegen, den Fluch wieder zurückzunehmen. Er engagiert zunächst einen Privatdetektiv, um die Spur des reisenden Zigeunervolks nachzuvollziehen, und schließlich den Mafioso und Restaurantbesitzer Richard Ginelli, ihn bei der zu leistenden Überzeugungsarbeit zu unterstützen. Der nimmt diesen Freundschaftsdienst ernster, als Halleck zunächst lieb ist. Mit der Zeit beginnt Halleck aber auch auf seine Frau wütend zu werden …
„Ja, es war ihre Schuld gewesen, aber das hatte der alte Zigeuner nicht gewusst, und deshalb hatte Halleck den Fluch abbekommen und mittlerweile insgesamt einundsechzig Pfund in kürzester Zeit abgenommen. Und sie saß da und hatte dunkle Ringe unter den Augen und ihre Haut war viel zu bleich, aber diese dunklen Ringe würden sie nicht töten, nicht wahr? Nein. Und auch die bleiche Haut nicht. Der alte Zigeuner hatte sie nicht angefasst.“ (S. 84) 
„Der Fluch“ war 1984 der letzte von insgesamt fünf Romanen, die Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman seit 1977 veröffentlicht hatte, bevor die wahre Identität des Autors durch einen aufmerksamen Buchhändler gelüftet wurde. Der 1996 durch Tom Holland unter dem Titel „Thinner – Der Fluch“ verfilmte Roman passt auch qualitativ am ehesten in die Werksbiografie von Stephen King, der im Roman selbst seinen Protagonisten sagen lässt, dass sich seine Geschichte wie ein Stephen-King-Roman anhört.
Mit dem Fluch durch den Zigeuner fügt Bachman alias Stephen King seiner Geschichte genau den übernatürlichen Aspekt hinzu, der einen Großteil seiner Romane und Kurzgeschichten ausmacht, und der Autor erweist sich auch in „Der Fluch“ als Meister darin, das Grauen in den Alltag einer gutbürgerlichen Familie einzuführen. Er thematisiert mit dem Roman aber auch das nach wie vor leider sehr aktuelle Ausgrenzen gesellschaftlicher Minderheiten und die Selbstverständlichkeit, mit der Dinge so lapidar geregelt werden, dass den „Stützen der Gesellschaft“ möglichst wenig ans Bein gepinkelt wird. Sobald Halleck allerdings den mit ihm befreundeten Mafioso um Mithilfe bittet, entgleitet Bachman/King die Glaubwürdigkeit der Story etwas, ehe sie mit einem augenzwinkernden Finale wieder die Kurve bekommt.

Richard Bachman – „Sprengstoff“

Donnerstag, 3. Januar 2019

(Heyne, 344 S., Tb.)
Ein Jahr, nachdem der Ausbau der Stadtautobahn beschlossene Sache ist, besorgt sich der vierzigjährige Barton George Dawes in Harveys Waffengeschäft im November 1973 eine .44er Magnum und ein vierhundertsechziger Weatherbee-Gewehr. Zwar weiß George noch nicht so recht, was er damit anfangen will, aber auf jeden Fall lässt er es sich nicht ohne weiteres gefallen, dass durch den geplanten Ausbau der 784 seine ganze Existenz den Bach runtergeht. Denn mit den Baumaßnahmen ist auch der Abriss seines Hauses in der Crestallen Street West verbunden, in dem er mit seiner Frau Mary seit zwanzig Jahren lebt, ebenso wie des Gebäudes der Blue-Ribbon-Wäscherei.
Während sein Chef Steve Ordner davon ausgeht, dass sich George darum kümmert, das Fabrikgebäude in Waterford als Ersatz zu kaufen, denkt auch Mary, dass sich ihr Mann um ein neues Heim kümmert. Doch George denkt gar nicht daran, kampflos den Platz zu räumen. Als Ordner erfährt, dass George den Deal hat platzen lassen, setzt er ihn vor die Tür, kurz darauf trennt sich auch Mary von ihm und zieht zu ihren Eltern. George, der es bis heute nicht verwunden hat, dass er vor drei Jahren seinen Sohn durch einen Gehirntumor verlor, nimmt derweil Kontakt zum Mafioso Magliore auf, der ihm eine große Menge Sprengstoff besorgen soll. Sein Plan, den Ausbau der Autobahn zu sabotieren, nimmt immer konkretere Formen an …
„Was machte er hier auf dem Fußboden in seinem Wohnzimmer, seine Knie umklammernd und zitternd wie ein Alkoholiker in der Gosse? Oder ein Geisteskranker, ein bescheuerter Psychopath, das kam der Sache wohl näher. War er das wirklich? War er geisteskrank? Nicht so etwas Komisches und Harmloses wie ein Spinner oder ein Knallkopf oder einfach nur ein Verrückter, sondern ein wirklicher, echter Psychopath? Der Gedanke erfüllte ihn erneut mit Schrecken.“ (S. 160f.) 
Zwischen 1977 und 1984 veröffentlichte Stephen King unter dem Pseudonym Richard Bachman fünf Romane, 1985 kam ein Buchhändler hinter dieses gut gehütete Geheimnis, was King aber nicht daran hinderte, noch einmal als Bachman 1996 zunächst „Regulator“ und schließlich 2007 „Qual“ zu veröffentlichen.
„Sprengstoff“ ist 1981 nach „Amok“ (1977) und „Todesmarsch“ (1979) der dritte Bachman-Roman und weist überhaupt keine übernatürlichen Elemente auf. Stattdessen erzählt der Roman von dem einsamen Kampf eines Mannes, dem im Leben durch den Tod seines Sohnes schon alles Wichtige genommen worden ist und nun nicht auch noch seinen Arbeitsplatz und sein Heim aufgeben will. Stattdessen setzt er die Entschädigung für die Enteignung seines Hauses dazu ein, den Stadtvätern einen Denkzettel zu verpassen. Schließlich ist es zur Zeit der Energiekrise für George absolut nicht nachzuvollziehen, warum eine neue Autobahn gebaut werden muss. Er steigert sich so in sein Vorhaben hinein, von dem ihm auch die andere Stimme in seinem Kopf nicht abhalten kann, den Bau zu sabotieren.
Wie verbohrt George dabei ist, macht sich vor allem in der Beziehung zu seiner Frau bemerkbar, um die er sich überhaupt nicht mehr bemüht. Und auch wenn Georges Beweggründe nachvollziehbar sind, driftet er zunehmend in den Wahnsinn ab. King gelingt es, die Story sehr geschickt und komprimiert so zu erzählen, dass der Leser Sympathien für George entwickelt und unbedingt erfahren will, wie sich dessen Pläne weiterentwickeln. Hier erweist sich King als Meister der psychologischen Thrillers.