An einem Freitagnachmittag in einer Kleinstadt in Indiana eröffnet ein Scharfschütze vom Parkhaus aus das Feuer auf eine Menschenmenge auf der Plaza der Fußgängerzone. Fünf Menschen sterben. Emerson, Chef des Dezernats Schwerverbrechen, übernimmt die Ermittlungen in einem Fall, der nach Auswertung aller Spuren absolut wasserdicht scheint. Als Täter kommt nur der 41-jährige James Barr in Frage, ein vor vierzehn Jahren ehrenhaft entlassener Scharfschütze der U.S. Army. Sein Minivan wird neunzig Sekunden nach Eingang des ersten 911-Notrufs auf den Überwachungskameras beim Verlassen des Parkhauses gefilmt, seine Fingerabdrücke werden auf einer Patronenhülse, auf dem Markierungskegel am Tatort und einem Quarter festgestellt, den er in die Parkuhr geworfen hat. Als ein SWAT-Team sein Haus stürmt, werden auch seine Waffe und die am Tatort verwendeten Schuhe sichergestellt.
Als Staatsanwalt Alex Rodin Anklage erhebt, verlangt James Barr nach Jack Reacher, der durch eine Fernsehübertragung von Barrs Festnahme erfährt. Reacher ist Barr Anfang der 1990er in seiner Funktion als Offizier der Militärpolizei bei einem Vorfall in Kuwait City begegnet, als Barr von einem Parkhaus vier amerikanische Unteroffiziere erschossen hat. Da sich diese im Nachhinein als Räuber und Vergewaltiger herausgestellt haben, wurde der Vorfall unter Verschluss gehalten, aber Reacher nahm Barr das Versprechen ab, ihn zu erledigen, sollte er sich jemals wieder zu seiner Tat hinreißen lassen. Doch bevor Reacher mit Barr sprechen kann, wird der Gefangene von Mithäftlingen ins Koma geprügelt.
„Reacher beschloss, noch vierundzwanzig Stunden zu bleiben. Vielleicht gab es bis dahin eine klare Prognose, was Barrs Zustand betraf. Vielleicht konnte er irgendwie bei Emerson vorbeischauen und sich einen besseren Überblick über das Beweismaterial verschaffen. Vielleicht hatte er dann keine Bedenken mehr, den Fall Alex Rodins Dienststelle – gewissermaßen mit eingeschaltetem forensischem Autopiloten – zu überlassen.“ (S. 94)Tatsächlich erscheinen Reacher die sichergestellten Beweise zu gut. Zusammen mit Barrs Schwester Rosemary, und seiner Anwältin Helen Rodin, die erst am Anfang in ihrer Karriere steht und sich gleich mit ihrem Vater als Gegner anlegt, und dem Ermittler Franklin macht sich Reacher auf die Suche nach den Hintermännern und zieht damit unerwünschte Aufmerksamkeit skrupelloser russischer Verbrecher auf sich, die Reacher aber erst recht davon überzeugen, dass Barr ein weiteres Opfer in dieser Verschwörung darstellt …
Bereits die ersten acht Bände um Jack Reacher, den ehemaligen erstklassigen Ermittler der Militärpolizei, hätten das Potenzial für eine Verfilmung gehabt, doch erst mit dem 2005 erschienenen und drei Jahre später auch in deutscher Sprache erhältlichen Roman „Sniper“ wurde daraus Wirklichkeit, als Star-Schauspieler Tom Cruise in die Rolle des notorischen, unauffindbaren und ziellos durch Amerika ziehenden Einzelgängers schlüpfte. „Sniper“ präsentiert den charismatischen wie intelligenten und schlagkräftigen Ermittler auch in Höchstform.
Lee Child gelingt es, von Beginn an ein packendes Setting zu etablieren und einen Verdächtigen einzuführen, an dessen Schuld es wenig zu rütteln gibt. Doch die Russen um den ehemaligen Gulag-Inhaftierten „der Zec“ mischen sich für Reachers Geschmack zu sehr in die Ermittlungen ein, machen ihm selbst das Leben schwer, als dass sich der Ex-Militärpolizist mit den vordergründig stichfesten Beweisen begnügen würde. Der Autor hat Reachers Spurensuche so spannend in kurzen, klaren Sätzen beschrieben, dass das Erzähltempo locker mit der Handlung mithält, die immer wieder durch einzelne Nahkampf-Aktionen akzentuiert wird und auf ein furios inszeniertes Finale hinausläuft. Viel besser hat man Jack Reacher seither kaum erleben dürfen!
Leseprobe Lee Child - "Sniper"
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