Richard Bachman – „Menschenjagd“

Mittwoch, 9. Januar 2019

(Heyne, 254 S., Tb.)
Im Jahre 2025 klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auf wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Davon weiß auch der arbeitslose Benjamin Richards ein Lied zu singen, der mit seiner Frau Sheila und seiner anderthalbjährigen Tochter Cathy in Co-Op-City lebt, einer Slum-ähnlichen Wohnsiedlung in der Südstadt, die durch einen Kanal von den in der Nordstadt lebenden Reichen getrennt ist. Um die in den Sozialwohnungen untergebrachten Unterprivilegierten ruhig zu halten, sorgen die öffentlichen Fernsehanstalten über die kostenlos installierten Fernseher mit einer Flut von Unterhaltungsshows für Dauerberieselung, darunter so populäre Shows wie „Tretmühle zum Reichtum“, bei der jeder der chronisch Herz-, Leber- oder Lungenkranken, für jede Minute, die sie auf dem Laufband überleben, zehn Dollar erhalten.
Als Bens Tochter an einer Lungenentzündung zu sterben droht, weil sich die Familie keine Medizin leisten kann und Ben seine Frau für den Lebensunterhalt auch nicht anschaffen lassen will, durchläuft er beim örtlichen Fernsehsender das Bewerbungsprogramm für die Shows und wird schließlich für die populärste Show angenommen: Bei „Menschenjagd“ bekommt er zwölf Stunden Vorsprung vor seinen Jägern und erhält – bzw. seine Ehefrau, denn bislang hat keiner der Kandidaten überlebt – für jede Stunde, die er seinen Häschern entkommen konnte, einhundert Dollar. Dafür muss er allerdings jeden Tag zwei Kassetten mit Aufnahmen von jeweils zehn Minuten zum Sender schicken, mit denen er beweisen kann, dass er sich noch unter den Lebenden befindet.
Allerdings gibt er durch den Poststempel auch seinen Aufenthaltsort preis. Hinweise aus der Bevölkerung werden gut belohnt, doch gelingt es Richards, einige Helfer zu finden, die ihm neue Papiere und eine gute Tarnung verschaffen. Doch die Angst weicht dem Flüchtigen nicht von der Seite …
„Richards lief rasch ins Badezimmer. Er war völlig ruhig und ignorierte seine Angst wie ein Mann auf einem hohen Felsvorsprung, der nicht an den Abgrund denkt, der sich vor ihm auftut. Wenn er überhaupt einen Ausweg finden sollte, dann nur, indem er einen klaren Kopf behielt. Wenn er in Panik geriet, würde er bald sterben.“ (S. 87) 
Gut ein Vierteljahrhundert bevor seine US-amerikanische Kollegin Suzanne Collins ihre Jugendbuch-Trilogie „Die Tribute von Panem“ vorlegte, schrieb Stephen King in seinem vierten Roman unter seinem kurzzeitigen Pseudonym Richard Bachman 1982 seinen düsteren Sci-Fi-Thriller „Menschenjagd“, der auch als Vorlage für die Verfilmung „Running Man“ mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle (1987) diente. King braucht nur wenig Raum, um seine Leser in das vertraute „Brot und Spiele“-Szenario einzuführen. Die grassierende Arbeitslosigkeit, die tiefe Riss in der Gesellschaft, die einlullende Macht des Fernsehens, die Gier nach Blut und die Sehnsucht nach Erlösung sind die Eckpfeiler, auf denen der Plot von „Menschenjagd“ aufgebaut ist.
Sein Protagonist Ben Richards ist King als rebellischer, aber familienliebender und tapferer Underdog von Anfang an so sympathisch gelungen, dass der Leser gleich mit dessen Schicksal mitzufiebern beginnt. Zwischenzeitlich werden noch einige wenige andere Figuren eingeführt, wovon sich Mrs. Williams als Geisel zum Ende hin als die interessanteste erweist. Trotz einiger unglaubwürdiger Entwicklungen im Schlussviertel bietet „Menschenjagd“ ein bei allen gesellschaftskritischen Aspekten nicht besonders tiefgründiges, aber temporeiches und kurzweiliges Lesevergnügen.

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