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Stephen Crane – „Das Monster und andere Geschichten“

Dienstag, 6. September 2022

(Pendragon, 272 S., HC) 
Stephen Crane (1871-1900) war leider kein langes Leben vergönnt, doch da er bereits im Kindesalter zu schreiben begann, hat er der Nachwelt ein umfangreiches literarisches Vermächtnis hinterlassen. H.G. Wells bezeichnete ihn als „besten Schriftsteller unserer Generation“, Paul Auster widmete Crane mit „In Flammen“ erst kürzlich eine eigene Biografie. 
Hierzulande ist von ihm vor allem der Bürgerkriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ aus dem Jahre 1895 bekannt, der 1951 von John Huston erstmals verfilmt wurde und seither zwei Remakes erfuhr. Der Pendragon-Verlag hat es sich dankenswerter Weise zur Aufgabe gemacht, die großen Lücken seiner Werke in deutscher Übersetzung zu füllen. Nach der Story-Sammlung „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ folgt nun mit „Das Monster und andere Geschichten“ eine weitere Kollektion meist beachtenswerter Erzählungen, die vor allem den naturalistischen Stil des Schriftstellers veranschaulichen. 
Im Mittelpunkt der Sammlung steht der Kurzroman „Das Monster“, der ähnlich wie andere Geschichten in der fiktiven, Port Jervis nachempfundenen Stadt Whilomville spielt und in dem Stephen Cranes junges Alter Ego Jimmy Trescott die Hauptrolle spielt. Als im Haus seines Vaters, Dr. Trescott, ein Feuer ausbricht, ist es der schwarze Stallknecht Henry Johnson, der dem Jungen das Leben rettet, allerdings selbst so schwer verletzt wird, dass er in der Nachbarschaft bereits für tot erklärt wird. Zwar überlebt Johnson, doch mit seinem furchtbar entstellten Gesicht wird er als „Monster“ betrachtet und ausgegrenzt. Selbst der herzensgute Doktor wird von dieser Ausgrenzung betroffen, als seine Patienten andere Ärzte aufsuchen, die weit weniger qualifiziert sind. 
Jimmy Trescott taucht auch in „Redner in Nöten“ auf, einer Geschichte, die dem jungen Protagonisten vor Augen führt, dass er für immer unfähig sein würde, öffentliche Vorträge zu halten, in „Der kleine Engel“ und „Das kleine Biest“
Wie schon in seinem ersten Roman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ beschreibt Crane vor allem das Leben einfacher Menschen. Bereits als Journalist in New York berichtete er über das Leben in den Slums der Stadt. Der amerikanische Bürgerkrieg, den Crane so eindrücklich in seinem berühmtesten Werk „Die rote Tapferkeitsmedaille“ thematisierte, spielt auch in „Das kleine Regiment“ eine Rolle, wo die beiden Brüder Dan und Billy Dempster ihre ganz eigene Fehde austragen. 
„Hinsichtlich ihrer Position in der Rangordnung hatten sie gelernt, solch verwirrende Situationen zu akzeptieren, und waren mittlerweile Träger eines einfachen, aber völlig unverrückbaren Glaubens, dass irgendjemand dieses Durcheinander durchschaute. Auch wenn man ihnen versichert hätte, dass die Armee ein kopfloses Monstrum sei, hätten sie bloß genickt, mit dem den Veteranen eigenen Zynismus. Als Soldaten hatten sie damit nichts zu tun.“ (S. 207) 
Dass Crane aber auch über einen feinsinnigen Humor verfügte, bewies er mit Geschichten wie „Zwölf Uhr“, in denen eine Kuckucksuhr für Aufsehen sorgt, und „Ein Hirngespinst in Rot und Weiß“, wo ein Mann die Mutter seiner Kinder tötet und den Kindern anschließend geschickt eintrichtert, einen ganz anders aussehenden Mann als Täter zu identifizieren. 
Berücksichtigt man das junge Alter, in dem Crane all diese Erzählungen verfasst hat, zeugen gerade die längeren Geschichten wie „Das Monster“ und „Das kleine Regiment“ von einer persönlichen wie schriftstellerischen Reife, die umso bemerkenswerter erscheint, da die Geschichten oft aus der kindlichen Perspektive des Jungen Jimmy Trescott erzählt werden und so auch immer ein Staunen über die Abläufe in der Welt zum Ausdruck bringen. 
Darüber hinaus sind die Beschreibungen des Lebens ganz gewöhnlicher Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert so lebendig und detailliert, dass es nicht verwundert, wenn die Strahlkraft von Cranes Schaffen bis in die heutige Zeit anhält und renommierte Autoren wie Paul Auster animiert, sich intensiver mit Leben und Werk des hierzulande noch viel zu unbekannten Schriftstellers auseinanderzusetzen. In seinem Nachwort gibt der Übersetzer Lucien Deprijck noch wertvolle Einblicke in Cranes Biografie und ordnet beispielsweise die Verwendung von Begriffen wie „Neger“ und „Nigger“ in den historischen Kontext ein. 

 

Stephen Crane – „Geschichten eines New Yorker Künstlers“

Mittwoch, 23. Februar 2022

(Pendragon, 288 S., HC) 
Gerade mal 28 Jahre wurde der 1871 in Newark, New Jersey, geborene Stephen Crane, der für seine naturalistisch geschilderten Lebensentwürfe von Menschen bekannt wurde, die am Rande der Gesellschaft um ihre Existenz zu kämpfen hatten. Cranes Blick auf die Armen ist nicht zuletzt deshalb so bemerkenswert, weil er selbst als Sohn eines Methodisten-Predigers keine Not zu leiden hatte, sich früh für das Schreiben begeisterte und nach dem Tod seiner Eltern sein Studium abbrach, um als Journalist in New York vor allem über das Leben in den Slums der Stadt zu schreiben. Diese Erfahrungen brachte Crane in seinen ersten, 1893 veröffentlichten Roman „Maggie, a Girl of the Streets“ ein, der das Zentrum der Story-Sammlung „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ bildet. Neben „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ und dem damit korrelierenden Roman „Georges Mutter“ enthält das Buch viele Geschichten als deutsche Erstveröffentlichung. 
In der eröffnenden, 1902 erstmals veröffentlichten Titelgeschichte beschreibt Crane die Nöte einer Künstlergemeinschaft im New York der 1890er Jahre, das verzweifelte Warten auf ausstehende Honorarzahlungen, das Einteilen der kaum noch vorhandenen Nahrungsvorräte und das schwierige Haushalten mit dem wenigen Geld, das durch den Verkauf von Zeichnungen und Geschichten reinkommt. Dabei ist Crane gar nicht so penetrant darauf aus, Mitleid für seine Figuren zu erzeugen, doch führt seine einfühlsame Sprache genau dorthin. Wenn er beschreibt, wie Penny seine zwanzig noch verbliebenen Cent in zwei Stück Kuchen investiert, von denen er auch ein Stück dem alten Tim abgibt, zeichnet Crane nicht nur das triste Bild eines täglichen Überlebenskampfes. Er beschreibt damit ebenso, dass diese armen Menschen trotz ihrer Armut noch nicht ihre Würde und Nächstenliebe verloren haben. 
Besonders eindringlich ist Crane diese lebensnahe Schilderung in seinem Debüt-Roman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ gelungen, den Crane 1893 noch unter Pseudonym veröffentlichte. Mit Maggie Johnson, die mit ihrem Bruder Jimmie und ihren alkoholsüchtigen Eltern in einer schäbigen Mietskaserne in der Bowery aufwächst, sich in einer Textilfabrik mit dem Nähen von Kragen und Manschetten abmüht und sich in den großspurigen Pete verliebt, beschreibt Crane ein berührendes Schicksal, wie es viele Mädchen geteilt haben dürften, die von einem besseren Leben geträumt haben und bitter enttäuscht wurden. Ein ähnliches Schicksal teilt George Kelcey in dem Roman „Georges Mutter“. Es stellt sich heraus, dass er im selben Mietshaus wie Maggie wohnt, dass ihr Schicksal vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen hätten, wenn ihre jeweiligen Träume sie nicht in die Irre geführt hätten. Denn so wie sich Maggie von Petes arroganten Getue blenden lässt, führt auch Kelceys Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung nicht zu der erhofften Wende in seinem Leben. 
„Sein brummender Schädel brachte ihn zu der Einsicht, dass es Zeit war, sein Leben zu ändern. Sein Magen vermittelte ihm die Erkenntnis, dass die Weisheit darin lag, ein guter Mensch zu sein. Der Blick in die Zukunft gab jedoch wenig Anlass zur Hoffnung. Vor einer Rückkehr zum alten Trott graute ihm. Für die tägliche Müh und Plage war er nicht geschaffen. Er zitterte beim bloßen Gedanken daran. Doch auch der Weg durch die goldenen Pforte des Lasters hatte seinen Reiz verloren.“ (S. 181) 
Sowohl Maggie als auch George leiden massiv unter dem familiären Umfeld, in dem sie aufwachsen. Während Maggies Eltern im Alkohol die Flucht aus der bedrückenden Realität suchen, ist es bei Georges Mutter der Glauben, an den sie sich so fest klammert, dass sie immer wieder versucht, dass ihr Sohn sie in die Kirche und zur Betstunde begleitet. 
Crane schildert eindringlich den Kampf, den seine Figuren nicht nur ums Überleben, sondern auf dem Weg zum Glück bestreiten, ohne aber aus ihrem Milieu ausbrechen zu können. Selbst kleine Freuden wie ein zugelaufener Hund (in „Der kleine braune Hund“) oder die Teilnahme an einem Picknick („Das Picknick“) bringen nicht die erwünschten Veränderungen auf dem Weg zum Glück. Am Ende steht stets Ernüchterung und Enttäuschung über die geplatzten Träume und die erdrückende Einsicht, dass sich nichts ändern wird. 
Nachdem Pendragon im vergangenen Jahr mit „Die tristen Tage von Coney Island“ Stephen Crane der deutschsprachigen Leserschaft wieder nähergebracht hat, lädt auch „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ dazu ein, tief in Cranes schriftstellerisches Können einzutauchen.