In Slough House, der von Jackson Lamb geleitete Dienststelle, in die ausgemusterte Agenten des MI5 abgeschoben werden, wo sie ihre Tage mit dem Sammeln und Auswerten unwichtiger Informationen verbringen, herrscht höchste Aufregung. Erst wird Lambs diskrete Assistentin, die trockene Alkoholikerin Catherine Standish, von ihrem ehemaligen Liebhaber Sean Donovan entführt, dann wird Jackson Lamb mit der Nachricht konfrontiert, dass der neue Innenminister Peter Judd, dem einst die Aufnahme in den Geheimdienst verweigert worden war, alles daran setzt, bei den Ressourcen des Geheimdienstes möglichst viele Einsparungen vorzunehmen, worunter auch die Auflösung von Slough House fällt. Bevor sich Lamb mit diesem Punkt auseinandersetzen kann, verschwindet mit River Cartwright ein weiterer seiner Agenten. Es stellt sich allerdings schnell heraus, dass er beim unbefugten Eindringen in das Personalarchiv in Regent’s Park, dem Sitz des MI5, erwischt worden ist und nun ein unerfreuliches Verhör über sich ergehen lassen muss.
Derweil demonstriert MI5-Leiterin Dame Ingrid Tearney gegenüber der untergeordneten Widersacherin Diana „Lady Di“ Taverner, Vizedirektorin der Abteilung Operations, ihre Macht und verdonnert Taverner quasi zu niederen administrativen Tätigkeiten. Jackson Lamb nimmt die drohende Auflösung seiner Dienststelle natürlich nicht kampflos hin und beauftragt seine „slow horses“, wie die in Ungnade gefallenen Agenten gern spöttisch genannt werden, mit der Suche nach zweckdienlichen Informationen zum Aufenthalt von Catherine Standish und eigentlichen Plan der Entführer, für die Cartwright die Akte des Premierministers stehlen sollte.
Dabei geht es nur vordergründig um die in den „Grauen Büchern“ oder Spinner-Akten festgehaltenen Verschwörungstheorien, auf die Lambs nun entfesselten Agenten stoßen, sondern um weitaus brisantere Informationen, die vor allem dem ambitionierten Innenminister schaden könnten, aber auch die Karriere der beiden MI5-Spitzen gefährden …
„Es war eine Sache, Intrigen zu schmieden und in der Ecke zu lauern: Darum ging’s im Büroleben ja gerade. Aber tatsächlich etwas in Bewegung zu setzen war eine Kriegserklärung, und der einzige Krieg, den man gegen einen Feind wie Dame Ingrid gewinnen konnte, war ein Krieg, der vorbei war, bevor der Startschuss fiel.“ (S. 395)
Spannende Spionage-Action kennt der Genre-Liebhaber vor allem durch die vielfach erfolgreich verfilmten Bestseller von Ian Flemings „James Bond 007“, Robert Ludlums „Jason Bourne“ oder John le Carré. In den letzten Jahren hat aber vor allem der britische Schriftsteller Mick Herron mit seiner humorvollen Reihe um eine Truppe von abservierten Agenten Furore gemacht, die sich Tag für Tag von ihrem herrischen Boss Jackson Lamb erniedrigen lassen und sinnlose Bürotätigkeiten ausüben müssen. Doch wie schon in den beiden vorangegangenen Bänden „Slow Horses“ und „Dead Lions“ demonstrieren Lamb und seine Angestellten River Cartwright, Roderick Ho, Louisa Guy, Marcus Longridge und Shirley Dander auch in „Real Tigers“, dass sie zu alter Höchstform auflaufen, wenn es um ihr Team und ihren Job an sich geht.
Genussvoll beschreibt Herron sowohl, wie Marcus erfolglos bei Louisa zu landen versucht und wie Jackson Lamb nach Belieben furzt und sich die Snacks seiner Angestellten einverleibt, ebenso wie die teils unbeholfen wirkenden, dann aber doch zum Kern des Ganzen vorstoßenden Ermittlungen der Agenten auf dem Abstellgleis. Doch nicht nur das lebendige Treiben in Slough House trägt zur Unterhaltung von „Real Tigers“ bei. Es sind die weitaus perfideren Machtspielchen und Intrigen, die die beiden sehr berechnenden Strateginnen Tearney und Taverner in Regent’s Park spinnen. Dabei wird erst nach und nach deutlich, welche Pläne jede von ihnen schmiedet, und auch wenn es auf ein vorhersehbares Ende zuläuft, macht es einfach Spaß, wie Lamb und seine charismatische Truppe die Dinge zu ihren eigenen Gunsten aufzulösen vermögen, um weiter im Spiel zu bleiben – wenn auch nur am Rande. Aber wenn sie mal wie hier die Gelegenheit bekommen, geht es auch mal ordentlich zur Sache, mit Nahkämpfen, kaputten Nasen und sogar Toten.
Die Action wirkt dabei weitaus bodenständiger als bei Jason Bourne und James Bond, was die Slow-Horses-Romane etwas authentischer wirken lässt. Zudem lässt sich „Real Tigers“ auch wunderbar als Kommentar zu den machthungrigen wie skrupellosen Politikern lesen, denen ihr eigenes Wohl weit wichtiger ist als das der Menschen, die sie ins Amt gebracht haben.
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