Ende der Dreißigerjahre ist Kenneth Rattner als Anhalter nach Knoxville unterwegs. Als er an einer Tankstelle kurz vor Atlanta von dem Schnapsschmuggler Marion Sylder mitgenommen wird, endet die Zusammenkunft tödlich. Eine Reifenpanne will Rattner nutzen, seinen vermeintlichen Wohltäter mit dem Wagenheber zu erschlagen, doch Sylder kann den Mann in letzter Sekunde überwältigen, bringt ihn um und verscharrt die Leiche in der Mischgrube eines Gartens, ohne zu wissen, dass er dabei von Arthur Ownby, dem Hüter eines verwilderten Apfelhains beobachtet wird.
Als Sylder später ein Autounfall hat, rettet ihn ausgerechnet Rattners Sohn John Wesley aus der misslichen Lage, worauf die beiden eine Art Vater-Sohn-Beziehung eingehen, ohne zu ahnen, mit wem sie es eigentlich jeweils zu tun haben. Selbst als Sylder schließlich in den Knast wandert, bleibt ihm der Junge treu.
„Du willst so was wie ein verdammter Held sein. Tja, eins kann ich dir sagen, es gibt keine Helden mehr. Der Junge schien zu schrumpfen, lieg rot an. Verstehst du das?, sagte Sylder. Ich hab nie behauptet, dass ich ein Held sein will, sagte der Junge mürrisch. Niemand hat das je behauptet, sagte Sylder. Jedenfalls, ich hab nie was wegen dir gemacht, wie du sagst. Ich mach nichts, was ich nicht machen will.“ (S. 249)Der aus Knoxville, Tennessee, stammende Schriftsteller Cormac McCarthy hat sich nie um die Gesetze und Mechanismen des Buchmarktes gekümmert. In seinen alle paar Jahre veröffentlichten Romanen sucht der Leser vergeblich nach Anführungszeichen bei wörtlicher Rede, von der McCarthy so häufig und lebendig Gebrauch macht, dass sich seine Romane wie Filmdrehbücher lesen.
Über die Jahrzehnte wurde McCarthy mit dem Faulkner Award, dem American Academy Award, dem National Book Award, dem National Book Critics Circle Award und 2007 für seinen Roman „Die Straße“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Seither ist es leider sehr still um den großen amerikanischen Autor geworden, der sich in der Tradition von William Faulkner sieht, dessen legendärer Lektor Albert R. Erskine McCarthys Manuskript zu „The Orchard Keeper“ 1965 bei Random House veröffentlichte. Über fünfzig Jahre später erschien McCarthys Debüt mit dem Titel „Der Feldhüter“ erstmals auch in deutscher Sprache. Es ist eher ein zähes Vergnügen, das der damals 32-jährige McCarthy mit seinem literarischen Einstand dem Publikum bereitet. Denn trotz des Totschlags zu Beginn des Romans entwickelt sich kein ernstzunehmender Plot, der auf eine klassische Auflösung und Bestrafung des Täters hinausläuft. Stattdessen beschreibt der Autor wie in späteren Werken das (Über-)Leben am Rande der Gesellschaft.
Hier herrscht nicht nur Armut, Verzweiflung und Gewalt vor, sondern auch eine derbe Sprache, die McCarthy wie kaum ein anderer Autor authentisch wiederzugeben vermag. Daneben sind es vor allem seine charakteristischen, atmosphärisch dichten Naturbeschreibungen, die das Setting, in dem seine Romane angesiedelt sind, so lebendig werden lassen. Die (männlichen) Figuren in „Der Feldhüter“ sind äußerst lebendig beschrieben und gewinnen Gestalt durch die Verflechtungen von Erinnerungen und Erzählungen, die sich über verschiedene Zeitebenen miteinander verflechten, ebenso wie die Schicksale von Sylder, den beiden Rattner-Männern und Ownby unausweichlich aufeinander zusteuern.
Bei aller Dunkelheit und Trostlosigkeit bleiben McCarthys Figuren aber zutiefst menschlich. Besonders eindrucksvoll ist dem Autor dabei die Schilderung von Ownbys Verhaftung gelungen, der beim Abtransport in der Kutsche seinen geliebten alten Hund zurücklassen muss.
„Der Feldhüter“ ist sicherlich noch kein Meisterwerk, wie es McCarthy später mit „Verlorene“, „Ein Kind Gottes“ oder „Kein Land für alte Männer“ abliefern sollte, aber es führt den geneigten Leser ein in die Welt eines wahrhaftigen Sprachvirtuosen, der sein erzählerisches Talent noch entwickeln muss.
Leseprobe CormacMcCarthy - "Der Feldhüter"
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