Jo Nesbø – (Harry Hole: 3) „Rotkehlchen“

Sonntag, 15. September 2019

(Ullstein, 480 S., Tb./eBook)
Als vor kurzem zum Staatsschutz versetzter Beamter ist Harry Hole im November 1999 dafür zuständig, zusammen mit den amerikanischen Kollegen vom Secret Service für die Sicherheit des amerikanischen Präsidenten bei dessen ersten Besuch in Norwegen zu sorgen, wo er an einem Gipfeltreffen mit PLO-Chef Arafat, dem israelischen Ministerpräsidenten Barak und dem russischen Präsidenten Putin teilnimmt. Allerdings schießt Hole während der Streckenüberwachung auf einen Secret-Service-Agenten, der sich nicht als solcher zu erkennen gegeben hat, und wird daraufhin von seinem Chef Bjarne Møller aus der Schusslinie genommen, auch wenn er sich ordnungsgemäß verhalten hat.
Als Bezirksleiter beim polizeilichen Überwachungsdienst erhält er Informationen zum Import eines sündhaft teuren Märklin-Gewehrs aus Südafrika, das besonders bei Attentätern beliebt ist. Die Spuren führen bis in die Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als eine Gruppe von norwegischen Soldaten auf der Seite der Nazis kämpften und dafür 1945 als Landesverräter hart bestraft wurden. Einer der Nazi-Kollaborateure will dieses gefühlte Unrecht wiedergutmachen und niemand geringeren als den norwegischen Kronprinzen dafür zur Rechenschaft ziehen. Während Hole und seine ambitionierte Kollegin Ellen Gjelten in der Neonazi-Szene ebenso wie in der Geschichte der norwegischen Beteiligung am Zweiten Weltkrieg fordert forscht, welche Identität der Attentäter angenommen haben könnte, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, der auch unter Holes Kollegen Opfer …
„Wenn eine Person, nach der man sucht, als Leiche in einer vier Monate alten Mordsache auftaucht, kann man nur schwer an einen Zufall glauben. Konnte der Mord irgendwie mit dem Kauf des Märklin-Gewehres zusammenhängen? Es war kaum zehn Uhr und Harry hatte bereits Kopfschmerzen. Er hoffte nur, dass Ellen ihm irgendetwas über diesen Prinzen liefern würde. Irgendetwas. Damit man irgendwo anfangen könnte.“ (Pos. 3700) 
Jo Nesbø hat nach seiner Karriere als Finanzanalytiker und Ökonom erst mit 37 Jahren zum Schreiben gefunden und schon mit seinem Harry-Hole-Debüt „Der Fledermausmann“ auf sich aufmerksam machen können, bevor er mit dem dritten Band „Rotkehlchen“ auch seinen internationalen Durchbruch feiern durfte. Es ist alles andere als leichte Krimikost, die Nesbø in „Rotkehlchen“ präsentiert, widmet er sich doch auch vielschichtige Weise dem dunklen Kapitel, das Norwegens Rolle im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Hier sorgen vor allem der Historiker Even Juul und der Kriegsveteran Sindre Fauke für die Darstellung der unterschiedlichen Aspekte. Indem der Autor zwischen den aktuellen Ermittlungen und den Ereignissen im Zweiten Weltkrieg hin- und herspringt, die zu den Morden geführt haben, die Hole untersucht, werden allmählich die persönlichen Beweggründe des Täters offenbart, dessen Identität aber erst im wendungsreichen Finale offenbart wird.
Bis dahin bekommt der Leser nicht nur eine differenzierte Auseinandersetzung mit einem der dunkelsten Kapitel in der norwegischen Geschichte präsentiert, sondern interessanterweise auch zwei Liebesgeschichten, von der eine die Ereignisse im Zweiten Weltkrieg vorantreibt, die zweite aber ausgerechnet Harry Hole betrifft, der sich sowohl bei seinem Chef Møller als auch seiner liebenswerten Kollegin Ellen bedanken kann, dass sie in der Vergangenheit ihre schützenden Hände über Holes alkoholbedingte Ausfälle gehalten haben. Doch die Beziehung zu seiner alleinerziehenden Kollegin Rakel, auf die auch Staatssekretär Bernt Brandhaug ein Auge geworfen hat, verläuft alles andere als unkompliziert, und das gilt eben auch für den gesamten Plot. Jo Nesbø vermag zwar, hochkomplexe Plots zu entwickeln und dabei den Finger auf die Wunden in der norwegischen Gesellschaft zu legen, doch lässt er allzu viele Figuren mitwirken, die er kaum zu bemerkenswerten Persönlichkeiten entwickelt, denen man interessiert folgen möchte. Dafür springt der Autor zu häufig und abrupt zwischen den Schauplätzen, Zeiten und Figuren hin und her. Nichtsdestotrotz entwickelt „Rotkehlchen“ einen Sog, der das Publikum bis zum Schluss bei der Stange hält.
Leseprobe Jo Nesbo - "Rotkehlchen"

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