John Grisham – „Der Regenmacher“

Dienstag, 23. März 2021

(Hoffmann und Campe, 576 S., HC) 
Nach den fünf – allesamt verfilmten! – Bestsellern „Die Jury“, „Die Firma“, „Die Akte“, „Der Klient“ und „Die Kammer“ legte John Grisham 1995 (zwei Jahre später in deutscher Übersetzung) mit „Der Regenmacher“ seinen nächsten großen Wurf vor. Mehr noch als in seinen vorangegangenen Werken inszeniert der ehemalige Rechtsanwalt und Abgeordnete den juristischen Kampf eines noch jungen und unerfahrenen Anwalts gegen einen mächtigen, mit scheinbar unbegrenzten finanziellen Mitteln ausgestatteten Konzern. 
Gegen den Willen seines Vaters, einem ehemaligen Marineinfanteristen und Ingenieur, der seinen Sohn wegen Insubordination schon auf eine Militärschule zu schicken beabsichtigt hatte und eine immense Abneigung gegen Anwälte empfand, entschloss sich Rudy Baylor schon früh, selbst Anwalt zu werden. Ironischerweise kam sein Vater ums Leben, nachdem er von einer Leiter gefallen war, diese seine Firma verkaufte. Seine Mutter heiratete einen pensionierten Postbeamter, mit dem sie die 50.000 Dollar aus der Lebensversicherung mit Reisen in ihrem Winnebago durchbrachte. 
Im letzten Semester seines Jurastudiums belegt Rudy ausschließlich Vorlesungen, die nicht mit großer Arbeit verbunden sind, darunter das Seminar zu juristischen Problemen älterer Leute. Hier muss sich Rudy nur regelmäßig mit seinen Kommilitonen ins Cypress Gardens Senior Citizens Building begeben, um sich mit wirklichen juristischen Problemen wirklicher Menschen auseinanderzusetzen. Rudy bekommt es zunächst mit Miss „Birdie“ Birdsong zu tun, die ihr Testament zu ändern beabsichtigt. Ihrem derzeit gültigen Testament zufolge hat sie zwanzig Millionen Dollar zu verteilen, doch die bisher begünstigten Söhne und Enkelkinder sollen nun aus dem Testament gestrichen werden. Stattdessen soll der Großteil ihres Vermögens einem Fernsehprediger zugutekommen. Da Rudy völlig abgebrannt ist und er bislang vergeblich einen Job in einer der Anwaltskanzleien in Memphis an Land ziehen konnte, nimmt er Miss Birdies Angebot an, für eine sehr geringe Miete bei ihr in einer eigenen Wohnung auf ihrem Grundstück zu wohnen und sie dafür bei ihrer Gartenarbeit zu unterstützen. Viel mehr Kopfzerbrechen bereitet Rudy allerdings ein anderer Fall, der an ihn herangetragen wird: Dot und Buddy Black berichten ihm, dass ihr Sohn Donny Ray an Leukämie erkrankt sei, doch obwohl sein Zwillingsbruder der ideale Spender für eine lebensrettende Knochenmarktransplantation wäre, habe es die Versicherungsgesellschaft Great Benefit mehrmals strikt abgelehnt, die Kosten in Höhe von 200.000 Dollar für die Operation zu übernehmen, obwohl dieser Eingriff in dem Vertrag nicht ausgeschlossen sei. Rudy holt sich Rat bei Professor Max Leuberg, der einen leidenschaftlichen Hass auf Versicherungsgesellschaften verspürt und in der Vergangenheit mit Verfahren zu tun gehabt habe, bei denen die Geschworenen die Versicherungen zu horrenden Strafen verurteilt hätten. 
Tatsächlich scheint dieser Fall zum Himmel zu stinken. Je mehr Rudy und seine Helfershelfer im Sumpf wühlen, desto mehr kommen sie einem ungeheuerlichen System auf die Spur, bei dem Great Benefit grundsätzlich alle größeren Ansprüche abweist und sich nur bei den Fällen auf eine Zahlung einlässt, wenn ihre Kunden mit Anwälten drohen. Da weder die Blacks noch Rudy sich auf einen Vergleich einlassen wollen, steht Rudy kurz nach seinem bestandenen Examen im Gerichtssaal, um gegen mehrere hochbezahlte, erfahrene Anwälte und ihren offensichtlich mit krimineller Energie vorgehenden Mandanten zu kämpfen … 
„So also sterben die Unversicherten. In einer Gesellschaft voll reicher Ärzte und funkelnder Krankenhäuser und mit den allerneuesten medizinischen Gerätschaften und dieser Unmenge von Nobelpreisträgern in aller Welt ist es empörend, dass jemand wie Donny Ray dahinsiechen muss und ohne angemessene ärztliche Behandlung sterben muss.“ (S. 348) 
John Grisham versteht es, seine Leserschaft schon mit den ersten Seiten zu packen und bis zum fulminanten Finale nicht mehr loszulassen. Indem er erstmals seinen Protagonisten als Ich-Erzähler einsetzt, bekommt das Publikum die Geschichte ausschließlich aus seiner Sicht zu hören, ohne dass beispielsweise beleuchtet wird, was beispielsweise die Gegenseite im Schilde führt. Dadurch hält Grisham die Spannung auf einem konstant hohen Niveau, denn der Leser befindet sich stets auf Augenhöhe mit seinem Helden, für den man nur Sympathie empfinden kann. Grisham und damit sein junger Protagonist nehmen sich viel Zeit, die Fälle von Miss Birdie und den Blacks aufzudröseln, wobei die Testamentsangelegenheit der alten Frau eher amüsantere Züge trägt, während das Schicksal des sterbenskranken Donny Way natürlich auch den Leser auf seine Seite zieht und klar Stellung gegenüber dem Versicherungskonzern bezieht. Allerdings strapaziert Grisham die Schwarz-Weiß-Malerei über Gebühr. 
Bei der Gerichtsverhandlung kommt letztlich keine wirkliche Spannung mehr auf, weil die Beweisführung so einseitig ausfällt, der Richter parteiisch ist und das Management von Great Benefit einfach nur genüsslich vorgeführt wird. Hier hätte ein wenig mehr Ausgewogenheit wesentlich zur Glaubwürdigkeit der Geschichte beigetragen. Davon abgesehen bietet „Der Regenmacher“ einen wunderbaren Einblick in die Nöte junger Prozessanwälte, die sich oft mit recht drögen Fällen abgeben müssen, um überhaupt ihre laufenden Kosten bezahlen zu können. Und natürlich steckt auch eine gute Portion, wenn auch wenig subtile Gesellschaftskritik in diesem Buch, das auf die Verfehlungen großer Konzerne ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Blick auf die Menschen, die sie eigentlich vertreten, verweist und den Schutzbedürftigen eine Stimme verleiht. 

 

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