Daniel Woodrell – „Winters Knochen“

Sonntag, 7. März 2021

(Liebeskind, 224 S., HC) 
Als ihr Vater, der weithin bekannte Meth-Kocher Jessup Dolly, nicht wie versprochen mit einer Tüte voller Geld und schöner Sachen zurückkommt, nachdem er sich mit seinem blauen Capri auf den Weg gemacht hatte, liegt es an der gerade mal sechzehnjährigen Ree, die Familie zu versorgen. Dabei fehlt es der in ärmlichen Verhältnissen im Hinterland von Missouri lebenden Familie an allem. Während ihre katatonische Mutter sich um nichts mehr kümmern kann, sorgt Ree dafür, dass ihre jüngeren Brüder Harold und Sonny zu essen bekommen und zur Schule gefahren werden. 
Von Deputy Baskin erfährt Ree, dass Jessup einmal mehr angeklagt wird, in einer Woche zu seinem Gerichtstermin erscheinen muss, doch nirgends aufzufinden ist. Sollte er zu dem Termin nicht erscheinen, verfällt die gestellte Kaution, für die Jessup das Haus und den angrenzenden Wald verpfändet hat. Um das Heim ihrer Familie nicht zu verlieren, bleibt Ree nichts anderes übrig, als nach ihrem Vater zu suchen. 
Sie fängt bei Jessups älteren Bruder, Onkel Teardrop, doch wird ihr auch auf den weiteren Stationen ihrer Suche unmissverständlich klar gemacht, dass sie besser ihre Finger von der Sache lässt. Von Merab Milton und ihren Schwestern wird sie sogar brutal zusammengeschlagen. Schließlich kann Onkel Teardrop gerade noch Schlimmeres verhindern. Ree kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass ihr Vater tot ist, doch um das zu beweisen und damit ihr Zuhause zu retten, muss sie die Leiche finden, so zerschunden ihr Körper und angegriffen ihre Psyche auch sein mag … 
„Alles Mögliche tanzt einem im Kopf herum, meist nicht jene Erinnerungen, die man mit ganz bestimmten Gedanken zurückzurufen versucht hat, doch meist holen selbst die ungewollt tänzelnden Gedanken Gefühle herbei, locken sie hervor oder lassen zumindest ein Gewirr davon zurück. Weiß legte sich auf das Fensterbrett, Schneeflocken stolzierten umher, wehten gegen die Glasscheiben, und Ree tastete mit der Hand auf dem Fußboden herum, schüttelte eine weitere blaue Tablette heraus, lehnte sich zurück und wartete auf das schwarze Loch.“ (S. 187) 
Nachdem der in St. Louis und Kansas City aufgewachsene Daniel Woodrell seinen freiwilligen Dienst bei den Marines und das College absolviert hatte, nahm er am renommierten Iowa Writers' Workshop teil und lieferte 1986 sein Romandebüt „Cajun Blues“ ab, den ersten Teil seiner Bayou-Trilogie. Sein Roman „Wer mit dem Teufel reitet“ wurde ebenso verfilmt (1999 durch Ang Lee) wie das vorliegende Buch 2010 durch Debra Granik mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle. 
Obwohl die Geschichte gerade mal 220 Seiten umfasst, packt sie den Leser von der ersten Seite an. Das ist vor allem Woodrells kraftvoller, farbenprächtiger Sprache zu verdanken, aber schließlich hat er mit der leiderprobten Teenagerin Ree auch eine charismatische, kämpferische und willensstarke Protagonistin geschaffen, die sich nicht nur aufopferungsvoll um ihre Familie kümmert, sondern auch unbeirrt nach ihrem verschollenen Vater sucht, wobei sie sich nicht mal von der brutalen Behandlung durch ihre entfernte Verwandtschaft abschrecken lässt. 
Dem Autor gelingt es, die von Hügeln und Tälern geprägte Landschaft der Ozarks wunderbar zur Geltung zu bringen und die oft unwirtlichen Verhältnisse mit den schwierigen Charakteren des White-Trash-Milieus zu verknüpfen. Hier fügen sich Sittenzusammengehörigkeit und Verdorbenheit zu einem schicksalhaften Gemisch, das eigentlich kein Happy End hervorbringen kann. So unerbittlich kalt die Natur sich hier im Winter präsentiert, so hart gehen auch die dort lebenden Menschen miteinander um, die sich allesamt mit illegalen Aktivitäten ihren Lebensunterhalt verdienen oder davon profitieren wie die Kautionsagenten. Unter diesen Bedingungen lässt es sich nur leben, wenn die strengen Regeln der eingeschworenen Gemeinschaft eingehalten werden, oder man stark genug ist, für die eigenen Überzeugungen durch die Hölle zu gehen.  

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