Dan Thomas ist in dem kleinen Kaff Dead River in Washington County aufgewachsen, im ärmsten Bezirk des ganzen Landes, wie er meint. Jeder scheint hier von der Hand in den Mund zu leben, er selbst hat die Schule geschmissen und arbeitet in der örtlichen Sägemühle. Sein geregeltes Leben kommt ordentlich in Schwung, als Casey, Kim und Steven mit ihren reichen Eltern die Ferien in Dead River verbringen.
Anfangs hängen sie zu viert herum und wollen in der langweiligen Gegend spannende Sachen erleben, dann kommen sich Dan und Casey beim Nacktbaden näher. Ob es Liebe ist, kann Dan noch nicht sagen, aber aufregend ist es auf jeden Fall. Doch Casey begnügt sich mit einem unbekümmerten Urlaubsflirt oder Picknicks am Strand mit geklauten Lebensmitteln aus dem Supermarkt. Ständig ist sie auf der Suche nach dem nächsten Kick. Als Dan Caseys apathisch wirkenden Vater kennenlernt, bekommt er eine Ahnung, warum Casey so ist, wie sie ist.
„Jeder ist einsam. Im Grunde unseres Herzens sind wir allein. Nur dass manche diesem Umstand den Krieg erklären und andere nicht. Damit will ich nicht über Casey urteilen. Sie hatte gute Gründe für ihr Verhalten, und sie wusste sich nicht anders zu helfen. Es lag nicht in ihrer Natur, dass sie so grausam war. Denn Krieg bedeutet immer auch Tod. Und der Tod ist ansteckend und nicht wählerisch.“ (S. 105f.)Doch Caseys emotionale Ausbrüche bringen auch Dan in Schwierigkeiten. Schließlich beschließen die vier, die Nacht in dem verlassenen Crouch-Haus zu verbringen und verstecken zu spielen. Vor Jahren haben hier die beiden gehandicapten Geschwister Ben und Mary mit ihren Hunden gelebt, bis sie irgendwann das Haus räumen mussten. Sie verschwanden von einem Tag zum anderen und ließen ihre Hunde einfach im Haus zurück. Was als bierseliger Spaß beginnt, wird jedoch zum tödlichen Ernst, als Dan feststellt, dass außer ihnen noch andere Lebewesen in dem Haus ihr Unwesen treiben …
Nachdem der Heyne-Verlag in seiner Hardcore-Reihe in letzter Zeit fast den gesamten Backcatalogue von Richard Laymon in deutschen Erstausgaben veröffentlicht hat, darf sich das deutsche Publikum darauf freuen, dass auch das umfangreiche Werk von Jack Ketchum nach und nach hier erhältlich sein wird.
Bislang sind mit „Evil“ (im Original 1989 erschienen), „Beutegier“ (1991), „Amokjagd“ (1994), „Wahnsinn“ (1995), „Blutrot“ (1995), „Beutezeit“ (1999) und „The Lost“ (2001) vor allem die Frühwerke des Autors veröffentlicht worden, erst mit „Beuterausch“ (2011) kam zeitnah auch ein aktuelles Werk von Dallas Mayr (so Ketchums bürgerlicher Name) auf den Markt. Dazwischen sind aber noch über zwanzig (teilweise mit Edward Lee und Richard Laymon verfasste) Bücher erschienen, die noch auf eine deutschsprachige Übersetzung warten.
Mit „Versteckt“ ist nun aber Ketchums erst zweites Buch aus dem Jahre 1984 veröffentlicht worden. Der Schützling von Altmeister Robert Bloch („Psycho“) demonstriert auf gerade mal knapp 230 Seiten aber schon eindrucksvoll seine Stärke, normale Menschen in psychischen wie physischen Ausnahmesituationen agieren zu lassen, wobei er mit klarer Sprache, pointierten Dialogen, expliziten Sex- und Gewalt-Szenen straffe Handlungszüge entwickelt, die keine Zeit zum Luftholen lassen. „Versteckt“ wird aus der Perspektive des sympathischen Dead-River-Einwohners Dan Thomas erzählt, und der geschliffene Roman bringt sehr gut die Einöde des kleinstädtischen Lebens ebenso gut zum Ausdruck wie die Faszination für die reichen Kids aus Boston, die leidenschaftlichen Gefühle, die er für Casey zu empfinden beginnt, aber auch die gefährlichen Züge, die ihrer Persönlichkeit zu eigen sind. Das eigentliche Versteck-Spiel folgt allerdings den konventionellen Genre-Konventionen und kann nicht ganz an die Klasse der ersten zwei Drittel der Geschichte anknüpfen. Aber spannend bleibt das Werk bis zum Schluss.
Abgerundet wird „Versteckt“ durch biografische Ergänzungen des Autors zur Entstehung der Geschichte und einer Werkbiografie, wie man sie bereits aus den letzten Richard-Laymon-Veröffentlichungen her kennt.
Leseprobe Jack Ketchum „Versteckt“
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