Der amerikanische Schriftsteller Thomas Harris lässt zwar nur alle Jubeljahre mit einem neuen Werk von sich hören, doch wenn es soweit ist, gehören ihm die Bestseller-Listen auf der ganzen Welt, und die Film-Produzenten schlagen sich bereits während der Entstehung eines neuen Thrillers um die Filmrechte. Schließlich sind nicht nur alle – leider an nur einer Hand abzuzählenden – Romane des Autors erfolgreich verfilmt worden, mit Dr. Hannibal Lecter hat Harris eine Kult-Figur des soziopathischen Serienkillers geschaffen, der durch Anthony Hopkins auch noch grandios auf der Leinwand verkörpert worden ist.
Nachdem er in „Roter Drache“ (1981) nur einen kurzen Auftritt als Berater bei einem aktuellen Fall des FBI hatte, steht er im sieben (!) Jahre später entstandenen Sequel schon etwas mehr im Mittelpunkt der Geschehnisse. Unter dem Vorwand, einen Fragebogen zur Erstellung einer Datenbank für psychologische Diagramme in ungelösten Fällen ausfüllen zu lassen, schickt Special Agent Jack Crawford von der Abteilung für Verhaltensforschung die angehende Agentin Clarice Starling nach Baltimore, um im State Hospital für geistesgestörte Straftäter zu versuchen, ein paar Antworten von Dr. Hannibal Lecter zu erhalten. Tatsächlich lässt sich Lecter auf ein Gespräch mit Crawfords Schützling ein und bietet sogar seine Mithilfe im „Buffalo Bill“-Fall an.
Der Killer wird so genannt, weil er seine weiblichen Opfer regelrecht häutet und seine Spuren geschickt verwischt, indem er die Leichen in Flüssen entsorgt. Nach dem vielversprechenden Auftakt bindet Crawford Starling in die laufenden Ermittlungen mit ein.
„Es gab keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Ort, wo Bill die jungen Frauen entführte, und dem, wo er sie ablud. In den Fällen, in denen die Leichen rechtzeitig genug für eine Festsetzung der Todeszeit gefunden wurden, erfuhr die Polizei etwas weiteres über den Killer: Bill ließ sie eine Zeitlang am Leben. Diese Opfer starben erst eine Woche bis zehn Tage nach ihrer Entführung. Das bedeutete, dass er einen Ort haben musste, an dem er sie festhalten konnte, sowie einen Ort, wo er ungestört arbeiten konnte. Es bedeutete, dass er kein ziellos herumreisender Mensch war. Er glich eher einer Falltürspinne. Mit seinen eigenen Verstecken. Irgendwo.“ (S. 77)Als die Tochter von Senatorin Martin entführt wird, läuft der Polizei die Zeit davon. Lecter ist nur bereit, seine Fähigkeiten zur Ergreifung des Täters bereitzustellen, wenn ihm die Senatorin im Gegenzug eine Zelle mit Aussicht in einem Bundesgefängnis zusagt. Doch dann kann Dr. Lecter fliehen …
Bereits mit „Roter Drache“ hat Thomas Harris den prototypischen Serienkiller-Thriller verfasst und mit genauen psychologischen Betrachtungen die Faszination für diese abnorm veranlagten Serientäter geschürt. Seither hat es unzählige Nachahmer sowohl in der Spannungsliteratur als auch unter Hollywoods Filmemachern gegeben, doch mit „Das Schweigen der Lämmer“ hat Harris die Latte in Sachen Spannungsaufbau noch höhergelegt. Die Figuren Jack Crawfords, der neben den komplexen Ermittlungen im „Buffalo Bill“-Fall noch seine sterbenskranke Frau zu pflegen hat, der FBI-Schülerin Clarice Starling, die unbedingt weiter an dem Fall mitarbeiten möchte, und nicht zuletzt des hochintelligenten Dr. Hannibal Lecter sind so lebendig herausgearbeitet, die Ermittlungsarbeit so präzise und kurzweilig beschrieben, dass der Roman atemloses Lesevergnügen bis zum furiosen Finale verspricht.
Mit „Hannibal“ sollte erst 1999 die lang ersehnte Fortsetzung folgen …
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