Dave Zeltserman – „Paria“

Mittwoch, 30. Juni 2021

(Pulp Master, 370 S., Tb.) 
Als Kyle Nevin nach acht Jahren ohne Bewährung den Knast von Cedar Junction verlässt, kennt er vor allem nur ein Ziel: sich an Red Mahoney zu rächen, den irischen Mobster im „Southie“ genannten Süden Bostons, der keine Skrupel kannte, seinen Schützling ans FBI zu verpfeifen. Sein Bruder Danny holt ihn in einem verrosteten Honda Civic ab. Im Gegensatz zu Kyle, der seine volle Strafe für einen Bankraub absaß und niemanden verraten wollte, hatte sich Danny, der wegen einer Schutzgeldangelegenheit mit einem Nachtclub hopsgenommen worden war, auf einen Deal eingelassen, musste aber aus Southie wegziehen und sich von seinen alten Kumpels fernhalten. Nun rackert er sich auf dem Bau ab, haust in einem kleinen Apartment im Studentenviertel von Brighton, wo er mit seiner spaßbefreiten Freundin Eve lebt, die in Kyles Augen viel zu kleine Titten hat. 
Kyle lässt sich in seiner alten Kneipe Scolley’s ordentlich feiern und lernt dort mit Nola eines der heißen Mädchen kennen, die es auf harte Jungs abgesehen haben. Er wechselt von der Couch seines Bruders in Nolas schicke Apartment und plant, mit seinem Bruder eine Entführung durchzuziehen, die für beide so viele Millionen bringt, dass sie ausgesorgt haben. Doch das Opfer stirbt unerwartet, das FBI nimmt Kyle wegen der Entführung ordentlich in die Zange, kann aber letztlich nicht beweisen, dass er etwas mit der Entführung zu tun hat. Kyle schreibt einen langen Brief an die „New York Times“ und erregt mit dem Bericht über seine Erfahrungen mit dem FBI die Aufmerksamkeit eines New Yorker Verlags, der ihm einen Vorschuss von 600.000 Dollar für zwei Bücher anbietet. Der Hype, der sich daraufhin um seine Person in der Medienlandschaft entwickelt, überrascht Kyle und bringt ihm endlich seinem Ziel näher, Mahoney ausfindig zu machen und zu eliminieren … 
„Es gab einen Grund, warum ich den Knast ohne Probleme überstanden hatte und jetzt wieder frei war. Damit ich Red aufspüren und es ihm heimzahlen konnte. Es ging dabei nicht nur um mich, es ging darum, dass er unseren Kodex verhöhnt hatte und unser aller Leben. Und es sah danach aus, dass es nur auf diese Weise geschehen konnte, auf meine Weise.“ (S. 219) 
Der amerikanische Noir-Autor David Zeltserman hat mit Kyle Nevin einen herrlich diabolischen Schurken geschaffen, der in „Paria“ als Ich-Erzähler seine Erlebnisse seit der Entlassung aus dem Knast niederschreibt und dabei mit seinen „Anmerkungen für das Lektorat“ immer wieder auf fiktive Erhöhungen und Abweichungen hinweist, die Nevin noch selbstsüchtiger und -überschätzender erscheinen lassen, als es seine Lebensgeschichte an sich schon tut. Nevin gehört zu jenen Exemplaren von Menschen, die sich auch durch eine langjährige Gefängnisstrafe nicht eines Besseren belehren lassen, nicht für einen Hungerlohn einer anständigen Arbeit nachgehen, sondern gleich das große Geld kassieren wollen. 
Nevin vermag seine selbstsüchtigen Aktionen aber geschickt hinter einer Rache für den Verrat an Freundschaft, Loyalität und Ehre zu tarnen, so dass der Leser nicht umhin kann, den Protagonisten für seine moralisch zwar durchaus anrüchige, aber konsequente Haltung zu respektieren. Nevin kennt keine Tabus, nimmt sich einfach, wonach ihm gerade ist und macht kurzen Prozess mit den Leuten, die ihm irgendwie in die Suppe spucken. Wenn darunter ein unschuldiges Kind oder selbst sein eigener Bruder leiden muss – Pech gehabt, was soll’s? 
Allein durch Nevins Perspektive bekommt der Leser eine düstere Weltsicht vermittelt, in der es nur um den eigenen Erfolg, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, um Ruhm, Geld und Anerkennung geht. Zeltserman bringt diese Geschichte äußerst knackig mit dem richtigen Gefühl für die Atmosphäre innerhalb des Bostoner Mobs zum Ausdruck und karikiert zum Ende hin auch noch das Medieninteresse, das so taffe Typen wie Nevin durch ihr großspuriges Verhalten auslösen. Vor allem die Art und Weise, wie Nevin „sein“ Buch an den Mann zu bringen versucht, darf auch als Kritik sowohl an die Sensationsgier des Publikums als auch der nach hohen Auflagen gierenden Verlage gelesen werden und sorgt für ein fast schon amüsantes Finale. 

 

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